Wie der Kerl sofort alles merken muß!" sagte er. ha!" Na, komm... Johann, das Frühstück!"

-

446

-

Er nahm dem Sohne Mantel und Reisetasche ab und reichte ihm den Arm wie einer Dame. Dann fragte er- schon im Vorzimmer sich an den leeren Wagen erinnernd: Du, Ferdinand, warum hast Du nicht gleich auch Dein Ge­päck mitgebracht?"

-

Ha, er uns interessirte, und mißbrauchte das, um uns einige Sous aus­zupressen, von denen er stets einen schlechten Gebrauch machte. Er lebte auf Staatsunkosten und übte hunderterlei Berufe aus, unter denen der ehrenwerthefte darin bestand, daß er den Grisetten des Viertels unsere Liebesbriefe überbrachte. Im Sommer, wenn wir uns im Fluß badeten, paßte er auf unsere Sachen auf und rauchte dazu im Schatten eines Baumes am Ufer seine Cigarrette. Im Winter flüchtete er sich in die Bude des Maronenhändlers in der Rue des Pressoirs, spaltete Holz, unterhielt ein lebhaftes Feuer in dem kleinen Ofen, und nahm von Zeit zu Zeit einige geröstete Kaftanien, an denen er sich zuerst die Hände warmte, und die dann das gebieterische Knurren seines Magens auf einige Zeit beruhigten. Einmal versuchte ich, von Mitleid für den Jungen erfaßt, ihm seine Faulheit vorzustellen und versprach ihm einen hohen Geldzuschuß, wenn er fleißig die Gemeindeschule besuchen wollte." Fraße" sah mir in die Augen, ob ich auch ernsthaft sprach, dann zogen seine Lippen eine verächtliche Grimaffe. Schließlich zeigte er mir als legtes Argument feine vollständig zerrissene Hose und sagte: Sagen Sie mal, Herr. Scherz bei seite, was sollten sie wohl in dem Kostüm in der Schule mit mir machen?"

Gepäck?.. Ja, glaubst Du vielleicht, Papa, daß ich schon geheirathet hätte und Koffer, Körbe und Schachteln mit mir führe? Meine Sachen habe ich in meiner Handtasche. Zwei Hemden: ein farbiges zur Reise und ein weißes, ein Salon- Anzug, ein Necessair, Kravatten und etliche Paar Hand­schuhe, das ist alles."

-

Er sprach lebhaft, laut und froh. Na, aber wie geht's denn Dir, Papa? Was giebt es hier Neues? Man hat mir erzählt, Du machtest brillante Geschäfte. Na, sehen wir uns!" Sie aßen schnell das Frühstück, tranken etliche Glas Wein und gingen nachher ins Arbeitskabinet des Alten.

" Ich muß hier die französische   Lebensweise einführen," sprach Ferdinand und rauchte sich dabei eine Zigarre an, ,, vor allem aber französische Küche."

Der Vater zog verächtlich den Mund.

Wüßte nicht wozu. Ist denn die deutsche schlecht?" Was deutsch  ?! Die Deutschen   verstehen weder zu essen, noch sich zu unterhalten.."

Na, na," unterbrach ihn der Alte, was bist Du denn, doch ein Deutscher?"

Jch? ich bin ein Mensch, Kosmopolit- Weltbürger." Taß sein Sohn sich Kosmopolit nannte, das fümmerte den alten Adler sehr wenig, daß er aber von den Deutschen so verächtlich sprach, das berührte ihn unangenehm.

Mein lieber Ferdinand," sagte er ,,, ich dachte, daß Dir die von einem Deutschen verdienten 70 000 Rubel, die Du aus­gegeben hast, Dir etwas Verstand beigebracht hätten.

Der Sohn warf die Zigarre in den Aschbecher. Ach, Du bist köstlich, Papa! Hole der Teufel die Deutschen mit ihrer Küche sie haben keine Ahnung von der Gastrosophie! Die ist die Wissenschaft des Jahrhunderts!"

Verrückter Kerl, hörtest Du denn auf, ein deutscher Patriot zu sein?" fragte der Alte.

" Ich," erwiderte Ferdinand mit affektirtem Ernst, ich bin hier Bole, polnischer Industrieller; unter Deutschen   bin ich polnischer Edelmann, Aoler von Adlershof, und unter Franzosen  bin ich Republikaner und Demokrat."

So fiel das erste Gespräch zwischen Vater und Sohn aus, das waren die geistigen Errungenschaften, die Ferdinand um 70 000 Rubel im Auslande erworben.

Kurze Zeit darauf ging ich nach Paris  , um die Rechte zu studiren, und als ich in den Ferien nach Hause kam, war Fraze" verschwunden.

Fünf Jahre später befand ich mich in Auberive, einem in der Nähe des Waldes von Langres   gelegenen Dorfe, zu einer Zeit, da man die Gebäude einer alten Benediktiner  - Abtei in ein Gefängniß umwandelte.

Nach Fertigstellung des Gebäudes wollte man die bis dahin in dem Gefängniß von Clairvaux  , das acht Meilen weiter gelegen war, eingesperrten Weiber hier unterbringen. Unterdessen hatte man die Absicht, vorläufig 50 jugendliche Verbrecher hier ein auschließen, die am Tage zur Feldarbeit verwendet werden sollten.

" Sie werden morgen eintreffen", sagte der Gefängnißdirektor mit naivem Stolze zu mir. Sie fommen von Clairvaux   zu Fuß in Begleitung ihrer Wärter, und Sie sollen einmal sehen, wie diese Burschen arbeiten werden. Sie sind seizend und gleichzeitig glücklich."

Bei diesen Worten ticherte der vierfchrötige Gefängnißdirektor mit dem Negergesicht, in dem zwei graue Augen blitzten, leiſe vor sich hin und schlug mit seinem elfenbeinernen Stock die Gräser vom Wegrande ab.

Sie tamen in der That am nächsten Tage bei Sonnenuntergang wir sie in einer Staubwolte, am Rande der Landstraße, auftauchen. Der Direktor hatte mich ihnen entgegengeführt, und bald fahen an. zu vier und vier marschirend, die älteren voran, die kleinen hinten nach und die Wärter daneben. Sobald sie die Dächer der früheren Abtei bemerkten, stimmten sie auf ein Zeichen des Gefängnißinspektors em choralartiges Lied an, in welchem von den Freuden der Arbeit. und der Schönheit der Natur die Rede war. In ihre graue Gefängnißkleidung eingeschnürt, die Müze über den kahlgeschorenen Noch am selben Tage fuhren beide zum Kopf gezogen, schritten sie, die mit Stanb bedeckten Füße nach Pastor schleifend, die Augen zu Boden gesenkt und fast automatenhaft ihr Böhme. Adler stellte ihm seinen Sohn als einen reuigen tugendhaftes Lied plärrend, an uns vorüber. Auf den ersten Blick Sünder vor, der zwar viel Geld verlor, dafür aber vieles schienen alle diese findlichen Gesichter nach einem und demfelbeut lernte. Der Pastor umarmte zärtlich seinen Täufling und Typus geschnitten; dieselben demüthig tüctischen Blicke gefchlagener ermahnte ihn, er möge sich seinen Sohn Josef zum Muster Hunde, dieselbe gelbe Aufgeduusenheit, dieselben mechanischen Be nehmen, der immer arbeite und in der Arbeit Glück und Zu- wegungen und dieselbe gezwungene Fröhlichkeit. friedenheit finde. Nicht wahr, sie sind reizend?" rief der Direktor, mit feinem Stock auf die Erde schlagend; fie haben acht Meilen in den Beinen, und das sieht man nicht einmal; sie sind frisch wie Rosen und luftig wie Lerchen..

Ferdinand erwiderte, er sehe sehr wohl ein, daß nur die Arbeit dem Menschen eine Existenzberechtigung gebe, gab zu, bisher leichtsinnig gewesen zu sein, entschuldigte das aber damit, daß er seine Jugend unter den Polen   verlebt, die doch allgemein den Ruf leichtsinniger und unüberlegter Leute hätten. Sein Ideal seien jetzt die Engländer, die er wegen ihrer Arbeitslust und ihres Fleißes sehr pries.

( Fortsetzung folgt.)

" Frake".

( Nachdruck verboten.)

Von André Theuriet  . Deutsch von Wilhelm Thal. Er war acht Jahre alt, hatte ganz wirre, strohgelbe Haare und blaue, funkelnde Augen in einem blassen, aufgeschwemintein Gesicht. Diese beiden, stets aufgerissenen, spitzbübischen Augen und der un­geheuer große Mund stachen grell von der blassen Ausgedunsenheit Dieses blutarmen Gesichts ab und hatten dem Kinde den Namen " Fraye" eingetragen. Er war der Sohn eines unbekannten Vaters und einer armen Frau, die ihn ungehindert durch die Straßen vagabondiren ließ. Seine Toilette war höchst einfach: Ein zu weites Hemd, eine schlechte Jacke, der die Knöpfe fehlten, und eine zerfetzte Hose, deren unförmliche Stücke auf die Schuhe herabfielen. Doch er hüllte sich in diese Lumpen mit einer höchst amüsanten Sorglosigkeit und Drolligkeit. Wenn er abends in der Hauptstraße unferer tleinen Stadt mit ernster Miene vor uns spazieren ging und mit einer Hand seine Hose, die ihn zu verlassen drohte, festhielt, während er mit der andern einen Zigarrenstummel an die Lippen führte, machte er auf uns den Eindruck eines Don Cafar von Bazan in jugendlicheni Alter. Er hatte errathen, daß

"

Ich war etwas anderer Meinung, denn ich sab, wie mühselig. sie die Beine nachzogen. Was ihre Fröhlichkeit aubetraf, so wußte ich sogleich, was ich davon zu halten hatte. Während sich der Direktor mit dem Gefängnißinspektor unterhielt, wandte mir einer der jugendlichen Sträflinge neugierig fein mit Sommersprossen be deckies Gesicht zu, und ich werde den scheuen und gleichzeitig ver zweifelten Ausdruck dieses Kinderblickes lange Zeit nicht vergessen. Einige Tage später sagte mir meine Wirthin, während sie mir das Frühstück auftrug:

,, Uebrigens, Herr, Sie wissen doch, die Kinder, die hierher ge­tommen find, um im Gefängniß zu arbeiten?... Einer davon scheint aus ihrer Gegend zu sein, denn er hat sie neulich abends beim Vorübergehen erkannt."

Neugierig geworden, drückte ich den Wunsch aus, diesen jungen und frühreifen Landsmann zu sehen. Das war leicht zu machen. Die Wirthin kannte den Gefängnißinspektor, und schon am nächsten Morgen führte sie in mein Zimmer einen Burschen von etwa zwölf Jahren, mit dem sie mich allein ließ. Der blasfe, dabei aber dicke Junge blieb in seiner Gefangenenkleidung. die Müge in der Hand vor mir stehen, sein Kopf mit den furzgeschnittenen Haaren sab wie eine Kugel aus; seine liigen blauen Angen fenkten und erhoben sich abwechselnd, als wenn ihr Besitzer mich hätte studiren wollen, bevor er sich mir auslieferte.

,, Sie erfennen mich wohl nicht, Herr?" fragte er endlich mit schüchterner und dabei spöttischer Stimme.

Jetzt wurden meine Erinnerungen rege und ich rief:" Frazze!" " Ja, ich bin's", erwiderte er, während über sein aufgedunsencs Gesicht ein Lächeln huschte, und feine Blicke fühner wurden.