Leite 2 DienStag, 2. August 1SSS Nr. 179 Drei Minister Uber das Statut rische Macht Großdeutschlands j» sehen und sich nur auf diese Macht zu verlassen und nur aus sic zu bauen. To wie Deutschlands Niederlage vergänglich war, so ist eS auch Deutschlands heutige militärische Macht. Mer ein gedeihliches Zusammenleben von Sudctendentschcn und Tschechen will, darf nicht nur daS Vergängliche sehen, sondern muß auf daS Dauernde schauen, auf die beiden hier in gemeinsanicni Raume siedelnden Völker. Zu einer wirklich einvernehmlichen und deshalb dauernden Regelung des Zusammenlebens kommen wir nun. wenn an dieser Regelung gearbeitet wird mit dem Willen zur Verständigung, mit der unverkennbaren ehrlichen Absicht, zueinander Wege zu bahnen, den Staat als wohnliches HauS für alle feine Völker zu bauen. Athen.(AA.) SamStag vor 18 Uhr wurde zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten MetaxaS und dem bulgarischen Ministerpräsidenten Kjossejvanov im Gouverneurpalast zu Saloniki ein Vertrag unterzeichnet, der besagt: „Im Hinblick darauf, dass Bulgarien eine Politik der Befestigung deS Friedens auf dem Balkan verfolgt und von dem Wunsche durchdrungen ist, mit den Lalkanstaaten gutnachbarliche Beziehungen und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu pflegen, und im Hinblick darauf, daß die Staaten der valkanentrnte Bulgarien gegenüber von dem gleichen Geiste der Friedensliebe und dem gleichen Wunsche der Zusammenarbeit durchdrungen ist, erklären der griechische Ministerpräsident und Außenminister MetaxaS in seiner Funktion alS amtierender Vorsitzender deS Ständigen RateS der Balkanentente und der bulgarische Ministerpräsident und Außenminister Kjos- scjvanov namenS der Staaten, die sie vertrete», daß diese Staaten sich verpflichten, sich in ihren gegenseitigen Beziehungen feder Anwendung von Gewalt im Einklang mit den von frdem dieser Staaten unterzeichneten Nichtangriffspakten zu enthalten, und kommen, soweit rv sie betrifft, überein, daß sie auf die Anwendung der in den Artikeln und Klauseln deS Vertrages von Reuilly betreffend die militärischen, Marine- und Flugfragen enthaltenen Bestimmungen sowie die in der Konvention von Lausanne de dato 24. Juli 1923 enthaltenen Be,ir..munge» betreffend die Grenze von Thrazien verzichten." Der bisherige Zustand Sofia . Im FriedenLvertrag von Reuilly alldem Jahre ISIS wurde Bulgarien nur«ine Milizarmee von 88.000 Mann mit zwölfjähriger Dienstzeit bewilligt. Jährlich dursten nicht niehr als 80 Leutnants au-gemustert werden. Verboten waren Äriegrschiffe, Unterseeboote, militärische Flugzeuge, Willen zu einem friedlichen und freundschaftlichen Beisammensein, lind da die Sudetendeutschen jetzt die Fordernden sind, so muh vor allem bei Wen dieser Will« sichtbar werden. Bricht er nicht durch, wird er nicht erkennbar, spitzen die Nationalsozia- lisien das ganze Problem nur auf eine Machtfrage zu. zeigen sie, daß sie die nationale Befriedung gar nicht wollen, dann fügen sie dem sude-d tcttdeutscben Volk, was immer daS schließliche Ergebnis der derzeitigen Verhandlungen sein mag, dauernden Schaden zu. Den nationalsozialistischen Politikern geht eS um nationale Machtfragen, um Befriedigung nationalistischer Träume, um Stillung politischen Ehrgeizes— der sudctcndeutschen Bevölkerung aber ist damit nicht gedient. Sie muh, morgen so wie heute und gestern, mit den Tsche- Tanks und motorisierte Abteilungen. An den Grenzen in Thrazien wurde im Sinne des Lausanner Abkommens vom Jahre 1028 eine 80 Kilometer breite demilitarisiert« Zone errichtet. Au- verschiedenen Gründe», wegen der Kostspieligkeit der Miliztruppe— wurden die militärischen Klauseln, namentlich nach der Unterzeichnung de- ewigen Friedenspakte- mit Jugoslawien , allmählich aufgehoben. Nach und nach wurde tatsächlich ein« Wehrpflicht einge- sühri und die Arbeit-pslicht wurde auf militärische Grundlage gestellt. Die erste Regierung Kjosejwanow crllärte im November 1085 bei ihrem Antritt, daß sich auch für die Vervollkonunung und Modernisierung der Armee sorgen wolle, di« heute zusammen mit der Arbeitsarmee 60.000 Mann zählt. Da- in Saloniki unterzeichnete Abkommen erscheint sohin bloß al- eine Bestätigung de- tatsächlichen Zustandes. Hinsichtlich des Abkommens von Saloniki wird in bulgarischen Kreisen insbesondere darauf verwiesen, daß eS zur Erneuerung der bulgarischen Wehrmacht durch gegenseitiges 11 c B e c» einlommen und keineswegs— wie im Falle Deutschlands — durch einen einseitigen Akt gekommen ist. ES wird ferner erklärt, daß daS Streben Bulgariens nach RüstungSgleichberech» tigung keineswegs mit den lebten Ereignissen in Mitteleuropa, - insbesondere nicht mit dem Anschluß im Zusammenhang steht. DaS Abkommen von Saloniki ist ein weiterer Schritt auf dem Wege der Annäherung zwischen Bulgarien und den übrigen Balkanstaaten. Es bedeutet jedoch nicht, daß Bulgarien damit bereits der Balkan- Entente beitritt. Duff Cooper nach dem Baltikum London.(.tzavaS.) Aus Portsmouth wird gemeldet, daß der Marincministcr Duff Cooper wahrscheinlich Mittwoch nächster Woche auf der Ad- miralSjacht„Enchautereß" eine Rundfahrt durch das Baltische Meer antreien wird. Nach England werde er am 1. September zurücktehren. Am Sonntag sprachcy dje Minister N c öaS. T u L n Hund FeZek auf Tagungen ihrer Partei über das Nationalitätenstaat. Arias hielt feine Rode in Groß-Meferitsch, Tuönh in Hlinsko und JcZek in Nächod.'!■'< Neöas:„Die Republik lassen wir uns nicht zerstören!“. * Die heute fn der Oeffentltchkett weit vcrbrelkeit Anschauung, als ob es sich bei der Lösung der Jialio- nalitätensragen bei uns nur um Zugeständnisse. Konzessionen und eine größere oder kleinere Kapitulation handelt, ist abzulehnen. In Wirtlichkeit geht«S um die Erforschung einer zweckmäßigen Lösung der Na«, tionaliiälcnsrage und usti dttt'f Beninoarung? die freilich- beiderseitig sein müsse. Wir haben den Wunsch, daß alle unsere Staatsbürger sich bei, uns zufrieden und glücklich'fühlen. Je'"zufnede'Nkd die Bürger unseres Staates ohne Unterschied der Nationalität sein werden, um so konsolidierter und fester wird unsere Republik sein. Allerdings, die Re publik und ihre denrokratischen Einrichtungen lassen wir uns von niemandem zerstören, und auch Lügen aller Art, di« in der Republik verbreitet werden, werden wir immer mit Nachdruck zurückweisen. luenv: Leine territoriale Autonomie! Durch die Entwicklung der deutschen Politik ist eine Aera eingetreten, die man die zweite napoleonische Aeva nennen kaNn. Wie sie kür uns enden wird, ist nicht genau abzuschätzen. Wie jedoch die Lera Napoleons geendet hat, ist bekannt. Die tschechoslowakische Frage ist nicht nur unsere Frag:, sondern eine Frage der ganzen demokratischen und friedliebenden Welt Europas . Wir find bereit, für den Frieden Europas die größten Opfer zu bringen, damit man uns niemals als Schmerzbeule Europaansehen kann. In dem Statut wird den Deutschen ein gerechter Teil gegeben, der ihrer zahlenmäßigen Stärke angemessen ist. aber das, was den Höhepunkt der Karlsbader Forderungen bildet, nämlich die territorial« Autonomie, können wir um keinen Preis gewähren. In diesem Falle würde» aus einem Staate zwei Staaten: ein demokratischer und ein totalitärec. entstehen. Soweit können wir nicht gehen, selbst wenn dies unsere Verbündeten und Freunde im AuSlande forderten. B a l e n e i a.<Ag. Esp.) Truppen der republikanischen ZrntrumSarmer, die im Abschnitt westlich von Teruel operieren, haben die bedeutsamen Ortschaften Gualaviar, Griego»«nd FriaS in der Sierra de Albarraein erobert: ES handelt sich hier um«ine neue AngriffSaltion der Rrpu- blikaner,, die die Gegenoffensive-oder'Rebellen gegen daS am Ebro eroberte neu« Gelände bedrohen kann. Barcelona.<Ag. Esp.) Die im Dienste der Invasion stehenden Truppen mit viilen Flugzeugen und Tanks haben den ganzen Tag ihre Gegenangriffe nördlich von Fayon fortgesetzt, ebenso bei der Kreuzung der Straßen von Fayon"«nd Muela—Mrquinrnza. Die republikanischen Truppen halten den Druck ans«ich haben dm» Feinde starke Verluste beigrbracht. In der Zone Potla de Masaluca haben die republikanischen Truppen den feindlichen Widerstand gebrochen und den Friedhof diese» Dorfe» hinter sich gelassen. Auf der Straße Gandesa—Masaluca sind unsere Truppen gleichsall» vorgerückt. Di« Jnvasionsflugzcuge Jeisk: Ausgleich nicht mit Irredentisten Der Ausgleich der Tschechen■ und Deutschen ist keine schwierige Angelegenheit, nur muß auf beiden Seiten der gut« Wille bestehen. Wir wollen einen Ausgleich, aber unter der Voraussetzung, daß er mit loyalen Mitbürgern»nd nicht mit Irredentisten abgeschlossen wird. Der Ausgleich darf nicht nur die Erweiterung der Nationalitätenrechte, sondern muß das Ende der Känlpfe, des Terrors, der Propaganda der Lügen und Provokationen bedeuten. Wir fürchten nich^dle Kritik der ganzrn Welt. Das. was wir machen tverden, muß natürlicherweise die ganze Welt tlin. Wir sind doch kesti Vasallenstaat dec ganzen Welt, sondern wollen für die ganze Welt ein Beispiel der Friedensliebe. Verträglichkeit und Gerechtigkeit sein., Sollte aber auch diese» aufrichtigste Bestreben nicht'genügen und eS doch zum Krieg: kommen, dann wird die gesamte Nation auch diesmal die Freiheit und Selbständigkeit zu verteidigen wissen. So sprechen reichsdeutsche Soldatenl Der„Prager Montag" bringt«ine Reihe von erschütternden Schilderungen jener reich-deutschen Soldaten, die e- drüben nicht mehr au-hielten und die Grenze der Tschechoslowakischen Republik überschritten. Der frühere Redakteur de-„Völkischen Beobachter-", Soldat der Reichsarmee, Ernst Topper. ruft den Sudetendeutschen zu: „Sudetendeutsch «! Z» Euch spricht ein Mann, der mit Leib»nd Seele deutscher Soldat gewesen ist. Zu Euch spricht ein Mann, der Schriftleiter de»„Völkischen Beobachter»" gewesen ist. Ich habe lange geglaubt, der RationalsozialmuS würbe dadeutsche Volk glücklich machen. Aber er hat es fnrchtbnr, furchtbar iinglückkich gemacht! Ich hatte r» für meine Pflicht, Euch das zu sagen und Euch zu warnen! In ganzen Scharen flüchten jetzt Sol. daten au» der deutschen Armee. An» einer ein-igk» Kompagnie In Grafenwörth sind IS Mann davon- gelaust». Wißt Ihr, wa» da» bedeutet? Ist danur Schlechtigkeit und böser Geist? Nein, eS Ist «in Symptom für die traurige» Zustände in un- serem arme» Deutschland !" setze» ihre ununterbrochenen Angriffe auf unsere Linien fort. Unsere Artillerie hat drei feindliche Bomber abgeschossen. Wir haben am Sonntag ahlrriche Gefangen« gemacht, unter ihnen eine ranze Kompagnie MGfchützen mit ihre» acht in- takten MG. Am Montag morgen ging dir Schlacht durch die Initiative der republikanischen Truppen weiter, die siegreich in der Zone nördlich von Feyon vorwärtbschrtteu. Wichtige Rrbellenstellungen in den Abschnitten Pobla und Toscal Eros wurde» ebenfalls beseht. Die heftigen Francoaagrisse auf die republikanischen Stellungen bei Meaui- nenza wurden blutig abgrwiesrn. An der Le v a n t e f r o n t haben die republikanischen Truppen durch einen Handstreich auf La Muola in der Zone Camarena dem Feind starke. Verluste bereitet und Kriegsmaterial erbeutet. In der Nacht zum Sonntag sind vier feindliche Handstreiche auf La Mallasta in der Zone Onda völlig zurückgeschlagen worden. ES kommt gewiß sehr viel auf gesetzliche Bestimmungen an. Nationalitätenstatut und Sprachengesetz sind also von größter Bedeutung. Aber e» kommt doch nicht bloß auf den Wortlaut von Gesetzen an, sondern auch auf den Geist, in dein sie geschaffen werden. Es kommt nicht allein auf die Paragraphierung des Verhältnisses zwischen den Nationen an, so notwendig sie ist, sondern auch aus den Willen zur Verständigung, auf den> wen leben, mit ihne^i arbeiten, mit ihnen wirtschaften, mit ihnen in den Gemeinden und im Lande Hausen, und deshalb braucht sie keine nationalistischen Triumphe, die immer teuer bezahlt werden müssen, sondern den gesicherten Frieden, die ruhige Arbeit, das möglichst reibungslose Zu« sammenleben, ein Sieben- und Miteinander ohne Verbitterung, ohne nationale Ressentiments, die tvirkliche Versöhnung. Bulgarien militärisch gleichberechtigt Militärklauseln des Friedensvertrages aufgehoben Die neue Ebro-Front stabilisiert Siegreiches Vordringen der Republikaner westlich vonTeruel I Zwischen I Mann und Kind ■ Roman von LIU K 8 r b e r „Ob man nicht mit der Elektrischen fahren könnte und die fünf Schillinge sparen," fuhr es Mayer durch den Sinn.»Mein, nein, das ist schäbig und außerdem kann sie auö der Elektrischen herauSspringen. Im Auto pumpe ich sie an, sie ist geizig, wenn sie jemand nicht mag, sie wird sich ärgern, daS wird sie von Albert ablcnkcn..." „Sie fahren zuerst in die Zicglergasse 2," sagte Geßler zum Chauffeur,„dann..." „Halt!" rief Mayer," ich steige dort auch aus, ich will ein Stück zu Fuß gehen, Lust schnappen. Leb' wohl Albert," fuhr er leise fort, ich komme mir vor wie in der„Bürgschaft"... DaS Auto setzte sich in Bewegung. Albert Geßler sah ihm nach. Jetzt kamen ihm die Gefühle, wie sie Alma Braun herbeigewünscht hatte. Er war ein guter Mensch und Alma tat ihm leid. Er dachte an ihre eckigen Bewegungen, die gequälten Augen, den bitteren Mund.„Das ist mein Werk", sagte er sich,„so sieht eine Frau aus nach einer jahrelangen Beziehung mit mir. Und wie lieb war sie als junges Mädel, unbeschwert, vital, amüsant. Wäre sie an den Richtigen gekommen, sie hätte eine nette Mutter abgegeben. Statt dessen ist daS aus ihr geworden..." Eine Straßendirne mit blonden Drehlocke» und hohen grauen Gummischuhen stellte sich ihm in den Weg:„Geh. komm' mit, ich hab' heute noch nichts verdient", bat sie mit heiserer Stimme. Geßler schüttelte nur den Kopf, er war zu traurig, um zu reden, es schien ihm, als verstünde er Alma jetzt, ihre Liebe zu ihm, ihren Schmerz,.Aber zum Teufel auch, ich kann doch nicht eine Frau heiraten, die nicht zu mir hält!" rief er plötzlich auö, erleichtert, daß er einen wirklichen, ernsten, triftigen Grund gefunden hatte, warum er Alma nicht heiraten konnte. Und dann blieb sein Auge an der Kuppel der Karlstirche hängen, die unter den Scheinwerfern grün aufglänzte. Er verlangsamte den Schritt, um die Schönheit dieser regelmäßigen Linien, die grell aus dem Dunkel hervortraten, und der cmaiischimmernden Rundung genießen zu können. Als er in die Argentinierstraße einbog. da hatte er sich bereits verziehen. Und weil er ein richtiger Wiener war, schob er die unangenehmen Gedanken von sich mit den Worten, die in Wien jede Schwierigkeit lösen: „Da kann man halt nix machen!" Gerade in diesem Augenblick blätterte Alma Braun, zu Hause angekommcn, in einem schmalen Heft, auf d«m mit ihrer Handschrift geschrieben stand:„Die schönsten Gedichte der Weltliteratur". Endlich fand sie lvaS sie suchte. ES waren die Verse der Chinesin Pan Tsieh-M, die jahrelang die erste Geliebte des Kaisers Cheng-Ti(82 bis 7 vor Chr.) gewesen war. Sie wurde schließlich durch die Tänzerin Chao, die ivegen ihrer leichten Grazie den Beinamen„Fei-Aen", die„fliegende Schwalbe" erhalten hatte, in der Gunst des Kaisers verdrängt. Ehe sie sich in die Einsamkeit zurückzog, sandte sie dem Kaiser einen Fächer mit einem daraufgeschriebenen Widmungsgedicht: Aus einem Seidenstücke zart Wie Schnee und Reif so weiß, Ter Fächer hier geschnitten ward, Rund wie des Bollmonds Kreis, Im Aermel und im Busen auch Mein Herr ihn mit sich führt, ES weht ihn an ein kichler Hauch Wenn seine Hand ihn rührt. Doch ach! schon kommt die Sonnenwend' Ein frischer Herbstwind weht. Der Sommer ist nunmehr zu End', Die Sonnenglut vergeht. Den armen Fächer nimmt mein Herr, Wirft in den Kasten ihn. Denn er hat seine Gunst nicht mehr Und seine Zeit ist hin. Unter stand die Anmerkung, daß diese» Gedicht eine so große Popularität bekam, daß der Ausdruck— ts-iu-hou-shan, d. h.„Spätherbstfächer" sich in der Bedeutung einer im Stiche gelassenen Frau im Sprachgebrauche eingebürgert hatte. Und wie die Schönheit der Karlskirche bei Albert Geßler die peinlichen Gedanken verscheucht hatte, so löste jetzt daS Gedicht der Chinesin die Bitterkeit aus Almas Seele. Die Vornehmheit, mit der dieses Frauenherz vor zweitausend Jahren gelitten hatte, hob auch ihren eigenen Schmerz heraus in eine Sphäre, wo iS keine lleinliche Ran, küne und keine Anflage gab, nur noch das Walten des ewigen Naturgesetzes, das den Mann von Erlebnis zu Erlebnis, von Frau zu Frau treibt. Jede glaubt zu Beginn einer neuen Liebe dem Geliebten endgültiger Ruhepunkt und Hafen zu sein, und jede muß zum Schluß erkennen, daß sie für ihn mir Oase war auf der mühseligen Fahrt durch die Wüste de» Lebens. Lange saß Alma über dem chinesischen Gedicht, in stiller Gemeinschaft mit dieser Frau, deren Herz längst zu Staub geworden war. Und weil sie sich müde und abgespannt fühlte und keine Kraft mehr hatte zu leiden, tauschte sie sich, fast gegen ihr besseres Wissen, daß, wenn sie so blieb, wie sie diese Chinesin gelehrt hatte— ausgeglichen llnd harmonisch im tiefsten Schmerz— sie Albert Geßler doch noch zurückgewinnen könnte, daß ein neuer Anfang begann, wo alles«zu Ende war. Und sie erhob sich, um zu Bett zu gehen, gerade in dem Augenblick, al» Geßler, stiner Wohnung zuschreitend, die abschließenden Worte gesprochen hatte voll von der tiefgründigen Wiener Weisheit: „Da kann man halt nix machen!" X. Kapitel. Die Schwester aus London Der Zug Zürich —Wien sollte in fünf Minuten in die Bahnhofshalle«inlaufen. Geduldig standen die Angehörigen der Passagiere an den beiden Türen, die auf den Perron führten, nur wenige leisteten sich den Luxus einer Bahnsteigkarte. Zu diesen wenigen zählte Frau Martha, sie wollte Stanzt„anständig" empfangen, wie es einer Schwester geziemt; nein, Stanzi sollte nicht merken, daß sie sich mit dem Brief, der ihre Ankunft ankündigte, nicht richtig gefreut hatte. Stanzi lebte in guten Verhältnissen und manches schien ihr selbstverständlich, was Martha Kopfzerbrechen verursachte. Ein Logiergast kostet Geld, dazu noch ein Logiergast, der geivöhnt ist, jede» Tag Fleisch zu essen, Bohnenkaffee zu trinken, zum five o'elock oder in» Theater zu gehen und nicht an hundert Kleinigkeiten zu sparen, wie eS die Wiener jahraus jahrein tun. Ja, als Stanzi zuletzt da war, da lebte Gustav und die Familie hatte ihr gutes\ Einkommen, aber heute spielte jede kleine Extraausgabe eine Rolle und drohte das bescheidene Budget aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das würde man Stanzi nicht verständlich machen können, reiche Leute begreifen niemals, wenn es bei den anderen an diesem und jenem fchlt. Die große Wohnung und die Hausgehilfin gaben den Wie« singers den Schein der Wohlhabenheit. Martha konnte doch nicht jedem erzählen, daß sie die ineinandergehenden Zimmer nicht vermieten konnte und die alte treue Steffi, di« noch bei ihrer Mutter gedient hatte und feit Gustavs Tod kein Gehalt mehr bekam, ebenso wenig fortschicken konnte wie eines ihrer eigenen Kinder.., (Fortsetzung folgt)
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18 (2.8.1938) 179
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