Älntcrhaltungsblatt des Jorwürls Nr. 79. Donnerstag, den 22. April. 1897. < Nachdruck verboten.) i5] Ein nlkev Skveik. Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre von Wilhelmine v. Hillern. Ja, Traudl/ ruft Sebald,mit willst? Hast denn's Haus abgeschlossen?" Daß ihr Häuschen offen stehen geblieben, ist ihr gleich- gültig sie hat wenig oder nichts mehr darin zu verlieren, und hätte sie's auch, was wäre es gegen das, was sie an dem Bruder verliert!D;, laßt mich nur mit bis ins Dorf!" fleht sie und legt den Arm des Bruders zärtlich in den ihren, um ihn zu stützen. Sie trägt noch das Darlehen" von den Haberern bei sich, das ihr Sebald eingehändigt. Im Dorf will sie einen Wagen anspannen lassen, damit der schwächliche Mensch bis zum Gefängniß in Tölz fahren kann. Das übrige läßt sie dann dem Bruder. Er muß doch ein bißl Geld habenda drin"! A Prachtmadl!" murmeln die Gendarmen.Wer au so was derwischet, der kunnt sich gratuliren. Aber an unser- eins kommt so ebbas nit!" Indessen ist Lenz nach Haus gekommen. Es ist ihm gelungen, sich durch die Büsche zu schlagen und in den Hof zu stehlen, ohne daß ihn jemand sah. Die Hunde, die ihren jungen Herrn kannten, haben auch nicht angeschlagen. Und v oni Dach eines niederen Anbaues war es ihm ein Leichtes, in sein Zimmer zu gelangen, wo das Fenster noch offen stand. Schnell hat er sich umgekleidet. Seine Schuld ist ab­gestreift mit den Gewändern und abgewaschen mit dem Wasser des Wildbachs nun kann er die Verirrung sühnen. Und der arme Baldl! Dem wird er's reichlich vergelten und der Wiltrand auch. Der Fall ist ja so einfach und leicht gut zu machen zum Glück! Als er fertig ist, tritt er leise beim Vater ein. Der Alte liegt ganz in die Kissen vergraben und lallt und stöhnt unaufhörlich. Am Bett sitzt eine Magd und schnarcht, den Kopf aus den Bettrand gelegt. Ein qualmendes Talg­licht steht ungeputzt mit einem zolllangen verkohlten Docht im eisernen Leuchter und tropft Fluthen von übelriechendem, ge- schmolzenem Unschlitt auf den Tisch. Das trostlose Bild des Krankenzimmers eines ungeliebten Menschen. Niemand hat sich die Mühe genommen, den Bewußtlosen auszuziehen, man hat ihn gleich so ins Bett gelegt und er wälzt sich unbehaglich, halb an- gekleidet, unter der schweren Federdecke herum. Ekler Dunst von Fett und heißem Eisen betäubt seine verwirrten Sinne noch mehr und engt die müsam athmende Brust ein. Lenz putzt zuerst das Licht und schiebt es höher im Leuchter hinauf. Dann öffnet er das Fenster einen Augenblick, um frische Luft herein- zulasse», aber häßlicher Brandgeruch zieht vom Pfarrhof herüber und zwingt ihn, wieder zu schließen. Die Athcmzüge des Vaters fangen an, immer unruhiger zu werden. Lenz schleicht sich sachte heran. Der Kranke erschrickt:W wer ist da?" schreit er zitternd und hebt bittend die Hände auf. Die ganze namenlose Angst, die er ausgestanden, liegt in dieser flehenden Gebärde, und es ergreift den Sohn mit solch unaussprechlichem Mitleid, daß er mit beiden Armen den hilflosen Körper umschlingt und ihn fest an seine Brust drückt.Nein, Vater, nein's thut Dir niemand was's darf Dir nieniand nix mehr thun!" Der Vater erkennt die Stimme nicht, er versteht auch die Worte nicht er fühlt nur, daß es jemand ist, der's gut meint, und klammert sich Schutz suchend an ihn fest. Vater, Hab' doch kei Angst mehr jetzt bin ja i da, der Lenz, und laß Dir nix g'schehen!" Wer?" lallt der Kranke und starrt ihn mit leerem, glasigem Blick an. Dem Lenz ist es, als bohre sich ihm ein Stachel in Herz und Hirn, der immerfort die Worte eingräbt:Das hast Du gethan!" Der Lenz Vater, kennst denn Dein' Lenz nimmer?" Der Alte richtet sich mit dem Oberkörper auf, um das Ohr des andern zu erreichen, dann flüstert er ihm wie eine wichtige Neuigkeit, heiser, lallelnd zu:Der Lenz ja, der ist unters Mühlrad kommen. Hh huhuh!' fängt er nun an zu schlnchzen und wirft sich in die Kissen zurück. Dem Sohn schwindelt es. Jetzt erst blickt er in die Tiefe des Elends, in das er den Vater gestürzt.Vate� Vater wach aus! Dein Sohn Du mußt Dich b'sinne, Vater, werd mir nitt irr Gott im Himmel, raff Deine Gedanken z'samm! 5komm, es geht schon! Schau mich an, Vater! I bin ja nit unters Rad komme. I bin ja bei Dir und will Dich pflegen und will's gut machen alles, alles!" Er sinkt vor dem Bett auf die Knie umd küßt die kalten, gedunsenen Hände, die unruhig auf der Decke spielen. Der Kranke lallt mit erstickter Stimme unverständ- liches Zeug in die Kissen. Gott, Gott Vater lieber komm doch zum Ver- stand nur noch'n Augenblick, nur so lang, daß d' mir noch verzeihen kannst?" Er sieht die bläulichen Säcke unter den Augen des Kranken und den blöden Ausdruck in dem verängstigten Gesicht, und die Thränen rinnen ihm unaufhaltsam auf das Haupt des Vaters nieder. Der wischt die brennenden Tropfen weg, als wären's Fliegen, ohne zu ahnen, aus welch tiefem Born der Reue sie kommen. Der Alte ist zu weit vorgcrutscht und hängt mit dem Kops zum Bett heraus. Lenz hebt ihn behutsam auf und schiebt ihn besser hinein, dabei entdeckt er, wie schlecht und unsorgsam man ihn gebettet. Er rüttelt die schlafende Magd auf.Jetzt Hab' i's g'nug mit dem G'schnarch! Mach, daß d''naus kommst, faule Dirn, g'wissenlose!" No, ivas ist denn?" begehrt die Magd auf. Was ist? Nit amal auszogen und ordentlich ins Bett g'legt habt's den armen Mann. Schau her, wie ihn der Bund einschneide und zwängt, daß er nit schnauf'n kann und's Bett habt's ihm auch nit aufg'schüttelt, ös G'sindel, ös faul's!" O Jesus, jetzt wird ma noch ausg'schimpft weg'n dem?" Wegen dem?" schreit Lenz wüthend?'s ist mei Vater, daß d's weißt." Und mit festem Griff packt er die Dirn und treibt sie zur Thür hinaus. O, o, d' Haberer!" wimmert der Kranke nnd verkriecht sich unter die Decke. Mit der Zartheit eineS Krankenwärters entledigt Lenz nun den fröstelnden Alten seiner von der Nachtluft feuchtkalten Hüllen und richtet ihm ein erträgliches Lager her. Dann zündet er daS ausgegangene Feuer im Ofen wieder an und wärmt ihm Decken, in die er ihn einwickelt. Z'erst muß i den Kalt aus ihm'nausbringe!" murmelt er vor sich hin und reicht ihm etwas Branntwein, der auf dem Ofensims steht. Der Alte kann es vor Frieren fast nicht trinken, die Zähne klappern am Glas und er verschüttet alles. Lenz hat sich aufS Bett gesetzt und hält seinen Vater im Arm. ihm sorgfältig die Flüssigkeit einflößend, wie einem Kind. Das Licht hat er neben sich hingestellt, um besser sehen zu können. Der starke Branntwein thut sichtlich gut, und in den Armen des Sphncs, eingehüllt in die heißen Decken, beginnt der Un- glückliche allmälig zu erwarmen. Die kurzen Athemzüge iverden regelmäßiger und länger. Eine unverkennbare Br- rnhigung kommt über ihn.Er spürt halt doch, daß i's bin!" denkt Lenz und wagt sich nicht zu rühren, uni das Behagen des Kranken nicht zu stören. Im Ofen kracht das Fichtenholz, der schwache Mann erschrickt und schaut aus.Ja, D u bist da?" sagt er plötzlich, wie erwachend, und in die glasigen Augen kommt ein Schimmer von Bewußtsein. Er betastet mit den unsicheren Händen Lenzen's Gewänder, ob es etwas Wirk« liches sei.Ja, bist Du denn nit todt!" Nein, Vater! I bin nit todt i bin nur a recht a böser Bua, den D' amal g'hörig beuteln sollst, wann D' wieder g'sund bist." Eine Weile ist alles still, als müsse der Alte es erst ver« arbeiten. Lenz fängt schon an zu fürchten, das Bewußtsein sei wieder erloschen. Da holt der Verstummte plötzlich tief Athem nnd bricht in ein krampfhaftes Lachen und Weinen aus. Der Kopf sinkt an seines Sohnes Brust und die halb erstarrten Lippen flüstern:Lenz ja der Lenz!" Vater!" Bist da? Bist wiederkomme, mei Bua mei o, bist mir nimmer bös? I hörst nix?" Was soll i hören, Vater?" Hörst sie pfeifen hilf mir, Lenz, hilf Vater, sei doch ruhig!"