Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 96.
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Sonntag, den 16. Mai.
( Nachdruck verboten.)
Ein alter Streit.
1897.
Wiltraud steht unschlüssig, ob sie's annehmen soll. Freilich ist sie hilflos und verlassen wie noch nie!
Oder traust mir nit?" fragt der Bursch treuherzig. Mei!
Noman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre I bin ja doch a Haberer!" von Wilhelmine v. Hillern.
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Sie ist lange bei den Thieren, denn auch um das Pferd, das ihn heimgeführt, ist sie besorgt. Sie hat den Steub ins Haus und ins Wohnzimmer gehen hören. Der wartet ja gerne. Als sie mit allem fertig ist, tommt sie wieder vor und öffnet die Thür zum Wohnzimmer. Aber wie gebannt bleibt sie stehen: Das ist nicht der Steub, der da kuiet bei der Leiche, ganz versunken in Schmerz, das Gesicht in die gerungenen Hände vergraben! Alles Leben weicht aus Wiltraud's Antlitz diese jugendliche, kraftvolle Gestalt fennt sie zu gut. Einen Augenblick steht sie unschlüssig, bebend bis ins Innerste, er hat nichts bemerkt, so vertieft ift er im Gebet oder in das, was seine Seele mit dem Todten zu reden hat. Wiltraud schließt mit raschem Entschluß, so leise ihre zitternden Finger es vermögen, die Thür wieder zu und flüchtet in den Stall zurück. Gott, Gott erbarm' Dich seiner!" betet sie jetzt für den Unglücklichen, der da büßend liegt zu den Füßen dessen, den er geopfert." Dann schleicht sie hinaus, um den zurückkommenden Steub abzuhalten, damit nichts die heilige Stille störe, in der eine Seele nach Gnade ringt.
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" Bleib heraußt bei mir, drin ist einer, den man allein
Lassen muß."
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,, G'wiß der Lenz?" fragt Steub. Dem hab' ich's doch sagen müss'n den geht's ja z'nächst au. Aber den hat's g'riffen! I hab' g'meint, er fallt mir grad um, wie er's g'hört hat."
Steub! Sei jeht so gut und bleib' derweil da. I geh' a Zeit lang fort. I muß schauen, daß i wo a Weihwaffer krieg."
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Aber dös kann i ja holen."
" Nein, i muß es selber thun, i fag' Dir's aufrichtig -i kann den Lenz heut nit sehen,' 3 ist mir unmöglich! Wenn er nach mir fragt, so sag' nur, i holet a Weihwasser." In dem Augenblick aber öffnet sich die Thür und Lenz tritt heraus mit verweinten Augen und verwirrtem Haar. Sie stehen sich einander gegenüber. Keins vermag ein Wort zu sprechen. Steub entfernt sich, im Gefühl, daß hier kein dritter hergehöre; sie sind allein.
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" weiß wohl, daß i Dir heut nit vors G'sicht tommen sollt," spricht Lenz leise, mit mühsam erzwungener Fassung: will Dir auch nit überläftig sein. I möcht' Dich nur bitten, um Christi Barmherzigkeit willen, daß D' mir sagst, ob er noch von mir g'redt hat?" " Ja!"
" Hat er mir nit zürnt?"
So bleib' da!" sagt sie und reicht ihm dankbar die Hand. Aber dann geh'' nauf in d' Kammer, wo der Habermeister g'schlafen hat, und leg Dich hin, Du brauchst nit auf der Streu z' schlafen."
"
Solli nit beim Todten wachen?"
Nein, dös laß' i mir nie nehmen, dös weiß der Sebald vom Vater her- ja so, der ist es ja selber, der daliegt! Ach, Steub,- mir ist so wirr im Kopf- i tenn' mi nimmer aus!" Sie sinkt taumelnd auf den Schemei nieder, der auch an des Vaters Leiche gestanden.„ Willst' n schmerzhaften Rosenkranz mit mir beten?"
Recht gern. Aber i mein', Du kannst nimmer. Du thust Dir 3'viel auf. Bist ja ganz falt vor Müde."
Wiltraud hat ihren Rosenkranz aus der Tasche geholt und einen für Steub aus dem Schränkchen. Nun wird es still im Zimmer, man möchte meinen in der ganzen schlummernden Welt und nur die beiden kindlichen Stimmen dringen im Gebet durch das Schweigen.
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Als sie fertig find, geht Steub hinauf in die Kammer und Wiltraud bleibt allein zurück. Es mag etwa um Mitternacht sein, da klopft es heftig und wie in großer Angst an des Schlafenden Thür.
Steh auf, Steub! Ich bitt Dich, komm schnell' runter!" Es ist Wiltraud's Stimme.
" 1
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Was ist's?" ruft Steub erschrocken, aber das Mädchen ist schon wieder die Treppe hinunter gelaufen und wartet unten auf ihn.
" I bitt' Dich," ruft sie dem Herbeieilenden entgegen; i fann nimmer allein bleiben!"
"
Gelt Dit fürchft Dir doch da bei der Leich"?" lächelt Steub gutmüthig.
O die Leich' wär's nit. Dös Engelsbild thät i nit fürchten, aber i hab' was anders g'sehn!" Was denn?"
Den Boschinger den Habermeister!
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Sie faßt Steub mit eiskalten Händen, wie um sich an ihm zu halten. Ihr ganzer Körper fröstelt, ihre Augen starren entsetzt in jeden dunkeln Winkel.
" Du wirst a bißl eing'nickt sei und da hat's Dir traumt," fucht Steub sie zu beruhigen." Du bist halt übermüdet- i hab' Dir's scho lang g'sagt."
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" sag' Dir, er ist dag'wesen, er ist vor mir g'standen leibhaftig, mit' ma Stugen über der Schulter, und hat mi ang'schaut, so lang und so schwermüthig, als wollt' er was sag'n.-'s ist wahr, i fann au eing'schlafen g'wesen sein,- aber i bin ja dran aufg'wachen und hab' mi aufg'setzt und da hab' i's g'sehen mit meine eigene Augen, wie er von mir
Onein, der hat tei'm Menschen zürnt, dazu war er viel weg und zur Thür' naus ist." Es schüttelt sie, daß sie nicht
8' gut!"
"
Und hat mir verziehen?"
Ja, wie' n Engel verzeiht!"
weiter reden kann. " Dös hat ma ja oft, daß ma meint, ma sei wach und doch weiter schlaft. hab' scho traumt, i sei aufg'standen
Lenz athmet erleichtert auf:" Gott sei Dant. So kann und hätt' mi anzog'n, und wie i wirklich zu mir kommen bin, i ruhig sein!"
Dadrüber- ja!"
Wieder schweigen sie- Lenz hat sie verstanden. Einen legten langen Blick heftet er auf sie, fie bleibt unbeweglich wie eine Bildsäule. Er wendet sich ab: B'hit Gott!"
hab' i g'sehen, daß i no ruhig im Bett lieg'."
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„ Aber i bin ihm ja nach und hab' g'schaut, ob' 3 Haus offen ist, und erst wie i g'sehen hab', daß alles zu ist, daß er also nit bei der Thür' naus könnt hat, hab' i mir ang'fangt 3' fürchten da ist mir's schauerlich word'n! I fag' Dir entweder er war's wirklich und' s wieder so a Haberersput, wo ma nie weiß, wie s' reinkomme find, dann er hat sich verzeigt, und dann ist ihm a Unglück g'schehn oder er ist todt!"
B'hüt Gott," antwortet sie mit matter Stimme und geht ins Leichenzimmer zurück.
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Einen Augenblick steht Lenz und schaut ihr nach, steigt er langsam, in sich versunken, den Berg hinunter. " Jezt kann i beim Bruder bleiben," sagt sie zu Steub: Fahr heim mit dem Bräundl, der Wirth braucht' n vielleicht."
Ja, wo denkst denn hin? Da täm' i' m Alten recht, wann der höret, daß i sein Augentrost in so' ra Lag verlaffen hätt'!
brauch' aber niemand- g'wiß nit."
" Dös tann ma nit wiff'n. I leg' mi draußt in d' Streu, da genier' i Di doch uit? Und wann Dir dös au uit recht ift, kampir' i im Freien vorm Haus. Aber da bleiben thu' i in jedem Fall!"
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oder
Den Burschen läuft es nun bald selber talt über den Rücken.„ Geh, Du steckst ein' ja an mit Dein'm unheimlich'n G'schau. Er wird halt recht herdenkt hab'n! I kann mir's scho einbilden, warum! Wi Du heut mittag fort bist, da hat der Wirth mi zu Dir' rag'schickt und den andern mein' Kamerad' zum Poschinger nach Rochel, wo er seß= haft ist, daß er ihm dös vom Sebald seiner Entlassung aus' m G'fängniß b'richt't. Weil er hat g'jagt, dos that ihm auch angehu weil Du ihn doch so lang pflegt hast. Vielleicht hat er auf die Nachricht hin an Dich denkt und den Wunsch g'habt, er möcht' bei Dir sein! Jetzt
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