Anterhaltungsblatt des Vorwärts
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Nr. 64. Grids nou
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Erinnerungen
Mittwoch, den 31. März.
( Nachdruck verboten.)
eines Kommunekämpfers. Von Henry Brissac. ( Schluß.)
Ich habe einige mich persönlich betreffende Thatsachen erzählt, die mir ein gewiffes Interesse zu haben scheinen. Ich brauche über die folgenden Jahre nur summarisch zu berichten, um meine Aufgabe beendet zu haben.
1897.*
Ungeachtet ihres Widerwillens würde sie ohne Zweifel für eine theilweise Amnestie stimmen, und wir Zwangssträflinge würden eine weitgehende Umwandlung der Strafen erlangen. Der Zeitpunkt der Wahlen wurde endlich bestimmt. inde
Einige von uns waren im stande, die Rechenschaftsberichte von Vorversammlungen dieses linken Zentrums zu lesen. Täuschung! Es beschließt, jede Amnestie von der Hand zu weisen. Herrliche, zu unseren gunsten im Senate und in der Kammer gehaltene Reden appelliren umsonst an die Ge rechtigkeit, an die Humanität, an eine hochsinnige Politik. Dufaure verspricht Begnadigung im allerreichlichsten Maße, Ich habe gesagt, daß die Aerzte im allgemeinen den Ver was beinahe drei Jahre lang nur Spottgelächter hervorrief. nrtheilten der Kommune gegenüber eine wohlwollende Haltung Da verloren etwa ein Dutzend von uns, darunter Trinquet zeigten. Davon ist aber vor allem ein Korse auszunehmen, und Jean Allemane , alle Hoffnung und versuchten einen dessen ich schon Erwähnung gethan habe, Oberarzt der Insel Fluchtversuch, wurden aber wieder ergriffen und in die vierte" Nou bis 1876. In seinem Dienst ließ er sich vertreten, geworfen und meist in doppelte Ketten gelegt. und so war sein Amt nur eine reichlich bezahlte Der Antritt des Ministeriums vom 16. Mai erfüllte Sineture. In Nouméa stationirt, wo er teine Konkurrenten uns mit neuer Angst. Wir erwogen die Chancen, die ein hatte, war er darauf bedacht, sich eine reiche Privatkundschaft neuer zweiter Dezember" haben könnte, und wenn uns unsere zu verschaffen und kümmerte sich nur nebenher um die Sträf- Vernunft zu dem Schlusse führte, daß ein solcher Versuch endlinge. Im Hospital sowohl wie in der Ambulanz erschien giltig scheitern müsse, so ließ uns der Zynismus anderer die er selten. Ich hatte nur zwei bis drei Berührungen mit ihm. ganze Kalamität eines neuen Bürgerkrieges befürchten. Das erste Mal war er in Begleitung eines jungen Arztes, Die Wahlen vom Oktober 1877 verscheuchten das Gespenst. den er, auf mich deutend, fragte:„ Und der da?" Unter Immerhin aber bevölkerten die von den Kriegsgerichten Ver dieser therapeutischen Formel erkundigte er sich nach dem urtheilten noch die Gefängnisse und Neukaledonien . Dufaure Stande der Kranken. Das zweite Mal, zwei Jahre später, erklärt, daß die Begnadigungen, wie er versprochen habe, im sah er mich im Hospital Du Mavais wieder. Er war allein größten Maßstabe" zugestanden worden seien, und fragte erhobenen und konstatirte etwas ungeduldig, daß ich nur einen leichten Hauptes, ob die Majorität noch mehr hoffe. Husten habe. Gleichwohl stellte er mir keine Entlassung aus dem Hospital aus, sondern verordnete mir ein sehr geiftreiches, allzu heroisches Mittel, um mir noch einen Denkzettel nach seiner Weise zu geben, nämlich ein Bug pflaster auf die Brust. In stillschweigendem Einverständniß mit dem Unterarzte traf ich am nächsten Tage Vorsorge, die vorauszusehenden Folgen des Mittels unwirksam zu machen. Seitdem ich, im Januar 1873, aus der Ambulanz entlassen war, bin ich nicht mehr ernstlich frank gewesen, mit Ausnahme davon, daß ich den Skorbut, der mich fünf Monate lang verfolgte, hatte, und einen chronisch gewordenen Rachenkatarrh. Ich blieb faft die ganze Zeit von Arbeit befreit, entweder in meinem Gefangenenhause oder im Krankenhause. Dieses einsiedlerische Leben zog ich denn doch der Sklaverei in den Zimmerhöfen vor.
Mit dem verächtlichen Aufseherpersonal konnte man sich in eine Debatte nicht einlassen. Es duldete keinen Wider spruch; es hatte in gewissen Dingen absolute Macht, und das vermehrte ihre grausame Thorheit. Sie theilten eben den Haß gegen die Republik und die politischen Berurtheilten mit ihren Borgesetzten. 100
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Erwähnen muß ich auch die oft skandalösen Budringlich feiten von Brüdern" und Schwestern" am Krantenbette von Zwangsfträflingen, deren himmlisches Heil so sehr ihre fromme Sorgfalt in Anspruch nimmt, daß sie die ohnedies nur elende irdische Pflege ganz vernachlässigen. Die Maristen besitzen in Neukaledonien umfangreiche Privilegien, die sie sehr billig durch Kanaten, die in den Schooß der katholischen Kirche auf genommen sind, ausbeuten lassen.
Alle politischen Ereignisse Frankreichs übten ihre Wirkung auch auf die Kommunesträflinge. Ich glaube nicht, daß ich alle die unbegreiflichen Behandlungsweisen durchzumachen gehabt hätte, die ich wirklich erfahren habe, wenn ich nicht bei voller Reaktion nach dem Regierungsantritt von Mac Mahon 1873 auf der Insel Nou ausgeschifft worden wäre.
Als die Neuigkeit bekannt wurde, drücklen die Aufseher in hohem Grade ihre Zufriedenheit aus. Sie tranken auf den Untergang der Republik und erklärten, daß man mit dem Philisterthum ein Ende machen müsse.
Die Ausstellung von 1878 schob unsere Hoffnungen noch weiter hinaus, denn das politische Interesse wurde durch die Entfaltung dieses Glanzes in den Hintergrund gedrängt. Wir vertagten sie bis zur Erneuerung und Ergänzung des Senats. Unsere Erwartung wurde übertroffen. Nicht nur wurde den monarchisch gesinnten Senatoren von den Wählern der Laufpaß gegeben, sondern Mac Mahon , der das Schimpfliche seiner Rolle einsieht, giebt sich selbst den Laufpaß. Und wer tritt an seine Stelle? Ein erprobter Republikaner von 1848. Als uns ein Telegramm den Regierungsantritt Grévys meldete, waren wir vor Freude außer uns und illuminirten in unserem Gefangenenhause, das jetzt fast nur von politischen Gefangenen bewohnt war. Diese Illumination a giorno( bei Tage) war mittelst einiger Kerzen bewerkstelligt, die wir in der Kantine gekauft hatten.
Die einen, voll Illusionen, sagten: Die allgemeine Amnestie ist beschlossene Sache! Die anderen antworteten: Die traurigen Republikaner vom linken Zentrum, ja von der Linken selbst werden ganz sicher nur eine theilweise Amnestie beschließen, aber Grèvy wird uns alle begnadigen.
Man hat Monsieur Grévy am Werke gesehen. Mit geiziger, dürrer Hand hat er blindlings die Begnadigungen und einfachen Strafumwandlungen vertheilt. Kein Prinzip hat ihn dabei geleitet: Zufall und Beeinflussungen haben alles entschieden.
Dieselben Erdschollen des Bagno der Insel Nou, die auf die Opfer Mac Mahons, des Monarchisten, follerten, haben auch die unter der Präsidentschafts Grévys, des Republikaners, dort Gefallenen zugedeckt.
Als die ersten Amnestirten Ende Juni 1879 abgereift waren, hatte jeder von uns schriftlich folgende alberne Frage zu beantworten: Wollen Sie auf der Insel Nou bleiben, oder wollen Sie nach der Halbinsel Ducos versetzt werden?
Natürlich stimmte alles einstimmig für die Halbinsel. Von da an rechneten wir allerdings darauf, daß die Stunde unserer Abfahrt geschlagen habe. Aber Tag auf Tag verrann, und wir blieben in unserer Sumpfgegend.
Indignirt und auf ministerielle Instruktionen geftüßt, Guvertraten wir den Standpunkt, daß wir den Deportirten gleichgestellt seien; daß man uns ohne Recht auf der Insel Nou zurückhalte und daß wir die Arbeit verweigerten. Offene Rebellion. Diese Situation ohne Präzedenzfall verdugte die hohen Funktionäre und die Wärter, die nicht streng vorzugehen wagten. Endlich, einen Monat nach der erstaunlichen Frage, tamen wir nach der Halbinsel.
Eine einzige Chance für uns zeigte sich am drohenden Horizonte: Das Ende der verhaßten Nationalversammlung zu Bordeaux , die sich verewigen zu wollen schien. Aber die Jahre verstrichen und die Bauern und die Abgeordneten vom flachen Lande trotten allen modernen Ideen nach wie vor.
Die Verfassung von 1875 beseitigte einstweilen die Befürchtung eines achten Thrones. Die Generalwahlen, dachten Seit einiger Zeit hatte man uns von den anderen Ges vir alle, würden eine Majorität für das linke Zentrum, aber fangenen nach und nach abgesondert: eine Maßregel, auf die schließlich doch eine republikanische Majorität herbeiführen. wir schon nicht mehr gehofft hatten.