furchtbarer war, als irgend ein Torqueinada sie hätte erdenkenkönnen. Physische noch so grausame Qualen sind meist von Ruhe-pausen unlerbroche», aber Fräulein Karpuzi befand sich Tag undNacht unaufhörlich in den Klanen der Angst. Stets allein, ohneBeschäftigung, konnte sie den schreckliche» Sinnestäuschungen, vondenen sie befallen, nicht entrinnen.Eines Nachts hörte sie, wie es ihr schien, ganz deutlich Geräuschauf dem Korridor, eilige Schritte, Kettenrasseln und das Kom-mando eines Offiziers. Sie schaute durch das Fenster und be-merkte, wie sie glaubte, eine ganze Reihe Galgen. Die Menge ansdem Korridor setzt sich in Bewegung, aber sobald sie den Ausgangerreicht und die Galgen erblickt, fährt sie, von Entsetzen ergriffen,zurück und stürzt i» die Bajonette, die auf sie gerichtet sind. DasGeschrei der Männer, das Stöhnen und Jammern der Frauendringt an ihr Ohr; zuletzt steht sie, wie ihr geliebter BruderAndreas zum Galgen geschleppt wird. Er schreit um Hilfe undruft sie beim Namen. Eine Anzahl Leute folgen nach; alle ihreFreunde, Verwandte» und Bekannten werden gehängt und allewidersetzen sich und schreie». Ihr Widerstand hat brutaleSchläge und Züchtigungen zur Folge und schließlich werden allegehängt. Sie allein bleibt auf der Welt zurück. Wahrscheinlich hatman sie vergessen, aber ohne Zweifel wird nian noch kommen, umauch sie hinzurichte». Man hat nur zu gut gehört, wie sie dieLeute anflehte, ihren arme» Bruder zu schone» und ihre Freundenicht zu quälen. Aber der Tot ist nicht das schlimmste, das ihrerwartet. Man weiß, daß sie schwach ist, und man wird Mittel an-wenden, um sie zum Sprechen zu bringe». Eine unbeschreiblicheAngst ergreift Besitz von ihr, sie ist sicher, den Torturen, die ihrerwarten, nicht widerstehe» zu können, und sie wird unschuldige Leuteins Unglück bringen. Es giebt nur e i n Mittel, diesem Furcht-bare» zu entrinnen, das ist: vorher zu sterben. In einem Wirbelfieberischer Gedanken wird Plan ans Plan erwogen und wiederverworfen, und endlich ergreift die Gefangene ein Handtuch, be-festigt es mit zitternden Händen an einem Haken am Fenster, machteine Schlinge und legt sie um ihren Hals; aber ihre zitternde»Hände und ihr verwirrter Sinn lassen das Vorhaben nicht gelingen,sie stürzt mit dein Handtuch zu Boden. Der dumpfe Ton des Fallesvermehrte noch ihre Angst. Die Wärter könnten ihn gehört habe»und nun ihren Plan vereiteln. Sie macht Ordnung in ihrer Zelle,legt sich auf ihr Bett nieder, bedeckt sich bis über den Kopf miteinem Tuch, nimmt den Deckel eines Zinnkessels und beginnt damitihr Handgelenk aufzureißen und sich die Pulsader zu öffnen. Dasi» der That ist der beste Plan. Keiner würde etwas bemerken undder Tod wäre gewiß. Sie sägt und sägt, aber es dauert ihr zu lange.Gut, sie besitzt ja einen metallenen Kamm, mit dem wird es befsergeh». Schließlich kommt das Blut, färbt ihr Hemd und Tuch, undsie sinkt i» eine Ohnmacht.Alles dies geschah i» der Nacht, und als sie durch den furcht-baren Schmerz au der Hand erwachte, war es schon Tag. Wiederwar ihre erste Empfindung eine intensive Furcht, daß die Wärterihren Selbstmordversuch bemerken und ihren Tod verhindern würden.Sie ergriff den Kam», aufs neue und setzte ihr Zerstörungswerkfort, aber diesmal befand sich des Wärters Auge thalsächlich an der„Judasklappe". Die Zellenthür wurde hastig geöffnet, das Mädchenfestgehalten, der Kamm ihrer Hand entwunden, ein Arzt herbei-gerufen und ihr Handgelenk verbunden. Kurze Zeit darauf kamder Direktor und theilte ihr mit, sie sollte bald vernommenwerden. Aber sie verstand diese Nachricht ans ihre eigene Weiseund fragte, ob sie jetzt bald gehängt werden würde. Mansuchte sie zu überzeugen, daß vom Hängen gar keine Redesei; aber dies änderte ihren Glauben nicht, bewirkte vielmehrnur, daß sie gar nicht mehr sprach. Sie vertheilte alle Kleinig-leiten, die in ihrem Besitz waren, unter die Aufseher und Gefängniß-wärter, sagte alle» ein herzliches Lebewohl, als ob sie zum Sterbenginge, und folgte den beiden Polizisten, welche sie geleiteten.Ehe das Verhör vor Gericht beginnen sollte, forderte man sieauf, ihren Namen zu schreiben und andere«bliche Formalitäten zuerfüllen.„Wie?" fragte sie erstaunt.„Kann ich nicht ohne dies allesgehängt werdenDiese Frage verursachte einige Verwunderung, aber als die Be-amtin ihre Unterschrift betrachteten, wurde das Aufsehen noch größer,denn die Buchstaben waren unleserlich und verwirrt und man er-kannte daraus den Geisteszustand der Acrmsten. Der Kronanwalt,von Mitleid ergriffen, befahl, daß man ihr eine Tasse Thee bringe.aber als ihr diese gereicht wurde, gerielh Frl. Karpuzi in Un-ruhe, und fragte, ob sie denn vergiftet und nicht gehängt werdensollte, wie alle ihre Freunde und Verwandten. Die Richter, denenimmer unbehaglicher zu Muthe wurde, versuchten andere Mittel,um die Gefangene zu Verstand zu bringen. Man ließ mehrereTassen Thee bringen und der Kronanwalt bat sie, eine beliebigefür ihn auszuwählen, die er dann trinke» wolle; aber diesschien gar keine Wirkung auf sie auszuüben und von deirPräliminarien des Verhörs sichtlich ermüdet, antwortete sie:„Uebrigens ist mir alles gleich, ich will ihn trinken. Ihr habt mirja doch alles getödtet, was ich auf der Welt besaß, mögt Ihr jetztauch mich tödlen." Sie nahm dann ein wenig Thee zu sich.Trotz alledem machten die Richter jetzt neue Versuche, sie einemVerhör zu unterziehen. Aber sie gab auf keine Frage Antwort.sondern wiederHolle nur die Klage, daß alle ihre Freunde umgebrachtseien. Als der Kronanwalt schließlich sah, daß er es mit einerWahnsinnigen zu thun hatte, fragte er sie, ob sie nicht in das Ge«sängnißhospital gehen ivollte. Sie erwiderte, ihr sei alles gleich.Nack einer Berathung kamen die Herren zu dem Beschlüsse, sieihrem Schicksale zu überlassen. Eine Droschke wurde geholt, derKutscher erhielt die Weisung, Frl. Karpuzi nach ihrer früherenWohnung zu fahren, und sie wurde in Freiheit gesetzt. Als dieWohnungsinhaberin den Znftand des Mädchens sah, schickte siesofort zu ihrem Bruder. Die Unglückliche erkannte ihn, hielt ihnaber für ein Gespenst. Alsdann wurde sie der Pflege eines be-kannten russische» Psychiaters, Herrn Dr. Korsakow, übergeben,der an diesem Fall ein lebhaftes Interesse nahm und keine Mühescheute, die Wahrheit zu erforschen und Material zu sammeln, umihn aufzuhellen. Sein Rath war, die Kranke so bald als möglichaus Moskau zu entfernen. Die Häupter der Moskauer Spionage(Oldrraunoe Otdelenie) weigerten sich eine Zeit lang, dies zu gestatten und beharrten darauf, daß das leidende Mädchen selber umdie Erlaubniß nachsuchen müsse. Aber schließlich wurde dies Gesuchdoch gewährt und Fräulein Karpuzi ging nach Südrußland. In derStadt Novorossysk, in der sie Aufenthalt nahm, ließ die Polizei sieeine Zeit lang unbehelligt. Langsam begann das junge Mädchen zugenesen und es wäre sicher in kurzem vollständig gesund geworden;aber als die Polizei die Besserung ihres Zustandes bemerkte, begannsie wieder ihr böses Werk. Angela Kalpuzi wurde aufs neue ver-folgt, inquisitorischen Frage» unterworfen u. f. w. und ihre frühereManie kehrte zurück. Was seither aus ihr geworden ist, weiß ichnicht, aber was ich Ihnen erzählt habe, genügt, um zu zeige»,welche Tragödien eines Tages enthüllt werden könnten, wen» esmöglich wäre, die Akten des Spionagebureans einmal ans Licht zvziehen.—_Kleines Feuilleton*— Heber englische Landgüter und ihre Erhaltung bringtdas Aprilheft des„Cornhil Magazine" eine statistische Zusammen-stellung. Es geht daraus hervor, daß es in Großbritannien etwa900 Herrensitze giebt, daruiiter 60 ersten Ranges, die 200 bis600 Personen Dienerschaft beherberge»; 200 zweite» Ranges, wo100— 150 Diener und Handwerker gehalten werden, und 640 drittenRanges, die blos einen Troß von etwa 50 Leute» bergen. Der Ber-fasser der Artikels, Mr. Cornish, wählt zum Maßstab der Regie«koste» einen Landsitz i» der Grasschaft Suffolk, wo die Löhne für die170 Bedienstete» 8000 Pfund Sterling(160 000 M.) im Jahre be-trugen. Die Erhallung eines Wildparkes wird mit etwa 750 PfundSterling jährlich eingestellt. Mit Ausnahme der dort Angestelltenzieht aber die Allgemeinheit keinen oder doch sehr geringfügige»Nutze» aus diesen kolossalen Ausgabe». Ein paar Spaziergängeoder Sportsgebiete, mit sehr beschränktem Benutzungsrecht— dassind so ziemlich die einzigen Vortheile, welche der Bevölkerung, diein der Nähe solcher Herreusitze wohnt, zufallen.—Theater.— Der Name„Theater des Westens" wird nächstensverschwinde». Das Theater selbst soll Direktor Prasch vom BerlinerTheater pachten, als stellvertretender Direktor soll Max Hofpauersungiren.— Unterschrieben ist der Kontrakt noch nicht.—— c. e. Der bekannte italienische Roman- SchriftstellerGabriele d'Annnnzio hat ein einaktiges Drama vollendet,welches„KoZiio di una mattina di primavera"(„Ein Frühlingsmorgen» Traum") betitelt ist und im Juni im Pariser Renaissance-Theater zur ersten Aufführung kommen soll. Die Hauptrolle wirdEleonora D u s e spielen.—Kunst.— Eine» H a u s s ch a tz moderner Kunst giebt dieGesellschaft für vervielfältigende Kunst in Wie n heraus. DasWerk erscheint in 20 Lieferungen mit je 5 Blatt Radirungen nachGemälden moderner Meister. Formal 30: 40 Zentimeter in Original-Umschlag. Die Lieferung kostet 3 Mark. Die Sammlung enthältRadirungen»ach Landschaften, Genrebildern, Historienbildern,Porträts von Böcklin, Defregger, Feuerbach, Grützner, Liebermann.Gabriel Max, Uhde, Schwind, Schindler, Waldmüller n. a., dieRadirungen stammen von Bürkner, Halm, Hecht, Krauskopf, Krüger,Unger, Wocrnle u. a. Heft I enthält: A. Böcklin, Villa am Meer.Radirnng von W. Hecht. H. Kauffmann, Verliebt. Radirung vonH. Bürkner. Fr. A. von Kaulbach, Ein Maitag. Radirmig vonW. Unger. E. Grützner, Klosterschäfflerei. Radirnng vonC. Vaditz. F. von Uhde, Aus dem Heimweg. Radirung vonW. Unger.—— Die Fahrräder-Fabrik Bernh. Stoeiver inStettin schreibt Preise von 300, 200 und 100 M. fürFahrrad-Plakate aus. Die näheren Bedingungen werde»von der Firma auf Wunsch mitgetheilt.—Erziehung und Unterricht.— Die Schädlichkeit des Frühaufstehens fürkleine Schulkinder hat nach der„Mgdbg. Ztg." ein Lehrerdurch folgenden Versuch nachgewiesen. Er konnte sich lange denUmstand nicht erklären, warum seine im Alter von 6 Jahrenstehenden Kleinen an der ersten Unterrichtsstunde nur selten mitvöllig befriedigendem Erfolge theilnahmen. Eines Tages kam ernun auf de» originellen Einfall, zn folgendem Experimente zu