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Sozialdemokrat
Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik Erscheint mit Ausnahme bes Montag täglich früh/ Einzelpreis 75 Heller
Rebaltion u. Berwaltung: Prag XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Rebatteur: Rarl Rern, Prag 18. Jahrgang
Dienstag, 30. August 1938
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Selte 3:
Aufforderung
an alle Sozialdemokraten!
Verstärkte Bemühungen um die Abwendung der Gefahr
Prag . Die Rede Simons, in der sich England neuerlich zur Erklärung Chamberlains über die Tschechoslowakei vom 25. März bekennt, hat in Deutschland wahre Wutansbrüche ausgelöst. Man bezeichnet sie als ,, äußerst unglücklich" und als eine ,, Aufmunterung Prags". Dadurch hat sich die Lage weiterhin verschärft und Englands Bemühungen sind nun darauf gerichtet, jede Stunde zu nüßen, um doch noch einen Vergleich zustande zu bringen. So hat Lord Runciman sein Tepliger Wochenende unterbrochen und mit Henlein längere Zeit konferiert. Die Unterredung soll sehr bewegt gewesen sein, über den Inhalt ist nichts bekannt geworden. Die englische Regierung hat für alle Fälle die Heimatflotte aus der Nordsee zurückgezogen und dasselbe wie 1914 getan: ihre Konzentration in Schottland vorgenommen. Außer.
Botschafter Henderson in London London.
( Reuter.) Ministerpräsident Annahme politischer Kreise, daß keine unmittel Chamberlain hatte gestern ab 15 Uhr in Dow. bare Gefahr beſtehe, weshalb auch keine besonde ning Street mit dem Schatzkanzler Simon, dem ren Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, auss Außenminister Halifax , dem Berliner Botschafter genommen jene, daß die Manöver der Home Fleet Henderson und mit Sir Robert Banfittart eine( Heimatflotte) in der Nordsee bis zu einem geBeratung, die fünf Viertelſtunden dauerte. Bei wiſſen Maße im Hinblick auf Eventualitäten
diesen Besprechungen wurde die Lage- der Tsche choslowakei behandelt; die Sitzung ist als eine Vorbereitung für die heutige Beratung der Mini- d fter zu betrachten.
durchgeführt werden, die in diesem Augenblick als hypothetisch betrachtet werden können. 50 Schiffe heimischen Flotte bekamen Donnerstag Mit ternacht die Anordnung zur Fahrt in die ſchottischen Gewässer.
Nr. 203
dem fand bereits Montag ein Ministerrat in London statt, dem am Dienstag ein weiterer folgt, der als Grundlage einen Bericht des englischen Botschafters in Berlin , Henderson, hat. In Deutschland selbst macht sich eine immer breiter werdende Misstimmung gegen jedes kriegerische Abenteuer bemerkbar und es ist zweifellos damit zu rechnen, daß eine neuerliche klare Erklärung Englands oder wie es Montag hiek ,,, weitere notwendige Vorkehrungen" Englands auch in Deutschland tiefe Rückwirkungen haben könnten. Der Eindruck ist allgemein, daß die tschechoslowakische Frage in ein entscheidendes Stadium eingetreten ist und daß die nächsten Tage, vor allem auch der nationalsozialistische Parteitag in Nürnberg , notwendige Klärungen bringen werden.
- ,, Evening
fei angegriffen wird!" ein Friedenskräfte am Werk
Sews" Inüpft an die Anführung dieser Tatsachen die Bemerkung, Deutschland dürfe sich feinen Illusionen mehr hins geben über das, was geschehen würde, wenn es sich in arroganter Weise über die Tatsachen hinwegjezt und die Tichechoslowakei angreift.
,, An Stelle der Begeisterung... ruhelose Besorgnis"
Mancherlei deutet darauf hin, daß sich die
politische Kriſe dem Höhepunkte und damit der Entscheidung nähert. Wir haben nie Sorglofigteit vorgetäuscht, nie unseren Lesern den Ernst der Situation verhehlt, aber ihnen auch nie Angst gemacht, nie außer Acht gelassen, daß vieles doch für die Möglichkeit einer friedlichen Lösung des. New York . Reuter zitiert die„ New York tschechisch- sudetendeutschen Konflittes, der in Herald Tribune" und sagt: Amerika ist die Be- Wahrheit ein tschechoslowakisch- reichsdeutscher ist, deutung des Umſtandes nicht entgangen, daß sich in spricht. Es tann nicht bestritten werden, daß die Da der Rat der britischen Botschaft in BerSir John Simon in seiner Rede auf die kürz- Situation sich weiter verschärft hat, aber alle für lin George Ogilvie- Forbes, der in Schottland auf lichen Kundgebungen des Staatssekretärs Hull den Frieden tätigen Kräfte sind weiterhin wirk Urlaub weilte, nach Berlin zurückgekehrt ist. ,, Frankreich wird marschieren!" und des Präsidenten Roosevelt berufen hat. Es sam geblieben, ja die Bemühungen im die Erhal nimmt man an, daß sich Botschafter Fenderson London.„ Evening News", ein Blatt des ist dies gleichzeitig ein Anspruch auf amerikaniſche tung des Friedens haben an Gifer und Intensität längere Zeit in London aufhalten werde. Dispo - Lord Rothermere , der bisher in seinen Blätteen amerikanischen Intervention für die britische War- ten, der Arbeit der Diplomaten, der demokratiſchen Silfe und durch das die Drohung einer zugenommen. Außer den sichtbaren Friedensträf derson nach Berlin wurden bisher nicht getroffen. ließ, schreibt, die verantwortlichen Männernung vor einer Nataſtrophe mobiliſiert wird. Es Regierungen, gibt es aber noch eine nicht meßder Kabinettsmitglieder 20 Miniſter teilnehmen und England würden mit verschränkten Armen Amerika in seiner Unterstützung der britischen beit des deutschen Volkes. Es verlautet, daß an der heutigen Sisung Deutschlands hätten gemeint, Rußland , Frankreich läßt sich nicht sagen, daß diese Aufforderung un- bare, nicht abschätzbare: die Kriegsang it begründet wäre, wenn man erwägt, wie weit und riegsgegnerschaft der Mehrwerden und daß auch der erste Lord der Admirali - der Zerstörung der Tschechoslowakei zusehen. Nun, Politik in Europa gehen würde. Es ist gewiß, daß Die Verschärfung der Situation zeigt sich tät Duff Cooper anwesend sein wird. die Weltmeinung habe sich geändert. Nach Er- die Vereinigten Staaten im Falle des Ausbruches darin, daß in Deutschland die Rede des englischen Home Fleet in Bereitschaft wähnung der Erklärung Litwinows, Rußland eines Kriegs nicht lange unbeteiligt dem Konflilt Schapkanzlers Sir Simon sehr unwillig aufwürde seine Verpflichtungen gegenüber der Tiches fern bleiben würden. genommen wurde, daß befehlsgemäß die Presse London . In einer Betrachtung über die pochoslowakei unbedingt erfüllen, führt das Blatt Sir Simon heftig angreift, weil er beide Par litiſche Situation, in der festgestellt wird, daß sie einen bedeutsamen Ausspruch des Chefs der fran- Gesandter Masaryk bei Halifax teien, also die tschechoslowakische Regierung und Deutschen noch nicht im bescheidensten Maße zur zösischen Luftflotte, des Generals Vuilledie SdP, zu Entgegenkommen gemahnt hatDer tschechoslowakische Gesandte in London und nach reichsdeutscher Auffassung hat sich die Annäherung beigetragen haben, erwähnt der min, an. Als er von Göring gefragt wurde, diplomatische Berichterstatter des Manchester erklärte er: Frankreich wird mar- Jan Mafacht hatte eine Beratung mit Außen- SdP nicht zu mäßigen, sondern unverrückbar auf Guardian " den Ernst der Lage, aber auch die schieren, wenn die Tschechoslow as minister Halifax, die 15 Minuten dauerte. ihrem Recht" zu beharren. Der Hinweis Sir Simons auf die Möglichkeit, daß die Grenzen eines etwaigen Krieges nicht bestimmt gezogen werden lönnen, hat geradezu Wut erweckt und die deutsche Presse zu direkt beleidigenden Aeußerun gen fortgerissen: Die„ Deutsche Allgemeine Zei tung" bezeichnet es als Armutszeugnis, daß Simon sagte, ein solcher Konflikt fönne nicht lofa das wirtschaftliche Problem Deutschlands zu lö- lisiert werden, sondern dürfte auch auf andere sen. Es ist verschwunden. Die Lage wird nicht Länder übergreifen, die mit dem tschechischen besser, sondern immer schlechter. Das Brot ist Problem an sich nichts zu tun haben. Womit die schlecht, Butter ist schwer zu haben, Fleisch ist" D. A. 3." zugibt, daß an einen solchen„ lokalen teuer, Kartoffeln sind teuer, die Kleider sind min- Konflikt" gedacht wird. derivertig, die Schuhe auch. Die Steuern steigen, Für den Ernst der Situation zeugt auch die denn die Regierung hat dauernden Geldmangel. Arbeit des englischen Kabinetts, das am Montag Die großen Berliner Mittelstandsrestaurants zusammentrat und für Dienstag eine neuerliche jind fast leer. DieLeute, die sie noch vor einem Jahr Sibung vorgesehen hat und mehr noch die füllten, fönnen sich den Besuch nicht mehr leisten. Stonzentration der britischen Heimatflotte- etwa Statt dessen essen sie, was sie können, zu Hause, fünfzig Striegsschiffe in den schottischen Ge oder gehen in die Roten Kreuz- Restaurants, die wässern. Zwar wird selbstverständlich- ergegründet wurden, um die Arbeitslosen mit billi- klärt, daß es sich um die üblichen jährlichen Herbstgen Mahlzeiten zu versorgen... Ueberall dieselbe manöver handelt, aber in Deutschland , wo man Geschichte: beim Adel, beim Mittelstand, bei den ia etwas vom Sinn militärischer Manöver vers Arbeitern, in den Städten und auf dem Lande. steht, hat die Zusammenziehung der englischen Düſtere Prophezeiungen und Verlust des Ver- Flotte sehr großen Eindruck gemacht. die Einberufung der Reservisten zu den Matrauens zum Führer. Ueberall eine rasch wachsende England hat durch Sir Simon Deutschland Opposition gegen das Regime, die nur durch die gewarnt. Nach der Meinung mancher in zu zu Furcht vor Herrn Himmlers Spionen, Gefäng- rückhaltender Form, aber der Widerhall seiner nissen und Konzentrationslagern daran gehindert Rede in der deutschen Presse läßt erkennen, daß wird, sich offen auszudrücken. Vor einem Jahre sie als Warnung verstanden wurde. Die englische war es nicht so, auch noch nicht vor ein paar Mo- legierung, auf der jetzt eine ungeheure Verant naten. Aber jetzt bin ich überzeugt, daß es so ist. wortung ruht, wird gewiß in ihren Friedensbe Der Moment ist gekommen, da die Flut aufhört mühungen nicht erlahmen, sondern sie eher vers und die Gebe begonnen zu haben scheint. Fünf ſtärken. Die Kabinettsberatungen dienen ja der Monate nach seinem größten Triumph findet Erwägung, wie diese Arbeit gesteigert werden Sitler zum ersten Male bei der Mehrheit des deut- könnte. Man weiß, daß man entscheidenden Tagen fchen Wolfes Wißtrauen."
Ein Engländer berichtet über die Unruhe im Dritten Reich Unter dem Titel„ Zwielicht über Hitler " ist deutschland . Ja, sogar bei der Partei selbst. Mein im ,, Daily Herald" ein Artikel des Außenpoliti. Eindruck', schreibt ein Reisender, ist der, daß ihr fers W. N. Ewer erschienen, der sich mit der Ruhm im Schwinden ist. Stimmung in Deutschland befchäftigt.
In fünf Tagen hörte ich nur einen Manu mit Heil Hitler grüßen.
..Etwas sehr Merkwürdiges", schreibt Ewer . " geht jetzt in Deutschland vor. Es ist schtver, es ein einziger Grenzbeamter, Polizist, Kellner oder genau zu sagen. Aber man kann so etwas wie den Kaufmann benützte diesen Gruß. Vor vier Jahren Augenblick des Wechsels der Zeiten bemerken: den tat es noch jeder." Augenblick, in dem man nicht weiß, ob die Flut Ewer berichtet weiter:" Troz Zensur und nicht wieder ins Meer zurüdzuweichen beginnt. Propaganda ist in Deutschland der Glaube allgeAlle Berichte, die ich( aus sehr verschiedenen Quel- mein, daß der Führer im Mai im Begriffe war, len) erhalten habe, geben den gleichen Eindruck: einen Angriff auf die Tschechoslowakei zu befehlen als ob die Flut des Hitlerismus ihre volle Höhe und daß er nur im letzten Augenblick mit großen mit der Annerion Desterreichs erreicht hätte und Schwierigkeiten zurückgehalten wurde. Das nächste sich nun zu wenden beginnt, ja vielleicht schon im mal aber- Verebben ist. Aus allen Duellen habe ich den gleichen Be növern verursachte nahezu eine Panit. richt. Die Begeisterung ist verschwunden. An Es gibt unzählige Berichte von Zwischenfällen". ihre Stelle ist eine ruhelose Besorgnis ge- Viele sind schwer zu widerlegen, manche mögen treten, Aufregung, Gemütsdepression, Verlust übertrieben sein. Aber schon die Tatsache, daß troß der Gestapo die Erzählungen herumgespro des Vertrauens zum Führer." djen werden und bereitwillig geglaubt werden, ist bezeichnend."
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Ewer berichtet von einigen Briefen, die er Zusammenfassend sagt Giver:" Die Propaaus Deutschland erhielt. In dem einen heißt es: Der vorherrschende Eindruck in Berlin ist der ganda hört auf, wirksam zu sein. Die Nation iſt einer tiefen persönlichen Besorgnis, Angst und ge- ihrer müde geworden, sie mißtraut ihr. Appell an radezu Glends bei jedem, den man trifft. Ich den Patriotismus wird als Kriegsvorbereitung spreche nicht von den Juden, sondern von gewöhn verdächtigt. Alles wird als Kriegsvorbereitung lichen Durchschnittsdeutschen des Mittelstandes." verdächtigt. Der Gedanke an den Krieg ift ein Ewer schreibt weiter:" Ich habe einen ähnlichen Albbrud geworden. Und zur Kriegsfurcht komint Bericht von den anderen Klaffen der Bevölkerung: bas Gefühl wirtschaftlichen Verfalls. Arbeitern, Bauern, alten Aristokraten, und von
Am Schluß zitiert Ever den Bericht eines Gewährsmannes aus Deutschland , der sich ertunbigte, ob die Generäle gehorchen würben, wenn Hitler den Befehl zum Kriege gäbe. Der Gewährs mann schreibt: Der Befragte sah mich starr an. Dann sagte er ganz still:" Nicht einmal ich kann
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der Armee. Sogar unter der Jugend beginnt es Es gab eine Zeit des Optimismus, eines Vericon', fagt einer meiner Gewährleute aus Nord- trauens in den Führer, daß er fähig sein werde, lauf diese Frage eine Antwort geben."
entgegengeht. Nächste Woche tritt in Nürnberg der nationalsozialistische Parteitag zusammen und man erwartet, daß Hitler ihn zu einer Erklärung über die Tschechoslowakei benüßen will. Bis dorthin will man in England Klarheit haben, Klars heit darüber, ob mit einer tschechisch- deutschen Verständigung zu rechnen ist. Um diese Klarheit rascher herbeizuführen, hat Lord Runciman, am Sonntag eine nicht vorgesehene Unterredung mit