Sozialdemokrat
Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik
Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh Einzelpreis 75 Heller Redaktion u. Berwaltung: Prag XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Redakteur: Rarl Rern, Prag
18. Jahrgang
B
Donnerstag, 13. Oktober 1938
Aus dem Inhalt:
Regierungsmaßnahmen
für Wohnungsfürsorge Keine Neuaufnahmen in den Staatsdienst Die Gewerkschaften beim Ministerpräsidenten Der Kampf
Der Aufstand in Palästina Der Autonomismus im Elsaß
Nr. 241
Der erste offizielle Besuch seit 20 Jahren
Pra g, 12. Oktober. Der Minister für auswärtige Angelegenheiten der tschechoslowakischen Republik Dr. František Chvalkovský trifft Don nerstag, den 13. Oktober, in Berlin ein und wird sich vormittags in das Auswärtige Amt begeben, wo er den Reichsminister des Auswärtigen von Ribbentrop aufsuchen wird.
Dies ist seit dem Beginn der Existenz der Tschechoslowakischen Republick der erste offizielle Besuch eines tschechoslowakischen Außenministers in Berlin .
London , 12. Oktober. Die englische Regierung ist an die Regierung der Dominien herangetreten, ob für die tschechoslowakischen Flücht linge etwas unternommen werden könnte. Alle Regierungen haben zugestimmt, dieses Problem mit verschiedenen Fachleuten zu beraten und genau zu erwägen. Man glaubt, daß die Antworten von Neuſeeland und Australien besonders günstig waren. Es werde aber noch eine geraume Zeit dauern, bis eine Entscheidung erwartet werden kann.
Jouhaux und Hicks
In der„ Přítomnost" veröffentlicht die Schriftstellerin Wilena Jesenská, die durch ihre interessanten Schilderungen des wirtschaftlichen und politischen Lebens in den sudetendeutschen Gebieten seinerzeit auf sich aufmerksam gemacht bat, einen sehr bemerkenswerten Aufsatz über die sudetendeutschen demokratischen Flüchtlinge. Sie schreibt u. a.:
Aus den Sudetenländern, die von deutschem Paris , 12. Oktober. Der Gene Militär bejeßzt jind, kommen deutsche Demokraten. ralsekretär des Allgemeinen Arbeits- Ich werde nicht des langen und breiten erzählen, verbandes Jouhaug flog heute nach was jie durchleben, was sie in ihrer Heimat er Prag , um der tschechoslowakischen Gelebt haben und was sie erwartet, wenn sie zurüd,, News werkschaftsbewegung die Sympathie fehren müssen. Viele von ihnen wurden ins Die Auswanderungsfrage arenicle" berichtet, daß 500 Grem- und wahrhafte Solidarität des franzö- Dritte Reich genau so verſchleppt wie tschechiſche Bücher„ Die Tſchechoslowakei von inGrenzler, Gendarmen und Finanzwachleute. nen" von„ Diplomaticus" und" Die Tschechen und fischen Volkes zum Ausdruck zu brin Diejenigen, welche erst jest weglaufen wollten, ihre Minderheiten" von Bertram de Colonna, die gen, wie dies das erweiterte Präsi tönnen es nicht mehr. Diejenigen, welche früher an Mitglieder der Britischen Legion kostenlos ver dium des Verbandes beschloffen hat. weggelaufen sind, sind hier ohne Heimat, ohne teilt wurden, diesen wieder abgenommen worden Gleichzeitig flog auch der Vertreter der Essen, ohne Geld, ohne Arbeit und ohne Aussicht jind. Die Bücher waren direkt von dem Verleger Trade- Unions Abg. George Hicks nach darauf. Es sind Frauen darunter, welche keine Butterworth den Mitgliedern der Legion zugeschickt Prag . Beide Repräsentanten der fran- Ahnung haben, wo ihre Männer sind und die worden. Vorher hatte Butterworth bei dem Präji- zösischen und der britischen Gewerk. nicht wissen, wie und ob sie sie wiedersehen wer denten der Britischen Legion, Sir Frederic Man- fchaftsbewegung werden sich über die den. Ja, es sind auch vereinsamte Kinder da. In rice, schriftlich angefragt, ob er dieser Sendung zu Verhältnisse in der Tschechoslowakei ganz Prag iſt kaum ein Haus, wo sich nicht stimme. Wie Butterworth dem News Chronicle" einige Flüchtlinge ducken. Das sind die Glückund über die Lage der Flüchtlinge in erklärte, habe er von Sir Frederic Maurice eine zulichen, welche einen Bekannten hier haben. Taustimmende Antwort erhalten und die Bücher wurden den besetzten und in den Grenzgebie- jende von Leuten aber sind ins Ungewisse gegandann kostenlos der Britischen Legion zur Verfügung ten informieren. gestellt. Es sei nicht wahr, daß es deuische Bücher seien. ,, News Chronicle" berichtet aber, daß die mei sten britischen Legionäre, nachdem sie einen furzen legationen, und zwar jede Gruppe für sich, die Einblick in die Bücher genommen hatten, ſie fofort vorgelegten Fragen studieren. Donnerstag, den ale antitschechische Veröffentlichungen erfannt und 13. Oftober, um 9 Uhr früh werden die Delega beiseite gelegt hatten. Die Bücher sind dann der tionen die Beratungen fortsetzen. Legion wieder abgenommen worden.
Daily Telegraph " drudt eine Unterredung mit dem sozialdemokratischen Abgeordneten Jakich ab. Dieser sagt, daß die englische Regierung für die judetendeutschen Fragen jetzt ein gewisses Verständnis zeigt. Obzwar er bisher ein konkretes Versprechen der englischen Regierung betreffend die Gewährung von Kolonisationsland in den bri tischen Kolonien und Dominien nicht hat, hofft er, daß die englische Regierung etwas unternehmen
wird, um den fudetendeutschen Emigranten ein
Ajhl zu gewähren.
Britische Legion fahrtbereit London , 12. Oktober. ( Havas.) Das erste Kontingent der Freiwilligen der Britischen Legion für die Tschechoslowakei ist nach Tilbury abgereiſt. Die Freiwilligen gehen an Bord zweier Dampfer, die aber erst die Anker lichten werden, bis sie neue Weisungen erhalten.
gen. Ich will nicht ihre Not, ihre Angst und ihr Leiden beschreiben. In den letzten fünf Jahren haben wir mehr als oft gesehen, wie Deutsche leben, die vor der deutschen Voltsgemeinschaft flüchten. Die Flüchtlinge bei uns leben genau so.
Ich bin ein tschechischer Zeuge dafür, daß biese Leute fünf Jahre lang im Norden, jeder einzelne und alle zusammen mit unglaublicher Eine Intervention Jugoslawiens Tapferfeit an der Seite der Tschechoslowakischen Die Verhandlungen mit Ungarn London , 12. Oktober. Die englischen Republik gestanden haben. Sie kämpfen schot Bratislava , 12. Oktober. ( Amtlicher Blätter berichten aus Berlin , daß die jugoffa- fünf Jahre. Die Tschechoslowafische Republik und Bericht.) Die tschechoslowakische und die unga wifche Regierung in Berlin und Nom vorstellig niemand von uns kann und darf daran verrische Delegation hielten Mittwoch, den 12. Of wurde und beide Regierungen ersucht habe, offi- gessen. Aber von inniger Dankbarkeit und tober, um 12 Uhr eine gemeinsame Sinung ab, siell in Budapest und Warschau zu intervenie- ichmerzlicher Achtung können diese Leute nicht die Nachmittag um halb 15 Uhr endete. In dieren, damit die Forderungen einer gemeinsamen leben. Wenn wir Krieg gehabt hätten, hätten wir fer Sitzung legte die tschechoslowakische Delega polnisch ungarischen Grenze fallen gelassen wer- heute wahrscheinlich einige Hunderttausende Tote. tion einen Gegenvorschlag bezüglich eines Teiles ben. On Berlin full bicier dritt inte in dieſem Frieden haben wir einige Hunderttauder ungarischen territorialen Forderungen vor. Aufnahme gefunden haben, während die Haltung Nachmittag werden die Fachleute der beiden De Noms reserviert gewesen sei.
Englands schwierige Lage in Palästina
Forderungen des panislamitischen Kongresses Kairo , 12. Oktober. Der vanislamitische vergleichen Palästina mit dem Sudetengebiet. Kongres nahm am Dienstag eine Reihe von Die Tschechen und die Deutschen lebten jedoch Entschließungen an, in denen folgende Forderun- durch Jahrhunderte beisammen, hatten die gen gestellt werden: gleiche Religion und es zeigten sich bei ihnen
1. England soll sofort auf die Balfour
Erklärungen verzichten. 2. Die Einwanderung von Juden nach Pa3. Balästina soll unbedingt ungeteiltes arabisches Land bleiben.
4. Wit sofortiger Wirkung soll eine arabische Regierung in Palästina gebildet and sollen Barlamentswahlen ausgeschrieben werden; mit England soll ein Vertrag nach dem Vorbild des Bertrags mit dem Irat abgeschlossen werden.
5. Verfündung einer politischen Amnestic. Weiter wird festgestellt, daß die Erfüllung der obigen Forderungen die Voraussetzung für die Freundschaft zwischen England und den isla mitischen Staaten sei, eine Nichterfüllung hin= gegen ein Aft der Feindschaft, der mit entspre=
chenden wirtschaftlichen und politif otabi
maßnahmen beantwortet würde. Bei allen arabi
nicht solche Unterschiede der Sitten und Gebräuche, wie sie die jüdischen Einwanderer und die bodenständigen Araber im Heiligen Lande voneinander trennen. Troßdem erachtete Lord Runciman die Selbstbestimmung der Sudeten deutschen für unausweichlich, was ihre politische Abtrennung bedeutete. Die Times" verweisen weiter auf ein in dem Blatte abgedrucktes Schreiben, in dem Sir Arnold Wiljon eine eng lisch - französische Zusammenarbeit zur Lösung der Palästinafrage beantragt und in diese Rege lung auch Syrien als Ganzes einbezieht. Eine aus dem Syrischen Staat, dem Libanongebiet,
jend Gefallene, aber diese Gefallenen leben. Der lebende Mensch will essen und leben. Und wir, in deren vorderen Linien diese Leute gefallen sind, fönnen ihnen das wohl dauernd nicht geben. In den Schrecken des Krieges ist noch etwas wie ein dem jüdischen und dem arabischen Palästina und schwacher Abglanz der Gerechtigkeit. Wir waren Transjordanien zusammengeseßte Förderation in Waffen und alle auf unserem Posten und wir würde den syrischen Arabern die Einheit gewäh- wären gefallen, wie die Stugel geflogen wäre. ren, die sie bisher vermissen. Es gebe feinen In den Schrecken des Friedens aber ist eine Grund für die Annahme, daß die freundschaftliche grausame und ausgesprochene Ungerechtigkeit: e 3 Zuſammenarbeit zwischen der britischen und der fielen alle, welche für uns waren.. französischen Regierung nicht auf den Nahen Osten ausgedehnt werden sollte und daß sie nicht Früchte in einem Abkommen tragen sollte.
Die Revolution in Palästina
Die geflüchteten deutschen Demokraten sind nicht nur ein menschliches Problem und die Sache irgendeiner Humanität. Das ist vor allem ein Tompliziertes innerpolitisches Problem. Wird es nicht gleich und planmäßig gelöst, tann aus dies Jerusalem , 12. Oktober. ( Reuter.) Als sem Problem eine Schwierigkeit erwachsen. Unser eine Abteilung britischer Sappeure das Haus Volt ist zwar geduldig, liebenswürdig und gut. eines arabischen Terroristen in Nablus verließ mit einem tiefen Sinn für Recht und Unrecht, und sich bereit machte, dieses in die Luft zu aber dieses Volt ist gleichzeitig tief getroffen, gesprengen, wurden sie mit Schüssen und Bom- reizt und verlegt. Vom Schmerz und der Ueberbenwürfen aus den benachbarten Häusern müdung, von der großen Belastung und Entempfangen. In einem über eine Stunde dauernden Gefecht wurden vier arabische Aufständische getötet. Die Engländer erlitten feine Verluste und sprengten das Haus nach der Säuberung der Umgebung in die Luft.
täuschung ist zum Gefühl der Nachsucht nur ein Kleiner, gefährlich fleiner Schritt. Von jeher war die Nache der Ausdruck der gemarterten Rechtlosigkeit und niemals hat sie sich dort ausgetobt, wo sie sollte, sondern dort, wo sie konnte. Die Rache ist ein Aft der Schwachen gegenüber den noch Schwächeren. Werden wir gezwungen sein, unser Volf so zu belasten, daß es überlastet wird, werden wir flar wissen, gegen wen sich wahrscheinlich sein Aerger fehren fann. Lassen wir es zu- oder aber lassen es die westlichen GroßParis, 12. Oktober. De Nérillis verweist| muß man sie sich doch zu Bewußtsein bringen mächte zu, daß aus Menschen, welche zur schen Fürsten und Regierungen wird ersucht wer in dem Blatte„ L' Epoque" auf den Ernst der und ihr vom Anfang an begegnen. Arbeit gehen müssen, Menschen werden, welche den, die Forderungen gemeinsam zu befürworten. Die Beschlüsse werden gleichzeitig England, autonomistischen Bewegung in Elsaß- Lothringen . Daily Expreß “ meldet aus Straßburg , daß anfangen, Unschuldige über Bord zu werfen- Frankreich und dem Völkerbund mitgeteilt. Die Der autonomistische Abgeordnete Roffe erklärte die franzöſiſche Polizei im deutschen nationalisti- oder über die Grenze-( und in diesem Fall Rongreßarbeiten werden durch einen ständigen in der antonomistischen Presse:„ Wir fordern, vorgenommen hat. Bei dieser Gelegenheit fei fämpfer) wird unser Volf einen schweren moras schen Hauptquartier des Elsaß eine Haussuchung nicht nur Unschuldige, sondern unsere Mitarabischen Ausschuß weitergeführt, dem die Parlamentsvorsitzenden von Syrien , Libanon und daß uns Frankreich die Freiheit gibt, die es schon eine große Zahl von Flugblättern befchlagnahmt lischen Schlag bekommen, von dem es sich nicht dem Irak angehören. lange versprach, die wir durch zwanzig. Jahre worden, die Autonomic für Elsaß und Lothrin- so leicht erholen wird." beim Völkerbund suchten und die in diesem Teile der deutschen Sache im Elsaß auch insofern ge- Sammlungen zu sprechen, die in Frankreich und gen verlangen. Die fürzliche Kriegsfrise habe Die Verfasserin kommt sodann auf die Europas natürlich ist". Weiters wird darauf nüht, als fünf bedeutende elfaf- lothringische England für die Flüchtlinge aus dem Sudeten = aufmerksam gemacht, daß sich in Elfaß- Lothrin- friegsindustrielle Unternehmungen nach dem In- gebiet veranstaltet werden und sagt dazu: nern Frankreichs verlegt wurden, was die Be- Sammeln ist wenig. Wie sehr wir auch die schäftigung im Elsaß ungünstig beeinfluffe. Ein private Initiative von Menschen zu schäßen Proteſt gegen diefe Verlegung foll dem Minister Chautemps vorgelegt werden.
,, Times" für Preisgabe?
gen Flugblätter mehren, welche die Autonomic
London , 12. Oktober. Die heutigen Times" heben die Schwierigkeiten, respektive die Unmöglichkeit hervor, aus so gegensäßlichen Elementen, wie es die Juden und die Araber sind, fordern. Das Blatt ſchreibt: Obwohl es nicht not: eine, palästinensische Nation" zu bilden und wendig ist, die Angelegenheit zu dramatisieren,
wissen, welche an unserem Schicksal nicht beteiligt
waren, z. B. den schwedischen Aufruf an alle