Anlerhallungsblalt des Horwürts Nr. 160. Dienstag, den 17. August. 1897. (Nachdruck verboten.) Die Schuldige. Von C. Viebig. Abseits vom Dorf liegt der Hos des Simeon Pfalzel. Wo die Berglehne eine Waldblöße zeigt und sanst abfällt in ein schönes Thal, hängt das Haus und schaut aus niedrigen, gedrückten Scheiben in die liebliche Enge nieder, durch welche das muntere Kiud der Mosel , die kleine Kyll , jetzt schäumt und rauscht wie ein Gebirgsbach, jetzt still und sittig dahinfluthet. Der Simeon Pfalzel ist kein reicher Mann. Das Dach über seinem Kopf ist nur von Stroh, die Mauer um sein Gehöft bröcklig; im Stall brüllen nur wenige Kühe, ein dürrer Hahn kräht auf dem Misthaufen, und die zwei Acker- gäule find richtige Schindmähren. Kein Wunder, daß der Bauer mißvergnügt ist und sein Weib auch; dem hängt zu allem«och ein Kropf am Halse, eine recht überflüssige Aus- geblasenheit. Heut wehen die ersten Frühlingswinde um den Pfalzelhof und rütteln mit jugendlichem Ungestüm an den schiefen Fensterläden, daß sie hin und her klappern, und das schwere Hofthor in den verrosteten Angeln kreischt. Es ist April. Wie ein lachendes Kind in schneeigen Windeln liegt Ehrang , das Dorf, zwischen Blüthenbäumen; mit schimmern- dein Weiß sind die Gärten überschüttet. Das ist ein Glänzen und Prangen. Vor dem Hof des Pfalzelbauern standen ihrer drei, zwei Männer und ein Weib, und lugten scheu durch eine Spalte im Thor. Die Männer hatten langes, straffes Haar, trugen runde Filzhüte, blaue Hemden, dazu allerhand Drahtwaaren über der Schulter— armes Slowakcngesindel— das Weib war gelb, schwarzäugig, früh verblüht und schleppte ein Kind, in eine Plane gebunden, aus dem Buckel. Sie sahen alle müde, hungrig und verkommen aus; man hatte sie ans dem Dorfe gejagt, nun versuchten sie's hier an dem einsamen Gehöft. Sie stießenZdas Thor auf, ein rauhhaariger Hund sprang ihnen mit wüihendem Gekläff entgegen, und hinter'm Stall schlug der zweite an. „Schiwrranten! Schnorrantcn!" kreischte jetzt eine gellende Weiberstimme vom Fenster her, und aus dem Haus stürzte der Bauer, einen derben Knotenstock schwingend. „Häh, Ihr doa, packt Eich! Ludervolk, Zigeiner!— Watt? Honger! Brud! Eloa komnien ech— han sälwst»eist ze fressen — schärt Eich zom Deiwel." Ohne ein Wort wichen die drei zurück, gewandt schlüpften sie zum Hofthor hinaus; die Männer liefen den Waldweg zur Kyll hinunter, uur das Weib folgte langsamer, schleppte müde die Füße und schaute oft verlangend um. Das kleine Geschöpf in der Plane erhub ein jämmerliches Winseln. Nun bockte die Mutter nieder am Weg, langte das Bündel vom Rücken, schlug ihren Rock um dasselbe und wiegte es sacht hin und her. Ihre Augen blickten mit einer stumpfen Gleich- giltigkcit vor sich nieder, der Wind blies ihr die dünnen Kleider durch und durch und zerrte das fahlrothe Kopftuch in den Nacken. „Pst! Pst!' Sie hörte nicht. „Pst! pst•" Droben an der Mauer stand eine Gestalt und winkle. Das Weib fuhr auf und blickte sich scheu um, dann schlich es behend näher. Am Thor die Winkende, eine große Dirne in bäuerischer Tracht, sah sich erst nach allen Seiten um, zog dann schnell ein derbes Stück.Brot aus der Tasche und hielt es dem Weib entgegen. „Dao, for Eich!" „Didny'i. diekuji, danke," murmelte die Fremde und grub hrißhungrig ihr blitzendes Gebiß in den Kanten. Ein Wind- stoß wehte ihr dabei die wilden Haare zwischen die Zähne. ,Hn, kalt, friert sich arme Kind, chudak!" Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck blieb der Blick der Dirne aus dem kleineu, elenden Gesicht haften. Sie erbleichte jäb, riß dann mit einer heftigen Gebärde das verhüllende große Tuch von ihrem Oberkörper und warf es über das Kind. „Ah!" Die Fremde grinste und haschte nach der Hand des Mädchens.„Gute Frau, sehr gute Frau!" wies dann erst aus sich, dann auf die andere, dabei verständnißinnig mit dem Kopfe nickend.'„Ah, gute Frau, so jung, wird haben auch bald kleine Kind— saplatsch pan, vergelt's Gott!" Ein unwillkürliches Zittern überflog die Glieder der jungen Person, sie nickte stumm und schaute dann unbeweglich dem Weibe nach, das nun hastig dem Wald zulief und bald im abendlichen Dämmer hinter den Büschen verschwand. Nur das rothe Kopftuch leuchtete noch einmal auf, das Wimmern der dünnen Kinderstimme klang zurück. „Jesses Maria?" Das Mädchen am Thor schüttelte sich wie in innerem Schauer und biß die Zähne zusammen.— Das war die Barbara Holtzer, des Pfalzelbauern Magd, die im Frühlingsbrausen am Thor stand und mit einem leeren Ausdruck in die Ferne starrte. Ihr junges Gesicht sah schmal und herb aus, keine Spur von Farbe auf den mattgebräunten Wangen, um den Mund ein Zug von Traner und Trotz, in den tiefdunklen, gespenstisch großen Augen ein düsteres, äugst- liches Fragen. Vor einem Jahr hatte die Barbe anders ausgesehen, als sie in des Simeon Pfalzel Dienst trat. Da war sie rothbackig hinter den Hühnern dreingesprungen, hatte singend die Kühe zur Weide getrieben, war hurtig mit ihren bloßen Füßen den steilen Pfad zur Kyll hinauf und hinunter gehüpft, den schweren Wasserbottich auf dem Kopf oder die vollgepackte Hotte auf dem Rücken. Ernsthaft hatte sie zwar immer drein- schauen können für ihre zwanzig Jahre, und verstockt war sie schon als Kind; aber wenn eins nicht Vater noch Mutter mehr hat und von klein auf zwischen fremden Leuten hernmgestoßen wird, kann der Ernst, schon kommen. Lachen hat sie nebenbei ja doch gekonnt. Aber mm war's aus— alles aus! Barbara schauderte und sah sich um— alles ans! Sie preßte die Hände gegen die Brust und seufzte tief. War's nicht am besten, sie lies hinunter und sprang in die Kyll? Die brauste und schäumte heut.— Wenn eins die Augen zu- machte und warf sich ans den Grund, dann war das Wasser tief genug, um drinnen zu ertrinken mit aller Roth. Aber nein, nein, das war' eine grausame Sünd'!„Du sollst nicht tödten!" sagte der Herr Kaplau— und das ist gleich, ob man's selber ist oder noch was Ungeborenes.— „Bah, war dän spricht!" Der trotzige Zug um Barbara's Mund trat stärker hervor, mit einer ungeduldigen Bewegung schleuderte sie die widerspenstige, schimmernd blonde Haarsträhne aus der Niedern Stirn. „Wann ech sterben wollt', däht dän mich net dran hinnern on kein Gebetbuch ou kein Kirch. Wat später kömmt, dat waaß mer net, on wann ech in et ewig Fegfeuer muß, dnht et lang net su brennen als dat Quälen hei!" Sie sdilug sich mit der flachen Hand auf die Brust.„Jao, hei— hei!" Große Thränen traten ihr in die Augen, sie starrte wieder eine Weile vor sich hin, dann rieselten die Tropfen langsam über ihre Wangen, und um ihre Lippen irrte es fast wie ein Lächeln. Sie faltete die Hände. „Maria, Modder Gotls! Gebenedeite unner den Weibern. verzeih mer de Sünd'! Ech duhn üwel; mitten in meiner Angst es mer't e su, als spürten ech en groß Freid; ech werden net mieh e su allein sein, e su einsam, ech werden wat Lebigs am Herz Halen, wat mein es, mier zugehert— wan hän mech net heiraoden kann, net will",— sie knirschte mit den Zähnen, und ihre Augen funkelten drohend—»soll hän et bleiwe laoffen. Ech han mei Könd, dat hau ech, dat kann mer keiner holen— on ech frein mich!" Sie warf den Kopf in den Nacken, trat ins Thor zurück und schleuderte es kräftig hinter sich ins Schloß. Mit langsamem, schwerfälligem Schritt ging sie dem Hause zu. Dort war's im Flur schon dunkel, schwach tönte vom Dorf das Bimmeln des Abendglöckleins herüber. Das Mädchen bekreuzte sich und stieß die niedrige Stubenlhür auf. »Gelobt sei Jeses Christes!" Simeon Pfalzel und sein Weib murmelten kaum hörbar den Gegengruß. Nur der junge Mensch am oberen Tisch»
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14 (17.8.1897) 160
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