Anterhaltungsblatt des Horwürts Nr. 86. Sonnabend, den 1. Mai. 1897. 221 tNachdruil verböte») Ein nlkev Skveik. Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre von Wilhelm ine v. Hillern. „Nun?' „Der brave Kerl, aus so einer rechtlichen, angeseheilen Familie—* Gcmming murmelt es zwischen den Zähnen; „den haben sie heut eing'scharrt hinter der Kirchhofsmauer.' „Was?* schreit der Habermeister und springt ans, das war zu viel, jetzt reißt die allzu scharf gespannte Saite.„Herr- gott— mei Hand! Gieb mir mei Hand wieder!' Mit der Kraft des Fiebers und der Verzweiflung reißt er den Stutzen von der Wand.„Wart nur, Florian, Tu liegst nit lang allein da draußen—' „Habermeister!' ruft Gemming und entwindet mit einem Ruck dem schwachen Mann die Waffe.„Was soll das heißen — seid Ihr bei Sinnen?' Wiltraud fängt den Taumelnden in ihren Armen auf. „Bei Sinnen wär' ich schon, ivenn i noch g'sund und stark mär'!' sagt er mit hinsterbender Stimme.„Aber so— habl's recht, Herr Gemming! Was will unsereins machen?" Er lacht— ein herzzerreißendes Lachen:„Dahin haben sie's also gebracht,'s ganze Land hat uns respektirt und jetzt? Der Meister zum Krüppel g'schossen, die Mitglieder zerstreut— tobt, im Sand eing'scharrt— o Du alter, großer Kaiser— so endet Dei Habererordeu!" Er bleibt Wiltraud und dem Freund wie leblos in den Armen.— Sie bringen ihn, ohne ein Wort zu reden zu Bett und setzen sich still daneben. Allniälig geht die Ohnmacht in einen unruhigen Schlummer über. Wiltraud kann nicht weinen, ihr ist, als wäre ihr die Aufgabe geworden, allen Schmerz der Menschheit auf einmal auszukosten.— Wer das erlebt hat, kann nie wieder froh werden!— Aengstlich lauschen sie den Athemzügen und den verworrenen Lauten des Schlafenden. Wiltraud neigt sich zu Gemniing herüber und flüstert leise:„Gelt, Herr Gemming, Oes verlaßt's uns nit heut Nacht? Mir ist so Angst!' Gemming nickt ihr nur stumm zu. Dann harren sie standhast an dem bangen Schmerzens- lager aus— eine lange qualvolle Nacht. Gegen Morgen wird der Kranke ruhiger und sein Schlaf scheint fester und wohlthätiger zu werden. „Gott sei Dank," haucht Wiltraud kaum hörbar dem lauschenden Gemming zu.— Der horcht aber gespannt auf etwas anderes und berührt im Dunkeln Wiltraud's Arm, um sie aufmerksam zu machen. Jetzt hört sie es auch. Ei» Wagen mit krächzenden Rädern fährt den Berg herauf und hält vor der Thür. Ein lauter Peitschenknall. „Das ist die Frau!' sagt Gemming. „O Gott, so früh— und er schlaft grab so gut!" Wil - traud ist es zu Muth, als müsse sie einer Hinrichtung bei- wohnen. Hände und Füße sterben ihr ab vor Äugst . Ein zweiter heftiger Peitschenknall. Mit einem Schmerzenslaut fährt der Kranke aus dem Schlaf:„Was ist?' „Mei lieber Poschinger, Ihre Frau kommt— Sie zu holen—'s ist leider Zeit." Und wie der Verurtheilte, der zum Schaffst geholt wird, fügt sich der elende Mann, gehorsam— aber seinen Körper schüttelt der Frost. Wiltraud, ihrer Bewegung nicht mehr Herr, will hinunter, um zu öffnen. „Wiltraud— tönt hinter ihr ein brechender Laut. Sie kehrt um und eilt zu ihm hin. „Noch vorher adje sagen—/ bittet Tenner und kniet im Bett aus. Sie versteht ihn— es ist der letzte Abschied—! Und sie schlingt die Arme um die abgezehrte Gestalt und einen Augenblick ruht sein Haupt an ihrer Brust, ihre Lippen be- rühren seine kalte Stirn und ihre Thränen netzen sein Haar. „Jetzt— will ich all-s ertragen!' flüstert er. Gott segn' Dich tausend, tausendmal!' An der Thür wird gepoltert und eine keifende un- geduldige Frauenstimme ist zu hören. Wiltraud eilt hinaus. — Ihr ist zu Mnth, als fei sie plötzlich gewachsen. Wie die Pflanze, die der Regen niederschlägt, während er im Innern ihr Wachsthum fördert. „No, da geht's a Zeit her, bis ei'm anfg'macht wird! Z'crst sprengt ma d'Leut' her, daß ma meint,'s ging scho an Hals und Krag'n und nachd' laßt ma's nit eini!"— So schimpfend tritt ein robustes Weib ins Haus. Der erste Tagesschein zeigt ihre hübschen, aber groben Züge. „Gruaß Gott ! I möcht mein Ma' holen. Seid's Oes des Frau'nzimmer, wo'n pflegt hat?" „Ja", sagt Wiltraud, unwillkürlich einen Schritt von ihr zurücktretend:„Wünsch guten Morgen! Ter Herr ist oben in der Kammer." „Z'erst muß i für's Pferd sorgen! Habt's koao Knecht?' „Nein!' „Und aa koan' Stall, wo ma's einistell'n kunnt.' „Stall schon, aber da ist d' Geiß drin und weiterS ist nit aufg'schütt!' „Hm! anbinden kah ma's aa nit—.' „Wann's a Decfn habt's, nachd' kann ma's ja stehn lassen, und der Herr Gemming, der droben ist, haltet'S Enk vielleicht so lang.' „Meintswegen," sagt die Frau und wirft dem Thier? so plump die Decke über, daß es erschrickt und zur Seite springt. „Heh— la!' schreit sie und reißt eS am Zügel:„Kahst nit steha?' „Wiltraud zieht sich das Herz zusammen:„Wie wird die den armen Manu pflegen, wenn sie so mit dem Pserd umgeht! Gott steh' ihm bei!' Sie steigt die Treppe hinauf:„Herr Gemming, wärt's nit so gut, dera Frau's Roß z'halten, daß i sie'rauf in'd Stub'n führen kann?" Gemming hat unterdessen den Freund angekleidet und ist gerne bereit.„Muth, lieber Tenner,'s geht auch vorüber— wie alles. Das ganze G'frett von hentzutag ist's nit werth, daß sich a vernünftiger Mensch drum'runter kränkt," tröstete er ihn. Aber man sieht ihm an, daß er selbst des Trostes be- dürfte.— Dann verläßt et das Zimmer und Wiltraud führt die Frau herauf. Tenner sitzt matt auf dem Bettrand, als die breite, in ihren dicken Winterkleidern doppelt unförmige Gestalt sich zur Thür hereinschiebt. Unterdessen ist es hell geworden. Sie bleibt einen Augen- blick stehen und schaut ihn zweifelhaft an. „Grüß Di Gott,' sagt Tenner.mit heiserer, verfallener Stimme. „Ja, Jesas— bist es Du wirklich? I Hab Di schier nimmer kennt!' Sie geht widerstrebend zu ihn» hin und reicht ihm die Hand in ihrem rauhen wollenen Fausthandschuh.„Ro — so grüaß Di halt Gott,— Tu machst schöne Sachen! Jetzt bist ruinirt für Dei Lebtag.— Dös war wohl der Müh' werth, dös Um'nanderthuan mit dcua Haberer,— daderfür hast Di so zurichten dürfen!' „Frau," sagt Wiltraud bittend,„seht's deun nit, wie schwach er ist? Wie kann ma denn da noch Borwürf machen!" „I kann doch nit sagen, daß i mi drüber fren'?" „Dös verlangt niemand, aber so viel menschlich's G'sühl kann a jed's hab'n, daß es'n Kranken nit noch plagt!" „So? vielleicht aa noch schönthuan,— wann einer nit an Weib und Kinder denkt? No. da bist ja in'ra guateu Schual g'wesen. Wann T' so'n Umgang hast— na wundert mi nix mehr—!" Sie stampft in der Kammer umher und packt Tenner's Sachen zusammen, die ihr Wiltraud reicht. Tcnner spricht kein Wort. Sein Blick hängt an Wiltraud, als wolle er sich aus ihren bleichen edeln Zügen Geduld trinken. Wiltraud dringt das noch immer nöthige Verbandzeug herbei und will es der Frau erklären, aber die weist sie zurück:„Da dervon versteh i nix— mit Sclles gieb i mi nit ab. Dös kann er sich d'hoam vom Bader thuau lassen. Er soll's nur zahlen, kost eh' scho g'nua die E'schicht—'S geht alles in ei'm hin!' Wiltraud stockt das Blut in den Adern.„Frau, wollt's denn den Mann umbringen?"
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14 (1.5.1897) 86
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