Stile 2 •Sonntag, 4 September 1938 Nr. 208 gegeben ist. Sie, welche immerhin die Machtlage in Europa und der Welt klarer sehen müßte, als die nationalsozialistischen Führer,, Deutschlands , die sich seit Jahr und Tag an Parteiparaden berauschen, werden vor der Geschichte nicht einmal die AuSrede haben, daß sie aus Uninformiertheit den Weg des Verbrechens gingen. Alle auslandsdeutschen Patrioten müßten in diesen Tagen nach Berlin eilen und dort mit der geballten Faust auf den Tisch der Kriegspartei schlagen. Wenn es Millionen von Volksgenoffen das Leben zu retten und dem Reich eine schlimmere Katastrophe zu ersparen gilt, als den Zusammenbruch 1918, dann kann keine Berufung auf die Parteidisziplin die Feigheit der Verantwortlichen entschuldigen. Man sein, daß unter der Führung der SdP viele sind, die sich nicht zutrauen, kraft eigener Pistung ihre politische Laufbahn auch nur 24 Stunden fortsetzen zu können, wenn einmal von Berlin aus der Bannfluch gegen sie verhängt wird. Bon ihnen ist leider zu befürchten, daß sie sehenden Auges lieber in die Katastrophe steuern, als in historischen Stunden ein Quäntchen Maünesmut zu zeigen. Aus dem aktivistischen Lager sind aber so manche Politiker zu den Fahnen Henleins gestoßen, die aus ihrer Abneigung gegen den Nationalsozialismus nie ein Hehl gemacht haben oder die nach ihrer weltanschaulichen Herkunft verpflichtet wären, sich der drohenden Gefahr eines gesamteuropäischen Ver« nichtungSkampfes entgegenzuwerfen. Ein katholisches Blatt hat den braunen Prälaten Hilgenreiner als Mitschuldigen an einem zweiten Weltkriege bezeichnet, dessen Verhinderung oder Ausbruch in Berlin entschieden wird. Dieser furchtbare Vorwurf müßte eines kommenden Tages alle Politiker treffen, die sich der SdP mit der Motivierung angeschloffen haben, daß sie ein besseres Instrument des sudetendeutschen Rechtskampfes sei, als die aktivistischen Parteien. Zwischen Rechtskampf und Kriegspolitik ist ein himmelweiter Unterschied. Davon, ob in folgenschwerer Entscheidung Marionetten oder Männer sudetendeutsche Politik gemacht haben, wird nicht zum Geringsten die Zukunft der deutschen Nation und das Leben von Millionen Europäern abhängen. Di» Wahrheit siegtl Die Aufmerksamkeit von fünf Erdteilen ist darauf konzentriert, was in Berchtesgaden beraten worden ist und was in Nürnberg verkündet werden wird. Dennoch wagen wir die Behauptung, daß die unterdrückte Stimme der deutschen Freiheit der Welt heute schon mehr zu sagen hat als die Proklamationen der nationalsozialistischen Wortführer. Weichen die Machthaber des Dritten Rei ches dem Kriege aus, so tun sie es aus Angst vor der Revolution. Entscheiden sie sich für den Krieg, dann schaffen sie selbst die Voraussetzung für den revolutionären Sturz ihres Regimes. Die Lage in den sudetendeutschen Gebieten ist kein Maßstab für die geistige Verfaffung und die politische Orientierung der deutschen Nation in dieser Stunde. Die Sudetendeutschen sind wieder einmal, im Nachtrab der deutschen Entwicklung. Im Reiche selbst und in dem verpreußten Oesterreich fürchten heute neunzig Prozent der Bevölkerung den Krieg. Aus allen politischen Lagern, miS allen Schichten des Volkes rekrutiert sich eine unsichtbare deutsche Freiheitsbewegung, stark genug, dafür zu sorgen, Paß der unvermeidliche Bankrott der braunen Kriegspolitik nicht zum Untergang Deutschlands führt. Wir haben vor dem 21. Mai den Sudetendeutschen die volle Wahrheit gesagt, daß das tsche- 1 Die mm Sudfbil Roman von Noelle Roger Aos dran Tranzösi»chen übersetzt von Irma Nippel I. Die Warnung. Herr FrangoiS von Miramar erhob sich. Seine vorzeitig gebeugte Gestalt beherrschte die Tafel, auf welcher Kristallgefäße zwischen bengalischen Rosen glitzerten. Im schrägen Lichtstrcchl, der durch das hohe Fenster fiel, leuchteten seine Haare über der Stirn gleich einer silbernen Krone. Das Lachen und Plaudern war verstummt. Auch den beiden Kleinen, Germaine und Paul, die eben zum Nachtisch hereingekommen waren, gebot Frau Andelot Stille, während sie ihnen Süßigkeiten zusteckte. Herr von Miramar entschloß sich noch nicht zum Sprechen. Prüfend blickte er die aufmerksamen Tischgenoffen der Reihe nach an: seine erwartungsvoll lächelnde Gattin, seine beiden Töchter, seinen Sohn Hubert, seinen Bruder Dr. CharleS-Henri von Miramar, seinen fremden Gast, den jungen Dr. Jean Lavorel und Max'Dain- ville, Evas Bräutigam. — Max... Eva... meine geliebten Kinder...— Er machte eine Pause und begann feierlich: — Indem wir diese Berlobunysfeier beschließen, möchte ich euch sagen. Da stockte er plötzlich. Wie von einer unsichtbaren Hand fühlte er seine Kehle zusammengepreßt, als sein Blick auf den blonden Scheitel seiner Tochter fiel, das sich dem dunkelhaarigen Kopfe ihres Bräutigams zuneigte. Wie kam es, daß er, ein Meister des Wortes, der es gewähnt i war, von der andächtigen Zuhörerschaft der Sorbonne, oder vor der launenhaften der Salons zu sprechen, wie kam es, daß er nun, vor diesem engen Kreis der Seinen nicht weiterkonnte? Seine Augen trübten sich und seine nervös zitternden Hände irrten über das Tischtuch. Sein müdes Gesicht mit dem fahlen Taint des Stubenhockers? dem trotz des weißen Backenbartes der Geist eine gewisse Jugendlichkeit bewahrte, schien zu erstarren. Er begegnete dem enttäuschten Blick seiner Frau, die sich anschickte, seiner Rede beifällig zu folgen. Und nun schwieg er. Er verzichtete- aut sesne wohlvorbereitete Ansprache und schloß mit vor Aufregung erstickter Stimme: — Ich trinke auf die Gesundheit und das Glück des Brautpaares Eva und Max.— Alle hatten sich erhoben und man hörte nur noch ein helles Gläftrklmgen und kurze Glückwünsche. — Ich fürchte, Frangois ist sehr müde,— flüsterte Frau von Miramar ihrem Schwager, dem berühmten Psychiater, zu, in dessen Ordinatton sich ganz Paris traf. Er sah sie an. Ihr glattes, ein wenig zu volles Gesicht, unter dem rötlich schinnnernden Haar, ließ die gewohnte Maske lächelnder Heiterkeit fallen. — Ueberaickeitet,— murmelten Charles- Henri,— er sollte ein wenig ausspannen.— — Ach, seufzte sie.— gerade jetzt, wo sem großes Werk über, die Urgeschichte der Menschheit erscheinen soll, ist das ganz unmöglich. Ueber dem blonden Köpfchen der kleinen Germaine hinweg beugte sich Frau Andelot zu Herrn von Miramar mit ihrem schmalen, zeit- und farblosen Gesicht» das einen Augenblick ein Strochl inniger Zuneigung erhellte: — Ach! Herr von Miramar... dieses jungs Paar... wie gerne würde man ihm das Glück sichern!— Der Gelehrte lächelte seiner Sekretärin zu, erstaunt und dankbar gerührt, daß sie seine geheimste Empfindung so klar ausdrückte: so lange chische Boll nicht kapitulieren werde, daß die tsche- chosbowakische Demokratie ganz andere Abwehr- kräfte zu entwickeln vermag als ein morsches Schuschnigg-Regime, daß nur Irrsinnige auf eine Losreißung der sudetendeutschen Gebiete ohne Schwertstreich spekulieren können. Die Tatsachen haben uns recht gegeben. Wiederum fürchten wir keine Zurechtweisung durch den Lauf der Welt, wenn wir heute sagen, daß nach der eindeutigen Verteilung der Weltkräste jeder militärische Angriff auf die Tschechoslowakei ein wahnwitziges Beginnen wäre, welches mit der Vernichtung seiner Urheber enden müßte. Denn, ob sich die faschistischen Diktatoren für die Flucht in den Krieg entscheiden oder für das Warten auf die Revolution— es kommt der Tag! Massenkundgebungen gegen die Sozialdekrete Paris . An der Arbeiter-Manifestation in der Winter-Radrennbahn, die Freitag statffand, nich- men im Saale und in den angrenzen Gassen 50.000 Personen teil. Aehnliche Kundgebungen wurden auch in Le Havre , Amiens , Nantes und anderen Orten abgehalten. Zwischen den Eigentümern der großen Pariser Magazine und den Verkäufern ist ein Konflikt ausgebrochen, weil dieArbeitgeberden geltenden Källektivvertrag gekündigt habe«. Das Arbeitsministerium wird die Vertreter beider Parteien zu einer Beratung einberufen. Der nationale Kongreß der Departementsausschüsse, der gegenwärtig in Nizza seine Sitzung abhält, hat einstimmig einen Antrag beschlossen, in dem eine Pension für alte Arbeiter gefordert wird. Der Kongreß konstafierte unter Zustimmung der Vertreter der Arbeiterschaft und der Arbeitgeber, daß diese Frage, obztoar sie schwierig sei, bei gutem Willen und Solidarität gelöst werden könne. Vorträge Wilhelm Wankas in Amerika Der Vorsitzende des Sozialistischen Jugend- verbandes, Wilhelm Wanka, hat am 2. September in Chicago zwei Vorträge über das tschechoslowakische Problem gehalten, den einen vor dem Jugendkomitee in dieser Stadt, den zweiten im sogenannten Kiwanis -Klub. Mo englische Luftrüstung in Kanada Montreal . Amtlich wird bekanntgegeben, daß die neue Gesellschaft, welche von der britischen Regierung die Flugzeugbestellungen entgegennehmen wird, ein Kapital von 250.000 Pfund Sterling haben wird. Die beiden neuen Fabriken für Fluzeuge werden 120.000 Pfund Sterling kosten. Rumänische Flottenbasis bei Constans » Bukarest.(OR) Ueber Jnifiative des Königs Carol betraute dar Marineministerium nach eingehendem Studium der von dem englische« Flottenfachmann Admiral Henderson begutacht«' ten Pläne die rumänische Industrie mit dem Bau einer großen Flottenbasis auf dem Tasaul-Eee an der Küste des Schwarzen Meeres , etwa 2V Kilometer nördlich von Constanza . Der neue fen wird einen Aufwand von drei bis fünf MÜ- liarden Lei erfordern. Truppenverstärkung in Palästina Jerusalem . Wie aus Transjordanien gemeldet wird, soll die sogenannte Transjorda« Frontier Force, die unter englischer Führuag steht, um rund ein Fünftel verstärkt werden. D't Truppe, die mehrfach bei Zusammenstößen M- schen Terroristen und englischem Militär in' W Gegend des Jordan auf palästinensischer eingesetzt worden war, hat u. a. die Oelleitimg und die Jordanübergänge in Nord-Palästina$ sichern. Für Palästina selbst sind weitere Verstör« kungen der englischen Polizei und des englisch ^ Militärs unterwegs. Religionsk&mpfe In Birma Rangoon.(Reuter). Zwischen den moh^u medanischen Indern und den Birmanen kommt eS ständig zu Zwischenfällen. Sonntag früh wM' den sechs Muselmanen und ein Birmane verletzt. Im ganzen wurden in zwei Tagen vier Personeu getötet und 23 verletzt. Die Japaner verwenden Giftgase Prag . Die chinesische Gesandtschaft stellt den Blättern folgenden Bericht zur Verfügung: Der chinesische Vormarsch an der Front im Südwesten der Provinz Anhui dauert an und die chinesischen Truppen belagern Wankiang. Japanische Verstärkungen, die aus Anking kommen, werden von chinesischen Flugzeugen ständig bombardiert. Starke chinesische Kontingente sind bis zum Hüau-Fluß vorgedrungen und andere, die mit bewaffneten irregulären Abteilungen Fühlung genommen haben, greifen die japanischen Truppenbasis in Anking an. Im Norden der Provinz Kiangfi wurden alle Angriffe des Gegners znrückgeschlagen, trotzdem die Japaner im Westen des Pojang-Sees Giftgase verwenden. Gestern errangen die chinesischen Truppen einen großen Sieg beim Tschehu-See sowie bei Tschuhu, wo der Feind mit Gasgranaten schoß, vis Offensive gegen Lankau Tokio.(Havas.) Die japanische Agentur Domei meldet, daß die japanischen Truppen, die gegen Hankau vorrücken, sich HotschansiS, etwa 7 Meilen östlich von Kwantsi, bemächtigt haben. Die chinesischen Streitkräfte wurden nach heftigem Kampfe von den Höhen östlich von Ho- schansie Vertrieben. Grenzabkommen Japan—Rußland Tokio. Aus guter Quelle verlautet, in Moskau werde nunmehr zwischen dem japanischen Botschafter Schigemitsu und dem Bollskommissär Litwinow in Angelegenhett der Grenzregelung an der sowjetruffisch-mandschurischen Grenze durch den Demarkationsausschuß verhandelt und auch über die Fragen, die dieser Kommission zur Erledigung vorgelegt werden sollen. Diese Verhandlungen verlaufen günstig. Das japanische Außenministerium teilt mit, daß in kürzester Zeit eine Einigung erzielt werden wird. Es fügte hinzu, daß die Grenzkommiffion aus zwei Vertretern der Sowjetregierung, aus einem japanischen und einem Vertreter Mandschukuos zusammengesetzt sein werde. In dieser Kommission wird es keinen neutralen Vertreter geben. Eina Woche weiterer Erfolge Barcelona.(Ag. Esp.) An der Estra- ma dura front haben die republikanischen Truppen einen Angriff im Abschnttt Puonte del ArzobiSpo völlig zurückgeschlagen. An der Zentrumsfront habe« sie Freitag früh deherrschendr Stellungen an der Straße Las RozaS-Escorial erobert. Die im Dienste der Invasion stehenden Truppen, unterstützt von heftigem Artilleriefeuer, haben ergebnislos die republikanischen Stellungen bei Beteta und Cerro Polario angegriffen. Samstag begann an allen Abschnitten längs des Ebro eine Offensive der Francotruppen, der eine auSgiebige Artillerievorbereitung und Fliegertätigkett voranging. Der Franco-Bericht gibt an, daß die Aufständischen in die ersten Schützengräben der Regierungstruppcn eingedrun- gen seien. Di» Kämpfe in dieser Woche Barcolvn«.(Sa- Esp) Die Gegenoffensive der Republikaner im Bogen de» ZüsarflufseS, Estrema dura , entwickelt sich planmäßig. Während vom Südosten her, über den Fluß hinweg, auf den Feind wachsender Druck mi-geÄt wird, find die republikanischen Truppen nördlich von der Linie Cabeza del Buoy-Castuera-Bon Benito weiter westlich und südöstlich vorgerückt. Der Fluß Guadalatra ist überschritten, die Republikaner stehen in siegreichem Vormarsch vor Cämpanario, etwa 10 Kilometer westlich der Straße Pueblo de Alcocer-Castuera. Die Stadt Castuero ist von drei Seiten umschlossen- Bahnlinie und Straße Caftuera—Cabeza del Bueh sind an mehreren Stellen abgeschrntten. Drei Divisionen der Rebellen sind zwischen Cabeza del Buoh und Zürza Capilla strategisch zerniert, ihre rückwärttgen Verbindungen abgeschnitten. Man rechnet damit, daß der Gegner vom Südwesten her auf der Basis Monterrubio—Penaroja einen Gegenstoß zu unternehmen versuchen wird, um seine hartbedrängte Front zu entlasten. Im Abschnitt Pueblo-e Mcocor sind die republikanischen Truppen den Guadianafluß abwärts weiter westlich vorgedrungen, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Das Entlastungsmanöver des Gegners, in südlicher Richtung ist nach gewissen Anfangserfolgen in wenig bedeutsamem Gebiet schnell zum Stillstand gekommen. Seit Anfang dieser Woche find die Republikaner im Gegenstoß vorgegangen und haben den Gegner weit zurückgedrängt. Jetzt läuft dort die Front nördlich der Höhen zwischen dem Tajo und dem Guadiana . Die Republikaner sind im Vormarsch. An der Ebrofront find in dieser Woche keine wichttgen Aenderungen eingetreten. Me Angriffe bei Gandoza und nördlich wie südwestlich dieser Stadt haben an Intensität ganz erheblich verloren; sie werden durch die Republikaner ohne Mühe abgewiesen. Dia antideutschen Demonstrationen In Polen dauern an Warschau . In Bielitz kam es am Freitag zu antideutschen Demonstrationen. Die nationalsozialistische„Jungdeutsche Partei " wollte am Sonntag eine große Versammlung abhallen, weshalb auf Betreiben des Destpolen-Verbandes ein antideutscher Umzug veranstaltet wurde, in dessen Verlauf antideutsche Lieder gesungen und die Glasscheiben der Schaufenster der deutschen Buchhandlung Brüder Höhn eingeschlagen wurden Die in ihnen ausgestellt gewesenen nationalsozialistischen Bücher wurden auf die Straße geworfen und verbrannt.| hatte sie seine Notizen geordnet, so ost seine Manuskripte ins Reine geschrieben, daß sie vielleicht auch seine Gedanken erriet. Aber schon vermochte er sich seine plötzliche Unruhe inmitten dieser allgemeinen Heiterkeit nicht mehr zu erklären. Sein Blick ruhte auf Max, auf dem kstrren, gebräunten Gesicht, dem geraden Blick, den breiten Schultern, Max, gezähmte Kraft, offenes, unkompliziertes Wesen... Als Sohn seines Studienfreundes hatte er ihn autzvachsen gesehen. Er erwog die schöne Latrflmhn, die dem jungen Ingenieur bevorstand und beglückwünschte sich innerlich: trotz der vielen Vorteile, die sie ihm bot, war diese Ehe doch eine Liebesehe. Wieder zur Gegenwart zurückkehrend, wandte er sich an seine ihm gegenübersitzende Frau: — Verzeih, meine Lieb«,— sagte er,— laß das Dessert rasch auftragen l Ich erwarte heute abend noch meinen norwegischen Kollegen. Sie erteilte einen leisen Befehl und mit einem resignierten Lächeln wandte sie sich chrem Schwager zu: — Da siehst du es,— sagte sie,— bis in unsere Familienfeste dringt die Wissenschaft. — Er neigte ihr teilncchmSvoll sein undurchdringliches Gesicht zu. Jünger als sein Bruder, elegant, mit gepflegtem Bart und scharftm Blick unter schweren Lidern, hatte Dr. Charles-Henri von Miramar das diskrete Benehmen deS mon- dainen Beichtvaters. Er wußte, daß diese verständige Frau, diese untadelige Gattin mü> Mutter, die umsichtige Vorsitzende wohltätiger Vereine, die ihr Leben mit so viel praktischem Sinn einrichtete, den Ruhm ihres Gatten als ihr kostbares Kleinod schätzte, und daß sie es meisterhaft verstand, damft hauszuhalten. Man hörte Uvonnes zarte Stimme ihren Nachbar Jean Lavorel fragen: Sie kommen also diesen Sommer nicht ans Meer? Nonport ist doch so schön... und unsere Rosenvilla I... Sie ziehen Ihre Schweizer Berge vor?— Er gab zu, daß er Heimweh hatte nach den l Hochtälern, die er schon seit dem Kriege nicht wehr besucht hatte.-' Sie hob ihr kindliches JungmädchengesW mit den weichen Zügen unter dem lockeren Gewi^ der blonden Haare. Der Krieg... wie fern da» schon war!.72» Und sie lächelte, während sie im Geiste d" Spitalsbetten wiedersah, an denen sie sich kennen^ gelernt hatten, er als Arzt und sie als Pflegerin, hinter seinem Schweigen und seiner eisigen Hab tung hatte sie sofort seine Güte erkannt. Wie i"( Verwundeten ihm nachblickten!... Seine bloze Gegenwart gab auch den Verzagtesten neue Hoffnung! Inzwischen sagte er, sich an Herrn von ramar wendend, mit leiser, leidenschaftliche* Stimme, während Röte sein schmales, scharf 0(' schnitteneS Gesicht und feine klare Sttrn mit dsu blonden, kurzgeschnittenen Haar überflutete. — Heute feiern wir ja ein doppeltes ... und ich fteue mich, daß meine Durchreise e» mir gestattet. Sie zu beiden Ereignissen zuW glückwünschen— die Vollendung Ihre- herrliche" Werkes»Der Untergang der Zivilisation".. — Vorläufig nur des ersten Teiles, richtigte Herr von Miramar. Im Stimmengewirr der Unterhaltung^ ringsum hatte Jean Lavorel seine Mcherheu wiedergewonnen, und ließ nun seiner Begeisterung freien Lauf.< — Der zweite Teil steht vor dem M schlutz,— sagte Herr von Miramar.— Roch wenig Champagner Doktor Lavorel?... 2a,P das ist die Frucht von zehn anstrengenden«•* beitSjahren, ein Versuch, das Dunkel unsere- sprungs zu durchdringen... und auS Sammlung von Einzelheiten, woraus die schichte der Urzeit besteht, aus all diesen nach UN' nach gemachten Entdeckungen zu einer Shnchest r formen... ich hatte mir da allerdings keine kle^ Aufgabe gestellt. Sie haben recht, ich bi» h^ ein glücklicher Mensch.— (Fortsetzung folgt)
Ausgabe
18 (4.9.1938) 208
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