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Wiltrand steht noch immer wie erstarrt und wartet auf die Leichenrede. Aber schon hat der Geistliche dem Grab den Rücken gewendet, und zugleich bricht auch das Geläut ab, so. jäh, als wäre der Strang plöglich angehalten worden.

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,, Um Gotteswillen, hat denn der Herr Pfarrer die Leichen­red' vergessen?"

" Ja, meinst denn, der Herr Pfarrer halt' Euch noch a Leichenred'? Dei Vater hat ja nit amal mehr beicht't. Raum, daß er ihm die letzte Delung noch hat geben könne. Ihr habt's ja wieder g'wartet bis auf'n lezten Augenblick, eh' ihr ihn g'holt habt. Akkurat wie's Dei Vater beim Tod von Deiner Mutter g'macht hat! Die ist auch g'storben ohne Ver­sehen, dös liegt scheint's so bei Euch in der Familie! Und da derfür soll Ench der Herr Pfarrer wahrscheinlich noch a Lobred halten?"

Wiltraud blickt stumm auf die Sprecherin. Es ist eine alte Frau mit stechenden Augen. Wiltraud läßt alles ohne Erwiderung über sich ergehen.

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Da umschlingen sie sauft zwei Arme und ein süßes Mädchengesicht lehnt sich an das ihre. Es ist die Liesen vom Kraspler, eine Freundin aus der Sonntagsschule. Nimm Dir's nit zu Herzen, arme Traudl, die Schleichert ist ein böses Weib, die kennt man schon!" Wiltraud ist es, als ob ein Engel zu ihr spräche, sie drückt ihr dankbar die Hand.

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" Jesus , da ist der wieder!" ruft plötzlich hinter Wiltraud die Gruberin und zeigt zitternd vor Aufregung nach dem Grab.

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Ist es ein Zauber grad' in diesem Augenblick? Der rauhe Erdhügel ist mit grünem Tannenreis überdeckt und in der Mitte ein voller Kranz von gelben Haferähren. Bei diesem steckt ein Stäblein mit einem Zettel, nach Habererart, auf dem in großen Zettern geschrieben steht:

Schlaf Du nur in guter Ruh' Dem Tage der Vergeltung zu!"

Der Mann ist aber, bis Wiltraud sich recht besinnt, ver­schwunden.

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Da schau was Dir Deine Freund' für a schöne Grabschrift g'macht haben. Da brauchst jetzt denkerst kei Kreuz mehr, dös fannst Dir sparen," sagt die Gruberin mit überströmender Bosheit.

" I hab' keine Freund', die mit Haberkränz' umgehen. Wann's aber auch Haberer sind, na sind's wenigstens Leut', die ' s Andenken vom a armen braven Mann in Ehren halten und seine Kinder nit schinden!"

Die Gruberin muß ihr die Antwort schuldig bleiben, denn jetzt darf sich die große Glocke mit recht hören lassen. Es läutet ins Amt. Liesen sprengt noch Weihwasser auf das Grab und beide Mädchen beten ein letztes Vaterunser. Dann nimmt Lisey Wiltraud an der Hand und zieht sie sanft mit fort, der Kirche zu.

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Die Gruberin läuft voraus- sie will um keinen Preis mit so einer" zusammen in die Kirche kommen. Beim Weihbrunnen trifft sie die Pfarrersköchin: D Fräulein Luis'," raunt sie ihr zu, ich hab'n Sack voll Neuigkeiten."

" Ja, Frau Gruber," kommen s' nur heut Nachmittag und erzählen s mir alles."

Sie treten ins Gotteshaus. Die Gruberin überläuft ein Schauder, als habe sie den Gottseibeiuns gesehen. Der Fremde steht ganz hinten unter dem Chor und schaut sie mit, wie es ihr vorkommt, funkelnden Augen an.

" Jesus !" denkt sie bei sich. Das wird a Wohlthat sein, wann dena Handwerk g'legt wird!"

Aber auch Wiltraud bemerkt einige Minuten später das fremde Gesicht.

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Es ist heute ein Zubrang zur Kirche, wie seit Menschen­gedenken nicht. Von nah und fern kommen die Leute zu Fuß und zu Wagen und beim Hochbräu reicht der Gaststall nicht mehr aus, so viel fremde Fuhrwerke sind da. Im ganzen Bezirk ist's herum, daß heute dem Habererunwesen ein End' g'macht wird, und der Triumph aller, die Ursache haben, das Habergericht zu fürchten, die schon von ihm betroffen oder bedroht sind, ist ungemessen.- Heute hat der Hochbräu einen großen Tag eine Einkehr, wie noch feine erlebt war, und lauter fidele Leut' denn Schadenfreud' ist doch die schönste Freud'!

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Aber auch an finsteren Mienen und unheimlichen Ge­stalten mit drohender Haltung fehlt es nicht. Diese gehen nicht ins Bräuhaus sondern stehen rottenweis an den Straßenecken zusammen und blicken in troßigem Schweigen vor sich hin.

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Dös san ein' Vorbeigehen spöttisch.

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dös san ei'!" zischeln die Leute im Lacht nur nit 3' fruah! Mir sind noch nit so weit!" murmeln ihnen die andern zwischen den Zähnen nach.

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So drängt sich Freund und Feind beim ersten Glockenruf zu dichten Haufen in die Kirche herein. Alle Bänke find überfüllt, auf dem Steinboden knien die Leute, Knie an Knie. Die Treppen, die zum Chor führen, sind gesteckt voll bis oben hinauf. Der Meßner und ein paar Kirchen­vorsteher sollen die Stiegen säubern, weil es gefährlich ist, wenn zuviel Menschen drauf sind. Aber die Fremden thun grad, als verständen sie kein Deutsch, und wie die Herren es versuchen, sie anzufassen und mit Gewalt herunterzuziehen, stecken sie die Hände in die Hosentaschen und thun garnichts als feststehen!

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" Dös ist eine g'fährliche G'sellschaft bei'nander," sagt der Mesner." Da ist nit gut anbinden!"

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Laßt man's heut noch gehen nachher ist's doch vorbei mit ihrer Macht!" trösten sich die Herren und ziehen sich zurück.

Und immer neue drängen herein, es ist trotz der Jahres­zeit eine Schwüle zum Ersticken, und schwül ist die ganze Stimmung. Sogar den Schadenfrohen vergeht vor lauter Jast und Enge das Lachen.

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( Fortsetzung folgt.)

Jim Carter's lehter Tag.

Aus dem Englischen von Hugo Pötzsch. Hast Du Sam geweckt?"

" Ja! Aber ich höre ihn noch nicht aufstehen", antwortete Frau Carter ihrem Manne, während sie das fleine Zimmer, in dem sie eben ihren Thee getrunken, verließ. Sie ging bis zum Fuße einer schmalen Treppe und rief: Sam! Sam! Es ist Zeit aufzustehen." Gut, Mutter!" antwortete oben eine Stimme, die in einem furzen, trocknen Husten erstarb.

Welch schrecklichen Husten der arme Junge hat", sagte seine Mutter, als sie wieder ins Zimmer zurückkehrte.

" Ja, und' 3 ist auch kein Wunder," meinte ihr Mann. Er ist so oft naß geworden die letzte Zeit, und in seine zerrissenen Schuhe bringt das Wasser. Wir müssen sehen, ob wir ihm nicht heute noch ein Paar faufen."

Sam ist nicht der Einzige, der Schuhwerk nöthig hat," be= merkte die Frau, einen bezeichnenden Blick auf die Stiefeln ihres Mannes werfend, welde dieser sich eben anzog. Und da ist Jimmy und Sally , die auch neue Schuhe brauchen, und Sally braucht einen neuen Rock. Das arme Kind geht beinahe in Lumpen. Ich habe geflickt, so lange es ging, bis die Flicken nicht mehr an einander halten wollten, und mein Herz thut mir weh. wenn ich sie so zur Schule gehen lassen muß, und sie zittert vor Kälte, das arme Ding. Ich weiß nicht, wie ich mich anders einrichten soll. Wenn ich die nothwendigen Lebensmittel eingekauft und die Feuerung und die Miethe bezahlt habe, dann bleibt nichts mehr übrig für Schuhzeug oder Kleidung oder sonst etwas."

Der Mann seufzte und schwieg. Es war die alte Geschichte, die ihn durch sein ganzes Leben verfolgt: Endlose Armuth. Er stand auf, durchschritt das Zimmer, als wollte er hinausgehen; dann drehte er sich um, und blickte sein Weib an, als ob er etwas sagen wollte. Aber er schwieg; er ging zum Ramin, stützte seinen Ellenbogen auf dem Sims und starrte in das Feuer.

Was ist Dir, Jim? Du bist so niedergeschlagen diesen Morgen," fragte die Frau.

Der Mann gab keine Antwort, als aber ein junger Dursche von etwa 16 Jahren eintrat, wandte er sich an diesen: Beeile Dich Sam, es ist bald sieben Uhr und es wird Zeit, daß wir gehen."

Sam trank in Eile seine Tasse Thee und ein Stück Butters brod, das die Mutter ihm vorgesetzt, und die beiden gingen.

Es war ein falter, nebliger Morgen, die Luft voll feuchten Rauches, der sich auf sie herniederfenkte und sie durchfeuchtete mit jener eisigen, erstarrenden Klebrigkeit des Londoner Nebels. Das schmutzig. Das Gehen unangenehm und schwer. Eine Zeit lang Pflaster der Straßen, die sie zu paffiren hatten, war schlüpfrig und gingen fie schweigend neben einander her, so schnell der schlechte Weg es ihnen gestattete. Nur die Hustenanfälle des jungen Mannes unterbrachen dann und wann das düstere Schweigen.

endlich.

Du hast doch zu Hause nichts gesagt davon?" fragte der Vater Nein!" antwortete der junge Mann. Hast Du von etwas Nein!"

erfahren?"

Und beide schritten weiter, ohne zu sprechen.

Jim Carters Herz war schwer, seine Gedanken düster, als er an der Seite seines Sohnes durch die äußeren Bezirke des süblichen London dahin schritt, an Castle vorüber, hinunter nach Blackfriars Road, und sich dem mächtigen Strom der Arbeiter anschloß, die von