Sozialdemokrat
Sentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh Einzelpreis 75 Heller
Rebaltion u. Berwaltung: Prag XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Rebatteur: Rarl Rern, Prag
18. Jahrgang
Mittwoch, 5. Oktober 1938
Aus dem Inhalt:
Aufschub der exekutiven Räumung von Wohnungen Eingerückter
Scharfe Kritik an Chamberlain
Eine Frau in Berlin
hingerichtet
Umfangreiche Regierungserklärung in der Kammer
Paris , 4. Oftober.( Tsch. P.-B.) Heute vormittags traten nacheinander der Kabinetts. rat und hierauf der Ministerrat zusammen, die einmütig die Nachmittag vom Ministerpräsiden ten Daladier und dem Stellvertreter des Ministerpräsidenten Chantemps im Senat zu verlesende Regierungserklärung genehmigten. Der Ministerrat genehmigte ferner einmütig einen Geset entwurf, durch den die Regierung das Parlament um Erteilung einer außerordentlichen Voll. macht in finanziellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ersucht. Nachmittag um 15 Uhr Pa. rifer Zeit verlasen die Regierungserklärung Daladier in der Kammer und Chautemps im Senat. Die Erklärung der französischen Regierung Von der Berchtesgadener Zusammenkunft
Tautet:
In den Wochen, die wir eben durchlebten, fonnte die Welt mit Betlemmung fragen, ob sie nicht in einen Krieg hineingerissen werden wird. Heute, da ich komme, über unsere Tätigkeit Rechnung abzulegen, fann ich Ihnen sagen, daß wir in dieser Krise den Frieden gerettet haben.
In der Testen Zeit habe ich wenig gesprochen, weil ich viel handeln mußte. Es wurde mir sogar borgeworfen, daß ich der schweigsamste Mann Frankreichs sei. In diesem Augenblick der kurzen Ruhe, die der Ausgangspunkt zu neuer Tätigkeit fein muß, will ich Ihnen schildern, welches die les ten Ereigniſſe waren und wie wir ihnen begegneten.
Das sudetendeutsche Problem
Als unsere Regierung konstituiert wurde, bestand das fudetendeutsche Problem bereits. Nach der Verwirklichung des Anschlusses hat es sich noch viel
Das Drama begann. Seit den ersten Tagen bemühten wir uns zu verhindern, daß uns die Ereignisse zu einem unwiderruflichen Schritt hinreißen. Ich habe damals einige Male den Standpunkt meiner Regierung öffentlich festgelegt. Wir waren von zwei gleich starken Gefühlen beherrscht. Von dem Wunsche, nicht zu einer militärischen
Die Option
Von Dr. Egon Schwelb
Nr 234
uns die Ansichten Lord Runcimans mit. Muß ich Ihnen fagen, mit welcher Bewegung wir erfuhren, daß der britische Beobachter in seiner Seele und feinem Gewissen zu der Anschauung kam, daß ein weiteres Zusammenleben der Tschechen mit den Sndetendeutschen unmöglich ist, während alle unfere In der ergreifenden Botschaft der Partei, die Bemühungen darauf beruhten, daß sich die Tsche- vom Parteivorstand erlassen wurde, als feststand, daß choslowakei in der Richtung zu einem Födera sich die Tschechoslowakische Republik dem Münchener 1ismus entwickeln könnte, der ihr ihre territo. Dittat fügen muß, wird auf die Verpflichtung der triale Integrität gewährleistet hätte? Partei verwiesen, alle zu tun, um jenen Mitkämpfern, die ihre Heimat Aber es war notwendig, den tatsächlichen Stand verloren haben, eine neue Sei der Dinge zu erkennen. Wir standen vor folgender mat zuschaffen. Alternative: Entweder auf die sudetendeutschen Die Fülle der Aufgaben, die dieser Vorsatz in Forderungen mit„ niemal 3" au antworten, die fidh begreift, ist heute noch unabsehbar. Das Pro tschechoslowalische Regierung zu einer unerschütter blem wird sicher nicht einheitlich und in einer Rich lichen Unerbittlichkeit und die deutsche Regierungutung gelöst werden können. Für viele unserer Geder Tschechoslowakei zur Folge gehabt hätte oder verbleibenden Gebiet der Republik gefunden werden Konflikt hervorzurufen, der die raiche Vernichtung verlassen müssen, wird eine Lebensmöglichkeit in dem einem Angriff zu treiben und einen bewaffneten noffen, die das an Deutschland abgetretene Gebiet bemüht zu sein, ein Kompromiß zu finden. müssen. Andere werden fremde, europäische und Wenn zur ersten Hypothese gegriffen worden außereuropäische Länder als neue Heimat erwählen. wäre, wer könnte behaupten, daß die territoriale Für beide Gruppen iſt es aber in gleicher Weise Integrität der Tschechoslowakei nach einem schred- lebenswichtig, daß sie nicht dem Schidial der Staa lichen Koalitionsfriege, wenn auch nach einem siegtenlosigkeit verfallen, daß sie nicht zum Spiel. reichen, erhalten geblieben wäre? ball hartherziger Grenz- und Polizeibehörden werden, fonfret gesprochen: daß sie die tschechoslowa Die Krise verschärft sich ische Staatsbürgerschaft behalten oder Als wir London verließen, hatten wir das Ge- toiedererhalten. Der moralische Anspruch unse fühl, daß unser Plan in Vrag erbitterte Protesterer, aus der fudetendeutschen Heimat vertriebenen
Anfang September nach der Schlußrede Sitlers beim Nürnberger Parteitag und nach der Anfündigung Henleins, daß er die Verhandlungen mit der Prager Regierung abbreche, erschien die Lage zum ersten Male unwiderruflich bedroht. Die deut schen Forderungen nahmen gewaltsamen Charaks ter an. In der Nacht vom 13. zum 14. September berlain ein. Ich teilte ihm mit, wie nüßlich es trat ich in Verhandlungen mit Herrn Neville Cham wäre, Demarchen und Noten durch direkte Untermännern zu ersetzen. Der englische Premier war redungen zwischen den verantwortlichen Staatsder gleichen Anschauung und reiste nach Berchtes gaden. Das, was nach den Berchtesgadener Unter. redungen folgte, fennen Sie. In einem offiziellen Buch werden alle dokumente zusammengefaßt, alle Demarchen verzeichnet und alle Verhandlungen ge schildert werden.
mehr verschärft. Die tschechoslowakische Regierung berlain die Tragweite der deutschen Forderungen hervorrufen und daß er in Berlin Zustimmung fin- Genossen, weiterhin die tschechoslowakische Staatsfündigte bereits das Nationalitätenstatut an und würdigen und abgrenzen. Bereits Sonntag, den 18. Henlein formulierte in acht Punkten die Forderun- September, berichtete er uns über feine Einbrüde, den werde. Die tschechoslowakische Regierung hat bürgerschaft zu behalten, bedarf wohl keiner näheren und über seine Erkenntnisse. Wir versammelten in ihrer her o ifchen Ergebenheit für Begründung. Ist es doch gerade die Anhänglichkeit, die Sache des Friedens den Plan ange Treue und Kampfbereitschaft für die Republik , die fie uns in London , wir erwogen, und wir beugten uns in Gefahr gebracht und zum Verlassen ihrer Hei über die Landfarten. Die britische Regierung teilte ( Fortschung auf Seite 2) mat gezwungen haben. Ein Zeuge, der wohl nicht ale zugunsten der deutschen Sozialdemokraten vor eingenommen gelten darf, Jiří Stříbrný , schreibt in seinem„ Nedělni list" vom 2. Oftober: Ich will nicht verschweigen, daß sowohl die deut iden Sozialdemokraten, als auch die Kom munisten sich in den schwersten Stun dengutverhalten haben, vielleicht ist selbst dies ein Ausdruck, der den Tatsachen nicht voll gerecht wird." Allerdings fügt er hinzu:„ Aber und der Organisation der Verwaltung, den Herrn das Semd ist näher als der Rock. In erster Linie Eisenbahnminister General Kaidos mit der Lei- muß es um die tschechische Bevölkerung, um unser tung des Ministeriums für Post und Telegraphen, Blut, gehen." den Herrn Minister für Sozinle Fürsorge Dr. Benfl mit der Leitung des Ministeriums für
tion gezwungen zu werden und von dem Willen, niemals dem gegebenen Worte untreu au werden, wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllen sollte.
Ende April schilderten der Außenminister Bonnet und ich der britischen Regierung in London unsere Sorgen, scwie, auf welche Weise wir beabs sichtigen, eine Beruhigung in Mitteleuropa zu er reichen. Es war uns eine Beruhigung, als wir feststellen konnten, daß die britische Regierung diesen Problemen gegenüber nicht gleichgültig ist. Gemeinsam seßten wir die Grundlagen der Zusam menarbeit fest. Es handelte sich uns nicht darum, mit Taten zu warten, bis wir vor eine vollendete Tatsache gestellt würden und bis es notwendig sein würde, sie durch unser Blut entweder zu unterdrüden oder sie in Schande schmerzlich zu ertragen. Es handelte sich darum, den Ereignissen zuborzufommen und zu versuchen, sie zu verhindern. Soj geschah es, daß wir im Augenblick der Krise am 21. Mai gemeinsam handeln konnten, von der ich hervorheben will, daß sie dank der wirksamen zu sammenarbeit und des guten Friedenswillens aller beteiligten Staaten überwunden wurde.
Die neue Regierung ernannt
General Syrový wieder Premier Prag . 4. Oftober. Der Präsident der Republik hat folgendes Handschreiben erlassen: Prag , den 4. Oftober 1938.
Herr Vorsitzender der Regierung, ich nehme die Demission der Regierung an und enthebe Sie sowie die übrigen Mitglieder der Regierung vom Amte.
Es ist also wichtig, von allem Anfang an dar
öffentliches Gesundheitswesen und Körpererzie. auf zu dringen, daß der moralische Anspruch der hung und den Herrn Minister Dr. Bukovský mit deutschen Demokraten und Sozialisten, der Tichechen der provisorischen Leitung des Ministeriums für und Juden der an Deutschland fallenden Gebiete, die
Dr. Bencé, m. p. Armec- Gen. Syrový, m. v. Schulwesen und Volkskultur.
Arm. Gen. Syrový m. p.
tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zu behalten, auch zu einem Rechtsanspruch werde und die betroffenen Bevölkerungsfreise darüber zu belehren, daß sie dieses ihr Recht fristgerecht und derart aus. üben, daß es ihnen durch fleinliche Auslegungsfünfte und bürokratische Schifanen nicht verweigert werden
ich ernenne Sie zum Vorsitzenden der Zu der Ernennung der neuen Regierung Regierung und betraue Sie gleichzeitig mit wird noch amtlich gemeldet, daß außer den beiden fann.
der Leitung des Ministeriums für Natioilowakischen Ressortministern in den nächsten Das Münchener Abkommen enthält im Punkt 7 nal verteidigung. Tagen noch ein weiterer Minister für die flowafischen Angelegenheiten ernannt werden wird.
folgende Bestimmung:
A
„ Es wird ein Optionsrecht für den Hebertritt in die abgetretenen Gebiete und für den Austritt aus diesen vorgesehen. Die Option muß innerhalb yon fem& Monaten vom Zeitpunkt des ausgeübt werden. Ein deutsch - tschechoslowakischer Ausschuß wird die Einzelheiten der Option beftimmen, Verfahren zur Erleichterung des Austau fches der Bevölkerung erwägen und grundsätzliche Fragen flären, die sich aus diesem Austausch er. geben."
Weiter ernenne ich die Herren: a. v. Gefandten und bevollmächtigten Minister Dr. František Chvalkovský zum Minister für auswärtige Angelegenheiten, den Landespräsidenten Jan Die Zeit oon Ende Mai bis Beginn Septem- ern zum Minister des Innern, den SetParis, 4. Oktober. Die Kammer sprach ber war eine Periode eines gewissen internationa- tionschef Dr. Josef Kalfus zum Finanzmini- der Regierung mit 535 gegen 75 Stimmen das len Waffenstillstandes, doch bereitete ein leidenschaft- ster, den ersten Präsidenten des Obersten Ge- Vertrauen aus. Drei Deputierte enthielten sich licher Gärungsprozeß in den Sudetengebieten neue richtshofes Dr. Vlad. Fain or zum Justizmini- der Stimme. Für die Regierung stimmten dem Ereignisse vor. Geleitet von freundschaftlichen Gester, den Universitätsprofeffor Dr. Imrich Karnach alle Abgeordneten mit Ausnahme der Komfühlen, rieten wir darum der tschechoslowakischen vas zum Industrie, Handels- und Gewerbe- munisten( 72 Abgeordnete) und drei weitere Regierung, den Sudetendeutschen bedeutsame, ge- minister, den Brigadegeneral Vladimir Kaj do Abgeordnete, unter ihnen de Rérillis. rechte und schnelle Zugeständnisse im Rahmen des zum Eisenbahnminister, den Divisionsgeneral Staates zu machen. Die Tätigkeit der englischen Karel Hufà ref zum Minister für öffentliche Vandervelde verläßt die Partel Regierung entwidelte sich gleichlaufend mit unserer Arbeiten, den Vorsitzenden der Tschfl. GetreideTätigkeit. aefellschaft Dr. Lad. Feierabend zum Mini- Paris , 4. Ottober. Die französischen Blät Die Mission Lord Runcimans in fter für Landwirtschaft, den Primator Dr. Peter ter bringen eine Nachricht aus Prüffel, derzufolge nationalen Kommission, die die MoPrag erwvedte die große Hoffnung, daß sie den diret- 3enkl zum Minifter für foziale Fürsorge, und der bekannte Sozialistenführer Vandervelde seistalitäten der Räumung festlegen, die Gebiete, wo ten Stontalt zwischen den tschechoslowafischen Staats- die Herren: Vorsitzenden des Wehrausschusses der nen Entschluß bekanntgegeben hat, aus der Par- abgestimmt werden soll, beſtimmen und die Grenzen männern und den Führern der Sudetendeutschen Organisationen für Körpererziehung Dr. Stani- tei auszutreten, und zwar zum Zeichen des Pro- endgültig festießen soll, streng zu unterscheiden. Der verwirklicht habe. Es muß jedoch festgestellt wer- flav Bukovský, den ehemaligen Gesandten testes gegen den neutralen Standpunft, den die mit der Regelung der Staatsbürgerschaft betraute den, daß niemals eine lebereinstimmung zwischen Sng. Hugo Vavrečka und Dr. Ivan Bár belgische Regierung sowie die belgische sozial- Ausschuß wird nur aus Vertretern der tschecho demokratische Partei, deren Mitglied der Vor- ilowakischen und der reich deutschen den Vorschlägen der tschechoslowakischen Regierung, fányi zu Ministern. die immer weitergehend wurden und den Forderun Gleichzeitig betraue ich den Herrn Justiz ſizende der Regierung und Außenminister Spaaf Regierung bestehen. Ich glaube, nicht daran zweigen der Sudetendeutschen erzielt wurde, die je minister Dr. Fajnor mit der Leitung des Mini- ist, in der tschechoslowakischen Frage eingenom- feln zu sollen, daß der deutsch - tschechoslowafische Auslänger, desto größer wurden. fteriums für die Bereinheitlichung der Gefehe men haben, schuß an die Bestimmung des Münchener Baftes ine
Der deutsch tschechoslowakische Ausschuß, der die Einzelheiten der Option bestim men soll, ist von der bereits fonſtituierten inter