Wnterhaltlmgsblatl des vorwärts Nr. 56. Freitag, den 19. März. 1897. lNachdrurl oeibolea.) Grittnevungen 2Z eines MmnnmneKampfevs. Von Henry B r i s f a c. Am nächsten Morgen kamen die Frauen mit ihren Körben an. Viele verbargen unter einer von Zärtlichkeit diktirten Lüge ihr eigenes Elend, daß nur ihre Gaben angenommen würden, und hungerten lieber selber. Die zu arm waren, sich ein Retourbillet zu kaufen, wanderten mit wunden Füßen wieder heim. Anfangs August wurden wir nach der Orangerie geschafft, hierauf, als sie geräumt wurde, nach demBauhof*, einem dreistückigen Gebäude mit drei riesigen Sälen. Mit unseren Angehörigen durften wir frei verkehren: Zwischen ihnen und uns war keine Barriere. Am Tage nach unserer Umquartierung ließ mich der Direktor unseres Gefängnisses, Marceron, gleich- falls Lieutenant, rufen und sagte: Ich habe die schlechtesten Nachrichten über Sie und mache Sie darauf aufmerksam, daß, wenn die geringste aufrührerische Bewegung in dem Saale , wo Sie sind, vorkommt, ich Sie ganz allein dafür verantwortlich mache" Ich bin in der Hand meiner politischen Gegner", er- widerte ich,und weiß wohl, wie ich mich zu benehmen habe." Oh, meine politischen Gegner! Die traktire ich zuerst mit Ohrfeigen und mit einem Degenstich hinterdrein." Monsieur Marceron sprach die Wahrheit, wenigstens was den ersten Theil seiner Behauptung betrifft. Da seine politischen Gegner zugleich seine Gefangenen waren, so wurde seine Aufgabe dadurch, wenn nicht ehrenhafter, so doch bedeutend erleichtert. Lassen wir dem Monsieur Marceron Gerechtigkeit widerfahren: Nachdem er die Leute hatte binden lassen, prügelte er sie eigenhändig; er hat auch Greise geprügelt, aber die waren nicht angebunden worden. Ich habe später in Er- fahrung gebracht, was die oben erwähntenschlechtesten Nach- richten" besagten. Sie lauteten:Enragirter Journalist, sehr gefährlicher Mensch, einfach zu erschießen." In irgend einer, ich weiß nicht welcher, Zeitung waren Klagen über die Verwaltung des provisorischen Gefängnisses im Bauhofe erschienen- Oberst Gaillard ließ uns zusammen- kommen, schärfte seinen Soldaten ein, auf uns Feuer zu geben, wenn einer auch nur zu mucksen wagte, und theilte uns nach diesen Vorsichtsmaßregeln mit, daß wir Undankbare wären. Er habe uns bisher gut behandelt: aber er habe es mit un- verbefferlichen Leuten zu thun. Um jedoch ein Exempel zu statuiren, würden fünfundzwanzig der unnihigsten Köpfe von uns nach einem entfernten Fort geschickt werden. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, weshalb diese Expektoration erfolgte, und es lag kein Schatten von einem Grunde zu einer Bestrafung meiner Person vor. Die Lifte der zu Bestrafenden enthielt meinen Namen nicht. Die Zeit verstrich, ich fing an, mich ganz sicher zu fühlen. Da wurde in letzter Stunde ein Name gestrichen und der meinige an seine Stelle gesetzt, und ich erhielt Befehl, unverzüglich abzureisen. Wir reisten abends ab. Abermals führte uns ein Vieh- wagen von bannen. Wir entdeckten alsbald einige Löcher in den Wänden desselben und fragten uns, ob sie für die Lungen von fünfundzwanzig Menschen die unerläßliche Luftzufuhr ge- währen würden. Die Plätze der Bevorzugten waren zur Seite dieser Löcher, kostbar wie Wassertropfen für die lechzende Brust; aber bei Gefahr allgemeiner Erstickung durfte man seinen Mund ihnen nicht zu nahe bringen. Den nächsten Tag Nachmittag nahm uns ein Boot auf und wir landeten, die Rhede von Cherbourg durchfahrend, an einer steilen, vom Meeresschaum bespülten Treppe. Das Fort Pelee, auf einem Jnselchen erbaut, ragte mit seinen bezinnten Thürmen traurig in die Lüfte. In dem von Kasematten umsäumten Hofe angelangt, sahen wir hagere Gesichter durch die Gitter- stäbe glotzen: Gefangene, die seit den ersten Tagen des April da zusammengepfercht waren. Der Gefängnißdirektor erklärte, uns Beweise seines Wohlwollens geben zu wollen, wir möchten sie jedoch nicht mißbrauchen. Er fügte hinzu, wir würden von einer Kantine mitmäßigen" Preisen sehr befriedigt sein. Ich habe später erfahren, daß der Kantinenwirth ein Verwandter des Direktors war. Aber dieMäßig- keit" und dasWohlwollen" haben nur Ungläubige gefunden. Wir betraten unsere finstere Stube. Die sehr niedrige Decke war mit Balkeit gestützt, ein schmaler offener Spalt ließ einen Streifen Tageslicht herein- fallen und das Brüllen der Wogen vernehmen. Am Boden im Staube lag Strohsack an Strohsack, alle aufgetrennt. Meine Gefährten, brave Arbeiter, fast alle Familienväter, beklagten gleich mir die Anwesenheit von vier oder fünf Gaunern. Ich mußte mich später mit dieser Gesell- schaft familiär machen. Der eine erzählte uns seine Helden- thaten in den letzten Tagen des Mai. Er hatte, ich weiß nicht wo, die Uniform eines Offiziers der Nationalgarde gestohlen, hatte sich für einen Kommandanten ausgegeben und als solcher mit bewaffneter Hand eine Requisition von Uhren gemacht. Auch ein Magazin war ausgeraubt worden. Als er sah, daß seine Erzählung unzweideutig geäußerten Unwillen hervorrief, beeilte er sich hinzuzufügen, daß er, da er bettlägerig gewesen, eine leere, blos unterzeichnete Vollmacht ausgestellt habe, die einer seiner Freunde ausgefüllt und so Mißbrauch mit seiner Unterschrift getrieben Hab«. Ich bekam selten eine Zeitung zu Gesicht. Eine brachte einen Bericht über ein großes Gastmahl, das Thiers gegeben. Zwei Nachkommen von Philipp Egalite figurirte» dabei zu seinen beiden Seiten, der Graf von Paris und der Herzog von Aumalc. Sonderbares Mittel, das dieser Präsident der Republik ergriff, um seine höchst legitime Angst zu bannen. Eines Tages kündigten uns unsere Wärter den Besuch einer hohen Persönlichkeit an. Und sie kam, ehrfurchts- voll vom Gefängnißdirektor geleitet. Ohne sich erst Zeit zu nehmen, sich umzusehen und Athem zu holen, fuhr uns der terr mit überhoher Stimme barsch an:Petroleur-Gefindel! a brummt ihr jetzt! O, diese Blödfinnigen, i nmer dieselben! Immer dieselben!" wiederholte er, wandte uns den Rücken und ging auf Nimmeriviederkehr. Es war der General Dumoulin. Mitte Januar wurde mir mitgetheilt, daß ich nach Versailles zurückzukehren hätte. Ich war allein in einem Kahne, der aber nicht direkt ans Ufer fuhr, sondern alsbald bei einem andern Fort anlangte, das mich in seine Arme schloß. Wie heißt dieses Gefängniß?" fragte ich einen meiner neuen Gefährten. Fort Hommet." Wissen Sie vielleicht, warun, man mich hierher bringt?" Damit Sie von hier wieder wo anders hingebracht werden." Bah!"- Fort Hommet ist thatsächlich ein Uebergangs-Gefängniß für diejenigen, die von Fort Pelve kommen. Sie können 24 Stunden, aber auch mehrere Wochen hier bleiben." Ich landete jedoch schon am dritten Tage im Hasen von Cherbonrg. Ein Gendarm schloß mit einer Kette mein rechte» tandgelenk an das linke eines anderen Gefangenen, auf die chultern ivltrde mir recht schweres Gepäck geladen und so gings durch die Straßen der Stadt. Es war Sonntag, die Leute lagen auf dem Boden vor ihren Häusern und gafften uns an. Endlich kamen wir nach dem, wie mich dünkte, sehr entfernten Bahnhofe und wir bestiegen diesmal nicht einen Viehwagen, sondern einen Wagen zweiter Klasse. Zwei Gendarmen saßen uns gegenüber. Der Brigadier betrachtete uns und nahm uns die Handschellen ab. Er versicherte mir, daß er durchaus kein Feind der Republikaner sei, daß er über- Haupt nichts von Politik verstehe, aber als Soldat seinen Vor- gesetzten gehorchen müsse. Wir kamen in Maus am Abend an. Wollen Sie speisen?" fragte uns der Brigadier. Gewiß!" Dann muß ich Ihnen die Handschellen wieder anlegen. Seien Sie nicht böse, so ist die Ordre. Ich nehme sie Ihnen im Restaurant ab." Wir gingeil durch mehrere Straßen und kamen zuletzt zu einer billigen Kneipe.Hier!" rief der Brigadier. Wir setzten uns an einen Tisch, der ein Tischtuch hatte. Unsere Hände ivurden frei gemacht. Wir stießen mit den Gläsern an und ich schlug einen Toast auf die Republik vor. Meine Gendarmen gingen mit Herzlichkeit darauf ein. Sie würden dasselbe ge-