Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh Einzelpreis 75 Heller

Redaktion u. Verwaltung: Prag XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Rebatteur: Rarl Rern, Prag 18. Jahrgang Mittwoch, 4. Mai 1938

Aus dem Inhalt:

,, Nordböhmen

Overlangt einen neuen Kurs" Tschechische Pressestimmen über unsern 1. Mai Toscanini

in Bologna beschimpft

Hitler in Rom108.

Nr. 104

Die Schweizer Sozialdemokraten Wie lange noch? vor den Aussiger Arbeitern

Jaksch, Oprecht, Bringolf und Paula Wallisch sprechen Große Vertrauensmänner- Versammlung in Bokau Aussig.( Eigenbericht.) Dienstag abends tagte in der Volkshalle in Bokan eine Versammlung der Vertrauensmänner des Aufſiger Bezirtes. Der riesige Saal war bis auf lente Bläschen gefällt. Es dürften etwa 1000. Teilnehmer erſchienen sein. Neben dem

Vorsitzenden unserer Partei, Abg. Jafsch, waren der Vorsitzende der schweizerischen sozialdemo­tratischen Partei, Nationalrat Dr. Oprecht, und Nationalrat Walter Bringolf als Referenten angekündigt. Die drei Gäste wurden beim Eintritt in den Saal von den Teilneh­mern, die sich von den Sißen erhoben, mit unerhörtem Beifall überschüttet.

Die Versammlung wurde von dem Auffiger| Mit tosenden Rufen empfangen, ergreift Bezirksvertrauensmann Jentsch eröffnet, der auch dann Dr. Oprecht das Wort. Er sagte u. a.: Paula Wall is ch herzlichst begrüßte. Un- Der Kampf, den die deutsche Sozialdemokratie fer glänzender, fampfesfreudiger Stimmung, die in der Tichechoslowakei heute zu führen hat, ist genau sich in wiederholten Beifallskundgebungen aus­drückte, sprach als erster Redner I atch.

Er wies darauf hin, daß der bevorstehende Wahlgang nicht nur innerhalb unserer Grenzen, sondern auch weit darüber hinaus mit riesiger Span nung erwartet werde. Vielleicht, sagte Jafic), ist es cure rubmvolle Aufgabe, die erste Bresche in die gcanerische Front zu schlagen.

Die Sache der Demokratie ist nicht verloren, so­lange fie fämpft und sich nicht selber aufgeben will. Zatsch spricht dann über die Ergebnisse der Lon doner Konferenz und den Hitlerbesuch in Italien . Benn man nicht nur urteilt nach der verrüdten Situation in unserem deutschen Grenzgebiet, son­dern wenn man sich in die Welt um sieht, dann stellt sich immer wieder heraus, dazz die faschistischen Machthaber mehr Grund haben, sich au fürchten als die demokratischen Staatsmänner. leber die Grabsteine des südtiroler Deutschtums ist Hitler zu seinem Freund Mussolini gefahren.

Wir wollen in aller Seelenruhe das Ergebnis dieser Entrevue abwarten, um so mehr, als auch die Stimmung in einem großen Teil des italieni­schen Volkes fich bedentend gewandelt hat, seitdem Gitler am Brenner aufmarschiert ist und die Ita­liener damit verloren haben, worum sie im Welt­frieg fämpften: die Befreiung von dem großen Gen­ner im Rücken.

Nationalrat Dr. Oprecht Vorsitzender der schweizerischen Sozialdemokratie

Jatsch kommt schließlich auf den wundervollen ersten Mai zu sprechen, der hinter uns liegt, und an dem viele Zehntausende deutsche Sozialdemokra ten die Frage, was ihnen die Freiheit wert ist, fehr positiv beantwortet haben. Der Geg­ner, der wütend über uns herfällt, müßte eigentlich sehr tief den Hut vor uns ziehen, vor der Gesin­mungsfestigkeit und Kampfentschlossenheit der deuts schen sozialistischen Arbeiterschaft in diesem Lande. so wie der Kampf der Republikaner in Spanien ein Das Ringen um das Bekenntnis zur Freiheit spielt jich nun auch im tschechischen Volfe ab, das nicht darnach zu beurteilen sei, was die Herren Kahanet oder Beran schreiben oder reden, sondern nach dem wahren Empfinden, das große Massen des tschechi schen Volkes durchdringt.

Es geht etwas vor im tschechischen Volk, das nicht zu unseren Ungunsten ausfallen kann. Ich glaube, daß die Zeit vorübergeht, da die Verkün der der Napitulationsbereitschaft und des Gleich. schaltungswillens allzu fühn auftreten konnten. Das tichechische Volf ist intelligent genug, um zu wissen, daß man mit dem Nationalsozialismus nicht vaktie­ren kann, daß es nur eine einzige Wahl gibt: Wi­derstand zu leisten oder sich unterwerfen!( Stürmi­scher Beifall.)

Stampf der internationalen Arbeiterbewegung.

Die deutsche Sozialdemokratie hier steht so wie die Kämpfer in Spanien im vordersten Treffen gegen den Faschismus und darum kommen Arbei­tervertreter aus verschiedenen Ländern zu Euch, um Euch in diesem Kampfe zu helfen( Großer Beifall), aber auch um etwas von dem Feuer, das Euch befeelt, mit nach Hause zu nehmen, um dann den Stampf im eigenen Lande umio entschiedener führen zu fönnen.

Die Lage der Schweiz und der Tschechoslowakei iſt ihrem großen Nachbarn gegenüber in der Grundhal­tung dieselbe und insbesondere auch deswegen über­bringe ich Euch die Grüße der ſchweizerischen ſozial­demokratischen Arbeiterschaft.( Beifalls. st ur m.) Wir haben in der Schweiz noch keine Hen­Ich sehe den Herrn Senlein noch nicht in der leinpartei, und wir hoffen, daß dort nie eine auftau­Rolle eines tschechoslowalischen Seiß- Inquart( arochen wird.( Großer Beifall.) Insbesondere seit dem hes Gelächter). Wir überwinden Schritt für Schritt 11. März ist für die Schweiz die Frage der Vertei die Lähmung, welche der Faschismus auch in einen Teil der arbeitenden Menschen hineingetragen hat. Es lebt noch viel Sympathie für uns verborgen, die wir eines Tages wieder werden mobilisieren finnen.

digung ähnlich gestellt wie für die Tichechoslowakei.

Wir Schweizer Sozialdemokraten, die wir immer die leidenschaftlichsten Bazififten waren, fehen uns heute gezwungen, zu erkennen, daß auch militäri­sche Pflichten zu erfüllen find

Es wird sich herausstellen, wer aus härterem Holz geschnitzt ist. und deshalb stebt heute auch die schweizerische So­Wir sind dem Faschismus überlegen, wenn wir ihn aialdemokratie unbedingt auf dem Standpunkt der nicht fürchten.( Beifall.) Dieſer erste Mai war ein Landesverteidiauna und versucht Einfluß zu nehmen Höhepunkt unserer sittlichen Kraftentfaltung. Wir auf die Armee, weil auch diese ein Instrument des berkennen nicht die Schwierigkeit der Situation, in demokratischen Kampfes ist. In der Schweiz besteht der wir uns, umgeben von faschistischen Staaten, innerhalb der Arbeiterschaft und im Bürgertum der als letzte deutsche Freiheitspartei befinden.

unerschütterliche Wille.

Aber welche Perioden der Arbeiterbewegung das Land gegen jeden Angriff des Faschismus zu huben sich am tiefsten in das Denten unserer Ber­verteidigen. trauensmänner eingetragen? Nicht die ruhigen Zei- Ru der Notwendigkeit der militärischen Verteidigung ten, sondern jene, in denen es gefährlich war, So- fommt die Notwendigkeit auch der wirtschaft­zialdemokrat zu sein. Wenn gefämpft wird, dann I i den und ae i stia en Verteidigungs­wird es gerade schön!( Großer Beifall.) bereitschaft.

Der Wendepunkt muß kommen. Wenn der Staat Für den Arbeitslosen ist es nur dann möglich, fein feine Pflicht erfüllt, vann wird die deutsche sozial. Vaterland richtig zu verteidigen, wenn der bemo demokratische Arbeiterschaft nicht versagen.( Minu- kratische Staat auch ihm gegenüber seine Pflicht tenlanger stürmischer Beifall.). erfüllt.

Deshalb hat die schweizerische Sozialdemokratie schon vor langer Zeit einen Arbeits beich af Zweizer Barlament, das fich anfanas dieſem Plan fungsplan aufgestellt, und jest sieht auch das

entgegenstellte, die Notwendigkeit seiner

ßen zu müssen.

Denn dem Faschismus darf man nicht den fleinsten Finner reichen.( Großer Beifall.)

Jab bin überzeugt, daß die Demokratien Bestand haben werden. während die Diftaturen auch der Gegenwart, so wie die der Vergangenheit. schließlich dem Unteraana actveibt fein werden. Sieg oder Niederlagen, immer gilt es neu zu wagen!"

Ebenfalls großartig begrüßt, sprach Natios nalrat Bring golf, der u. a. sagte:

Halten wir einige Tatsachen aus der letzten innerpolitischen Entwicklung fest: Die Regierung erläßt ein Versammlungsverbot und es wird be fanntgemacht, daß das Verbot auch über den 1. Mai hinaus Geltung haben werde. Die SdV droht offen und versteckt mit Trußaufmärschen. Nach langem Hin und Her jeden Tag konnte man andere Nachrichten über die Absichten der Regierung lesen wurde ein sogenanntes Som promiß gefchloffen, des Inhalts, daß jeder Par tei eine beschränkte Anzahl" Maifeiern bewilligt würde. Die SDP feierte das Verhalten der Re­dieſer zog aus dem von Brag gelieferten Schwäche gierung mit Recht als einen Erfolg Henleins und

Durchführung ein. Die Schweiz ist ein reiches Land beiveis die entsprechenden Folgerungen. Sie vers und beherberat viel Gold und andere fehr nübliche anstaltete in a II en Bezirksstädten mit Ausnahme Dinge, aber wir möchten nicht im Gold eritiden, fon- der von der Maul- und Klauenseuche bedrohten dern wir wollen es in der Wirtschaft in Umlauf Maifundgebungen. Bei der Amtswaltertagung in ie ben, damit es produktiven Aufgaben Starlsbad, die von gewissen amtlichen Stellen mit diene. Was die aei it ia e Verteidigungsbereits geradezu ängstlicher Spannung erwartet worden schaft anlangt, so müssen und wollen wir alles dazu war, formulierte er nicht nur feine acht Punkte, tun, damit die Gefahr nicht entstehe, mit dem Na- ohne zu befürchten, daß er der Selbstachtung des tionalsozialismus auch irgendein Kompromiß schlie Staates und den Konsequenzen dieser Selbst­achtung begegnen werde, sondern führte auch den Hitlergruß ein. Und er glaubte angesichts des ra­piden Schwindens der Staatsautorität gegenüber seiner Bewegung das Versteckensviel mit dem Bes fenntnis zum Nationalsozialismus nicht weiter fortseßen zu müssen. Vei der Vegebung von Des liften, für die sie früher bestraft wurden, werden die Henleinleute jetzt von der Polizei geschützt. Der Hitlergruß und die offene Nazipropaganda find nunmehr sozusagen staatlich approbiert. Das für aber werden demokratische Blätter wegen antis nationalsozialistischer Provaganda konfisziert. Bei den Nazi- Maifeiern marschierten trob dem stren gen Verbot die Kinder auf; die Henleinzeitungen geben Lichtbilder wieder, auf denen man Henlein ficht, das Spalier der mit dem Hitlergruß grüs Benden Schuljugend durchschreitend. Gröhlend zogen am Maitag halbwüchsige Burschen und Mädchen durch die Straßen der fudetendeutschen Städte, um die von reichsdeutschen und mutige ren" Henleinleuten ausgehängten Hakenkreuzfabs nen zu ehren. Erblickten sie bei der Ausübung dies ser Tätigkeit Polizisten, schrien sie noch lauter als sonst oder grüßten auch die Polizei mit dem Sits lergruß. In Tevliz- Schönau wird der Indenbons fott mit Hilfe einer eigenen SDP- Gerichtsbarkeit organisiert. Die Ordner der SdP marschieren in voller SA- und SS- Uniform auf, nur mit dem Unterschied, da sie noch feine braunen Hemden tragen. Warum sollte sich die SdV die Mühe machen, um die Bewilligung der geieblich verbo­tenen Uniformen anzusuchen? Jede ihrer Geiebes­übertretungen hat in den letzten Wochen infolge des Verhaltens der Staatsführung de facto Ge­sebeskraft erlangt.

Wir bedauern es, daß wir nicht früher zu Euch gekommen sind, weil wir unter dem Eindrud stehen, daß die Tragit der Arbeiterbewegung in den letzten Jahren auch darin bestanden hat, daß die internatios nale Solidarität, auf die es ankommt, nicht immer da war. Wir sind überzeugt, daß, wenn in der Tiche choslowakei ein faschistischer Handstreich gelänge, auch die Schweiz früher oder sväter eine Lodung für den Faschismus bedeuten müßte. Wir Schweizer müssen uns damit begnügen, daß wir Euch folgendes fagen: Wenn wir in unserem Lande Euren Stampf in seiner

Nationalrat Bringolf

Bürgermeister von Schaffhausen

Dies alles sind unbestreitbare Tatsachen und wir könnten noch eine große Menge ähnlicher Tatbestände anführen. Die Gefahren, die sich aus diefer Entwicklung für die Gristenz des Staates und seiner demokratischen Verfaffung ergeben, find den Demokraten deutscher und tschechischer Zunge durchaus bekannt. Nur die Regierung scheint von ihnen nichts zu wissen. Sie läßt die Rügel schlei fen und schafft so der nationalsozialistischen Will für freie Bahn. Das Leben und die Sicherheit der demokratischen Staatsbürger sind der Staatsge walt ganz offenbar weniger wichtig als irgendein Stirnrunzeln des Stammesführer. Dabei haben die demokratischen Staatsbürger am 1. Mai auch im sudetendeutschen Gebiet bewiesen, wie ſtarf und entschlossen sie sind. Wenn es so weitergeht. wird bald der Tag kommen, da die SdP- Gerichts­wahren Bedeutung nicht nur in der Arbeiterschaft, barkeit ihre Vollendung in volizeilich geduldeten sondern auch darüber hinaus bekanntmachen, wenn Konzentrationslagern und in offener Juden- und wir die allgemeine Bedeutung dieses Kampfes ber- Marristenbak findet. Für alte Delifte wurden. vorheben, so alauben wir. Euch damit eine fleine die Nazi amnestiert, für neue werden sie nicht bes Hilfe zu leiſten. Was wir in der Schweiz für die straft. Wie sollte ihnen da nicht der Kamm Arbeiterbeweauna leisten, ist auch für Euch ein fleis schwellen? nes Stüd Hilfe. Darüber hinaus wäre es wichtig, daß auch die Ar. Die tschechischen Zeitungen, die nicht aus­beiterschaft in Frankreich , in England und in den schließlich die Interessen der gleichschaltungsberei­ffandinavischen Länder fich noch stärker und wir- ten Besißbürger vertreten, sondern der Stimme kungsvoller der tschechoslowakischen und Eurer des Volkes Raum geben, bringen unumwunden Sache annehme. Daraus müßte doch eine wirksame zum Ausdruck, daß es so nicht weitergehen kann Silfe für Euch entstehen. Was wir tun können, und daß das Verhalten der Regierung dem Mil­werden wir tun.( Großer Beifall.) len der Nation, dem Willen der Demokraten und Wir bitten Euch, mit den Einzelheiten Gures Kamp- den Bedürfnissen des Staates nicht entspricht. fes noch mehr als früber vertraut au machen. Verständigungsbereitschaft? Gut! Aber sie kann Unter großem Interesse und dann unter stürmischem doch nicht identisch sein mit dem Verzicht auf die Jahre 1933 in dem Kanton, in dem er zu Hause ist. Demokratie Vernunft mit Schwäche und Prinzi­Beifall der Versammlung schildert Bringolf , wie im Staatsautorität. Wenn einige Repräsentanten der ( Fortsehung auf Seite 2) pienlosigkeit verwechseln wie können sie dang

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