(Seife i „Sozialdemokrat", Donnerstag, 20. Oktober 1938. Nr. 247 AssentbüroS für Sndetendeutfche. Wie Ha« das aus Berlin berichtet, wurden in den Sude» tengebieten Assenlvüro» für die dortigen Deut schen errichtet, die in das ReichKhcer eintreten wollen. Die Bewilligung hiezu erhalten: 1. Sudetendeutsche, die noch im Jahre 1938 als Unteroffiziere oder Soldaten in der tschechoslowakischen Armee dienten; 2. solche, die noch keinen Militärdienst geleistet und in den Jahren 1914 bis 1929 geboren sind. Der Wiener Rundfunk brachte in seiner Relation am Montag abends die Meldung, daß die Gemeinden P o d o v i n und R a! v i c e in Südmähren um ihre Angliederung an das Deutsche Reich ersucht hätten. Die beiden Gemeinden verwahren sich auf daS entschiedenste gegen diese erfundene Nachricht, da sie rein tschechisch sind und an eine Angliederung an Deutsch land überhauvt nicht denfen. Tag die erwähnten beiden Gemeinden an Deutschland angeschlossen werden, ist der Wunsch benachbarter deutscher Gemeinden, die durch ihre Lostrennung von der Tschechoslowakei sowohl in verkehrstechnischer wie in wirtschaftlicher Beziehung geschädigt wurden. Die Gemeinden Podivln und Rakviee wollen nicht an Deutschland angegliedert sein. Zu den Meldungen über Ausweisung von Tschechoslowaken aus Oesterreich wird ans Wien berichtet, daß lein Repräsentant und lein Mitglied der Wiener tschechischen Kolonie auSge- wiesen wurde. ES werden im Rahmen früherer Beschlüsse nur Juden deutscher oder ungarischer Nationalität auSgewiesen. Unter diesen befindet sich allerdings eine Anzahl tschechoslowakischer Staatsangehöriger. An der deutsch -holländischen Grenze kam man auf einen Schmuggeltransport von Devisen und Wertgegenständen, deren Wert eine Million Mark übersteigt. Im Zusammenhang mit dieser Entdeckung wurden ein Mann und eine Frau verhaftet, ferner deren Helfer in Holland ; wegen Mithilfe wurden ungefähr zwölf deutsche Juden angehalten. Der viertgrösite Diamant der Welt, der die Bezeichnung„Präsident BargaS" trägt und'in Minas GeraeS(Brasilien ) gefunden wurde» ist für den Betrag von 80.990 Pfund an eine holländische Firma verkauft worden. Er wurde nach Amsterdam gesandt, um dort geschliffen zu werden. Er wird wahrscheinlich nach England verkauft werden. Der jüngere Aeltere und der Mann ohne Geburtstag. Obwohl schon 14 Tage vorbei find, ist der Streit um die Erstgeburt in einem Falle von Zwillingen. die in der Nacht vom 2. zum 8. Oktober zur Welt gekommen sind, noch nicht entschieden und es ist vollkommen unklar, wie nach den äußerst frengen und unabänderlichen Eintragungbvorschristen juri- ftisch nachgewiesen werden soll, daß dar Kind, dar zuerst geboren wurde, auch wirklich da» Aeltere ist. Die Sache ist nämlich die, daß in dieser Nacht um 2 Uhr die Sooimerzeit zu Ende ging; zu dieser Stunde wurde er plötzlich ein Uhr nachtr. Ter erste Zwilling wurde nach Sommerzeit um 1 Uhr 45 Min. geboren; der zweite Zwilling kam eine halbe Swnde später zur Welt und die englisch exakten Uhren in der Klinik zeigten natürlich bereit» 1 Uhr. 15 Min. Ta» jüngere Kind wird darum, da die Eintragung unter kleinen Umständen gefälscht werden könnte und die genaue Uhrenzeit angeben muß, Zeit seine» Leben» da» ältere bleiben. Die Zeitungen, die diesen kuriosen Fall aufgegrifsen haben, haben natürlich sofort auch noch einen anderen Fall entdeckt, in dem e» sich darum handelt, daß ein Mann einfach amtlich keinen Geburtstag hat. Dieser Mann heißt Charle» Short und lebt in Normanton in gorkshire. So unwahrscheinlich e» klingt: er ist am 81. September 1889 geboren. E» gab zwar weder damals, noch gibt j 40 Vis mm Siniftut Roman von Noelle Roger Aus dem Franz«»l»chen übersetzt von Inna Rippe! Jean erhob sich und bemerkte am Eingang die andern Kinder, die sich neugierig in den Raum drängten. „Ihr da, ihr werdet hinauf auf die Moräne gehen und mir Eis hernnterbringen. Bringt soviel ihr nur könnt und macht fix! Er setzte sich in einen Winkel und wandte nicht den Blick von dem kleinest, allen Schrecken deö Schmerzen ausgelieferten Körper, der sich wand, sich verkranipfte und mit Füßen und Fäusten wild um sich schlug. Was Lavorel im Geiste sah, tvar ein tveißeS, grell beleuchtetes Zimmer; blinkende Instrumente auf einer Glasplatte; sich selbst sah er, über diese Kindergestalt geneigt, mit gespannten) Geist und geschickten Händen in ruhiger Sicherheit an dem Körper arbeiten: Eine Viertelstunde, zwanzig Minuten,.. und daS Kind war gerettet. . Durch das Geschrei dcS Kindes herbeigelockt, trat Max ein und zog Lavorel mit sich hinaus ins Freie. „Komm doch, du muht etwas essen» sie er- tvarten dich dort. Madame Andelot eilte ihnen entgegen: „Die arme Marie, flüsterte sie, waS ist's Mit ihrem Buben?" Sie, die niemals Mutter gewesen war, fühlte die alte Wunde sich wieder öffnen. Und daß Marie sich um ihr Kind sorgen durfte, schien ihr noch eine Bevorzugung. Jean antwortete nicht. Sie bemerkte seine Blässe. Da bekam auch sie 'Angst. Deutsche Diplomaten helfen Spionen New Pork.(Reuter.) In der montägigen Verhandlung in dem gegenwärtig hier geführten deutschen Spionageprozesse sagte der Angeklagte Rumrich über seine Beziehungen zu dem Agenten Schmidt und einen gelviffen, etwas mysteriösen Mister Wiegend aus, der ihm Geld gegeben habe und eine Photographie zeigte, auf der sich außer Wiegend auch der ehemalige deutsche Gesandte Dieckhof und Kapitän Wiederman, der damals die Bereinigten Staaten bereiste, befanden. Rumrich sagte weiters aus, daß er seine Verwunderung darüber geäußert habe, daß Diplomaten in so guten Beziehungen zu Agenten des Spionagedienstes stehen. Wiegend habe ihm darauf geantwortet, daß die Diplomaten heute anders als einst feien. Wiegend habe ihm dann aufgetragen, daß er sich mehr um Jndustriefragen bekümmere und e» beute, einen 81. September, aber die Eintragung ist fälschlicherweise so gemacht worden, und alle Eingaben, diese unmögliche Angabe abzuändern, sind bei sämtlichen Behörden fruchtlos geblieben, da e» keine Aenderungen der Matrikel in England gibt. Die Juden in Amerika . Die jüdische Bevölkerung der Bereinigten Staaten beträgt heute 4 Mill. 550.000 Seelen und stellt damit 8.5 Prozent der Ge» samtbevölkerung der USA dar. Die Einwanderung dieser Massen ist fast ausschließlich in den letzten 50 Jahrenerfolgt; 1880 gab es in den USA insgesamt nur 8000 Juden. New Dort kann als größte jüdische Stadt der Welt gelten; hier wohnen 1 Mill. 765.000 Juden: die jüdische Bevölkerung stellt etwa 25 Prozent der Gesamtbevölkerung New York » dar. Tie nächstgrößte jüdische Bevölkerung beherbergt Chicago mit 800.000, dann Philadelphia mit 245.000. In den meisten anderen Großstädten leben über 50.000 Juden, so vor allem in Baltimore . Bo ston , Cleveland . Detroit und Lo» Angele». E» ist interessant, daß die Juden im Gegensatz zu der allgemein verbreiteten Borstellung in Wall Street keineswegs die Nolle spielen, die ihnen nachgesagt wird; nur 18 Prozent der Bank- und Börsenfirnien sind in jüdischen Händen. Die beiden Berufe, die die Juden in New Mark monopolisieren, sind der Rauchwarenhandel mit 95 Prozent und da» Schneidergewerbe mit 90 Prozent. Im Möbelhandel sind die Juden in New Nock mit 40 Prozent beteiligt. Sowohl bei Aerzten, wie bei Anwälten stellen sie ein Drittel. Dagegen ist ihr Anteil an den hohe» Verwaltung»« stellen relativ gering. Im Obersten Gerichtshof sitzt nur ein Jude, Lewi» Brandeis. Im Kongreß sind nur zehn jüdische Abgeordnete. Der Brain-Trnst hat zwei jüdische Mitglieder, den Staat»sekretär für Finanzen Morgenthau und Felix Frankfurter , der Pro- seffor der Harvard-Universität ist. Sehr bedeutend ist der Anteil der Juden an der Filmindustrie; Fox, Zucker und Sani Goldwtm sind jüdische Produzenten, ebenso wie eine Reihe großer Filmstars Juden find. Sehr gering dagegen ist der jüdische Anteil an der Schwerindustrie. 200 Jahre Gasbeleuchtung. Man wird erstaunt sein zu erfahren, daß die Möglichkeit Ga» zu Be- leuchtungSzwecken zu benutzen, vor genau 200 Jahren entdeckt worden ist. Er ist zwar richtig, daß die Gasbeleuchtung erst eine Errungenschaft der zweiten Hälfte de» 19. Jahrhundert» ist, aber schon zwischen 1820 und 1850 sind in England acht GaSfabriken gebaut worden. Die Entdeckung selbst fällt aber in da» Jahr 1788. Sie wurde ganz zufällig gemacht. In der Nähe von Wigan in Laneafhire entströmten einem Kohlenbergwerk Gase. Sie entzündeten sich durch irgendeine Unvorsichtigkeit, e» kam aber nicht zu einem Brand, weil die Spalte zu schmal war. Man legte hier ein Rohr an, und nun brannte da» Ga» als eine helleuchtende Flamme. Die Sache sprach sich herum und Dr. John Clayton kam auf die hauptsächlich um Angelegenheiten, die mit dem amerikanischen Rüstungswesen in Zusammenhang stehen; um Dinge rein militärischen Charakters habe er sich weniger zu sorgen. Rumrich berichtete dann weiters über die Pläne Schmidts, die sich auf die Erlangung von Einzelheiten über die Kü« stenverteidigung der Bereinigten Staaten bezogen und daß er von Ihm aufgefordert wurde, 50 falsche Pässe für deutsche Agenten zwecks Reisen nach Sowjetrußland zu hesorgen. • Berlin . Die DienStag-AuSgabe der„Times" und einiger anderer englischer Blätter wurde in Deutschland beschlagnahmt. Es wird angenommen, daß die Beschlagnahme wegen Artikeln Uber den New Aorker Spionageprozeß erfolgte. Idee, da» Ga» zu destillieren. Er schuf im Laboratorium die erste reine Gasflamme. E» dauerte freilich über ein halbe» Jahrhundert, bi» diese Versuche, diesmal in Frankreich , wiederholt wurden. Anfang de» 19. Jahrhunderts war e» in England so weit, daß die Gasbeleuchtung bereit» in einem Werk eingeführt werden konnte, und zwar auf den Fabriken de» Schöpfers der Dampfmaschine, James Watt . Der Mann, der die Anlage baute, war der englische Ingenieur Murdoch, und er war es auch, der am 16. Juli 1816 durch ein im Parlament angenommene» Gesetz da» Privilegium erhielt, die Gasbeleuchtung für London anzulegen. 1823 hatte sich das Garlicht in England bereit» weitgehend durchgesetzt. Wo reist man am billigsten? Die neue franzö sische Staatseisenbahngesellschaft hat soeben da» erste Heft einer offiziellen Zeitschrift„Notre Metier" herauigebracht. In dieser Nummer findet sich eine Zusammenstellung der Eisenbahnfahrpreise in den westeuropäischen Ländern, au» der e» sich ergibt, daß man in Frankreich tatsächlich weitau» am billigsten reist. In Franc umgerechnet beträgt der Fahrpreis für 800 km: in Frankreich 160 Fr», in Belgien 199,25 Fr», in Italien 227,70 Fr», in der Schweiz 274,55 Fr», in Deutschland 410,20 Fr», in England 430,65 Fr». Unberücksichtigt sind in dieser Zusammenstellung allerdings die sehr hohen Reduktionen, die namentlich in Deutschland und Italien bei den verschiedensten Gelegenheiten gewährt werden und für das AuSlandrpublikum durch die Möglichkeit der Benützung von Reisemark beziehungsweise Reiseliren noch eine weitere beträchtliche Perbilligung erfahren. Kältere Tage. Von den nordwestlichen Teilen deS Atlantischen Ozeans dringt nunmehr gegen da» Festland in Begleitung von leichten Schauern etwas kühlere Luft vor. Die erste Kältetvelle erreichte gestern bereits Böhmen , so daß die Nachmittagstemperaturen gegenüber'Dienstag um 4—6 Grad tiefer lagen.— Wahrscheinliche» Wetter heute: Veränderlich. meistens stärker bewölkt, Schauer, Abkühlung, frischer West» bis Nordwestwind.— Wetter- auSsichien für morgen: Noch unbeständig, mit Schauern, allmähliche» Abflauen de» Westwinde», mäßig kühl. Das Element 93 Der berühmte französische Physiker Jean Perri» hat vor kurzem in dec Akademie der Wissenschaften Mitteilungen über die Entdeckung eines neuen Elements gemacht, das man vorläufig einfach„Element 93" nach feiner Stellung im periodischen System nennt; ein endgültiger Name wird dafür noch gewählt werden. DaS Interessante an diesen Mitteilungen ist nicht die Tatsache, dah dieses Element, das zur Grupps der radioaktiven gehört, überhaupt entdeckt worden ist, sondern die Methode, die zu seiner Entdeckung geführt hat: es hat nämlich für die Wissenschaft schon vor seiner Entdeckung existiert, und zwar nicht nur theorethisch, sondern praktisch. Bevor man e» jetzt auf ziemlich üblfche Weise durch Spektralanalyse fand, ist es künstlich hergestellt worden. Und das allerdings ist ein Faktum, da» in der Geschichte der Naturwissenschaft erstmalig und einzigartig jst. Bei der Bombardierung des Uran und bei neuen Versuchen der Atomzertrüm.aerung radioaktiver Elemente ist eS vor einiger Zeit dem italienischen Physiker Fermi gelungen? einen neuen Stoff herzustellen. Er beschrieb genau seine physikalischen und chemischen Eigenschaften, aber er muhte sich dabei sehr beeilen, denn dieses neue Element, das er künstlich hergestellt hatte, existierte lediglich dreizehn Minuten und ging dann ebenso wie andere radioaktive Elemente in eine Uranverbindung über. Fermi konnte aber trotz der Kürze der Zeit angeben, welche Linien im Spektrum diesem neuen Element entsprechen muhten. Die Spektralanalyse auf der Suche nach diesem unbekannten, obwohl schon einmal im Laboratorium vorhandenen Stoff blieb aber völlig erfolglos. Es ist jetzt ein ultra-empfindlichc» Spektroskop konstruiert worden, durch das man Spektrallinien voneinander unterscheiden kann, wenn diese auch nur ein Zwanzigmillionstel Millimeter voneinander entfernt sind. Mit Hilfe dieses Spektroskops sind die Uranerze jetzt systematisch auf das von Fermi angegebene Element untersucht worden, und eü ist tatsächlich gelungen, vier Linien festzustellen, die genau mit den Fennischen Angaben übereinstimmen. Im wissenschaftlichen Sinne ist daS Element also gefunden, und man weih jetzt, dah eS tatsächlich in permanenter Form existiert. Hager Zeit»»- Die StaatSiahndirektion in Prag keilt mit: Ab Freitag, den 21. Oktober, wird der Verkehr auf der Automobilfrachtenlinie Prag —Stkchoviee—Novh Knin —DobkiS in demselben Umfang wie früher ausge- nommen. Die Linie wird an allen Werktagen mit Ausnahme Montag» in Betrieb sein. Uitteiümgea<i«»Änmia» Volkshochschule.„Herrenwäsche-Zuschneiden"(D. PSeniika) heute 7 Uhr Beginn.— Italienisch für Anfänger: heute halb 7 Uhr. Urania-Kino Premiere„Schwarzfahrt in» Glück'"',„Der kleine Seefahrer". 6,#9. Morgen:„Der Dämon de» Himalaya ". Geheimaufnahmen au» Tibet . Dazn„Martha", Kurzoper mit Marcell Wittrisch!— Montag: Unvergeßlicher Film.„Der ungetreue Ekkehard". DozuaSiedlnaunaon: Bet stultelluna In» Sau» oder bet Bezug durch die Do» monatlich Ki 17.—. dlerlellitbrtg Ki 61.—, balbwbrla Ki 102.—, aamlSbrla Ki 204.—.— Inserate werde» laut Lallt billlglt berechnet. — MUltelluna von Manullrtvlea erfolgt nur bet Sinsen- düng der Relourmarken.— Die ZeUungSIranlawr wurde von der Polt- und Lelegravbendlrellton mlt Erlag Rr. 18.800/VII/1030 bewilligt. lNonlrollpoltamt Prada 25).— I Druckerei„0rblS", Druck-, DierlagS- u. 8eltung»>kl.-E., Prag „Welche Diagnose stellen Sie", fragte Herr! von Miramar. „Es ist eine akute Perityphlitis... eS müßte sofort operiert werden.. Mit einer Gebärde trostloser'hnmacht lieh Lavorel die Arme finken. „Ich halte den Fall für hoffnungslos..." „Entsetzlich, dieses Geschrei... wird daS noch lange dauern?" fragte Dobreman. „Sie brauchen eS ja nicht anzuhören, das ganze Tal steht Ihnen zur Verfügung", antwor- tete barsch der Arzt. Er lieh ihn stehen und kehrte zu dem Patienten zurück. Drei Tage, vier Tage des Kampfes mit dem Tode. DaS Geschrei hörte auf und begann dann wieder. Man wunderte sich, woher dieser Kinderkörper soviel Widerstandskraft schöpfte... Dann war'S nur noch ein Wimmern, das Wimmern eines ganz kleinen Kindes und schließlich wurde eS still. Und die Mutter schöpfte wieder Mut, weil daS Kind lächelnd-sagte:„Jetzt ist's gut." Es schien einzuschlafen. DaS Gesicht war entspannt, die Nase spitz, und plötzlich wurde eS.unheimlich blaß und alt unter dem dichten schwarzen Gelock. Und während der ganzen nächsten Nacht zerriß ein anderer Schrei die Stille; ES war der Schrei eines Weibchens, dem man fein Junges entrissen hat. Geduldig, indem sie einen Stein nach dem anderen aushoben, gelang es dem alten Hans und JorriS, ein Loch am Fuße des Felsens, am Hang über den Hütten zu graben. Rings um dieses Grab scharten sich alle Bewohner des Tales, um daS tote Kind auf ein Rhododendren- lager zu betten. Unter dem dünnen Laub sahen sie daS wächserne Gesichtchen verschwinden. Man legte Kies darüber, häufte dann größere Steine drauf. Die Klage der zusammengebrochenen Mutter schien jedem von ihnen die eigene zu sein. Reglos stumm standen sie da. Keiner hatte den Mut ein Wort zu sprechen. Sogar die Kinder hatte >er Schreck-erfaßt.. Ein eisiger Wind fegte durchs Tal und trieb Wolken vor sich hin wie eine Herde böswilliger Tiere. Der schwere Himmel lastete auf der Felslandschaft, die sich noch trostloser, noch unbarmherziger von der engen Nebelgrenze abhob. Alle fühlten sich wehrlos gegen die ständige Drohung der Krankheit, des körperlichen Schmerzes, die man nicht mehr zu mildern, gegen den Tod, den man nicht mehr zu bannen vermochte. Sie sahen die feindlichen Gewalten des Winters und der Berge sich entfesseln; sie errieten, daß noch andere Kräfte am Werke waren, die an ihrer Vernichtung arbeiteten. Tief in ihrem Fleische empfanden sie das Grauen der Verlassenheit. Ihr von allen Seiten bedrängtes Menschsein schlotterte vor Entsetzen im Angesichte dieses ersten Toten. Und da sie sich einem Fluche verfallen glaubten, beneideten sie beinahe diejenigen, die der Tod mitten aus dem Leben herausgegriffen hatte, und deren Körper hin und herrollten im Schoße dieses neuen Meeres, das sich über die Erde ergossen, hatte. „Latzt uns gehen", sagte Max plötzlich. Er fahte Eva am Arme; sie weinte an seine Schulter gelehnt, und langsam schritten sie talwärts. Frau Andelot neigte sich zur-Mutter hinab und hob sie auf. Ihre Augen waren starr; sie wußte nicht, was um sie herum vorging. Von Frau Andelot gestützt, ließ sie sich wegführen. Die anderen folgten mechanisch. Sie gingen mit hängenden Köpfen, wie von einer unchtbaren Last erdrückt.- *■ Dann mußte aber weitergeschafft werden. An diesem Tage stiegen FrangoiS von Miramar und Georges GrisolleS nach PorieS-NeuveS hinunter, zu den Jungen. Der erste Schnee hatte nicht standgehalten, aber der feindlichr Himmel drohte mit neuen Stürmen. Ein eisiger Wind blies durch das Tai; In der Ferne sahen sie den Baseler Lehrer Kräuter sammeln. „Der kann wenigstens seine Wissenschaft verwerten,"-seufzte der Schriftsteller. Sie stiegen hinab, bis zum Fuße der GraShangeS über dem Wasser und schauten den Männern zu, die mit dem Treibgut rangen. Zahlreiche Stämme stiehen und drängten sich auf der wogenden Fläche. AuS allen Wäldern waren ihre hundertjährigen Bewohner vertrieben worden, sowohl die toten, auf dem Mose ruhenden Bäume, als auch die hohen, vom Blitz gezeichneten Tannen. Und nun, ein Spiel der Wellen, waren sie zu gefügigen Wanderern geworden, die das Tal von Jlliez hinaufzogen, die einzigen, die je hier an diesen schweigenden Ufern vorbeikommen würden. Jede Flut schwemmte neue Bäume tn den dunklen Fjord, der einst die Schlucht von Bonavaux gewesen war. Ihre trockenen Zweige ineinander verflechtend, wurden sie zu schwimmenden Inseln und fingen alles auf, waS da trieb: Bretter, Balken,, den Holzvorrat der geplünderten» den Wellen apSgelieferten Holzmeiler. Mit einer langen Stange in der Hand stand JorriS über das Wasser geneigt da und hielt die vorbeitreibenden Bäume auf, während die anderen sich des Strickes wie eines Ankers bedienten. Dann wurden die Hölzer fest zusammengebunden/ und alle schleppten gemeinsam die Beute ans Ufer. Die Baumstämme häuften sich längs des Hanges und warteten, dah man sie auf einen geeigneteren Boden schaffte, wo sie zurechtgehauen wurden. „Por Dieben braucht man sich nicht zu ftlrchten, rief Fürst Orlinsky. Diebe gibt eS nicht mehr." Und jugendfrisch dröhnte sein Lachen. „Er denkt an seine geplünderten Güter-. wie fröhlich er ist l— meine GrisolleS." Max und Lavorel, die sich den Ankommenden zuwandten, antworteten gleichzeitig: „Nein! Fröhlich sind wir nicht.. Sie waren blaß, Max fügte hinzu: „Der Mann vom Ayernefelsen ist vcr- schwunden." '(Fortsetzung folgt.)j
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18 (20.10.1938) 247
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