Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 99.

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Donnerstag, den 20. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Ein alter Streit. Roman aus dem bayerischen Volksleben der sechziger Jahre von Wilhelmine v. Hillern.

1897.

nacher ist's' m Herr Hochwürden vorgriffen! 3'letzt sollt ma gar fein'n nit den eignen Bruder mehr lieben und achten, als wo's der Herr Pfarrer erlaubt?",

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" Allerdings, das wäre auch das beste für Euch!" " Da dürft ja niemand kei eigens G'wiss'n mehr hab'n." Der Pfarrer sieht Wiltraud an mit einem Blick, daß sich ihr das Herz zusammenzieht.

Drin im Zimmer nöthigt ihm die Haushälterin das Frühstück auf, während er es einnimmt, flüstert sie ihm zu: Man sollte meinen, ihr bleiches Schmerzensgesicht ihre Draußen steht die Wiltraud! I bitt' Ihna , Herr Pfarrer, Schönheit hätte in den Augen eines sterblichen Menschen heut Nacht hat's schon wieder ein'n bei sich g'habt für sie bitten müssen. Aber für diesen Herrn giebt es teine trotzdem, daß ihr Bruder g'storben ist. Dös tönne doch der Schönheit und kein Mitleid. Sieh, siehso spitsindig ist Herr Pfarrer nimmer leiden!" Eure Habererschule," sagt er mit einer Kälte, die schlimmer ist, als eine Person, die längst mit Pflicht und Gewissen die maßloseste Heftigkeit. Du sprichst vom Ge

Schamlose Person das ganz verloren!" sagt der

Geistliche siirnrunzelnd.

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Ja und dann fragen doch der Herr Pfarrer, wo benn der Sebald versehen worden ist?" tuschelt sie ihm noch schnell ins Ohr.

Der Pfarrer, der immer sehr wenig genießt, läßt das be­gonnene Frühstück stehen:" Rufen Sie die Person herein!"

Du sollst' reinkomme!" sagt die Haushälterin und zieht sich dann diskret zurück, um an der Thür zu horchen. ,, Grüß Gott, Hochwürden Herr Pfarrer!"

80, Guten Tag! Du wünschest?"

I hab' den Tod von mei'm Bruder anfag'n woll'n." Wart' einen Augenblick." Der Pfarrer geht an ein Stehpult, wo ein großes Buch liegt, und schlägt eine Seite auf: Aha! Sebald Allmeyer, geboren 2. Februar 1848 er nimmt die Feder: Gestorben?"

"

Gestern, am 13. juni."

Der Pfarrer schreibt ein: 13. Juni 1867. Wo?" Auf' m Weg zwischen Penzberg und Heilbrunu." Versehen?"

Nein!"

" Wieder einer! Der Vater nicht, und nun auch der Sohn nicht."

Aber Hochwürden-i kann ihn doch auf der Landstraß nit versehen lassen."

" Ja, einen Grund habt Ihr immer, Jhr Allmeyer's, das ist man bei Euch schon gewohnt. Als ob Du nicht mit ihm beim Pfarrer von Bichl wo Du ja durchkamst hättest halten können!"

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Da hab' i ja noch nit g'wußt, daß er so g'schwind stirbt.

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wissen, brach, die sich um kein Gesez der Kirche und der Sitte mehr fümmert?"

Wiltraud stürzen die Thränen aus den Augen: Herr Pfarrer, was hab' i denn than, daß Des so was jagt's?" " Nun beispielsweise- wie oft haft Du seit Deines Baters Tod gebeichtet?"

" Einmal an Ostern!"

Wo?"

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In Wackersberg , drent von der Wasserscheid." Aha munizirt?" Wiltraud blickt zu Boden: Nein!" Warum nicht?"

wo man Dich nicht kennt! Hast Du som

" bin was g'fragt word'n, was init hab' sag'n tönnen, weil i's versprochen hab', und da bin i nit absolvirt word'n."

Das mag was Schönes gewesen sein!"

Wiltraud zuckt zusammen, faßt sich aber wieder und sieht den Pfarrer gerade an: Hochwürden, weg'n mir hätt' i's ruhig sagen dürfen- aber weg'n dem andern nit."

a

Also ein Mangel an Vertrauen."

Auch nit- blos weil i's halt versprochen hab'! Und Versprechen muß ma doch halten- nit?"

" Ja, besonders bei den Haberern! Die verstehen es, Ber schwiegenheit zu erzwingen. Da sind wir alle ohumächtig dagegen."

laß mi zu nix zwingen, was i nit thun will." " Da haben wir wieder die Selbstherrlichteit! Wie wird es aber damit stehen, wenn ich Dich frage, wer die Männer Und das wäre wohl ein großes Unglück gewesen, wenn sind, die Du wochenlang beherbergt haft?" er ein paar Stunden zu früh versehen worden wäre?" Wiltraud schweigt.

Wann hat er denn zuletzt im Gefängniß gebeichtet?" Dös weiß i uit Hochwürden." Hast Du ihn nicht gefragt?" Wiltrand schüttelt den Kopf. Natürlich! Nach so gleichgiltigen Dingen wie Beichte und Kommunion fragt man nicht. Nach allem anderen eher, als danach!"

Er hat's Blutbrechen g'habt, wo er ankommen ist." " Nun? Umsomehr hättest Du ihn fragen sollen!" " hab'' n halt nit scho' im ersten Augenblick derschrecken woll'n. Da hätt er glei' g'sehn, daß es schlecht mit ihm steht. Er hat mi so viel derbarmt!"

So

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aber seine arme Seele hat Dich nicht erbarmt, wenn sie um ihr Heil kommt?"

Hochwürden, so grausam wird unser Herrgott nit sei!" " Meinst Du? Nun ja, Jhr wißt ja alle mehr vom lieben Gott, als wir Geistlichen, die Theologie studirt haben. Euresgleichen nimmt sich's nicht schwer; das macht sich so einen bequemen, zweideutigen Herrgott zurecht, wie es ihn braucht, der nichts zu thun hat, als Euch Eure Sünden zu verzeihen!"

" D Hochwürden, die Sünden, die der Sebald auf' m G'wissen hat sind leicht z' verzeihen!"

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" Hast Du darüber zu entscheiden oder ich?"

wissen!"

mein' halt, so viel tann ma doch von sich selm

Also braucht Ihr auch keinen Seelsorger mehr, wenn Ihr Euch untereinander selbst absolviren könnt."

Mei! Wenn wir schlecht über' n andern urtheilen, heißt's, wir soll'n nit richten- und wenn wir einen in Schuh nehmen,

"

Dös tann i scho sagen, Hochwürden: der Tenner war's, der Habermeister, der todt drüben beim Hochbräu liegt. Dem thut's nix mehr, wann i's sag'."

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" Dem nicht aber vielleicht einem andern?" " Hochwürden

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ausforschen laß i mi nit!"

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Gut, dann kommen wir direkt auf den zweiten Punkt, von dem ich vorhin sprach: den der Sittlichkeit. Du mußt nicht glauben, daß Dein Treiben da draußen auf der Mühle noch ein Geheimniß ist! Du hast heute Nacht wieder einem Unbekannten Unterschlupf gegeben, ich müßte mich vor der ganzen Gemeinde schämen, wenn ich ein solches Benehmen von einem ihrer Mitglieder duldete. Ich will nicht sagen, was ich davon denke, ich habe es längst aufgegeben, mich mit Dir zu beschäftigen, aber ich habe dafür zu sorgen, daß wenigstens der Schein gewahrt wird. Wenn es also noch einmal vor tommt, daß ein Mann bei Dir, einer alleinstehenden Person übernachtet, so bin ich genöthigt, dem Vorsteher die Sache zur Anzeige zu bringen.- Adieu!"

Er dreht Wiltraud den Rücken, als ob sie nicht mehr im Zimmer sei, und geht an sein Stehpult.

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Wiltraud aber rührt sich nicht. Es ist, als habe sie ber Schlange ins Auge geblickt, von der man fabelt, daß sie ihr Opfer erstarren mache, bevor sie es vernichtet. Also, so sprach man von ihr? Sie, die sich rein wußte vor Gott und Menschen, stand schlimmer da als eine Gefallene, die mit ihrer Reue um das Mitleid der Menschen haufiren geht? " Hochwürden wer hat mir dös aufbracht?"

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" Ich denke, die Reihe zu fragen wäre an mir, wenn ich überhaupt noch Zeit für Dich übelg hätte; ich sagte Dir aber bereits Adieu!"

Wiltraud steht unbeweglich:" Hochwürden, wer dös' thun that, der ist schlechter als a Haberfeldtreiber, denn der fagt's