Seite 2
Mittwoch, 21. September 1938
Nr. 222
Wächtern und Soldaten wurden verwundet. Auch In den Reihen der Angreifer gab Verwundete, die aber auf deutsches Gebiet fortgrschleppt wur­den. ES ist fcstgestellt, daß unter den Angreifern sich Angehärige der Sudetendeutschen Legion be­fanden. Letzt herrscht in der Gemeinde Ruhe. Die Grndarmerieverstärkungen und das Militär haben sich hier verschanzt. Bei einem vierten Angriff Im Laufe der Nacht auf Dienstag ist das Zollamt in Ober- Kleinaupa, Bezirk Marschendorf, abgebrannt. Der Angriff wurde von reichtdeut- schem Gebiet her von zwei Seiten und in zwei Zeitabschnitten eingeleitet. Die erste Bande drang zwischen halb 4 und halb 5 Nhr vor, die zweite führte ihren Angriff von 5 bis halb 6 Uhr mor­gens durch. Auch hier griffen Mitglieder der Sn» detendeutschen Legion an, die mit Handgranaten und Maschinengewehren reich-deutschen   Fabrikats ausgerüstet waren. Hiebei wurden zwei von unse­ren Zollbeamten verwundet. In der Stadt herrscht jetzt Ruhe. In Weißwasser   bei Freiwal- d a u schaffen etwa 20 Personen vom reichvdeut- schen Gebiet aus. ES wurden etwa 40 Schöffe ab­gegeben. Die Bedrohung unseres Gebietes dauerte von 3 bis 5 Uhr. Verletzt wurde niemand. Jn Gnadler-dorf im Bezirk Z n a i m wurde daS Zollamt überfallen, auf da­acht Schliffe auS einem Graben auf reich-deutschem Gebiet, der vom Zollhaus etwa 30 Meter entfernt ist, abgegeben. Beim Grenzstein bei der Gemeinde Groß- Mürben im Bezirk Mährisch-Schänberg wurde Dien-tag auf einen Poften der StaatSverteidi- gung-wache geschaffen. ES war nicht möglich, fest- zustellen, von wem und woher geschossen wurde, da daS Terrain unüberstchtlich ist. Seit SamSiag fordern die nach Deutschland  geflüchteten Führer der Sudetendeutschen Partei zur Flucht der sudetendentschen Bevölkerung au- Böhmen nach dem Deutschen Reiche   auf und ver­leiten tschechoslowakische Soldaten deutscher   Natio­nalität zur Desertion. Gleichzeitig drohen Kon­ rad Henlein   und mit ihm Sebekovsky sowie die übrigen ehemaligen Führer der SdP, daß sie au- den Flüchtlingen in Deutschland   bewaffnete Korps bilden werden, die gewaltsam an unseren Gren­zen und womöglich auch auf unserem Gebiet ein­schreiten werden. Die Tätigkeit dieser Gruppen hat auch bereits in den letzten 24 Stunden begon­nen. Es ist h ö ch st e r 3 i) n 18 m u 8', wenn die durch diese öffentlich angekündeten Angriffsaktio­nen sudetendeutscher Ueberläufer hervorgerufenen Zusammenstöße in der deutschen   Presse und im reichsdeutschen Rundfunk als von tschechoslowaki­scher Seite durchgesührte Angrisf-aktionen geschil­dert werden. Die tschechoslowakischen Sicherheits­organe, die den unermeßlich schwierigen Dienst im Grenzgebiet versehen und ständigen Angriffen und Provokationen ausgesetzt sind, wahren streng st e Disziplin und bewun« dernSwerteZurückhaltung, damit nicht im geringsten der Vorwand zu der Behauptung gegeben werde, daß die Tschechoslowakei  irgendein Gebiet de- Nachbarstaates verletzt hat. Auch in den Fällen, wo bewaffnete Gruppen von deutschem Gebiet auS Angriffe unternehmen, gehen unsere Organe bei der Verteidigung so vor, daß daS Abwehrfeuer nicht reichsdeutsches Gebiet er­reiche. Die reichsdeutsche Propaganda aber ver­stört ohne Rücksicht aus die Wahrheit und die Tat­sachen systematisch die Dinge in- Gegenteil und will auS den Angreifern Ueberfallene machen.
In sUsn demokratischen Ländern entrüstete Ablehnung der Vorschläge
Durch die Untersuchungen wurde ermittelt, daß alle Meldungen der reich-deutschen   Preffe und de- Rundfunks über Grausamkeiten, die sich tsche­choslowakische SicherheitSorgane oder Angehörige der Armee an sudetendeutschen   Flüchtlingen oder gar an Frauen und Kinder hätten zuschulden kommen lassen, vollendete Lüge sind. Im Gegenteil wurde in der vergangenen Nacht fest­gestellt, daß bei dem Angriff auf da- Zollamt in Ober-Kleinaupa die Angreifer dicht hinter ihren Reihen auch Frauen und Kinder sichtlich mit der Absicht mit sich führten, damit durch allfällige Berlehung'irgend jemandes von ihnen Material zu Hetzpropaganda gegen die Tschechoslowakei   ge­geben werde. E» ist bezeichnend, daß die reichs­deutschen Meldungen von einem Angriff tschecho- swwakischer Wachorgane auf wehrlose Sudeten­deutsche in Fällen sprechen, wo diese sogenannten wehrlosen Flüchtlinge eine vollkommene Kriegs» anürüstung mit Stahlhelmen hatten und wo sie nach dem Verlassen unsere- Gebiete- Militärge­wehre und Handgranaten reich-deutscher  Produktion hier zurückließen. Gegenüber dieser ganzen Kampagne von Lügen und Erfindungen konstatieren wir mit aller Entschiedenheit, daß auf tschechoslowa­kischer Seite alle amtlichen"und privaten Fak­toren sich vollkommen korrekt verhal­ten, daß sie auch nicht in einem einzigen Fall die deutsche Reich-grenze überschritten oder auf andere Weise da- Gebiet de- Nachbarstaates verletzt haben und daß im Gegenteil in einer ganzen Reihe von Fällen bewaffnete Angriffe von der andern Seite gegen unser Gebiet unternommen wurden.
über der Tschechoslowakei   einzuhalten, nicht ge ­leugnet habe, aber ziemlich zu erkennen gab, daß cs sich zu einer militärischen Unterstützung Frankreichs   nicht verpflichte, falls die Integrität Frankreichs   nicht bedroht sein wird. Die liberale und die Labour-Presse gibt nur dem Gefühl unendlicher Beschämung Ausdruck und versichert, daß auch durch die Opferung der Tsche ­choslowakei der Friede nicht erkauft werden wird, im Gegenteil, die Jagd der Nationalsozialisten auf weitere Beute werde noch schärfer werden. Lord Cecil   gegen Chamberlain London. In einem Briefe Lord Cecils an den«Daily Telegraph  " heißt eS:Ihr diploma ­tischer Korrespondent, der gewöhnlich ausgezeich ­net unterrichtet ist, sagt un-, daß die Regierung vor Hitler   kapituliert habe. ES wird in keiner Weise angedeutet, daß Hitler die britische   Regie ­rung davon überzeugt habe, daß seine Forderun ­gen gerecht sind. Die Kapitulation vor   Hitler bedeutet eine Verletzung unserer Ver ­trag-Verpflichtungen, bedeutet eine große Steigerung de- Prestiges der uational» sozialistischen Regierung und ein dementsprechen ­des Sinken des Prestige- unseres Landes und vor allem bedeute sie die Annahme der Ansicht, daß das Einzige, das in internationalen Ange ­legenheiten Geltung hat, die brutale Kraft ist und daß die Hoffnung, sie durch Vernunft und I uisverpflichtungen und betont, daß auch England Versöhnlichkeit zu ersetzen, endgültig aufgegeben I durch die Entsendung Lord Runeimans gewisse | werden muß. Cecil."> Verpflichtungen auf sich genommen habe.
So kann man den Frieden nicht sichern  Brüssel. In politischen Kreisen   Belgiens hat der Bericht über da- Ergebnis der   englisch-fran­zösischen Beratungen ein gewisser Entsetzen her» vorgerufen. Die Mehrzahl der demokratisch den­kenden Politiker verurteilt die   Londoner Abmachun­gen. Aber nur Jexas im»Le Peuple" weicht einer scharfen Kritik nicht auS und stellt in der Ucberschrist die Frage:»Kann diese Lösung tat­sächlich den Frieden sichern?" Er ironisiert in dem Artikel den Umstand, daß einer die Autor­schaft dieser Lösung auf den anderen schiebt, ver­weist auf die tschechoslowakisch-französischen Bünd«
bisher sprachen die Regierungen, jetzt meldet sich das Volk
Zwischen feigem Aufatmen und Schande Pari-. Die französische   Presse von der Linken bis zur Rechten kommentiert die   Londoner Vor­schläge mit Erbitterung. ImPopulaire" sagt Blum über die Folgen einer solchen Regelung: Der Krieg wird wahrscheinlich aufgeschoben, aber unter solchen Bedingungen, daß ich, der ich nie aufgehört habe, für den Frieden zu kämpfen und der ich dem Frieden seit Jahren mein Leben ge­weiht habe, keine Freude empfinden kann'und daß ich mich zwsschen ein feige- Aufatmen und zwischen die Schande'gestellt sehe." Entrüstung in   Amerika New Fork. Die amerikanische   Presse verur­teilt mit scharfen Worten den französisch-britischen Beschluß, eine Abtretung sudetendeutschen Gebie­ tes an Deutschland   zu empfehlen.New Jork Ti­me-" schreiben: Die- ist da- Ende de- gesamten Sicherheitssystems, das durch die Nachkriegsver­träge eingeführt wurde.New Aork Herald Tri­büne" schreibt: Die beiden großen Demokratien haben nicht nur die Tschechoslowakei   auf dem Al­tar dargebracht, sondern ihr auch befohlen, Selbst­mord zu begehen.Die erste Ausgabe der hiesi­gen Blätte", depeschiert der New gorker Berichter­statter de-News Chronicle",Haben die Zei­tungsverkäufer mit dem neuen WorteVerrat" auSgerufen". Bon den amerikanischen   Blättern äußern sich die  Chicago Daily NewS" am schärfsten:W e l- chen Wert hat die Garantie Eng­lands, daS seinePakte igno­riert, und Frankreichs  , da- aus sei­nen Bündnissen Fetzen   Papier macht? Wenn der Krieg durch die Opferung der Tschechoslowakei   vermieden wird, waS werden sie gewonnen haben? Wird   Hitler befriedigt sein? Wird dann Frieden sein?"
Ablehnung in Australien  London.Sydney Morning Herald" sagt, die Opferung der Tschechoslowakei   würde die Grundlagen jede- kleinen Staates innerhalb und außerhalb   Europa- erschüttern. Niemand könne sich mehr auf die Hilfe der demokratischen Mächte verlassen und ein Minderheiten Pro­blem könne man überall finden und entfachen, bis es den Diktato­ren al- Krieg-vorwand dient: Ist nicht auch Australien   fo ein kleiner Staat, der auf Versicherungen feine- Schutze- durch die kollektive Sicherheit baut?"
Beschämung und Widerstand in der englischen Oeffentlichkeit  London. Die englische öffentliche Meinung in der heutigen   Londoner Presse kann man in folgende Worte zusammenfaffen: Entschuldigun­gen und Scham. Am weitesten in ihren Ent» schuldigungcn und Erläuterungen gehen die Time-". Die Blätter der Presselords(Beuver- brook und Rothermere)«Daily Mail" und «Daily   Expreß" akzeptieren den Plan und ver­zeichnen sonst nur die Ereignisse. Die Erbitte­rung, die der Plan in der Tschechoslowakei   hervor­gerufen hat, wird im ganzen treu wiedergegeben, namentlich imDaily   Expreß". Die ersten Berichte über'die einmütige Bil­ligung de- Plane- durch da- französische Kabinett werden auf da- wahre Maß zurückgeführt. Die Time-" erklären in ihrem   Pariser Bericht, die Einmütigkeit" betraf nur da- Vorgehen und keine-iveg- den Inhalt de- Plane-. Do- Vor­gehen besteht darin, daß der Plan der   Prager Regierung vorgelegt werden, daß der Druck nur ein freundschaftlicher sein soll und daß im Falle einer Ablehnung die französische   Ver» p f l i ch t u n g andauert. DieTime-" tragen es mit sichtbarem Mißfallen, daß der Sprecher der französischen   Außenministerium- den Versuch machte, die Schuld auf Großbritannien   zu schie­ben. Er sagte nämlich, daß Großbritannien   da- l Recht Frankreichs  , seinen Bündnisvertrag gegen  -1
Prag. Der Landespräsident   in Böhmen hat in: Einvernehmen mit dem Präsidenten del Ober­gericht- und des ObetprokuratorS auch in den Be­zirken Friedland In Böhmen  , Braunau und Trau» tenau das Standrecht verhängt. Ein Schulfall der Gräuelhetze  Prag. Das Linzer BlattVolksstimme" brachte eine später vomDeutschen Nachrichten­  büro" verbreitete Meldung, daß zwischen den Gemeinden Leopoldschlag   und Unterhaid ein Sudetendeutscher aufgefunden wurde, der bei dem Versuche, auf reich  -deutsche- Gebiet zu gelangen, von tschechischer Seite erschossen wurde. Der Schwerverletzte soll noch in roher Weiße von Mit­gliedern der tschechoslowakischen Finanzwache mißhandelt worden und es soll ihm im wahrsten Sinne de- Wortes der Schädel zertreten worden sein. Auch diese Meldung gehört in die Kategorie der böswilligen Erfindungen, durch welche der gute Name der tschechoslowakischen Grenzsicher­heitsorgane geschädigt tverden soll, die sich durch ihr korrektes Vorgehen gegenüber allen Gewalt­taten von der anderen Seite höchstens selbst in Todesgefahr beg^en. Durch eine strenge Unter­suchung über den Inhalt der erwähnten Meldung Ivurde festgestellt, das; zlvischen den Gemeinden Leopoldschlag   und Unterhaid überhaupt kein Su» dctendeutscher auf reichüdeutschca Gebiet über­ging. Um so weniger ist die Behauptung wahr, daß ein solcher erschossen und mißhandelt worden wäre.
IS Vie mm Sintflut Roman von Noelle Roger Atu dem Franzötliehen Uberaetit von Im» Rlppot
Ter Zug heilt, sie stiegen aus. Durch die Fenster ihres Hotels betrachteten die Geflüchteten den See, der am Fuße dunkler Abhänge seinen klaren, endlos scheinenden Spiegel in makelloser Reinheit hinbreitete. Allen entfuhr der gleiche Aufruf: Der ist ruhig!" Mit Wollust sogen sie die frische Lust ein, loährend ihre Blicke am User entlang schweiften. Wie ferne Blumen gingen die ersten Sterne am rosigen, zum Wasser herabsteigenden Himmel auf. Schon fühlten sie ihre Unruhe schwinden. Tas Wasser wird wohl schon aufgehört haben zu steigen", sagte Frau von Miramar. Alles wird wieder ins alte Fahrwasser zurück­kehren." Da zerriß ein Schrei die Stille der Tüm- merung. Ein Zeitungsjunge hatte sich vor das Hotel aufgepslanzt und schrie Nachrichten in die Welt: Extraausgabe des   Genfer Tagblatter... Allerletzte Telegramme... Tas Vordringen de- Meere-.,.." Die Passanten machten Kehrt, umdrängten den Jungen, rissen ihm das kleine Blatt auS den Händen, und liefen unter die elektrischen Straßen­lampen, um es zu lesen. Mit einem Sprunge rannte Max die Stie­gen hinunter, sprang auf die andere Straßenseite, wieder zurück hinauf und brachte das noch vom Druck feuchte Blatt. Er laS die Aufschriften vor, deren Riesenlettern einen tollen Reigen vor sei­nen Augen aujführten  .
Paris in Gefahr..., der Verkehr an ver­schiedenen Punkten unterbrochen... Neue Schiffsuntergänge... Schiffe scheitern auf dem Fel-ufer.,., eine fünfzig Meter hohe Welle.." Diese hingeworfenen Worte, diese chaotische Aufzählung von Katastrophen schien sich mit ihrer Panik auf die Ruhe diese- klaren Augustabends zu übertragen. Wir müssen um jeden Preis Walli- er­reichen", murmelte Hubert.Morgen mit dem ersten Zug müssen wir weiter." Die anderen schwiegen wie gelähmt. Al- sie endlich todmüde in ihren Betten lagen und auf Schlaf und Vergessen wie auf eine Gnade hofften, stand Hubert immer noch am Fen­ster und starrte auf den See. Eine fünfzig Meter hohe Welle", grübelte er, wie von einem hellseherischen Angsttraum be­fangen. Wer weiß, was heute nacht geschieht..., was morgen geschehen wird..." Panik... man wird die Züge stürmen... Rasende werden ihre Waffen zücken... und seine Mutter, seine Schwestern werden allen mög­lichen Unfällen preisgegeben sein... Nimmermehr I.. aber wa- tun? Ein Auto? Nach   Savoyen? Uber die Pässe? Und während die Stunden der Nacht langsam und ruhig hinfließen, sitzt er über einer Landkarte und kombiniert Wege. Die Namen verwirren sich ihm, der Tisch scheint zu wanken. Er sieht immer nur ungeheure Wogen, in denen Ueberseedampfer wie Spielzeug zerschellen. Air der Morgen graute, erhob er sich und ging fort. Erlief durch die menschenleeren Straßen und suchte alle Garagen oft. Als er zu­rückkam, erklärte er den Seinen, die in aller Eile gerade frühstückten, e- wäre besser über die Pässe zu reisen... Er habe auch schon ein Auto auf­getrieben.., der Chauffeur kenne sich zwar nicht gut auS..., aber da wären ja noch die Weg­karten. Rasch wurde alles besprochen. Schön..
die Koffer würde man hier zurücklassen und nur das Unentbehrlichste mitnehmen, nur Hand­taschen... In der Halle besprachen einige Frühauf­steher die letzten Nachrichten und zuckten mit den Schultern. «Fünfzig Meter hohe Wellen! Ist doch ganz unglaublich! Eine ganz außergewöhnliche Springflut dürfte es allerdings sein, aber die Kapitäne in Seenot Übertreiben bestimmt ganz gewaltig." Hubert ließ nicht ab, seine Familie zur Eile' anzutreiben. Die dort wollen es nicht glauben... Aber wir, wir wissen ja... Rasch nur, rasch, be­vor der Chauffeur es sich wieder überlegt." Sie ließen den Hafen hinter sich, den Bahn­hof, die Stadt, die Vororte. Eine geheimnisvolle Schönheit lag über der auf dem Hügel gebetteten Stadt, über ihren Gärten, ihren Parkanlagen, wo sich die Spätsommerrosen in verschwenderischer Fülle aufs neue entfalteten. Ihnen schien sie wie ein Todgeweihter, der da- Verhängnis nahen sieht und ihm zulächelt. Bon der Straße, die sich am Abhang dahin­zog, übersah man längere Zeit die blaue Wasser­fläche. Die ganze zärtliche Fürsorge des Som­mermorgens umschmeichelte ihre Ufer. Die Zollbeamten an der'Grenze ließen da- Auto passieren. Die Reisenden erreichten   Thonon und gelangten in ein breite- grüne  - Tal. E- Nlir ihnen, als ob diese Flucht, wie in einem Abdruck, niemals enden würde. Sie waren ganz still, nur das Brautpaar wechselte von Zeit zu Zeit ein leises Wort. Immer neue Hochtäler erkletterte der Wagen, das Hochgebirge rückte näher und am Rande der Straße zogen sich dichte Wälder. Der Frieden der Landschaft wirkte beruhigend auf die jungen Mädchen. Endlich kein Wasser mehr! Die Straße wurde schmäler. An den Abhängen verstreut lagen kleine Häu-chen, zu welchen sich Fußpfade schlängelten.
Das Auto hielt. Beunruhigt blickten die Reisenden einander an. Vor ihnen erhob sich ein Kranz felsiger Berge, die ein breiter Streifen grünen Landes miteinander verband, und deren steile Hänge bis an die Straße reichten. DerCol de Coux", erklärte der Chauffeur. Mit dem Auto gchts nicht weiter; hier hört die Straße auf. Aber zum Patz, können Sie zu Fuß hinauf, es ist nicht sehr weit, und auf der anderen Seite gehts hiunter zum Tal von Jlliez." Der Ausstieg über die steinigen Pfade war ziemlich beschwerlich. Hubert und Max trugen die beiden Kleinen auf ihren Schultern, und stützten ablvechselnd die verzagende Miß Maud, und di: vollständig erschöpfte Mutter. Der Tag ging schon zur Neige, als sie endlich die Schutzhütte am Paß erreichten. Sie lag an der Grenze, am Fuße drc zackigen Kette derDentS Blanches" und recht» und links sah man die Täler im Dunst verschwim­men. Die Sonne ging auf der französischen   Seite unter und vom goldschinunernden Himmel hoben die mächtigen Berge ihre violetten, immer mehr und mehr verblassenden Silhouetten ab, die schließlich am Horizont fast grau erschienen. In dem niedrigen Raum, in dem die Zoll­wächter der Schweizer Grenzwache ihren Kaff.-e tranken, bat Herr von Miramar um Betten. Der Wirt, ein stämmiger Gebirgler mit harten Zügen, betrachtete bestürzt dieses todmüde Häuflein   Pa­riser, daS fast ohne Gepäck, in viel zu leichten Kleidern und in Straßenschuhen über die Pässe däherkam. »Betten. Hier gibts nur Heu", sagte er. Zum erstenmal seit der Katastrophe sanken die Flüchtlinge in traumlosen Schlaf. Wie gut man im Heu schläft", flüsterte Avonne, als sie die Augen ösfnete. Wo kann man sich da waschen?", fragte Gva, die als Erste wieder in ihre zivilisierten Gewohnheiten zurück verfiel. .(Fortsetzung folgte