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„Sozialdemokrat"
Mittwoch, 28. September 1938. Ar. 22^
mit die Kinder einmal etwa» haben. Wer weiß, ob nicht alle« verloren ist." Die Frauen halten die Taschentücher vor den Augen. Schon werden sie aber zu Tisch gerufen. 20V Mittag-Mahlzeiten täglich
vsr Deutsche Haus in Präs als Asyl der Flüchtlinge
Zimmer Rr. 31 Die Flüchtlingsaktion in Prag ist Vorderband im Deutschen HauS im Zimmer Nr. 81 untcrgebracht. Die Flüchtlinge schlafen dort nicht, sondern werden nur registriert und in einem der grogcn. schön getäfelten Säle werden sie auS- gespeist. Es kommen Deutsche und Tschechen hicher, ganz ohne Unterschied. Man hört beide Sprachen, man sieht Leute auS verschiedenen Gesellschaftsklassen. Diese Frau hier ist bestimmt eine Arbeiterfrau, jener Mann aber hantiert ebenso be- srimmt mit der Feder und nicht mit der Schaufel. Es sind hier Männer, Frauen und Kinder. Ja, sogar Kinder ohne Eltern allein. Kinder im Herbst 1938 Man begegnet im Deutschen Haus unter anderen zivei halbwüchsigen Jungen: 14 und 15 Jahre alt. Die sind hier angeblich allein. Man fragt sie au«, wieso sie hergelommcn sind, wo ist der Later und die Mutter. Beide Burschen haben den Bater nicht mehr. Was machen die Mütter? Tic arbeiten in einer Fabrik in Braunau . Sind sic auch hier? Nein, die Burschen sind allein. Beide haben ein Rad aus besseren Zeiten und mit Hilfe diese« Verkehrsmittels find sie bis nach Prag gekommen. Wie lange dauerte die Reise? Sie sind drei Tage lang hergefa.,ren, der Ernst und der Hartwig. Sie sind Schullameraden. Was hat sie dazu bewogen, von der Mutter wcgzugchen? Es wurde in Braunau geschossen, c« wurden Handgranaten von der andern Seite der Grenze geschleudert, worauf man mit Ma- schincngewchrscuer antwortete. Die Mütter waren nicht zu Hause, die Knaben bekamen Angst, bestiegen ihr Rad und fuhren weg von der Stätte, wo sie noch unlängst friedlich in die Schule gingen und ihre Spiele aufführten. „Lernt ihr etwas, wenn ihr schon weg von der Schule seid?" ES wird mit,Kopfschütteln geantwortet. „Warum nicht?"—„Es gibt bei un« leine Arbeit." Dar ist schließlich begreiflich. In einer Gegend, wo hin und her geschossen wird, schwindet da« Interesse für alle» andere. «Und was möchtet ihr denn werden?" Die Burschen wissen eS nicht. Haben sie denn noch nie darüber nachg.dacht, was sie im Leben werden möchten, hat sie der Lehrer zum Schul« schluß nicht auSgcfragt?— Angeblich nicht. Der Lehrer hatte eben andere Interessen, er liess sie marschieren und Kampflieder singen. So sieht Vie Jugend im Herbst 1938 im Grenzgebiet au». „Wir haben da» gcnizc Leben gespart..." Er sitzen hier Frauen mit Kindern. Sie kommen au« N e u st a d t an der Tafelsichte, dicht an der Grenze. Wo sind die Männer? Die sind eingerückt und haben die Frauen und Kin
der mitgenommen. Ein Stück Weges sind sie zusammengefahren, dann fuhren die Männer an den Ort ihrer Bestimmung, die Frauen begaben sich mit den Kindern nach Prag . Sie wohnen hier bei Verwandten, auSgespeist werden sie im Deutschen HauS. Bei den Verwandten schlafen sie am Boden. Sind aber glücklich, diese Zuflucht bekommen zu haben. Zu Hause... Da fangen die Frauen zu weinen an. Zu Hause haben sic alle« stehen und liegen gelassen. Die eine Familie hat dort ein Häuschen, die andere wohnt bei den Eltern. Die sind dort ge, blieben, denn die Mutter liegt lrank und der Vater muh sie pflegen. Die Betten, die Kleider, alle» haben sic dort gelassen, führen nur da» Notwendigste mit. Als die Männer einrückten, fürchteten sie sich dort weiter zu bleiben. So haben sie wenigstens das nackte Leben gerettet. Die Familien sind deutsch . Und flüchten vor demjenigen, der sic„retten" will. „DaS ganze Leben haben wir gespart, da-|
Die Prager graben. In Prag wurden schon viele Gräben für den Fall eines Anfluges auSge» graben, aber früher gruben nur die städtischen Arbeiter und Angestellten. Sonntag gingen die Prager selbst an die Arbeit und heute, am St.-WenzelStag, wird darin fortgefahren. Unter der Führung von CP-O graben die Eigentümer der Villen an der Peripherie in der Nähe ihrer Häuser richtige Schutzgräben. Sonntag arbeiteten daran die Herren Räte, Studenten, Schulmädchen, Arbeiter und kleine Jungen«. Wer zu Hanse blieb, der bellebte die Fenster mit Papierstreifen. In ganz Präg wird gerüstet.,. Unfall im Lift. Im Unternehmen V a n h a auf dem Wenzelsplab verunglückten gestern abend» zwei Angestellte. Der Fleischergchilse Josef I i S k r a und der Geschäftsdiener Stanislav TomStk fuhren mit dem Warenlift der Firma in den Keller. Der Lift stürzte plötzlich ab und JiSkra und Tomiik erlitten schwere Verletzungen. Ein Installateur verunglückt. Gestern nachmittag« arbeitete der 48jährige Installateur AloiS E u ch a l an einer Revaratur der GaSröhren in der BenätSskovä Nr. 488. Er atmete wahrscheinlich eine grössere Menge ausströmenden Gase» ein. denn man sand ihn in dem AuSbubgraben ohnmächtig auf. Ohne da» Bewusstsein wieder erlangt zu haben, starb er im Krankenhaus. Al« sie die Rede Hitler » la», wurde sie de« Schlag grtroffen. Gestern vormittag» kurz vor 9 Uhr sass die 72jährige Witwe Marie D o ft ä l auf dem Fenster ihrer Wohnung, die in der Neruda-Gasse 28 in Prag XU., im 4. Stock gelegen ist und la» die Hitler-Rede. Diese regte sie so sehr auf, dass sie auf der Stelle vom Schlag getroffen wurde und in die Strasse hinunter siel, wo sie tot liegen blieb. Grosser Brand in Smichov . Gestern abend! um 4 Uhr entstand ein Brand im Lager der Firma S. H a Sät, in der Radljtzer Strasse 6. Während der Löscharbeiten kam e» zu einer Explosion, wohxj da» Haupttor herausgeschlagen wurde. Zwei Feuerwehrleute erlitten Verbrennungen. Auch eine Angestellte der Firma wurde am Kopf verwundet. Die
Wir können un» auch die Küche anschen. Heute gibt eü Kümmelsuppr und Kartoffelgulasch mit Wurst. Abend» bekommen die Kinder Kakao mit Butterbrot, die Erwachsenen Butterbrot mit Käse. E» schmeckt ihnen ausgezeichnet. Wenn nur die Zukunft nicht gar so verschleiert vor ihnen liegen würde. In der Küche, im Speisesaal, bei der Registrierung, überall gibt er willige Hände zur Arbeit, die natürlich nur mit der Genugtuung, geholfen zu haben, bezahlt wird. Man sieht an dieser Arbeit auch wohl bekannte Gesichter von Genossinnen und Genossen. Angehörige werden im Rimdfimk gesucht Ab gestern führt der Rundfunk eine Suchaktion durch, damit sich Mitglieder von Familien, die auSrinandergeriffen wurden, wieder finden können. Eine weitere Aktion soll der Beschaffung von Arbeit dienen. Außerdem werden ununterbrochen Wäsch« und Kleider gesammelt, auch Nahrungsmittel und Geld. Die Geldspenden kann man auf das Konto Flüchtlingshilfsdienst bei der Böhmischen Union-Bank überweisen, Lebensmittel und Kleider können direkt in» Deutsche HauS, Zimmer Nr. 31, geschickt werden.
Explosion entstand dadurch, dass Sägespäne in Brand gerieten. Die Feuerwehr musste mit Gasmasken arbeiten, weil der dichte Rauch den Zutritt zum Brandplatz verwehrte. Die Höhe de» Schaden» ist nicht bekannt. Am Wend war da» Feuer noch nicht vollständig gelöscht. Dir Sparkassen Grob.Prag«. Die Böhmische Sparkasse, die Prager städtische Sparkasse und die Weinberger Sparkasse halten wegen zahlreicher Einberufungen ihrer Beamten zur Militärdienstleiftung ab 29. September l. I. bi» auf weitere» ihre Schalter sowohl in der Hmiptanstalt al» mich in allen Exposituren nur von 8—11 Uhr geöffnet.
Xun&t mui Wissen Deutsches Theater bis 1. Oktober geschlossen Da» PragerDentsche Theater und dieKleinrBühne haben ihre Vorstellungen bi« auf weiteres, jedenfalls aber bis zum 1. Oktober, eingestellt. Bon den tschechischen Theatern spielen nur da» Nationaltheatcr und da» Städtische Theater auf den Weinbergen mit ihren Nebenbühnen/ da» ist mit dem Ständischen Theater und dem Kammertheater. Die anderen Theater spielen nicht, teil» deshalb, weil da» Publikum wenig Interesse an den Tag legt, — die Leute bleiben nun«wend» lieber zu Hause— teil» auch deshalb, weil viele. Schauspieler ringe« rückt oder abgereist sind. Im Nationaltheater beginnen die Vorstellungen bereit» um 18 Uhr, im Ständetheater desgleichen. Die Nachmittagsvorstellungen entfallen. Der Lokalverband des Neuen Deutschen Tbeater» in Prag hat dem Präsidenten der Republik Dr. Bene», dem Vorsitzenden der Regierung General
Fffir die FHclHIIngshllfe! Der Verein„Arbeiterfürsorge hat für die im Deutsche » Han» untergebrachtcn Flüchtlinge eine FluchtlingShilfe eingerichtet«nd ersucht die Genossinnen, sich für den Dienst al» freiwillige Helferinnen znr Verfügung zu stelle». Anmeldungen sind an die„Ariei- tcrsürsorge", Prag II, Fügncrovo näm. 4, (Anna Appell) zu richten.(Telephon 81351.)
Auch Kleiderspenden, die für ine Flüchtlingshilfe bestimmt find, sind bei der „Arbeitcrfürsorge" abzugcbe».
Stzrovh und dem Ministerium für Schulwesen folgende Kundgebung übersandt: Der Ausschuss de» Lokalverbandes de» Deutschen Theater» in Prag be- grüsst begeistert die getroffenen Vorkehrungen der Regierung und bekennt sich voll und ganz zu den Bemühungen, unsere Republik und ihre demokratische Verfassung zu verteidigen. Wir alle sind zu den weitestgehenden Opfern jederzeit bereit.
Der Mm
Wa» man flüstert. Hugo H a a S, der i» manchen Lustspielen auch al» Filmregisseur bewährte Schauspieler, hat diesmal eine selbst verfasste Filmhandlung inszeniert, die in der Vorkriegszeit spielt und reichlich elegisch ist. E» ist die rÜhrsame Geschichte von der kunstbegeisterten jungen Frau.,die einen Musiker liebt, aber, da er sie im Sttch lässt, einen zwar auch komponierenden, aber schliesslich doch dem väterlichen Geschäft anheimfallenden Bürgerssohn heiratet, bi» dann eines Tages der lange verschollene Musiker znrückkehrt, der übrigen» der Later de» Kinde» ist, da» mit seinem Geheimni» die bürgerliche Ehe belastet, mit seiner Munterkeit aber da» Glück der Eltern ist. ES ist eine sehr gefühlvolle, annähernd tragische und am Ende dann wieder glückliche Geschichte, die auf eine gewisse nachdrückliche Art stimmungsvoll sein will. Da» einzig Sonderbare an der Sache ist, dass Hugo Haar die Stimmung-seiner eigenen Geschichte dadurch parodieren wollte, dass er sie al» Erzählung zweier alter Klatschbasen bringt, die zwischen den rührendsten Bildern mit ihren komischen Kommentaren in Erscheinung treten. Dieser Versuch, eine Rührgeschichte durch parodistische Zwischenruse zu rechtfertigen, ist nicht gerade überzeugend, und der Erfolg, aus den der Film spekuliert, ist offensichtlich nicht der Erfolg bei den Be» lächlern. sondern bei den Anhängern der Rührseligkeit. Die Darstellung der beiden Hauptrollen durch Jjkina Stkpnickovä und Hugo Haar macht in diesem Teil de» Publikum» übrigen» leicht, in Stimmung zu kommen. Denn beide spielen mit Noblesse und eindrucksvoller, gefühlvoller Getragen- heit.■— ei»—
Urania-Kino ,Hhr Leibhusar". 6.%9 Uhr.— Freitag Premiere„Schwarzfahrt in» G l ü ckl"
»1 Die mm S'udftol Roman von Noelle Roger Hat d«m FranzH»l»chen Obenmtit von Irm« R Ippol
Die tränenfeuchten, auf Frau Andelot gerichteten Augen erstarrten in dumpfem Entsetzen. Frau Andelot bettete das verstörte Gesicht an ihrer Schulter. „Nein, nein, lnein Kind.,. ich wusste e» nicht. Aber manchmal sehen wir Dinge, die... ein anderer uns suggeriert. Und man will nicht glauben, dass sie je eintreffen werden." Es blieb lange still. Avonne richtete sich auf und erblickte den ersten schwachen Sonnenschein, der die verschneiten Gipfel in Gold tauchte. „Mer dort hinauf, wenn wir. dort hinauf auch noch müssten... ich kann nicht mehr..." murmelte sie.»Wann werden tvir endlich Ruhe haben, Frau Andelot", stöhnte sie. Eine hohe Gestalt erschien in der Hüttentür, in Männerhosen, mit einem roten Tuch um den Kopf und gedräntem, lächelndem, vom Alter zerfurchten Gesicht. Die sonnverbrannten Hände hielten eine Schale mit Milch. Undeutlich erstand in AvonncS müdem Gedächtnis ein Bild und ein Name. «Sind Sie Frau Jnnocente?" fragte sie leise. Seit einem halben Jahrhundert nahm Jnno- eente Desago aus Bonavaux in ihrer Hütte die Touristen auf, die den Dent du Midi bestiegen. Sie empfing sie, labte und bediente sie und manchmal führte sie sie auch durch die Berge. Instinktiv empfand man sie als eine Kraft, die zu schützen wusste. Sie war gewohnt zu kommandieren und auch selbst Hand anzulegen.
„Kaffee habe ich keinen", sagte sie mit ihrer rauhen Stimme,„aber die Ziegenmilch hier ist noch ganz warm. Trinken Sie, mein Kind." Jvonne trank. Nun war sie auch imstande aufzustehen. Sie ging zu ihrer Schwester hinaus, die auf einer breiten Felsplatte neben der Mutter fass. In einiger Entfernung hockte Franz, der Knecht der Hüttentvirtin Jnnocente. Er molk eine Ziege und füllte die Milch in Schalen und Becher, die man aus den Rucksäcken und Reisetaschen her» vorgoholt hatte. Einige Frauen und Kinder liefen hinter den Tieren her, welche verstört in alle Windrichtungen davonsprang«». „Nun, gnädige Frau, man muss sich inS Unabänderliche fügen", sagte Jnnocente, indem sie die beste Schale Frau von Miramar hjnhielt. Diese nahm sie und trank sie ganz mechanisch au». Aber als Herr von Miramar.swh, wie Paulchen sich verschluckte, weil er zu hastig trank, wandte er sich ab, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen. DaS Bild seines Zwillingsschwesterchen» stieg allzudeutlich vor ihm auf. „Was übrig bleibt", erklärte Paulchen,„ist für Germaine. Wo bleibt sie denn? Wird sie denn nicht bald kommen?" begann plötzlich daschrille Kinderstimmchen zu jammern. Die Mutter hob ihr versteinerte» Gesicht. Frau Andelot beeilte, sich das Kind fortzuführen. Die Sonne überflutete nun den Gletscher, das Gestein, die hohen Schieferwändc. Frau von Miramar ruhte in der Hütte. Die anderen blieben draußen auf den sonndurchwärmten Felsplatten. Selten nur fiel ein Wort, und ihre Blicke, die den sanften Abhang des Tales hinabschweiften, blieben immer wieder an dem mageren Streifen Weidelandes haften, der dann so plötzlich abbrach. Sie verharrten so, immer noch darauf gefaßt, den schaurigen, schwarzen Wasserspiegel wieder erscheinen zu sehen. Zwei Gestalten tauchten endlich auf. Es waren Max und der Hirt, die raschen Schrittes näher kamen. »Das Wasser scheint stillzustehen", verkündete Max noch im Gehen dem verängstigten Häuf
lein. Und nun erzählte er: da» Wasser ist bi» zum höchsten Punkt der Schlucht von Bonavaux gestiegen und da» Pa« d'Eneel ist überschwemmt. Wehe denen, die bis Porte» NeuveS, am Eingang de» Tales von Sufaufe, jene Abhänge, die wir gestern nacht» erstiegen haben, erklärte Max, da unten, nicht weit unterhalb dieser Weide". Sie atmeten befreit auf. Eine Stunde lang hatten Max und der Hirt das Wasser beobachtet und Wasserstandspunkte bezeichnet: das Wasser war nicht mehr gestiegen. 'Ob dieser Stillstand endgülttg war?... Ob e» noch einen neuen Vorstoss geben würde?... Da» allerdings konnte keiner wissen. : Sie beschlossen abwechselnd Wache zu halten. Da erhob der alte Han» sich wortlos und man sah ihn nach PorteS-NeuveS hinuntersteigen. „DaS Wasser hat zweifellos seinen höchsten Stand erreicht", sagte Herr von Miramar.„Jetzt wird eS zu fallen beginnen." „Beogeffen Sie nicht", entgegnete Max, „dass die Ueberschwemmung wiederholt verschiedene Phasen durchgemacht hat." Sie fassen da, eng aneinander gerückt, gleich Schiffbrüchigen, die in Gedanken an den durchlebten Schrecken noch zittern. Bon der unsäglichen Anstrengung der Flucht fühlten sie sich wie zerschlagen, so dass die geringste Bewegung ihnen Schmerzenslaute entlockte. Nun erst, da sie einander ansahen, entdeckten sie mit Bestürzung ihre zerrissenen Kleider, HaS arg beschädigte Schüh- wcrk, ihre Schrammen und Riffe an den Händen. Und jetzt, wo sie unmittelbare Gefahr nicht mehr bedrohte, fanden sie ihr Erinnerungsvermögen wieder, und die verworrenen, aber stets verdrängten Gedanken, die sie während ihrer ganzen Flucht verfolgt hatten, iiberkamen sie nun mit voller Wucht. Das Bild der allgemeinen Verwüstung wurde lebendig. Die Erde war versunken, die Städte verschivunden... Paris ... London , Rom , Flo renz Genua ... und... achl Parisi Und mit ihnen alle Menschen bis auf einzelne Gruppen
von Ucberlebendcn, die sich, wie sie auf die Berggipfel geflüchtet hatten, und nun einander riefen, aber nicht» voneinander wussten. Herzzerreissend stieg das Bild geliebter Menschen auf und nun standen sie vor der quälenden Frage: Wa» ist au» den Lieben jede» einzeln t von un» geworden? „Mein Bruderl", flüsterte Herr von Miramar mit erstickter Stimme. Und dann klagend:„Meine arme, kleine Germaine!" „Meine Eltern!", ächzte Max. „Unsere Freunde..." Eva dachte an Jean Lavorel. Sie erinnerte sich, dass er den Dent du Midi hatte besteigen wollen. Vielleicht lebte er irgendwo, auf einem dieser Gipfel. Sie schwiegen in tiefster Niedergeschlagenheit. Mit jedem Augenblick eröffnete ihnen ihre Phantasie neue Unglücksperspektiven. „Gerettet!... Auf wie lange?...", saate Hubert plötzlich. Diese Worte brachten ihnen ihre trostlose Lage wieder zum Bewusstsein!— Sie betrachteten dieses Tal ringsum... ihre Zufluchtsstätte. Schmal, eingeengt zwischen den kahlen Wänden de» Dent du Midi und dec Kette schneeiger Gipfel, an die sich der großartig leuchtende Gletscher anlehnte. stieg«s sanft an, bi» zu dem Gipfel, dessen hohe Wand den Horizont abschloss. In der prallen Mittagssonne mit ihren kurzen Schatten lag eS da, baumlos, nackt und kabl mit feinem steinigen Boden, aus welchem im spärliche:» Grase Büschel flammender Blüten hervorsprossten. Der Wildbach , der vom Gletscher die senkrechten Bergwände hinabschoß, erfüllte die Stille mit seinem eintönigen Rauschen. Soweit da» Auge reichte, gab es, abgesehen von der armseliaen Felshütte keine menschliche Behausung in dieser Wüste von Eis und Stein. Alle schwiegen; immer schwerer bedrückte sie ihre Verzagtheit. Sie sahen aar nicht, daß Jnnocente sich ihnen mit ihrem leichten Schritt näherte. I(Fortsetzung folgt.)'
Be»ua»bedtugunaen:Bel Zustelluna InSHau» oder bet Bezug durch die Poft monatlich K6 17.—, vierteljährig K8 51.—, halbjährig Ki 103,—. ganzjährig KC 204. Inserate werden laut Tarik billigst berechnet.— Rückstellung von Manuskripten erfolgt nur bet Einsendung der Retourmarken.—Die Zeitungrfrankatur wurde von der Post« u. Telearaphendirektion mit Erlast Nr. 18 800'VU/loaü bewilligt- lKontrollvostmm Praha 25.— Druckerei:.OrbiS". Druck-, Verlag»- u. Zeltungl-A.-G. Praa.