Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Dienstag, den 18. Mai.
Nr. 97.
( Nachbruck verboten.)
Ein alter Streit.
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1897.
„ D, Unglück und kei' End'! Wenn dös die Wiltraud wüßt'," jammert Steub, daß sie schuld an dem Aufenthalt wär'! Ihren Bruder hat' s todt hem'bracht, und da hab' i' s
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Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre Wagerl stehen lassen und bin bei ihr' blieben!" Jesus , wie' 3
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Geht's denn gar nie aus, lieber Gott?" fragt sie. Wär dös nit g'nug?" sie blickt auf den todten Bruder. Aber Sebald's Sterben kam von Gott, der es so fügte, und Engel standen ihm bei, was jetzt nabt, fie fühlt es, das ist mit bösen Mächten in Zusammenhang, und vor denen schaudert ihr!-
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Da plöglich zerreißt die Spannung, und es ist, als zerriffen ihr alle Nerven mit,- ein Schuß vom Dorf her.- " Steub, Steub, wach auf!"
Der Bursche fährt schlaftrunken empor. „ Siehst scho wieder was?"
Nein, aber' n Schuß hab' i g'hört!"
" O mei, da werden s' oft schiaß'n in der Nacht, d' Jager oder d' Wilderer."
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doch oft sein soll!" Der rasche Lauf macht jedes Weiterreden unmöglich.
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Sie kommen ins Dorf. Vor der Gendarmeriewachts stube hält das Gefährt der Kochler.
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" Jezt müss'n wir uns theilen sonst verrathen wir uns. Unregelmäßige Gruppen, je zwei, drei. In dem Stadel beim Hochbräu kommen wir z'samm'.- Losung: Poschinger." Und auseinander stiebt die Schaar im Dunklen, wie eine Rauchwolke zerrint.
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Steub nimmt mit noch zweien den Weg nach dem Rathhans. Bevor er dies erreicht, muß er am neugebauten Pfarr hof vorüber. Der untere Stock ist schon wieder bewohnt, alles ist beleuchtet. Grelles Licht fällt aus den Fenstern und der Hausthür auf eine große Ansammlung von Leuten, die herumstehen, der ganze Platz ist voll Menschen. Alle bücken fich zu einem Gegenstand am Boden herab, hier muß Wiltraud horcht ,, Gott sei Dank, Gebetläuten!" Sie etwas Schreckliches geschehen sein. Wie im Traum faltet die Hände und betet den englischen Gruß. Aber dann erreicht Stenb die Stelle.- Da liegt Tenner mit zerfleht sie: Geh, lieber Steub- i bitt' Dich, geh' ins Dorf schmettertem Haupt vor der Thür des Pfarrhofs. Der Schuß, und sich nach, was g'schehen ist. I weiß nit, warum mich den Wiltraut gehört, ist ihm mitten durch den Kopf ges grad der Schuß so ängstigt!" gangen, das Gewehr liegt neben ihm. Er scheint mit dem Fuß den Hahn abgedrückt zu haben, während er die Mündung gegen die Stirn gerichtet hielt;- das konnte er mit dem einen Arm thun. Am Hut, der nicht weit davon liegt, hat er einen Bettel befestigt, mit den großen Buchstaben beschrieben, die er mit der linken Hand zu machen gelernt,- für jeden lesbar. Und wenn der Herr Pfarrer sich vom Fenster zurückzieht, dann drängen sich immer wieder Neugierige hin, die im Lichtschimmer der Hausthür das Testament des Todten entziffern. Es ist an Herrn Pfarrer Zwänger" überschrieben und
Mei, weil D' heut nix thuft als aufpassen, ob nix Gräußlich's passirt.' s ist Dir ja nit zum in übelnehmen, arme Haut. Wenn ma so was durchg'macht hat, wie Du heut!" Steubi bitt' Dich!"
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Ja, ja, i thu' Dir ja den G'fallen," sagt der Bursche, dehnt und streckt sich ein paar Mal und macht sich auf den Weg. Wann i nur wüßt', wo i hingehen müaßt, i ka doch nit jedem Wilderer nachrenna?"
Jm Dorf war's, im Dorf, Steub. I fenn's g'nau, a dumpfer Knall war's- nit wie a Waidschuß." Wieder horcht fie. Heil'ger Gott, da springen Leut' auf der Straß' unten ' m Dorf zuhörst's nit?"
Ja, er hört's auch. Und g'schwind laufen s'!" Denen nach-! Nur gleich-!" schreit Wiltraud. " Dös gilt dem Habermeister!"
Jetzt ist Leben in Steub gekommen, wie der Blitz ist er auf und davon und hinter den Männern drein. Es sind richtig Genossen. He, wohin?" ruft er.„ Nehmt mich mit." ' s ist tei Zeit zu verlieren," geben die zurück, ohne anzuhalten. Wo kommt's denn her?" fragt Steub, als er sie endlich einholt, im Laufschritt neben ihnen hintrabend.
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" Von der Wasserscheid. Der Poschinger war' n Augenblick dort und hat sich heimlich vom Knecht den Stußen scharf laden lass'n und der Esel hat's erst g'sagt, wie er fort war, wir fürchten, er stellt was an."
Dem Steub schwindelt vor Entsetzen. So sollte Wiltraud doch recht haben?
Da fauft auch schon ein Fuhrwerk an ihnen vorüber. " Habt's den Tenner von Kochel uit g'jehen?" rufen die Darinfigenden heraus.
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,, Nein, wir suchen ihn selber I was ist's mit ihm?" ,, Er hat sein'n Sohn erdrosselt-" und weiter faust das Fuhrwert.
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Einen Augenblick stehen alle mie gelähmt das war mehr, als selbst Männer ertragen können. Tenner, der Edelste, Beste unter ihnen! Was sind denn sie alle, wenn ihr Bester ein Mörder ist? Die Erde schwankt unter ihren Füßen, keiner kann ein Wort sprechen. Nur ein Gedanke, eine Frage liegt auf aller Lippen: Wie muß es dem Mann gemacht worden sein, was muß der gelitten haben, bis er so weit fam? Und wie aus einem Munde bricht der Schmerzensschrei hervor: Armer Tenner!"
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" Jeht nur fort, daß wir ihn noch erwischen,- vielleicht können wir ihn in Sicherheit bringen, eh' ihn die andern finden!" Und wieder setzen sie sich in Laufschritt, aber mühsamer und schwerer athmend als vorher.
Warum seid's denn nit g'fahren von der Wasserscheid' ' ra?" fragt Steub.
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Wir haben ja nit tönne. Der Wirth hat der Wiltraud ' 3 Juhrwert mitgeb'n!"
lautet:
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Du hast uns alle ins Elend' neig'heht Ins Zuchthaus , in' n Tod und am Schindanger z'lett, Jetzt bi i a Krüpp'l, zum Leben scho' schlecht, Zu nix mehr, als grad noch zum Todtschieß'n recht. Derweil i ja doch nur in d' Höll eini tumm, Sell bring' i mi gleicherst vor beiner Thür um! Und stolperst beim Außergehn über mei Leich', Na dent' halt,' s war wieder a Habererstreich!"
Es find freilich nur Habererverse, aber dem armen Mann, der sie gedichtet, waren sie bitterer, furchtbarer Ernst! Der Rugmeister sagt, er habe ihn des öftern mit seiner schwerfälligen Linken daran schreiben sehen aber nie einen Blick in die Verse thun dürfen, denn der Unglückliche habe sie stets bei sich getragen. Jetzt sind sie offenbar und mit ihnen die ganze stillgetragene Qual eines zerstörten Lebens.
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Ein alter Mann mit weißen Haaren kommt auch heran und bückt sich, die Schrift zu entziffern. Es ist der unglückliche Vater des gefallenen Florian Mayer. Er winkt die andern herbei und lieft ihnen mit lauter Stimme das unheimliche Vermächtniß des Habermeisters vor. Und alle wiederholen im Kreis die einzelnen Schlagworte; sie gehen von Mund zu Mund;- auch ein Haberfeldtreiben, ein ftilleres aber gefährlicheres, als die andern, denn hier treiben die Todten! Die hohe, hagere Gestalt des Pfarrers wird wieder am Fenster sichtbar. Die Leute weichen scheu zurück.
Frau.
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Warum er' n nur nit wegthuat, den Vers?" flüstert eine Dös nimmt mi wunder.
Dös thät er freili, wann er könnt! Aber dös ist's ja grad! Vor d' Kommission nit da war, darf' n niemand an rühr'n!" bedeutet sie ein Nachbar. Nit a Stückt, was' rum liegt. Alles muaß bleib'n, wie ma' u g'funden hat!"
Jezt muß er dös alleweil hörn, wie ma den Zettel liest? No, dös ist aber scho au a nir Leicht's!" sagen andere.
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Aber g'sund ist's ibm-" sagt eine Stimme mit dumpfem Groll. Steub erkennt den Sprecher nicht. Aber plöglich flüstert ihm der die Habererparole ins Ohr und verlangt die Losung. Jetzt erst sieht er, daß es der Rugmeister ist. Boschinger," antwortet Steub.
Der Rugmeister winkt ihn aus dem Menschenknänel