Nr. 198 Mittwoch, 24. August 1938 Seite.5 Kisker 200 firmen abgewandert In einer Betrachtung über Lord Stund« man» Sendung schreibt Dr. Fran- Bacher im „Ost-Kurier":..Die Abwanderung der Leitung jüdischer Firmen In das Innere Böhmens I> ä l t a n, ein Umstand, der sich in den Steuereinnahmen der deutschen Gemeinden, die ohnedies unter dem Boykott leiden, sehr bald äußerst nachteilig fühlbar machen wird. Denn«S ist natürlich nickt gleichgültig, ob ein Unternehmen wie die PapierfabrikS-AG Spiro in Kruman seine Ge» mcindcumlagen in dieser lleinen südböhmischen ldcmcinde oder In Prag bezahlt. Heute gibt man ober schon auch in strammnationalen Kreisen zu. daß man eS dem jüdischen Fabrikanten, der bisher brav am deutschen Strang mitgezogen hat und eS heute hinnehmen muß, daß er mit seinen Kindern aus allen deutschen Organisationen und Vereinen hinauskomplimentiert wird, weil sich diese z»r deutschen Weltanschauung bekennen, nicht verdenken kann, wenn er dieser unfreundlichen, ihm über Nacht fremd, sa feindselig gcgcnübcrstchcnden Umgebung den Rücken kehrt und rasscnmäßig neutraler eingestellten Gefilden den Vorzug gibt. Die Zahl der in diese Kategorie der Abwanderer zählenden Firmen dürfte mit 200 eher zu nie« drigalSzu hoch angenommen sein; im übrigen sprechen die täglichen Zeitungsannoncen, die Häuser und Grundstücke in. den Randgebieten zum Tausch anbieten, eine nicht mißzuverstehende Sprache. Dieser Boykott, den vor allem wieder die deutschen Textil-, die Glas-, aber auch die chemische und kosmetisch« Industrie spüren, bringt naturgemäß Leute um Arbeit." Wer verschuldete unbefriedigende Konkurrenzverhältnisse? Zu den Berichten über die Vermehrung der Gewerbebetriebe bemerkt„Die Konsumgenossenschaft": Der private Einzelhandel behauptet, daß die Konkurrenz der Konsumgenossenschaften immer erdrückender werde. Wir begrüßen eS selbst- verständlich, daß ein immer größerer Teil der Bevölkerung sich konsumgenoffenfchaftlich betätigt. Aber von einer„erdrückenden Konkurrenz" der Konsumgenossenschaften und gar von„katastrophalen Folgen" für den privaten Einzelhandel kann nicht die Rede sein. Vielmehr trifft folgendes zu: An den unbefriedigenden Konkurrenzver« hältnissm ist der privat« Handel selbst schuld. Ein Beispiel: In den Monaten April, Mai und Juni sind in acht, von zwölf..HandelSkammersprengkln. der Republik '1030'neue freie Gelvetbe hinzugekommen. In der gleichen Feit wurden von der Interessenzentrale der Genoffenschaftsverbände für da- gesamte Staatsgebiet insgesamt 64 neue kon« sumgenoffenschaftlichc Verteilungsstellen betvilligt. So sorgfältig und verantwortungsvoll prüft die Intereffcnzentrale die wirtschaftlichen Bedingungen, ehe sie die Bewilligung erteilt; nur in jenen Fällen, wo«In erwiesenes Bedürfnis der Verbraucher besteht, wird eine neue BcrteilungSstcllc errichtet. Wir fragen: Wer hätte angesichts der Entwicklung des lebten Vierteljahres— 1680 neue Privatgeschäft« gegen 64 neue konsumge« noffenschaftliche BerteilungSstellen— mehr Ursache über eine„erdrückende Konkurrenz" zu sprechen: der private Handel oder die Konsumgenossenschaften? Wir Konsumgenoffenschaften sind stets auf dem Grundsatz einer freien wirtschaftlichen Entwicklung gestanden. Wir haben eine Konkurrenz nie gefürchtet, denn wir sind überzeugt, daß sich die Selbsthilfebewegung der Verbraucher auf Grund ihrer Leistungen selbst den Weg zum weiteren Aufstieg bahnt. Wir wiederholen unseren alten Standpunkt: Findet der private Handel in seinem Bereich Anlaß zu der Erwägung, daß der Ueberfüllung durch immer neue Geschäfte nur mit gesetzlichen Regelungen bcizukommen sei, so möge er dseS tun. Wir werden aber jeder Bestrebung, die geordnete und nach volkswirtschaftlich verantwortungsbewußten Grundsätzen vor sich gehende Entwicklung der Konsumgenossenschaften zu hindern, den härtesten Widerstand entgegensetzen. Ole Produktionseinschränkungen In der Papierindustrie In der Zellulose-Erzeugung ist eS zu stärkeren Einschränkungen bei der Firma Eichmann u. Co. und in Sandhübel gekommen. Die Arnauer Zellulosefabrik soll auf Zweischichtenbetrieb eingeschränkt und außerdem zwei Wochen stillgelegt werden. Di« SandHübler Zcllulosefabrik wird durch sechs Wochen den Betrieb einstellen.' Die Zelluloscfabrik der Firma Emil Fürth u. Sohn in Nestersih, mit welcher bereits über eine Einstellung verhandelt worden war, hat hingegen bis jetzt durchgearbeitet. In der Papiererzeugung Ist es zu einer vorgehenden Stiflegung der Papierfabrik Oberlangendorf der Ollesckiau-AG gekommen, welche bis 80. September 1988 befristet ist. Nennenswerte Produktionseinschränkungen weisen die Firmen Eichmann ». Co. in Arnau und Marschendorf, die Firmen P. Piette und C. Weiß« Huhn Söhne auf. In den übrigen Fabriken wird noch Halbwegs normal gearbeitet. Am besten ist die Beschäftigung in jenen Fabriken, in welchen durch forcierten Export für Vollarbeit gesorgt toird. ES sind dies vor allem die Fabriken Hein richsthal , Böhm.-Kamnitz, Spiro, Porak und Nestersitz. Auch in diesen Betrieben machen sich in der letzten Zeit Schwierigkeiten bemerkbar. Rekordteilnahme der Porzellan« Industrie an der Prager Messe Prag . Die Porzellanindustrie hat für di« be vorstehend« Prager Herbstmesse wieder sämtliche zur Verfügung stehenden Flächen belegt. Da durch die Teilnahme neuer Firmen im Rahmen der Ausfuhrkonzerne die Zahl der Aussteller weiter zugenommcn hat, weist die diesjährige Veranstaltung die stärkste Beschickung, die je eine Herbstmesse in Prag hatte, auf. Warenmäßig schließt die Abteilung„Porzellan und Steingut" alle Arten Geschirr- und Hotelporzellan ein, ferner Zier« und Luxusporzellan sowie Elektro« und' sanitäres Porzellan. Außer den heimischen Fa briken, die nahezu sämtliche vertreten sind, stellt auch ein« reichsdeutsche Firma Spihenporzellan aus; ferner wird auch japanisches und chinesisches Porzellan vorgeführt.— Die an die Porzellan« abteilung angeschlossene Gruppe Feinkeramik (Fayencen, Terracotta usw.) ist ebenfalls voll beseht. Arbeitskämpfe Im Juli Nach den Mitteilungen des Statistischen StaatSamteS gab es im Juli 86 Streik»(im Juni 81) in 68(42) Betrieben mit 6674(8486) Arbeitnehmern. Insgesamt betrug der Verlust an Arbeitszeit bei den Streiks 28.878(28.860) Arbeitstage und der Lohnverlust 827.264 (424.777) Kronen. Nach Gewerbeklaffen entfallen zwölf Streiks auf die Baugewerbe(18.887 versäumte Arbeitstage), je sechs Streiks auf die Steinindustrie(1166) und die Holzindustrie (2409), vier Streiks auf den Bergbau(820), je zwei Streiks auf die Metallindustrie(806) und die Nahrungsmittelindustrie(400), je ein Streik auf die Glasindustrie(4887), die chemische Industrie(20) und die BeklcidungS« und Schuhindustrie(19). Bei 21 Streiks wurde eine Lohnerhöhung verlangt(18.188), bei sieben Streiks handelte es sich um Forderungen bezüglich der Organisation(2266), bei sechs Streiks waren sonstige Forderungen(8880) der Grund und bei einem Streik ist die Forderung bisher nicht bekannt. DaS^Ergebnis war für die Arbeitnehmer i» vier Fällen ein boller Erfolg(1202) in 20 ein Teilerfolg(14.886), in drei ein Mißerfolg (1886); in acht Fällen ist das Ergebnis bisher nicht bekannt(61801. Nach Ländern entfallen auf Böhmen 18 Streiks(4180), auf Mähren und Schlesien zehn Streiks(1818). auf die Slowake: sechs Streiks(12.488) und auf Karpathorußland sechs Streiks(4869). AuSsPerrimgen gab es im Juni nicht. Hericktssaat Arme Mutter... Prag ,«rb« Ein Fall von tiefer sozialer Tragik kam vor dem hiesigen Bezirksgericht(GR Dr. Dido u r e k) zur Verhandlung. Am 20. Juni d. I. vernahm der in Nusle diensttuende Wachmann Ma Hilferufe vom Ufer des BotiSbache». der an diesem Tage Hochwasser führt« und an den Uferrändern«ine Tiefe von eineinhalb Metern auswics. Der Polizist eilte herbei und zog einen dreijährigen Jungen au» dem tiefen Schlamm. Das Kind Ivar bereits bcwnßt- los und konnte auch nicht mehr in» Leben zurückge- rufen werden. Es wurde festgestellt, daß«S sich um das uneheliche Kind der Arbeiterin Anna S. handelte, die wegen Vernachlässigung der pflichtgemäßen Obsorge unter Anklage gestellt wurde. E» ergab, sich, daß diese arme. Mutter, die^in Prag keine Verwand» ten und Freunde hat, ihr Kind regelmäßig der. Obhut der Kinderkrippe zu übergeben pflegte, bevor sie sich in die Arbeit begab. An jenem 29. Juni— es war der Feiertag Peter und Paul — wurde in der Fabrik, wo die Angeklagte angestellt ist, normal gearbeitet, während die Krippe den Feiertag einhielt und geschlossen blieb. So blieb der Arbeiterin nicht» anderer Übrig als den kleinen Jungen einer alten und gebrechlichen Nachbarin zur Aussicht zu Übergeben. Diese Aussicht ertvie» sich al» i unzulänglich. Da» Kind lief aus dem Hause und an I da» Bachufer, wo e» dann den Tod fand. Der Rich ter erwog die Sachlage und fällte«inen Freispruch. wobei in den Urteilsgründen ausgesvro» chen wurde, daß angesichts der Zwangslage, in der sich die angetlagte Mutter befand, von einem fahrlässigen Verschulden nicht gesprochen werde» könne. Man erhält für K8 100 Reich-Mark...*. . 528.— Markmiinzen.... .«60.— 100 rumänische Lei..•• . 16.88 100 polnische Zloty... . 548 50 100 ungarische Pengö... . 508.50 100 Schweizer Franken.• . 666.— 100 französische Franco.■ . 79.20 1 englische» Pfund... . 142.25 1 amerikanischer Dollar. . 2895 100 italienische Lire.... . 149.40 100 holländische Gulden..» . 1587.— 100 jugoslawische Dinare.. .«4.80 100 Belga» . 488.50 1 Oll dänische Kronen... . 688.— 100 schwedische Kronen... . 734.— Dreimal getraut Prag ,-rb- Der russische Emigrant Nikolas Fjodorowitsch heiratete im Jahre 1924 die gleichfalls aus Rußland geflohene Maria Alexandrowna . Damals studierte er an der technischen Hochschule, wäb- rend sie Hörerin der medizinischen Fakultät war. Die Ehe wurde in Karpathorußland nach orthodoxem Ritus geschlossen. Ein Jahr darans kam ein Sohn zur Welt, der auf den Namen Alexej getauft wurde. Während die Gattin ihre Studien erfolgreich beendete und sich eine ärztliche Praxis schuf, war Ni« kolaj ein ewiger Student, der es zu keiner Prüfung brachte. Im Jahre 1928 kam da» Ehepaar daraus, baß bei der Eheschließung ein formaler Fehler unterlaufen war, der die Ehe ungültig gemacht hätte. Sie ließen sich dccher in biesem Jahre neuerlich trauen. Da» Bummelleben des Gatten, der ständig ohne ordentlkchen Beruf von der immerhin ansehnlichen Unterstützung lebte, die ihm znslotz, veranlaßte die Gattin, die Ehescheidungsklage einzubringen. Der Prozeß enbete damit, daß 1981 die Ehe aus dem Verschulden de» Gatten geschieden wurde. Zwei Jahre später führte der Zufall die Geschiedenen wieder zusammen und die alte Liebe lebte wieder auf. E» kam 1988 zur dritten Eheschließung. Im Frühling der heurigen Jahre» brachte aber die Gattin eine neuerliche Scheidungsklage ein, in der sie an- führte, daß ihr Mann sie schlecht behandle/«inen liederlichen Lebenswandel führe,. sich, in Nachtlokalen herumtreibe, wo er al» Balalajkaspicler allerlei ver- sängliche Bekanntschaften anknüpfe und dergleichen mehr. Der Gatte brachte eine Gegenklage ein. der ein in sehr zärtlichen Worten gehaltener Brief beilag, in welchem die Gattin versicherte, sie werde„als braves Mäderle" das Übermäßige Rauchen ausgeben und sich überhaupt eines musterhaften Lebenr- lvandelS befleißigen. E» zeigte sich im Laufe der Verhandlung allerding»,'daß dieser Brief nicht an ihren Gatten gerichtet war, sonder» an ihren Freund,' einen gewissen Herr.» Jenfis, der gleichfalls an» Rnß- kad'stannnß abev schon vor dem Krieg mü seinen Estern eingewandert war und sich von dem Ehepaar in seiner bereit» vergessenen Muttersprache unterrichten ließ. Da» ScheidungSgericht sprach schließlich di« .Scheidung an» beiderseitigem Verschulden au». Verlanget überall Volkszänder Der Geburtstag Von Johannes Foerster »ES werden viele Leute zu meinem Geburtstag'kommen. Haben wir genug Stühle? Fünfundzwanzig? Sollten ivir nicht lieber dreißig haben?" Bernhard Schröter Ivar sehr aufgeregt; er wollte seinen fünfzigsten Geburtstag feierlich begehen; viele Einladungen waren verschickt. Amalie Schröter, die rundliche Hausfrau beschwichtigte das Geburtstagskind:„Aberi Natürlich find es genug Stiihlel Metal Metal Sind die belegten Brote fertig?" Meta, die Tochter des Hauses, stürzte herbei und versicherte, daß alles in bester Ordnung sei. »Wie spät ist eS?" erkundigte sich nervös Schröter. „Um Gottes Willen! Dreiviertel acht!" stieß die Gattin hervor und lief zur Küche, hinter ihr Meta, um dort mit dem Dienstmädchen Leuchen die allerletzten Vorbereitungen zu treffen. Leuchen, die Dienstuingd, prangte in der weißen Schürze und im weißen Häubchen. Bernhard memorierte die Danke-Worte, die er zu sprechen gedachte: .Liebe Freunde! Ich bin zu tiefst gerührt, euch an diesem Tage in meiner Mitte,— aber das geht ja nicht, in unserer Mitt« weilen zu sehe». Mein Blick schweift über di« herrlichen, Prachtvollen Geschenke. Ich danke euch, ich danke euch, Ich danke euch!" Hier wurde er von Rührung über seine eigenen Worte übermannt und kam nicht weiter. Die Hausfrau und die Haustochter standen zum Empfang der Gäste bereit. ES schlug acht. „Jetzt werden sie kommen," flüsterte Bernhard, heiser vor Aufregung. Die Türglocke blieb stumm. «Sie werden so viertel, halb neun kommen. Es sind halt anständige Leute, die wissen, was sich gehört," bemerkte Frau Amalie Schröter, die die wachsende Aufregung ihres Ehegemahls bemerkte.<» Bet Hinterhubers entspann fick um halb acht, al» der Herr Hinterhuber die Wohunng betrat, felgendes Gespräch: ,Hast du das Geschenk mitgebracht?" Hinterhuber sah seine Frau verständnislos an:„Was für ein Geschenk?" „Da haben wir«sl Wir sollten doch zum fünfzigsten Geburtstag zu Schröters kommen. Genau habe ich dir beschrieben, was du kaufen sollst, und du kommst nach Hause und hast keine Ahnung." HinterhnberS kleine Acugleln erglänzten. „Aber liebe Fraul Wozu die Aufregung? Alles hat feinen Zweck. Schau, es wird eine große Tafel fein. Schröter ist aufgeregt. Soviel Gäste, soviel Lärm l Sie werden froh sein, wenn wir zwei fehlen, und wir gehen am Sonntag hin, und alles ist in schönster Ordnung." Frau Hinterhiibers Antlitz hellte sich auf: „Du magst recht haben. E» ist ja doch ein« Aufregung. Die vielen Leute. Wir gehen am Sonntag hin, du hast vollkommen recht." Damit begab sich das Ehepaar Hinterhuber statt zu Schröters Geburtstag zu einem schnell improvisierten Abendessen. „Und du meinst, wir sollten hingehen?" fragte die Frau Rat Reckmann ihren Gemahl. „Was erstens könnte uns daran hindern, und zweitens mit welcher Begründung blieben wir fern?" Frau Rat Reckmann nahm ihre goldene Brille ab und dozierte:„ES ist nicht gut, wenn dmcch allzu viel Gäste die Aufregung des Herrn Schröter zu sehr gesteigert wird. Deshalb halle ich eS für das Beste, am Sonntag hinzugehen, wa» man bet Schröters nur als rücksichtsvoll und anständig anerkennen wird." Das Ratsehepaar Reckmann blieb an diesem Abend zu Hause. -• Am Abend des fündigsten Geburtstages deö Herrn Bernhard Schröter wurden genau soviel Gespräche des gleichen Inhalts geführt, al» Gäste geladen waren. G „Willst du noch Schlagsahne?" fragte die Ehefrau Schröter ihren Gemahl, der nach Luft schnappend vor halbgeleerten Tellern und Schüsseln faß. »Laß mich in Ruhe mit Schlagsahne I Solange ich lebe, kommt mir kein Tropfen Schlagsahne mehr ins Haus! Ich habe zwciunddreißig belegt« Brötchen gegessen, ganz zu schweigen von dem Salat und Schlagsahne und unzähligen Stücken Torte." Bernhard Schröter, nebst Frau und Tochter und Leuchen, saßen an dem ausgezogenen Tisch im großen Zimmer und suchten von den durch dir Wärme gefährdeten Sachen zu retten, was zu retten war. Man trank dazwischen eisgekühlten Wein. Man war zornig und fchlechter Dinge und ließ es sich so schlecht werden, wie man gerade konnte. Schröter hielt seine Dankrede und sandte bei der Erwähnung der Geschenke einen vernichtenden Blick auf den leeren Gabentisch der Gäste. Er verwirrte sich dann und griff nach dem GlaS und trank und alle tranken mit ihm, um den Groll wenigstens etwas hinunterzuspülen. Das SonntagSeffen war bei Schröters vorbei. Der Herr des Hauses faß mit aufgeknöpfter Weste und raucht« eine hicke Zigarre. Amalie Schröter machte ein Mittagsschläfchen, und Meta saß am Fenster und döste vor sich hin. Leuchen war gerade in der Küche fertig geworden, al» puntt halb drei die Glocke schrillte. Lenchen schaute durch das Guckloch, wer da die Sonntagsruhe stören wollte. Sie öffnete schnell, als sie Hinterhubers erkannte. Sie fand gerade noch Zeit, die Familie zu alarmieren. Schröter konnte noch schnell die Weste guknöpfen, Amalie sich die Haare etwas oxdnen und Meta, ihr geistreiches Lächeln aufsetzen. Hinterhubers traten ein:„Das ist eine Ueberxafchung, was? — Schröter murmelte:„Ja, und was für eine!" Hinterhubers beglückwünschten den süß lächelnden, innerlich fluchenden Schröter,.dann machte man eB sich. gemütlich. Herr Hinterhuber be- mcrlle:„Ein Wellerchen heute!" Bernhard knurrte:„Das habe ich auch schon gesehen, daß eS ein Wetterchen ist!" Da klingelte es wieder, und der Herr Rat Reckmann und Frau erschienen mit einem anderen Ehepaar. Schließlich waren alle nicht erschienenen Geburtstagsäste versammelt. Schröter lief mit hochrotem Gesicht herum und donnerte:„Wenn ihr noch Platz findet, bitte nehmt ihr euch! Hast du etwas zu essen, Amal<c?" —„Butterbrot und Olmützcr Käjlnl" erwiderte erbost Amalie. Die Gäste standen herum und sich im Wege. Der Hausherr fuhrwerkte dazwischen» er konnte schließlich feinen Zorn nicht mehr halten, sonst wäre er geplatzt:„Ihr seid mir feine GeburtS« tagSgästel Den Bauch habe ich mir mit Schlagsahne Vollpampen müssen, daß mir drei Tage schlecht war, heute kommt ihr!" Amalie, obwohl selbst erzürnt, sandte flehende Blicke zu ihrem Mann. Sie fanden keine Beachtung. «Fünfzig Jahre habe ich mich auf meinen fünfzillstm Geburtstag gefreut! Und keine Katze, nicht einmal ein Hund ist gekommen! An» lauter Rücksicht! Heute— au! schon wieder hat mir einer auf meine Hühneraugen getreten!— Heute ist nichts da, es ist Sonntag, man will es sich gemütlich machen, da wird man überfallen! Oh, meine Galle , Wie ich mich giftel Aber das war ja gerade die Absicht! Ich wollte euch eine Dan- kcSrede halten für eure Geschenke, fauer elnko« chen könnt ihr sie euch lassen! Ich verzichte! Ich will meine Ruhe haben! Ich will mir meine Weste aufknöpfen!" Dabei riß er sich die Weste zum Entsetzen der Gattin auf,„so, daS ist meine Rede. Schluß, auS! Punktum!"— Die Gaste verließen fluchtartig diese ungastliche Stätte. Sie verzichteten auf die Olmüt» zer Käsln mit Butterbrot, sie verzichteten auf alles. Frau Rat Reckmann sagte zu ihrem Gemahl:„Soll man Rücksichten nehmen? Nein! Diese Leute verdienen es nicht!" Schröter, der sich so mit allen Bekannten und Freunden verfeindet hatte, ließ sich in eine andere Stadt versetzen. Bon großen Geburtstagsfeiern dürfte ihm aber keiner.mehr.ein Wort sagen,.
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18 (24.8.1938) 198
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