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Sozialdemokrat
DienStng, 8. November 1038. Nr. 283
Mähren und Schlesien   und in umgekehrter Rich­tung aufgehoben werden. Zwei Brüder verunglückt. Gestern mittag» fuhren die Brüder FrFanz und Heinrich Bilitz in Novä Bilä bei Mähr.-Ostrau mit einem Motor­rad gegen einen Baum, wobei Franz Bilih getö­tet und Heinrich Bilih schwer verletzt wurde. Hein­rich Bilih wurde in das BctriebSkrankenhau» in Witkowih gebracht. Er hat bisher da- Bewußt­sein noch nicht wiedererlangt. Fernautobusse OstrauBrünn eingestellt. Wegen Wiederaufnahme des regelmäßigen Ver­kehrs auf den Strecken der Staatsbahn wurden die Fernautobuffe zwischen Mährisch-Ostrau   und Brünn   und zwischen Mährisch-Ostrau   und Ba« lässlL MejikiLt eingestellt. Der FernautobuS zwi­schen Mährisch-Ostrau   und Zilino verkehrt in bei­den Richtungen weiter. Belgischer Gewerkschaftsführer gestorben. Montag starb im Alter von 59 Jahren Eduard de Vlaeminck. der Vorsitzende des belgischen Allge« werkschaftlichen ArbeitSvcrbandeS. Der bekannte rumänische Flieger Alexander Papana ist in den rumänischen Karpathen in einen Schneesturm geraten und nur durch einen Zufall vor dem Tod durch Erfrieren gerettet worden. Hauptmann Papana war bis vor kurzem in Nord- amcrika, wo er einen Flug nach Bukarest   unter­nehmen wollte, der aber schon nach der ersten Etappe scheiterte, da daS Flugzeug beim Landen in Los Angeles   in Trümmer ging. Bor einigen Wochen starb auch seine Gattin in Bukarest   bei der Geburt eines Kindes. Beide Ereignisse depri­mierten den Flieger, der vor kurzem nach Rumä­ nien   zurückg-kehrt- war, und eS scheint, daß er den Aufstieg in die Berge unternommen hatte, um den Tod zu finden. In Fliegerkreisrn herrscht Be­friedigung darüber, daß Hauptmann Papana ge­rettet werden konnte. Mit dem Fallschirm in die Kaserne. Sams­tag landete zum ersten Male eine Kompagnie eines JnfanterieüataillonS Fallschirmspringer auS Stendhal   vor der Kaserne der neuen Garnison von Braunschweig  . Sin Mann nach dem ande­ren sprang vom Flugzeug ab und fiel langsam zur Erde nieder. Die Mannschaften traten dann in Reih und<9Iieb vor dem zahlreich ver­sammelten Publikum an, das ihre Fallmschirm« sprünge mit großem Interesse beobachtete. Tokio   von Erdbeben bedroht. Domri meldet, daß das Erdbeben, das die östlichen Gebiet von Japan   heimsuchte, auch Tokio   und Yokohama   be­drohte. Die Telephon« und Eisenbahnverbindun­gen. sowie die elektrischen Leitungen zwischen den beiden Städten sind schwer beschädigt. In Mailand   ereignete sich gestern ein Zu­sammenstoß zweier Wagen der elektrischen Stra­ßenbahn, wobei 29 Personen, darunter einige von ihnen schwer, verletzt wurden. Wirbelsturm am Libanon  . Nach Meldungen aus Beirut   ist bei dem schweren Wirbelsturm über dem Libanongebiet auch der Palast des französi­ schen   OberlommissarS beschädigt worden. Dadurch sollen beträchtliche Schäden verursacht worden sein. Zahlreiche Personen seien verletzt worden. Lichtspieltheaterrinsturz. Einer Meldung auS Liverpool zufolge stürzte in einem dortigen Licht­spieltheater eine Estrade herab, wobei 85 Zu­schauer, in der Mehrzahl Kinder, verletzt wurden. Das Wetter: Ueber Mitteleuropa hat sich von Südwesten her ein Hochdruckkern verlagert und in­folgedessen hat sich der Himmel stellenweise aufgehei- iert. Die Temperaturen stiegen dabei in den Niede   ­
rungen bis über 15 Urag an und auch auf den Ber­gen ist es verhältnismäßig warm Das milde Herbst­wetter wird bei uns anhalten. Ueber dem Ozcan westlich von Schottland   bilden sich zwar bereits Stö­rungen aus, aber ihre Eiwvirkung dürfte vorläusig nur auf Westeuropa   beschränkt bleiben. Wahr-
Bon jeher war ei der Traum der Menschheit, die Elemente, aus denen sich unsere ganze schöne Welt zusammensetzt, umzuwandeln. DaS Bestreben, aus unedlen Metallen Gold zu machen, hat nicht we­nige Köpf« im Verlaufe der Jahrhunderte beschäftigt. Nicht immer waren es Betrüger und Schwindler, die sich der Goldmacherkunst widmeten. ES wurden eine große Zahl mittelalterlicher Goldmacherrezepte einer eingehenden Prüfung unterzogen und dabei herauS- gefunden, daß die gutgläubigen Forscher des Mit­telalter» oft von ihren eigenen Tinkturen irregeführt wurden. Bei den mangelnden chemischen Methoden dieser Forscher konnte der Nachweis«ine- Jrrwml manchmal nur sehr schwer geführt werden.Wundersam sind die Rezepte, die man im Mittelalter zum Gold­machen aufstellte. Seltene Pflanzen müssen da zu ganz bestimmten Stunden in der Nacht, an ganz be­stimmten Orten gepflückt werden. Die schwierigsten Formalitäten mußten dabei beachtet Iverden. Die Verfasser all dieser Rezepte schworen auf die Richtig­keit ihrer Annahmen. Ging die Sache schief, so war der Aulführende und nicht der Rezeptverfertiger am Mißerfolge schuld. Bis zum Ende de» 17. Jahrhun­dert» glaubte man, mit Hilfe der Rezepte der Alchi­mie Blei oder Eisen in Gold verwandeln zu können. Manch geldhungriger Fürst mußte seine Begierde nach Gold mit schweren finanziellen Verlusten, wenn alle Versuche fehlschlugen, bezahlen. So mancher Goldmacher fand«in unrühmliches Ende am Galgen. Die moderne Nawrwiffenschaft ging an da» Problem der Stoffumwandlung mit ganz anderen Mitteln heran al» die mittelalterlichen Alchimisten. Gewiß auch sie hatte manche Fehlschläge zu erleiden. So behaupteten zum Beispiel die beiden deutschen Gelehrten Stamm und Dtiehe im Jahre 1925, Quecksilber in Gold verwandelt zu haben. Jedoch bei der wiederholten Nachprüfung ihrer Versuche zeigte sich, daß ganz winzige Mengen Golde», die im Queck­silber enthalten waren, sie getäuscht hatten. 1919 machte der kürzlich verstorbene berühmte englische  Physiker Rutherford eine epochemachende Entdeckung. Ihm gelang e» damals zum ersten Male, Atome in andere Atome zu verwandelnd Die Welt wurde von einer Welle der Genugtuung ergriffen. Man glaubte, den Stein der Weisen, die Goldmacherkunst, gefunden zu haben. Bald kam allerding» merklich Wasser In den Freudenwein. Bi» zur Erfüllung de» alieu Traume» der Menschheit wird e» noch ein schöne» Stück Wege» bedürfen.
Rutherford verwendete al» Geschosse zur Zer­trümmerung de» Kerner die natürlichen Alphastrah­len, die sich bei der Selbstzersetzung de» Radiums  «r-
fchetnlicheS WetterDienStag: Vor­wiegend bi» wechselnd bewölkt, Frühnebel, an der Nordostgrenze de» Staate» noch Regenschmier. mild, Westwind. Wetteraussichten für Mittwoch: Noch Andauern deS gegenwärtigen Witterungscharakter»; etwa» kühler.
geben. Die Alphateilchen der Alpha-Strahlung sind unvorstellbar klein. Jedoch besitzen sie eine außeror­dentlich hohe Geschwindigkeit, sie sind elektrisch po­sitiv geladen. Man kann sagen, sie verhalten sich zu einem Stecknadelknopf etwa so, wie der Stecknadel­knopf, wa» seine Größe anbelangt, sich zur Sonne verhalten würde. Man kann sich leicht einen Begriff davon machen, wie schwierig e» ist, mit einem solchen Geschoß nach einem»Gegenstand", dem Atomkern zu zielen, der an für sich schon so klein ist, daß wir ihn nicht sehen und auch niemal» werden sehen können, selbst wenn wir un» der feinsten Instrumente be­dienten. Dies war die eine Schwierigkeit, die andere liegt beim Nachweis der Umwandlung eines Ele­mente». Die sogenannte Wilsonsche Nebelkammer, wo die Trümmer eine» zerschlagenen Awmkern» in einer mit Wasserdampf übersättigten Atmosphäre «ine sichtbare Nebelspur hinterlassen, machte e» mög­lich, den Vorgang der Atomzertrümmerung einwand­frei zu beobachten. Mit Hilfe künstlich erzeugter Wurfgeschosse ist man heute in der Lage, die verschie« denstcn Atomzertrümmerungen vorzunehmen. Doch wie ist mm der praktische Ruhen all dieser schönen wissenschaftlichen Erkenntnisse bisher gewe­sen? Auf eine Million au»gesandter Geschosse kommt ein Treffer etwa. Die Kosten eines mit den bisheri­gen Apparaturen geschaffenen Goldes würden sich nach Vorausberechnungen für 1 Gramm auf etwa 1 Milliarde KS belaufen. Eine andere Seite de» Problem» steht deshalb zur Zeit mehr im Vorder­grund de» Interesse». E» ist die eventuelle Gewin­nung der bei einer Awmzertrümmerung freiwerden­den ungeheuren Energien. Diese Energien sterben bisher gewissermaßen kurz nach ihrer Geburt, sie ha­ben, wie man sagt, keine oder nur sehr geringe Ket­tenwirkung. Die Wissenschaft arbeitet unermüdlich an derErweiterung ihrer Erkenntnisse auf dem Gebie­te der modernen Atmophysik. Diese Erkenntnisse kön­nen der Menschheit noch manchen Traum der Stoff­umwandlung vielleicht schon in naher Zukunft ver« wirklichen helfen. Noch wichtiger ist die gelungene Verwendung der bei der Atomzertrümmerung, bei der Atomumwandlung, freiwerdenden Energien, die eine vollkommene Umwandlung unserer Kraftversor- gung bedeuten kann. Jng. Martin.
Stokowskl lind das Publikum
führten, wiederholt angeschnauzt, die Musik abge­brochen usw. Eine» Tage» er war damals Dirigent der Symphonie-Orchester» in Philadelphia  , und es war
da» letzte Konzert der Saison gab er deut Publikum«ine drastische und unvergeßliche Lektion« vermutlich in Erinnerung an Haydn  »Abschieds­ symphonie  "(bei der die einzelnen Mitglieder de» Orchester» nach und nach in aller Stille zusammen­packen und verschwinden, so daß die Musik schließlich wehmütig und immer dünner werdend verlischt). Al» die ersten Zuhörer eintrafen, merkte maa dem Saal kaum an, daß eine Veranstaltung stattfine den sollte; offensichtlich waren keinerlei Vorbereitun­gen getroffen. E» lungerten zwar zwei oder"drei Platzanweiser herum; aber da» Podium war noch leer und unbeleuchtet. Al» programmgemäß da» Kon­zert beginnen sollte, erschien ein Saaldiener und schleppte nach und nach die Notenständer herein, um sie geräuschvoll aufzustellen. Nach einer Weile kämen zwei der Musiker und singen an, ihren Teil vor sich hin zu spielen. Bon Zeit zu Zeit schlenderte vom Rest de» Orchester» der und jener herein, stimmte sein Instrument, rückte mit Stuhl und Notenständer herum und mischte sich schließlich in» Spiel. Der Ein­tritt jede» Manne  » war von allerhand Unruhe be­gleitet: man hustete, räusperte sich, stolperte, ratterte mit den Instrumenten usw., kurzum, das Ganze stellte ein Gegenstück zum Eintritt des zu spät kom­menden Publikums in den Konzertsaal dar. Der
.Nach jeder Mahlzeit,* nach Kaffee und Wein -- nimm stets VincentkaqueHe ein, LuhaSovicer Vmcenfkaquelle überall erhältlich'.
mittlere Teil de» Programm» wickelte sich ordnungs­gemäß und ohne Störung ab. Aber bei der letzten Nummer wiederholte sich da» Schauspiel der ersten halben Stunde, nur lief e» diesmal rückwärts ab: Bald hörte der, bald jener Musiker auf zu spielen, klappte geräuschvoll fein Instrument zusammen, packte e» ein und drängte sich, mit Trampeln und Stolpern, zwischen den Notenständern hindurch zum AuSgang. So verkieselte da» Orchester allmählich unter beträchtlichem Lärm, und zurück blieb nur Stokowfli und bot dem wütenden Publikum feine Stirn. Aber die Lektion hatte gewirkt: beim ersten Konzert der nächsten Saison war nicht nur jeder Platz besetzt, sondern die Zuhörer kamen auch pünkt­lich vor Beginn und warteten ängstlich, bi» auch der letzte Ton ganz verklungen war, bevor sie wagten aufzustehen und hinauSzugehen. M. B.
Mstteitun-en, cler»Urania» Volkshochschule. Kalte Platt«. Neuer ÄurSbeginn ab 14. November. Urania-Kino Gräfin Malewska". Garbo. Deutsch  .
S«zuaSb»dtnauna«n:Bet lvillellun» tn» Sau» oder bet Deiua durch die Bolt monatlich KE 17., dlerleliShrla KB El., baldlUrla KE 103., aaniiwria KE 201.. Inserate werden laut Tarts biMalt berechnet. Rückstellung von Manuskripten ersolat nur bet Einsen, duna der Relourmarken. DI« lteltunaskrankatur wurde von der Polt- und Telenravbendlrellton mlt Erlab Rr. 13.800/ÄI/1030 bewllltat.(Nontrollposlamt Draba 25). DruckereiVrbtS», Druck-, Verlaub- u. Zellunab-A. ü>.. vra»
Aus der modernen Alchlmisten-KQche
Da» Atom besteht au» einem allerkleinsten,
sehr festen Kern, der von einer großen an Masse leichten Wolke,dem Elektron oder den Elektronen um­geben ist. Der eigentliche Träger der Stoffeigen« schäften deS Atom» ist der K«rn.Die Schutzhülle,' der
Leo Stokowfli, der Dirigent, mit dessen Be­ziehungen zu Greta Garbo   sich die Presse mehr als nötig, interessant und anständig ist, beschäftigt hat, , ist in den Bereinigten Staaten seit langem berühmt Mantel, die diesen Kern umgibt, läßt sich verhält-\ und gefürchtet. Gefürchtet deshalb, weil er einer niSmäßig leicht zetrvmmern. Doch dann bleibt im«; jener Musiker ist, die die Unerzogenheit de- mer noch der Kern übrig, die Nuß, die man knacken Publikum» nicht geduldig hinnehmen. Er hat die muß, um ein Element in ein anderes umzuwandeln. Besucher seiner Konzert«, wenn sie geräuschvoll zu Erst wenn der Kern selbst getroffen ist, bildet sich, spät kamen oder während de» Spiel» Unterhaltungen ein neuer Stoff.
55 Ifa MM SMftul Roman von Noelle Roger Aas dem Französischen übersetzt von Irma Hippel
Der Amerikaner maß die Truppe mit den Blicken und antwortete: TromaS AtkinS, Bankier aus New Aork." Und schwerfällig beiseitetretend gab er den Weg frei. Sie, meine Freunde", fügte er hinzu, indem er sich an Hans und JorriS wandte,gehen dort­hin,. Sie werden die Schwemme fürs Personal schon finden.". Sie gestatten", trat Elbinbjorg dazwischen, in einem J&m, der keinen Widerspruch duldete, wir bleiben beisammen." Der Amerikaner machte eine Gebärde ver­dächtiger Zustimmung und ging den Fremden durch die Halle voraus. Bei Licht sahen sie, daß sein Smoking voller Flicken war. Die Halluzination dauerte an. Ihre Augen blinzelten in der blendenden Helle der elektrischen Lampen. In einem Scheibenverschlaz saß ein Mann über ein dickes Buch geneigt, und hob den Kopf als sie vorübergingen. Durch eine offene Tür sah man unter den Lustern einige Reihen Tische, auf welchen Kristall- und Silbergefässe wie nach den beendeten Mahlzeit ungeordnet stan­den. Sie traten in den Salon, in dem ihr Eintre­ten unter der zahlreichen Menge der Anwesenden eine Bewegung des Staunens hervorrief. .Einige Frauen erhoben sich von ihren Schau» kelstühleu, die Gruppen der Plaudernden traten auseinander. In einem Augenblick waren die Spieltische leer und die Ankömmlinge fühlten ver»
blüffte Blicke aus zahlreichen Augen auf sich ge­richtet. Alle Männer waren im Smoking und frisch rasiert, die Frauen in Hellen dekolletierten Abend­kleidern. Auf den ersten Blick hätte man sie für eine elegante Gesellschaft gehalten. Dann aber fielen sonderbare Mängel auf. Jede dieser Toi­letten bestand aus disparaten Teilen, als hätte man aus mehreren verschiedenfarbenen Roben eine zusammengestellt. Auf Seidenüberwürfen machten freche Flicken sich breit, und die Tanz­schuhe sahen aus wie vertretene Pantoffel. Die weißenHemdbrüste der Herren und ihre Abgetra­genen Anzüge trugen die Spuren zahlreicher Re­paraturen. Man bemerkte englische Matronen mit rosigem Teint und Spihenhäubchen, schien« kerige Misses, hübsche Französinnen mit bemal­ten Lippen, schmuckbeladene Levantinerinnen. Einige Frauen hielten sich abseits und bildeten sozusagen ein fremdes Element. Als der. erste Augenblick des Staunens vorüber war, traten alle heran und drängten sich um diese sonderba­ren, in Tierfelle gehüllten Wesen. Gin Namen ging gedämpft von Mund zu Mund. Sie kommen aus dem Susanfetale... ein Arzt ist unter ihnen ... ein Arzt.,, Fragen schwirrten ihnen entgegen Ob«S im Susanfetale viele Ueberlebende gab?... ein Hotel... Lebensrnittel? Eine schrille Stimme überschrie die anderen und fragte: »Ist die Sterblichkeit groß im Susanfetale?" Mit einer Handbewegung gebot Thoma» AtkinS Schweigen. Jean Lavorell bemerkte mit Staunen, daß einige von den Männern sich ringv um sie aufge­stellt hatten, wie um die anderen von ihnen ab­zuhalten. Atkin» nannte nacheinander Namen au- aller Herren Länder. In seiner Benommenheit ver­stand Jean sie kaum. Er sah einen Japaner mtt halbgeschlossenen Augen neben einem Deutschen   mit gutmistigem Gesicht, er sah zwei Franzosen, der eine von massiver Gestylt, der sich in vielsagende»
Schweigen hüllte und der andere schlank und geist­voll, und er hüte zwei Namen: Latronquiire, ehe­maliger Minister und Rabuteau, Schriftsteller. Rabuteau, derselbe, der einst Blut und Revolu­tion gepredigt hatte. Dann war da noch Sir Robert Croydon mit seinem weißen, hoheitsvollen Kopf und der harten Stirn, der die Leute zu be­herrschen schien. Mehr al» einmal hörte Jean Titel: Hofrat, Doktor.... was dirigierten, wen berieten sie noch? Ein Schwindel erfaßte ihn. Ihm warS, als pendelte er im Zeitraum. Man sprach wie einst ... gebärdete sich wie einst... doch waS er sah war nur das Gespenst einer Zivilisation: diese Vergoldung, diese Spiegel, diese zerrissenen Smokings, diese jetzt verstummte, elegante Ge­sellschaft, dieser Menschenhaufen, der ihn in sei­ner unbegreiflichen Passivität umringte. Unter den verschiedenen ihn anstarrenden, aufmerksamen, neu belebten, sich an ihn heften­den. Blicken fühlte er in dieser Stille ein Unbe­hagen.in sich ausjteigen. Und plötzlich sah er, daß alle Gesichter bleich und verstört waren, daß sie gezeichnet waren mit dem Ausdruck sterbend« Tiere. Er hätte sich ihnen nähern wollen, zu ihnen sprechen, ihre Fragen beantworten. Aber Atkin» Freunde schloffen ihn in ihren unentrinn­baren Ring ein. Eine Frau durchbrach aber doch den magi­schen Kreis, trat auf Lavorel zu und berührte ihn am Arm. Starre» Entsetzen lag auf ihrem toten­bleichen, von schwarzem Haar umrahmten Gesicht. Bei jeder Bewegung umflatterte sie der zu schmalen Streifen zerschlissene Taft ihrer schäbi­gen Toilette. Mein Herr, sagte sie'leis«, stirbt man auch viel bei Ihnen im SusaNsttäl?"' Jean konnte ihre Frage nicht beantworten. Ein Arm hakte sich in den' feisten' Und zog ihn hinter seinen Gefährten sott.'' Man hieß sie alle sechs an einem Tische Platz.nehmen, und mit kindlichem Staunen sahen
sie sich um. Ein Tischtuch, Brot, Speisen, versie­gelte Flaschen, wie einst, die ihnen befrackte Die­ner auf Aktins Befehl vorsehten. Derb lachend füllte der Deutsche di« Gläser, indem er immer wiederholte: Die kleinen Borrechte der Direktoren." Jean sah ihn an und plötzlich wußte er eS: diese Jovialität war eine schlecht fitzende MaSk«. Trotzdem ihm der Kopf ganz wirr war, sah er die Züge all dieser eigentümlich beleuchteten Ge­sichter scharf hervortreten und bemerkte ihre unter hastigen Worten schlecht verhehlte Besorgnis. Er sah den Stiernacken deS einstigen Ministers, sein unbewegtes, ans Befehlen gewöhntes Herrscher­gesicht... Was sagte er eigentlich? Er sprach mit der Routine deS Politikers und Lavorel hört« immer dieselben Worte wiederkehren: DaS Hotel ist gut verproviantiert.... in Voraussicht eines Streiks vielleicht... unser» Inventur... unsere Rationen... unser Recht als erste Besitzergreifende... ein Jahr... Ein Jahr können wir uns halten... bei entsprechen­der Rattonierung... ein Jahr noch als Kultur­menschen leben..." Und dann hörte er Elbinbjorg fragen: Und was dann?" Dann? Das wußte keiner. Man bemühte sich an den Termin nicht zu denken. Ein Jahr.' Bi» dahin wird das Meer vielleicht in sein alte» Bett zurückgekehrt sein «Ein Jahr... e» kann noch länger dauern», säuselte der Japaner, dessen rätselhaftes Lächeln intensiver wurde. Wer weiß? Bis dahin können ein paar unnütze Mäuler verschwunden sein." DaS hatte der Deutsche   gesagt mit einem sonderbaren Blick ins Leere. Jean erschauerte. Unter der Bedingung, daß es uns gelingt, uns daS gusammengelaufene Hirten- und Führer­gesindel vom Leibe zu halten, daS fordern kommt, daß wir Mit ihnen teilen." .(Fortsetzung folgt.)^