Nr. 223

Donnerstag, 22. September 1938

(Stift 5

IMhwwfodtaft und Samlp^tife Einschränkung der Geldauszahlungen fiercdinet werden, die bereits in der Zeit vom 1. bis 21. September 1988 ausaezablt wurden. Die Bestimmungen der Absätze I bis 8 gelten nur, soweit die Vereinbarung mit dem Einleger über die sukzessive Auszahlung oder die Kündigungsfrist, oder das gemäß Nr. 240/1924 d. S. d. G. u. B. zu­gunsten der Geldanstalt nicht günstigere Bedingungen für die Auszahlung der Einlage festsebt. Auf die gerichtlich deponierten Einlagen bezie­hen sich die Be^immungen der Absätze 1 bis 8 nicht. Der Anspruch aus die Auszahlung von Rück- kaufSsummen der LebenSver- sicher ungipolizzen wird derart ein­geschränkt. daß der Versicherte nur ein Viertel der Rückkaufssumme fordern kann, die ibm gemäß den Bersichcrungsbedingungen gebührt; falls dieses Vier­tel den Betrag von 20.00 Ki. auch aus mehreren Ver­sicherungsverträgen desselben Versicherten, übersteigt, ist die Versicherungsanstalt berechtigt diese Summe in Monatsanlablungen von je 1000 Ki auszuzahlen. Anleihen auf VcrlicherungSpoliszen können nur in den oben angegebenen Grenzen der Rückkaufssumme eingekordert werden. Der Finanzminisler wird ermächtigt, se nach­dem, wie dies die Verhältnisse auf dem Geldmärkte zulassen werden, die Sätze und Beträge, die oben an­gegeben wurden, entsprechend zu erhöhen. Dieselbe Ermächtigung bezüglich der Auszahlungen der Ver­sicherungsanstalten steht dem Innenminister zu. Die Verordnung tritt mit dem Tage der Verlautbarung in Kraft. Sie wird vom Finanz- und Innenminister im Einvernehmen mit den beteiligten Ministers durchgeführt werden.

Schutzmaßnahmen für die Währung Prag . In diesen Tagen, in denen alle Bc- mühungml zum Schuh des Staates konzentriert werden Missen, kann einer der nicht bedeutendsten Faktoren der Verteidigung, daö ist die Währung, ohne vollkommenen Schuh gekästen werden. Un- lautere Elemente arbeiten in solchen außerordent- lichen Zeiten mit erhöhter Intensität, entweder auS Gewinnabsichten oder aus Böswilligkeit oder Hatz, oder aus Befürchtungen usw. Wer gerade in diesen kritischen Zeiten die gegebene Situation dadurch verschlechtert, daß er Valutaschmuggel be­treibt, mit dem Kapital ins Ausland flieht oder illegal Werte im Auslände beläßt, welche unserer Volkswirtschaft dienen sollen, begeht eine straf­bare Handlung, die gegen die Interessen de» Ganzen und verdient nicht, daß mit ihm milder verfahren werde, als mit irgendeinem anderen gemeinen Verbrecher.-.Diese. Gründe,-hat- der Ständige Ausschuß der Nationalversammlung in

vollem Maße anerkannt, als er in seiner Sitzung vom 19. September 1988 die Maßnahmen ge­nehmigte, durch die die bisherigen Vorschriften über deir Schutz der Währung geändert und ver­schärft werden. Die Schmugglerausfuhr von Kapital oder absichtliches Belasten von Kapital im Auslande, falls der Gegenstand der strafbaren Handlung einen Wert über 800.900 KC hat, sowie die Ver­breitung unwahrer Nachrichten, welche die Wäh­rung schädigen können, werden als Verbrechen mit schwerem Kerker von ein bis zehn Jahren bestraft, fall- der Gegenstand der strafbaren Handlung einen Wret von fünf Millionen KL hat oder unter anderem besonders belastenden Umständen wird die Strafe auf 5 bis 20 Jahre erhöht. Mit diesen Freiheitsstrafen lind noch strenge Ncbenstrafcn verbunden. Bei der Aburteilung Ivegen Verbrechens verliert der Verurteilte die bürgerlichen Ehrenrechte und sein Vermögen kann als verfallen erklärt werden. Auch für Stenevwertrelungen wurden die Strafsähe empfindlich erhöht. Indem wir von dem Grnndsahe auSgehen, daß die Währung besonders heute denseiben Schutz erfordert, wie andere Mittel der StckatS- verteidigung, verwendete die Maßnahme einige Vorschriften, die vollkommen mit den Vorschriften des Gesches über die Staatsverteidigung über» cinstimmen.

Die Börse geschlossen Prag . Die Börse wurde für alle Wertpa- plergattungcn provisorisch geschlossen. Der Zeit­punkt der Wiederaufnahme ist noch nicht bestimmt. ES werden Maßnahmen getroffen werden, daß nach der Wiederaufnahme ein normales Geschäft, sich entwickeln kann, wobei die zuständigen Insti­tute und Stellen insbesondere für einen normalen Markt der staatlichen Wertpapiere sorgen werden.

Die Beschäftigung Im August Bei den 298 BezirkSkrankenvcrsicherungSan» stalten, welche der ZSBA unterstehen, waren im August gegen Krankheit versichert: a) nach dem Ges. 221/24(Arbeiters Männer. ,«,. 1,586.028 Frauen. ,... 890.116 zusammen,.,. 2,446.141 gegen Juli weniger um 8.719, gegen August 37 mehr um.... 19.978; b) nach dem Ges. 117/26(PensionSvers.) Manner 181.971 Frauen..... 87.699 zusammen.... 189.670 gegen Juli mehr nm ü. 850, gegen August 1937 mehr um... 6 428.

Prag . Durch Regierungsverordnung vom 21. September werden Bestimmungen über eine vorüber­gehende Einschränkung der Auszahlungen von Ein­lagen bei Geldinstituten und der Leistungen von Privatversicherungsanstalten erlassen. Unter Geldanstaltcn werden verstanden: Vor« schußkassen, die gemäß dem VereinSgcsetz vom 26. No­vember 1882, Nr. 288 RG(VereinSvorschußkasscn) errichtet wurden, Kreditgenossenschaften, die gemäß dem Gesetz über Erwerbs- und Wirtschaftsgenosscn» schäften vom 9. April 1878, Nr. 70 RG, oder ge­mäß Gesetz Art. XXXVII/1878 über das Handels­gesetz errichtet tvurden, wirtschaftliche und gelverb» liche Kreditgenossenschaften, die gemäß Ges.-Art. XXI11/1898 über die Wirtschafts- und Gewerbe- Kreditgenossenschaften errichtet wurden. Verbände (Zentralen) dieser Anstalten und Genossenschaften, die Kreditgeschäfte betreiben, weiters landwirtschaft­liche Bezirksvorschußkassen, die auS den Kontribu» jions» und Steuerfonds gebildet wurden, Sparkassen im Sinne des Gesetzes vom 14. April 1920. Nr. 802 d. S. d. A. u. B., durch das die Rechtsverhältnisse der Sparkassen geregelt werden sowie die im 8 83, Abs. 8, desselben Gesches angeführten Sparkassen, die LandeSkreditfondi in Prag und der Landeskredit­fond» der Kleinlandwirte in Prag , die Aktienbanken, die Geldgesellschaftcn mit beschränkter Haftung und Aeldunternehmen im Sinne des Art. 1-1 l der Bank» gesetzt- vom 21. April 1982, Nr. 54 d. S. d. G. u. V. Der Anspruch ausAuSzahlung von Kontokorrentfordtrungen bei einem Geldinstitur, der vor den« 21. September 1938 entstanden ist, wird derart eingeschränkt, daß der Gläubiger einer solchen Forderung nur fordern kann, daß ihm im Laufe de- KnlendermonatS ein Betrag bi» zu 8 Pro­zent dieser Forderung nach dem Stande am ange­führten Tage ausbezahlt werden soll; fall» diese Forderung einschließlich anderer Forderungen bei derselben Äeldanstalt weniger al- 20.090 KL beträgt, einen Betrag bi» zu 600 KL. Eine höhereAuSzahlung kann-ein­gefordert werden: 1. o h n e E i n s ch r ä n k u n g auf einen bestimmten Betrag: a) für die Angestelltengehälter im eigenen Un­ternehmen deS Gläubigers oder zur Bezahlung der Miete(d«S Pachtzinses) durch den Gläubiger in einer zu seinem Unternehmen gehörenden Ange­legenheit; b) für die Zahlung von Steuern und öffent­lichen Abgaben, die Auszahlung auf Grund der An­weisung des Gläubigers ist die Geldanstalt ver­pflichtet,. direkt dem zuständigen EinnahmSamt zuzu­führen; c) für die Zahlung von Prämien an die öffent ­lich-rechtlichen Sozialversicherungsanstalten und von Versicherungsprämien an PrivawersicherungSanstal« ten;............ d) aus bei Gericht-deponierten Geldern:. «) aus den von Advokaten oder öffentlichen Notaren eingelegten Geldern, soweit diese sie be­nötigen, um gerichtlichen Verfügungen oder Entschei­dungen Genüge zu tun oder die Verpflichtungen ihrer Auftraggeber zu erfüllen. 2. Im Kalcndermonat bis zur Höhe von 25 Prozent der Forderung gemäß dem Stande vom 21. September 1988, falls da» Geld nachweis­bar für den Betrieb de» Unternehmens des Gläu­biger» notwendig ist. . 8. Die Bestimmungen der vorangegangenen Ab­schnitte gelten nur, solang« die Vereinbarung mit dem Gläubiger über die sukzessive Auszahlung oder über die Kündigungsfrist oder soweit ein gemäß Ge­setz vom 10. Oktober 1924, Nr. 240 d. S. d. G. u. B. über das Moratorium zum Schutze der Geld­anstalten und Ihrer Gläubiger, zugunsten de» Geld­institutes nicht günstigere Bedingungen für die Aus­zahlung der Forderungen festsctzt. Der Anspruch auf Rückzahlung von Ein­lagen auf Einlage-(Sparkassen-)Büchel, oder auf Kassenanweisungen, die bei einer Geldanstalt oder bei der Postsparkasse vor dem 21. September depo­niert ist. wird derart eingeschränkt, daß der Besitzer einer solchen Einlage nur folgende Auszahlungen im Laufe eines Kalendermonats fordern kann: a) einen Betrag bis 900 KL, falls die Einlage gemäß den: Stand am angeführten Tage mehr als 30.000 KL beträgt. b) einen Betrag bis 3 Prozent der Einlage, gemäß dem Stande am angeführten Tage, fall» diese Einlage 5000 bis 80.000 KL beträgt. c) einen Betrag bis 150 KL, falls die Einlage weniger als 5000 KL beträgt. Der Besitzer mebrerer solcher Einlagen, di« bei derselben Anstalt deponiert sind, kann gleichfalls kei­nen höheren Betrag fordern, als er gemäß Absatz 1. Buchst, a) bis e) auf die Summe aller dieser Ein­lagen zusammen entfällt. In die Beträge, die nach den vorangehenden Ab­sätzen eingefordert werden, werden die Beträge ein-

Man erhält für KS 100 Reichsmark 503. Markmünzen 775. 100 rumänische Lek«,,.. 17.60 -100 polnische Zloty« ,». 553.50 . 100 ungarische PrngÜ«,,» 578.50 ' 100 Schweizer Franken »». 666. 100 französische Francs»,. 80.45 1 englisches Pfund.... 143. 1 amerikanischer Dollar.,. 29. 100 italienische Lire.... 134.40 100 holländische Gulden... 1587. 100 jn^dskawische Dinare.». 64.80 100 Belgas....... 491, 100 dänische Kronen.... 633. 100 schwedisch^ Kronen,,. 733.

Adressat unbekannt Von Fritz Rosenfeld Der Gesängnisdireltor legt behutsam zwei i Geldscheine und einige Münzen ans den Tisch. Ein s Silberstück, das im Schneelicht dieses Februar« - morgen» ohne Glanz bleibt, und cttvaS Kupier, j das im Umlauf durch hunderttausend Hände längst i alle Leuchtkraft verloren hat. Die Frau nimmt die Banknoten, hält sie rat- loS zwischen den Fingern, zwölf Jahre ist es jetzt her, daß sic zum letzten Mal so einen Schein an dec Haut ihrer Hände fühlte, sic tveiß noch, eS ist Geld, man kann Brot dafür lausen, Kleider, Wärme und Acht; aber sie erinnert sich nicht mehr, wie man ihn faltet. Die Münzen rollen in ihre abgeschabte Handtasche, zwischen die Papiere, die dort liegen: ihre Dokumente, der EntlassungS- zettel. Da öffnet der Gesängnisdireltor eine Lade. Er legt ein Bündel Briese aus den Tisch und sagt mit tonloser Stimme, als fürchte er sich vor seinen eigenen Worten: Und dann habe ich noch die- hier für Sie." Die Frau sieht ihn stumm an. Dann sagt sie mechanisch, die Stille im Raum wird ihr uner­träglich: Briefe? Für mich?" Sie erinnert sich: Ich durste keine bekom­men. DaS war eine besondere Verschärfung mei­ner Strafe. Schreiben durste ich, einmal im Mo» nat. Aber ein Zeichen von draußen, ein paar Zeilen, vielleicht eine gepreßte Blume dabei, ein Blatt nein. Der Gesängnisdireltor sieht ihr gerade in die Augen: Die Briefe sind nicht an Sie gerichtet. Sie sind von Ihnen geschrieben." Da steckt die Frssu schnell die Hände nach den gebündelten Papieren aus, als wollte sie die Blät­ter an sich reißen,' ehe eines anderen Menschen Auge, sie berührren kann. «Meine Briefe?" Ich habe es mir lange überlegt, ob ich sie Ihnen geben soll", sagt der Gefängnisdirektor. Aber Sie haben ein Recht darauf. Ich habe sie alle aufbewahrt, es fehlt kein einziger. Wie sie abgeschickt wurden, Monat für Monat, kamen sie zurück." Ja. Meine Briefe", sagt die Frau und sie sagt es so schwer, als bedeuteten diese Worte viel mehr, als je ein anderer Mensch begreifen kann.

Der GefängniSdirekwr öffnet das Bündel. Er nimmt den ersten Bries in di« Hand, wendet ihn um. Adressat unbekannt", sagt er.Der Bries ist lange umhcrgewandert, ein Dutzend Briefträ­ger hat ihn in der Hand gehabt, er trägt viele llntcrschriesten. Die anderen Briefe nicht mehr." Da wußte man cs Wohl schon", erwidert die Frau. tor.War eS ein Verwandter von Ihnen?" tor.War«S ein Verawandten von Ihnen?" Nein", sagt die Frau schnell. Ein Freund?" Die Frau senkt den Kopf. Ec Ivar toohl inS Ausland verzogen und hat keine Adresse hinterlassen", meint der Gefängnis­direktor.Sonst hätte man ihm die Briefe doch nachgcschickt." Er ist vicht ins Ausland verzogen", wie­derholt die Frau und ihre Stimme ist ganz fahl. Dann"ist er vielleicht" Gestorben? Nein", sagt die Frau. Der Gefängnisdrektor sieht die Frau fragend an. Plötzlich geht ein Gedanke durch seinen Kopf. Martin Berger wollte die Briefe, die eine Mör­derin auS dem Zuchthaus schrieb, nicht lesen. Er hat sic zurückgeschickt, mit Absicht. Vielleicht hatte er recht; wer weiß, wnS die Frau ihm angetan bat? Nein", sagt die Frau und sieht den Direktor so durchdringend an, als wollten ihre Augen sagen: Ich weiß, woran du denkst. Da wehrt sich der Gefängnisdirektor. Warum haben Sie zivölf Jahre lang Briese an eine falsche Adresse geschrieben?" Die Adresse war nicht falsch", sagt die Frau. Wenn ein Mann namens Martin Berger in diesem HauS gewohnt hatte, wären die Briefe doch nicht zurückgekommen", sagt der Gefängnis­direktor. Er hat dort gewohnt. Er wohnt noch dort", antwortet die Frau. Dann fügt sie leise hinzu: Aber eS weiß niemand". So, denkt der Gesängnisdireltor. Irgendeine dunkle Existenz, deren Dasein sogar dem Brief­boten verborgen werden muß. Ein Zuhälter viel­leicht, ein Kokainhandler, ein Hehler. Aber dann war eS doch sehr unvorsichtig von der Frau, an ihn mit bollem Namen zu schreiben. «ES weiß nur niemand", wiederholt die Frau, nun ganz leise. Und dann schreit sie plötz­lich, sie HM die Fäuste, sie sieht den Gesänguis-

direktor so feindselig an, daß er tief In feigen Ses­sel zurückkriecht: Man kann doch nicht ganz altztin sein auf der Welt. Man mutz doch eine» Menschen haben, an den man denken kann. Einmal im Monat einen Bries schreiben dürfen, sich dreißig Tage darauf freuen, und wenn die Stunde kommt, den Bogen Papier zusammenknüllrn und in den Winkel werfen... Begreifen Sie mich denn nicht?" Nun versteht der GefängniSdirektor. Und nun fürchtet er sich auch nicht mehr. Er steht auf, tt geht zu der Frau, sie sitzt vor ihm, ihre Schultern zucken, sie weint. War ich denn ein Mensch in diesen zivölf Jahren", sagt sie.Habe ich denn existiert? Ich war doch nur ein Körper, der sich bewegte. Ich durfte doch nicht denken, sonst wäre ich wahnsin­nig geworden. Da- Gehirn kann man betäuben, man kann tausendmal am Tage vorsagen: Denke nicht, denke nicht, sonst wirst du verrückt. Aber das Herz da» Herz schlägt doch weiter, da- Herz läßt sich doch nicht ftnmm machen" Also eine Lüge", sagt der Gefängnisdirek« tor, aber es tut ihm sofort leid, dieses Wort ge­braucht zu haben. Lüge?" Die Frau sieht zu ihm m>f.Wissen Sie denn, wie e» ist, nächtelang schlaflos dazulie­gen und an den Augenblick zu denken, nach dem man sich sehnt, an dem man vor dem Tore stehen wird, auf der Straß«. Und denken müssen: Nie­mand wird da sein, der dich kennt, nur gleich» gülttge, fremde Gesichter. Niemand wird auf dich warten. Da» kann man doch nicht ertragen! Da mutz man sich^och einen Menschen auSdenken, der dort steht, der sich umsieht, ob du kommst, und der dir ein menschliches Wort sagt. Der dir das Bündel mit den Kleidern tragen hilft und viel­leicht ein warmes Zimmer bereit hat, in dar du flüchten kannst, um dich zu verbergen, damit man nicht mit Fingern auf dicht zeigt: Da ist sie wie­der, man hat sie wieder freigelassen, warum, für immer hätte man sie einsperren sollen, erschlagen hätte man sie sollen* Beruhigen Sie sich doch", sagt der Gesäng­nisdireltor.Die Menschen sind nicht so schlecht." Die Frau härt nicht, was der Gefängnis­direktor spricht. Sie hat eS sich in den zwölf Jah­ren der Hast zahllose Male leise vorgesagt, nun sagt sie eS laut, das ist der ganze Unterschied: Es ist egal, wie der Mensch heißt, der einen lieb hat, und eS ist egal, wo er wohnt, Und wenn er die Briefe nie bekommt und nie liest schrei­be» muß man sie, damit man weiß: er ist da. Und . wenn man wieder ftei ist, muß man ihn suchen. Monatelang. Vielleicht jahrelang. Bis man ihn iindet." Der Gesängnisdireltor ist wieder an seinen Schreibtisch zurückgegangen. Er bindet die Briese zusammen Sie liegen vorzhm. er weiß nicht, was er mit ihnen beginnen soll. «Werde ich ihn finden?" fragt die Frau plötzlich.Glauben Sie, daß ich ihn finden werde?" Da- weiß ich nicht", antwortet der Gefäng­nisdirektor, und er hat wieder die kahle, kalte Stimme eines Beamten. Dann setzt er hinzu:Ich wünsche eS Ihnen jedenfalls an» ganzem Herzen." Die Frau steht auf, sie nimmt die Briefe vam Tisch. Sie brennen in ihrer Hand, sie scheinen unsäglich schwer zu sein. Was soll ich mit ihnen tun?" fragt die Frau. Sie gehören Ihnen", entgegnet der Ge­sängnisdireltor. Mitnehmen? Nein. Ich weiß doch jedes Wort, da» darin steht, auswendig. Ich habe doch an jedem Brief einen ganzen Monat geschrieben." Sie sieht sich in dem nüchternen, grauen Zimmer um, im fahlen Wintcrlicht schimmert hin­ter der blaßbraunen MarienglaSscheibi des Ofens hellrot eine Flamme. Darf ich sie hier verbrennen?" fragt die Frau. Der Gesängnisdireltor nickt. Die Frau tvirft das Bündel Briefe ins Feuer, die Flamme zuckt hoch auf. Das Klappern der eisernen Osen» türe klingt grell durch den Raum, dann ist es, lvieder still. So", sagt die Frau leise.«Nun kann ich gehen." Da schrillt eine Pfeife vor den Fenstern. Der Direktor sieht hinaus. Aus einer schmalen Tür treten, zwei und zwei, in aschgrauen Kleidern, die Haare glanzlos, die Augen trüb, die Hände an den Leib gepreßt, die gefangenen Frauen. Die Frau tritt an» Fenster. «Auf die halbe Stunde Spaziergang habe ich mich immer so gefreut", sagt sie. Und nach einer Pause setzt sie hinzu:«Da war man der Welt doch um einen Schritt näher." Sie geht zum Tisch zurück, nimmt ihre Hand, lasche, dann das Kleiderbündel, da- neben dem Sessel lag. Sie will zur Tür gehen, aber das Fenster zieht sie magisch an. Sie muß wieder in den Hof hinaus blicken. Und da sagt sie: Ich wäre glücklich, wenn ich bei denen dort wäre. Heute hätte ich wieder einen Brief schrei­ben dürfen." Der Direktor kramt unter seinen Papieren? Er findet einen Zettel, sagt in der Richtung zum Fenster: Ich habe Ihnen ein Empfehlungsschreiben vorbereitet. Melden Sie sich an dieser Adresse, Sie werden dort Arbeit finden." MS er aber von seinem Schreibtisch aus- blickt, sieht er, daß er in seinem weiten, kahle» Zimmer allein ist.