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Semokrat
Sentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik
Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh/ Einzelpreis 75 Heller Redaktion u. Berwaltung: Prag XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub - Verantwortlicher Redakteur: Karl Rern, Prag
18. Jahrgang
Samstag, 1. Oktober 1938
Seite 3:
Der Inhalt
des Abkommens
Botschaft der Partei
Die Würfel sind gefallen! Die Großmächte haben über die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete entschieden. Wir sind die Opfer dieser Entscheidung geworden. Es hat keinen Sinn, über diesen Vorgang ,. der mit der Wucht eines gewaltigen Schicksals auf uns hereingebrochen ist, zu rechten. Vielleicht wird dieses Schicksal auch noch jene zu seinen Opfern ausersehen, die uns geopfert haben. Ueber unsere und über ihre Haltung wird die Geschichte das letzte Urteil sprechen.
Im deutschen Volke triumphiert die Idee der Gewalt. Wir haben im Bewußtsein der Verantwortung für die deutsche Zukunft andere Lösungen gewollt. Wiederum sei es dem Spruch der kommenden Zeit anheimgestellt, wessen Wollen reiner und wessen Streben ehrlicher war. Das Schild der Partei ist rein. Sie hat ihr Banner in Ehren hochgehalten, solange sie noch auf freiem Kampfboden stand. Nun haben wir ihn verloren. Die deutsche sozialdemokratische Bewegung muß daraus die Konsequenzen ziehen. Die Partei stellt mit heutigem Tage ihre Tätigkeit in den abzutretenden Gebieten ein. Sie entbindet alle bisherigen Funktionäre ihrer Verpflichtungen und dankt allen Anhängern für die herrliche Treue, die sie bis zum letzten Augenblicke bewahrt haben. Das Beispiel, das sie gaben, wird nicht vergessen werden, solange auf einem Flecken des Erdballs noch freie Menschen leben. Die Leitung der Partei hat noch die Verpflichtung zu erfüllen, alles zu vermeiden, was Gut und Leben ihrer Bekenner gefährden könnte und alles zu tun, um
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jenen Mitkämpfern, die ihre Heimat verloren haben, eine neue Heimat zu schaffen. Unsere Freunde, die sich in schwerer Wahl zwischen Heimat und Freiheit für das Verbleiben in der Heimat entscheiden, soll kein Makel des Verrates treffen.
In Bewunderung neigen wir uns in dieser Stunde vor dem kleinen tschechischen Volke, welches die gleichen Schicksalsschläge zu tragen hat, wie wir. Möge es nach dieser Prüfung wieder glücklicheren Tagen entgegengehen. Die Aufgabe der nationalen Zusammenarbeit wird auch weiterhin im mitteleuropäischen Raume gestellt sein. Wir wünschen aus heißem Herzen, daß diese Aufgabe noch einer glücklichen Lösung zugeführt werden kann.
Es ist ein schwerer Abschied, den wir heute nehmen müssen von der sudetendeutschen Arbeiterbewegung, von ihren mühevoll aufgebauten Institutionen, von ihren herrlichen Menschen! Alle, die in guten Tagen einander zur Seite standen, mögen nun die Stärke des Herzens finden, die Last des Unglücks ungebrochen zu ertragen! Wir senken unsere Fahnen vor dem ruhmvollen Erbe, das wir treu verwalteten und verlassen den verlorenen Kampfplatz in der Hoffnung, daß es einem glücklicheren Geschlecht gegönnt sei, unserer Idee, der wir treu bleiben bis zum letzten Atemzuge, erfolgreich zu dienen!
Es lebe der Sozialismus!
Der Parteivorstand der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
Nicht die Tschechoslowakei ist feige und ehrlos
Annahme des Diktats unter Protest an die Welt
Wider Recht und Vertrag verlassen, hatte die Tschechoslowakei keine Wahl
Prag . 30. September. Nun ist das Furchtbare, das uns noch immer unfaßbar Scheinende doch geschehen: alle, alle Forderungen Deutsch lands wurden erfüllt, die Konferenz der Staatschefs der vier Großmächte hat über die Tschechoslowakei entschieden, ohne daß unser Staat bei dieser Entscheidung über sein Schickfal hätte mifreden dürfen. Die der Mehrheit nach deutschen Randgebiete werden abgetreten, und ganz so, wie es Hitler in der Rede im Sportpalast bestimmte, wird die Besetzung durch deutsche Truppen vollzogen: sie beginnt
am 1. Oftober.
Prag . Bei der Konferenz der Großmächte in München wurde eine Einigung über die Durchführung des Londoner Blanes erzielt. Diese Einigung erfüllt zwar nicht die Forderungen des deutschen Memorandums, enthält jedoch sehr schwer annehmbare Zumutungen an die Tschecho slowakei , der zudem nicht in vollem Umfange die geforderten Garantien gegeben werden. Die Regierung der Republik hielt gestern um 12 Uhr vormittags unter dem Vorsitz des Bräfidenten der Republik auf der Prager Burg eine Sisung ab. In dieser Sigung unterzog sie die internationale politische und militärische Situation, wie sie sich nach dem Beschluß der vier Großmächte auf der Konferenz in München am 29. September 1. 3. entwickelt hat, einer gewissenhaften Prüfung. Der Beschluß dieser Konferenz wurde der Tschechoslowakischen Regierung gestern Vormittag mitgeteilt.
Die Regierung prüfte alle Einzelheiten dieses Beschlusses und alle Umstände, auf die sic
bei ihrer Entscheidung Rücksicht nehmen mußte.
Nach allseitiger Erwägung und Prüfung aller dringlichen Empfehlungen, die der Regierung durch die französische und britische Regierung übermittelt wurden und im vollem Bewußtsein ihrer historischen Verantwortung hat sich die tschechoslowakische Regierung unter voller Zustim= mung der verantwortlichen Faktoren der politischen Parteien dazu entschlossen, die Münchener Beschlüsse der vier Großmächte anzunehmen.
Sie hat dies im Bewußtsein getan, daß die Nation erhalten werden muß und daß eine andere Entscheidung heute nicht möglich ist.
Die Regierung der Tschechoslowakischen Republik richtet, indem sie diesen Beschluß faßt,
gleichzeitig an die Welt ihren Brotest gegen diese Entscheidung, die einseitig und ohne ihre Teilnahme erfolgte.
Volfes, als seine Schicksalsgenossen, wissen das, weil wir das tschechische Volk fennen.
Schicksalsgenossen des tschechischen Volkes! Wir deutschen Demokraten sind es. Die deutsche sozialdemokratische Arbeiterschaft hat, indem sie bis zum letzten Augenblicke auf ihrem Kampfplaze ausharrte, bewiesen, daß sie die Sache der Tschechoslowakischen Republik als ihre eigene Sache anjah. Nun entläßt in einem erschüttern. den Aufruf der Parteivorstand der Deutschen sozialdemokratischen Partei alle Parteiangehörigen aus ihren Pflichten. Der Kampf ist aus. Wir treten in Ehren ab von einem Kampfplate, von dem uns überlegene Mächte abgedrängt haben. Der Triumph des Nationalismus wird für unzählige zur Tragödie werden. Denn das allein schon ist tragisch genug, die geliebte Heimat verlassen zu müssen und viele werden aus Gründen der Selbsterhaltung von ihr schei den müssen. Wir hoffen, daß die Demokratie ihnen behilflich ist bei ehrenhafter Lebensfristung.
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Die Tschechoslowakei blieb allein. Frank. reich und England wichen vor der Gewaltdrohung zurüd. Chamberlain und Daladier opferten die Tschechoslowakei , um den Frieden zu retten. Haben sie ihn wirklich gerettet? Glauben sie, daß dieser Friede, der in Münthen begründete, ein dauernder sein wird? Dann wird er es sein, wenn auch weiterhin, so bie nun schon fünf Jahre lang, jedem Willen der diftatorischen Mächte entsprochen wird. Die Kräfteverschiebung in Europa , die poli-| wehren, wäre ein heroischer Selbstmord geweWenn auch die deutschen Kolonialforderungen, tijchen Umgruppierungen, die das Ergebnis der sen. Und die verantwortlichen Führer einer die nicht allzu lange werden auf sich warten Münchener Beschlüsse sein werden, lassen sich Nation fönnen nicht ihr Volk auffordern, in Mit sich nehmen sie das Bewußtsein der lassen, erfüllt werden. Und wenn man Deutsch - noch nicht annähernd übersehen. Denn so ziem. Schönheit zu sterben, sondern müssen auf die land und Italien bei der Neugestaltung Euro- lich alle fleinen und mittleren Staaten, die in Rettung der Eristenz ihres Volkes bedacht sein, Pflichterfüllung, mit sich nehmen sie den Glau bas freie Hand läßt. Wenn aber in irgendeinem der legten Zeit, da die englisch - französische müssen es ermutigen, an die Gestaltung der Zu- ben an die Idee, der sie gedient, den Glauben späteren Zeitpunkte, wenn es sich nicht mehr um Außenpolitik aktiver zu werden schien, den funft der Nation unter den veränderten, schwie- an die Idee der Freiheit. Denn auch im deutscheinbar die Westmächte nicht direkt berührende Westmächten sich zuwandten, werden sich nun rigen Verhältnissen zu schreiten. Eine verwir schen Volke ist die Freiheitsidee nicht für immer Probleme handeln wird, sondern um unmittel- den Diffaturstaaten zuneigen. Und das wird wirtschaftlichen Grundlagen des Staates sind für die Tapferen, die jetzt vom Kampfplak ab. rende Fülle von Problemen taucht auf. Die erstorben. Sie wird auferstehen. Deshalb gilt bare Interessen einer der Westmächte, diese vor Europas politisches Bild gründlich ändern. andere geworden. Die Grenzziehung wird ähnlichen Drohungen stehen wie heute wir, Aber wir haben es heute mit uns zu wenig Rücksicht nehmen auf die bisherigen treten müssen und die wissen, daß die deutsche wird die Abwehr der Ansprüche der beiden Dif taturstaaten unendlich schwieriger sein. Frank. hun. Mit unserem Staate, mit deſſen Neuauf. Wirtschaftsbindungen. Aber das zähe, aus Freiheit nur eingesargt ist, nicht aber tot, das reich wird dann in der Situation einer belager bau, und mit dem Schicksal der deutschen Demo- dauernde tschechische Volf wird, von unbesieg tröstende Wort: ten Festung sein, und es wird dann, wie 1870, fraten, vor allem der deutschen sozialistischen barem Lebenswillen erfüllt; auch diese schweren allein einer ungeheuer überlegenen Militär- Arbeiter. Daß die Tschechoslowakei dem Druck Aufgaben erfüllen, es wird sich und seinen weichen mußte, bedarf feiner Erläuterung. Sich Staat erhalten. Wir als Lebensnachbarn dieses| macht gegenüberstehen.
Nicht alle sind tot, die begraben sind, Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!