das feine überschüssige und schleufsige Kultur in alle Welttheileexportirt, fünf Decennien seines Lebens namenlos in der Weltherumläuft, das ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen.Ich konnte, ich wollte solches nicht glauben! Um nun nichtdas Opfer einer Fopperei dieser Sorte, im ewigen Kampfe mit derGesellschaft stehenden Menschen zu werden, habe ich, nach demGrundsatze der Bureaukratie:„(Juocl non est in actis, non est inmundo"(Was nicht in den Alien ist, ist nicht in der Welt, d. h.existirt nicht), die Notionirungsakten über diese namenlose Existenzeiner eingehenden Prüfung unterzogen." Folgen im Wortlaut Aus-kunftstabelle» der Bezirksgerichte Zell am See und Taxenbach, indenen über einen Johann N. berichtet wird. Schöffe! fährt dann fort:„Aus dieser Notiz(der Taxenbacher Auskunftstabelle) gehthervor, daß der Richter in Taxenbach aus Mitleid mit dem armen,von Kindheit bis zum Greisenalter maßlos gehetzten„Namenlosen".demselben sechs Monate Haft diltirte, dann ihn in die Zwangs-arbeits-Anstall einlieferte, um dem Müden die ersehnte Ruhe auflängere Zeit zu verschaffen. Der Direktor der Zwangsarbeils-Anstalt, bezüglich der Aufführung des Namenlosen während seinerJnlernirung in der Anstalt dcsragt, gab a»:„daß ihm noch nie einMensch von so seltener Gutmülhigkeit, Willigkeit und Bescheiden-heil vorgekommen sei wie dieser Namenlose! Derselbe verrichtejede ihm aufgetragene Arbeit ohne Murren, ist in jeder Beziehungverläßlich— friedfertig und zuvorkommend gegen seine Haftgenoffen— gehorsam gegen seine Vorgesetzten."Nachdem ich alle Auskünfte über den Namenlosen eingeholt undgeprüft hatte, ließ ich ihn vorrufen, um seine Bitte entgegen-zunehmen und durch freundschaftliche Rücksprache unter vier Augenzu erfahren, ob der Mann doch nicht vielleicht, wie so viele andere,einen Grund habe, seinen Namen zu verheimlichen.Herein trat ein Mann mit schneeweißem Haar, seinem Ans-sehe» nach eher 60 als öv Jahre alt, von kleiner Statur, zartem,ja graziösem Körperbau, blauen Augen und einem Gesichtsausdruckvoll Duldung und Milde. Derselbe erzählte über meine Aus-forderung, zu seinem eigenen Nutze», um ja nichts zu verheimlichen,über seinen Lebenslauf folgendes:„Ich habe nichts zu verheimlichen und habe auch nie etwasverheimlicht. Wo und wann ich geboren wurde und wer meineEltern waren, weiß ich nicht. Soviel ich mich zu erinnern vermag,war ich als Kind bei einer Koinödiantentruppe, welche aus dreiMännern und drei Weibern bestand. Wie ich hingekommen, weißich nicht. Die Komödianten nannten mich„Johann" und erzähltenmir, daß sie mich als Kind in ihrem Wagen aufgefunden hätten.Ob ich getauft wurde, weiß ich nicht, glaube es jedoch nicht, da dieKomödianten, nicht wie die Bauer», mit welchen ich in Berührungkam. betete» oder an einen Gott glaubten. Ich wurde von denKomödianten zum Seiltanzcn abgerichtet. Eines Tages stürzte ichbei einer Hebung vom Seil und brach mir den Fuß.Ein in der Nähe wohnender Schinder richtete mir den Fuß soein. daß die Ferse schief steht. Da ich dadurch zum Seiltanzennicht gebraucht werden konnte, mußte ich für die drei der Gesellschaftgehörigen Pferde um Heu und Hafer zu den Bauern betteln gehen.Brachte ich wenig oder kein Futter nach Hanse, wurde ich von de»Komödianten geprügelt und ebenso wurde ich anderntheils von denBauern geprügelt, die ich um Heu anbetlelte. Halb verhungert undwund gehauen ging ich den Komödianten, die mich schließlich gewißtodt geschlagen hätte», durch.Ich zog nun in der Welt herum, suchte nach Arbeit und Brot,wurde jedoch überall abgewiesen, weil ich keinen Namen und deshalbkeinen Ausweis hatte. In Baiern, in Salzburg, in Tirol, inItalien, wo ich herumzog, fand ich hie und da Beschäftigung alsViehhirte. Kaum war ich aber einige Tage im Dienst, mußte michmein Brotherr im Auftrage des Gemeindevorstehers fortjagen,damit ich nicht, wie man mir sagte, als Ausweisloser der Gemeindeals zuständig zugewiesen werde. Es blieb mir daher, um nicht zuverhungern, nichts Anderes übrig, als zu betteln. Als Bettler undLandstreicher wurde ich unzählige Male abgestraft.In Salzburg, in Zell am See, in Liezen, Zell am Ziller, inmehreren anderen Orten in Bayern saß ich behufs Erhebung meinerZuständigkeit in Haft, wurde jedoch überall nach mehrmonatlicherHast laufen gelassen. Bei einigen österreichischen Gerichten habendie Richter, wie man mir versicherte, sich ineinetwegen bittend an diehöchste» Stellen um eine Namensverleihung gewendet, jedoch vergebens! Ich bettelte auch in vielen Pfarrhöfen, unter Hinweis darauf,daß ich wahrscheinlich nicht getauft bin und auch keinen Religions-Unterricht genossen habe, um die Taufe und um einen Namen. Manwies mich an die Bczirkshauptmannschaft.Diese übergab mich der Schubstation, und so ging es fort, durch,wenn ich recht rechne, mindestens 50 Winter und 50 Sommer. Ichwar nie krank, trotzdem ich, außer in Arresten, im Sommer undHerbst in Wäldern, im Winter in Ställe» und Tristen übernachteteund oft das Futter mit Schweinen und Hunden theilte. Ich habenie eine Schule besucht, keinen Religionsunterricht genossen, weißauch nicht, was Religion ist, wurde nie zur Stellung berufen. Ichhabe nie in meinem Leben jemanden beschädigt oder mich an fremdemEigenthum vergriffen— ich glaube, ich bin zu dumm dazu— ichhabe nie jemanden beleidigt oder wehe gethan, obzwar man michoft ärger als ein Thier verfolgt oder mißhandelt hat. Jetzt bin ichnach SOjährigem Herumirren hierher geschickt worden und bitte, ummeinem namenlosen Elende ein Ende zu machen, um einenNamen!"---Ter Landesausschuß Schöffel, also ein Mitglied der nieder»österreichischen Landesverwaltung, schließt seine Erzählung mit de»Worten:„Das ist die Geschichte eines Menschen, der, namen- undheimathlos, dem grenzenlosesten Elende und unausgesetzter Ber-folgung preisgegeben, ohne Erziehung, ohne Schule, ohne Glaube»sein Leben bis ins hohe Greisenalter, frei von jedem Laster, vonjedem Verbrechen in vollkommenster Sittenreinheit erhielt, einglaubensloser Märtyrer zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts,inmitten einer Welt, die eine verkörperte Lüge ist!Durch diese wahrhaftige Geschichte wird das Unglaublichstewahr, nämlich, daß in einem Reiche, wo nicht weniger als 17 gesetz-gebende Körperschaften Jahr aus, Jahr ein, mehr Gesetze und sorg-loser in die Welt setzen, als ein Insekt seine Eier, Menschen, kraftder bestehende» Gesetze, Arbeit, Unterstand, Brot verweigert wird,weit sie namen- und heimathlos sind, während sie zugleich auf grunddes Gesetzes verfolgt und gestraft werden, weil sie arbeits- undunlerstandslos herumziehen und nicht den Muth haben, Hungers zusterben.Diese wahrhaftige Geschichte liefert ferner den Beweis, daß ineinem Reiche, wo sich die Bureaukraten bemühen, Staat und Volkkrumm und lahm zu administriren und zu diesem Zweckeso viel Papier verschmiere», daß man damit den Erdball wie eineZitrone einwickeln könnte, keine Behörde sich kompetent findet, einemNamenlosen den nölhigen Name» zu verleihen.Der Staat zieht alljährlich nahezu eine Milliarde aus seinenUnterthanen, er verwendet diese Unsummen zu allen erdenklichenZwecke», nur für das Elend von Kindern, die von der Eltern-,Vormünder- und FindlingSpfiege vernachlässigt werden, was nochein grausameres Sterbenlassen, als die Kinderaussetzung und derKindesmord der Wilden ist, hat er kein Auge, kein Herz und keine»Kreuzer, ja, er nimmt das, was er diesen armen, vernachlässigtenKindern ausgesogen, auf grund eines faulen Rechts für sich in An-spruch und überläßt sie dafür der Pein oder erklärt sie, wie den„Namenlosen", für vogelfrei!"—Nleines Fenillekon— Die neuesten Mode- Narrheiten. Als besonders feinerHutaufputz gelten jetzt Radiesche». In Wien ließ sich vor einigenTage» Eine sehen, zu deren Schirm waren tausend Meter Bändchenverwendet worden. Inwendig sah das Ding aus wie ein Hornissen-»est oder eine Kalksteingrotte. Für Ohrringe lautet die allerneuesteMode: In jedes Ohr kommt ein anderer Ohrring, er ist ans Gold-draht gewunden und zeigt womöglich in japanischem Stile dieAnfangsbuchstaben des Namens. Man wählt für das linke Ohrdenjenigen des Taufnamens, für das rechte den des Familiennamens.Die Frauenstrümpfe sind dieses Jahr zu kurzen Socken geworden,die nur um ein weniges den Sliefelrand überragen. Dafür reichendie neuesten Gigerlstrümpse bis weit über das Knie hinauf. Andem achteckigen Frauentaschenluch ist ein Täschchen angebracht, undin diesem steckt ein kleines Riechkissen.— Müssen sehr gute Mägenhaben, die Männer solcher Modeweiber!—— Warum heißen die Apotheker SSer? Die eine» sagen,weil sie 99 pCt. Gewinn nehmen. Das stimmt in vielen Fällennicht: Sie nehmen noch weit höhere Prozente. Andere wieder be-Haupte«, der Beiname stamme von etwas ganz anderem. Bezeichnetman die Buchstaben des Alphabets mit Zahlen, so ergiebt sich beimNamen Apotheker folgende Zusammenstellung:A- 1p— 16o— 15t— 21h- 8e— 5k— 10e— 5_ r— 18Apotheker— 99.Literarisches.n. Karl Kieninger: Eine Posaune znrFriedens-bewegung! oder: Wie haben sich die wahren„Christen" bei dergeistigen Revolution von oben und bei den hieraus entspringendeneventuellen inneren Kämpfen zu verhalten? Schwäb. Hall, 1897.—Eine kitzliche Frage, die der Verfasser vom Standpunkte einesehrlichen Christen ganz konsequent beantwortet. Wir müssen unsallerdings versagen, diese Antwort klipp und klar wiederzugeben,denn ohne die Anführung von einigen hundert Bibelstellen könntesie etwas seltsam lauten, so selbstverständlich sie auch ansich ist. Nur soviel sei erwähnt, daß der Verfasser unseren„christ-lichen" Ordnungshelden einen recht netten Spiegel vorhält und ihreHeuchelei rücksichtslos an den Pranger stellt. Was er in den vielenAbschweifungen von seinem eigentlichen Thema sonst noch zum bestengiebt, ist ziemlich harmloser Natur. Auf die Sozialdemokraten ister nicht gut zu sprechen, wenn er sie auch nicht mit den„Revolutio-nären" von oben" direkt in einen Tops wirst. Dafür werden ihnalle„Christen von oben" wahrscheinlich in den allgemeinen Um-stürzlertops werfen.—