Hlnlerhaltungsölatt des Worwärls 37r. 167. Donnerstag, den 26. August. 1897. (Nachdriül verbot««.) 8] Die Schuldige. Von C. Viebig. Jao. still, still\" Der Bursche ließ die Schippe fallen, er fühlte, wie ihm kalter Schweiß über den Rücken rieselte; er stemnite die Hände gegen die Ohren, kniff die Augen zu und rannte davon wie ein Verfolgter. An diesem Abend ging der Vater allein auf den Rani stein, der Sohn lag im Heu, sinnlos betrunken, und schlief seinen Rausch aus. »Hän es onüwel gäweu," sagte der Pfalzelbauer zu seiner zukünftigen Schwiegertochter und klopfte ihr die weichen Wangen.Ville Grüß on morgen kömmt dän Lorenz." Als der Lorenz in der andern Frühe erwachte, mußte er sich lange besinnen, was eigentlich gewesen war. Bah, heut in der köstlichen Morgenfrische erschien ibm alles gar nicht mehr so verzweifelt wie am gestrigen Tag. Er saß aufrecht im Heu und guckte durch die Fenstcrluke hinaus aus die Waldhötien, und weiter hinüber zu der Ehranger Chaussee, die sich obst- baumbesetzt neben der Mosel einher schlängelte. Da weit, weit hinunter mußte sie sie ivar gut zu Fuß, jung, wieder kräftig: aber das Kind, das Kind?! Der junge M an» rieb sich die Stirn, senkte den Kopf in beide Hände und grübelte. Plötzlich sprang er ans und schlug sich auf den prallen Schenkel, daß es klatschte hei, so mußte es gehen' Ja und vor der Hand waren doch immer noch ein paar Tage Zeit; gepriesen seien die sieben Nothhelfer! Kommt Zeit, kommt Rath ei, was war er doch für ein Schlaukopf! *» Zu Ehrang war kein Mensch im Haus, schreckensbleich standen die Leute auf der Gaffe bei einander. Die einzige, die sich daheim hielt, war die Kathrein Holzer. Die lag im Bett, hatte sich den schmierigen, laub- gefüllten Sack, der ihr zur Decke diente, bis über die Ohren gezogen; unten guckten die verkrümmten Fußspitzen vor. Sie schwitzte, ächzte und winselte zum Steinerbarmen, sie hatte Schinerzeil wo denn nur? Ueberall, überall! Selbst durch das kleine verhängte Fensterchen des Armen- Hauses drang das erregte Hinundher der Menge mit seinen jammernden Ausrufen, seinem entsetzten Aufkreischen. Und während so in Ehrang ein dunkles, geheimnißvolles Etwas die Hütten entlang schlich, Mann und Weib mit knöchernem Finger auf die Schulter klopfte, daß sie die Arbeit verließen, um von Grausen geschüttelt bei einander zu stehen, saß zu Trier der Staatsanwalt Milde vor seinem Schreibtisch und starrte auf ein Telegranim in seiner Hand. Das Fenster war geöffnet, eine köstlich heitere Somuierluft strömte herein; es roch nach Linden, nach Rosen, nach Jasmin. Der Himmel hing über der Erde wie ein leuchtend blaues Auge; von der nahen Domuhr hallten Schläge langsam, feierlich, von hundert Elöckcheu bimmelte es Mittag! Der Staatsanwalt fuhr auf, das Blatt in seiner Hand knisterte. Da stand es, deutlich, leserlich, mit den großen Buch- staben des Blaustifts: Ehrang , 20. Juli, 10 Uhr SV Minuten. Sohn des Pfalzelbauern ermordel Leiche heul gesunde» im Ramsteiner Forst unweit Geuofeva- höhle am Bach K o h l h a s, Ortsvorsteher. Himmel!" Milde griff sich nach der Stirn, die Buch- staben schwamnien ihm vor den Augen. War's möglich, des Pfalzelbauern Sohn, der schöne Lorenz?! Noch vor wenig Wochen ivar der Bursche in seiner ganzen Jugendfrischc des Wegs geschritten, noch nicht vierzehn Tage waren vergangen, daß ihm die Ramsteiner Anna leuchtenden Auges, mit heißen Wangen, zum erstenmal von ihrem Liebesglück erzählt! An jenem Sonntag, bei dem einsamen Spaziergang im Wald, hatte er den Lorenz mit geschmeidigem Satz über den Bach springen sehen damals stieg er zur Höhle hinauf, und jetzt, jetzt lag er vielleicht todt und starr an demselben Platz, und sein Blut rieselte über die nioosigen Steine. Dem Staatsanwalt grauste, ein häßlicher Verdacht schoß wie ein Blitz durch sein Gehirn. Nicht möglich, nicht möglich!" Er bewegte ab- wehrend die Hand. Seine Augen hefteten sich starr auf einen P unkt. Er sah nicht mehr die Stilbenwände, nicht mehr da? Stück Papier auf dem Tisch vor ihm lag der sonnen- beschienene Plan, und mitten im Glanz saß die junge Mutter, wiegte ihr Kind und sang. Das lange, blonde Haar floß ihr um die Schultern, sie summte:Sil, su heija popaija"; aber sie lächelte nicht wie damals. Ihre dunklen Augen blickten finster drohend; wie ein unheilvoller Faden spann es sich von hier herunter zu dem Ermordeten am Weg. Mein Gott !" Der Staatsanwalt seufzte und richtete sich mit energischem Ruck aus seiner zusammeiigesunkeuen Stellung empor. Er kliugelte; pantoffelklappernd trat seine Magd, die alte Lisett, ein. Neugierig ließ sie die wasser- blauen Aeugleiu von ihrem Herrn zu dem Telegramm auf dem Tisch gleiten. Js wat Besonners pchsirt, Herr Erster, soll ich eu Droschk nehme gehn?" Die Lisett wußte schon, wenn der Herr so ein Gesicht machte, war die Sache pressirt. Lisett, lausen Sie rasch zu Herrn Strupp, er soll sofort herkommen. Daun bestellen Sie drüben bei Klepper einen Wagen, mit den Eiseubahuzügen paßt's nicht! in einer halben Stunde müffen wir fort sein. Es ist eilig!" Lisett trabte davon; kaum war eine halbe Stunde ver- flössen, so saßen der Staatsanwalt und Strupp, sein Sekretär, im Wagen. Die Pferde liefen, ivas sie konnten; im Sonnen- flimmer blieb bald die Stadt dahinten, über die staubige Chanssee rollte das Gefährt. Auf der einen Seite die rothen Sandsteinfelsen mit ihren überhängenden Perrücken von Grün, auf der anderen die in der trockenen Sommerzeit recht schmächtig gewordene Mosel. Der Sekretär seufzte und rückte unruhig auf seinem Sitz hin und her: Verdanunt heiß heute, Herr Staatsanwalt o jemmich!" Hm!" Weiter gab's keine Antwort. Milde lehnte scheinbar schlafend in der Wagcnecke, und doch arbeiteten seine Gedanken rastlos. Wie ein Kreisel drehte es sich in s einem Kopf, immer und inimer um den einen Punkt, um das blondhaarige Weib im Sonnenglanz. Es schien neben dem Wagen herzuschweben, ihm mit den brennenden Augen wild ins Gesicht zu starren, dann drohend und klagend zugleich die Hände zu erheben. Das war eine Qual! So ging es eine bis zwei Stunden. Ehrang!" Der Kutscher knallte mit der Peitsche, vor ihnen lag das liebliche Nest, silbern blinkte die Kyll , und vom Wald her schien Kühlung zu fächeln. Sie fuhren in die Torfstraße, ein Menschenschwarm wälzte sich ihnen entgegen; in dumpfem Schweigen nahm der den Wagen in die Mitte. Langsam konnten die Pferde nur vorwärts; die Leute drängten sich dicht an die Räder, hinten hingen sich wie Kletten ein paar Buben an. In bedrückter Stille, in schauriger Spannung schob sich die Menge vorwärts. Dawar nun der Herr Staats- anwalt aus Trier , was würde der sagen?! Der Ortsvorsteher kam aus seinem Hanse gestürzt, er sah bleich und bekümmert aus; so lauge er im Amte, und das zählte schon eine Reihe von Jahren, war so was Schreckliches noch nicht in Ehrang passirt. Er stieg zu den Herren in den Wagen, der Kutscher suhr nach erhaltener Weisung rascher dem Walde zu. Die Dorfhäuser blieben zurück, nur oben von der Berglehne grüßte nüt bröcklichcn Mauern und gedrückten Fensterscheiben der Hof des Simeon Pfalzel; auch der war von Neugierigen umlagert. Sie machten Kehrt, als sie den Wagen erblickten, und schloffen sich dem Trupp an, der in einiger Entfernung dem Gefährt folgte. Der Weg zu feiten der Kyll ward nach und nach schmaler, die Bäunie ragten höher; nun hielt der Kutscher die Pferde an. Die Herren verließen ihre Plätze und schritten seitab in die enge Schlucht hinein, die dem Aufstieg der Genoseva- Höhle zuführt. Milde ging voran, sein Sekretär drängte sich dicht hinter ihn, zuletzt kam der Ortsvorsteher; der brave Mann zitterte ordentlich und bekreuzte sich alle zehn Schritte heinilich. Ans dem Buschwerk trat ihnen jetzt der dicke Lippi, der Gendarm, mit einigen Männern entgegen. Sie hatten hier Wacht gehalten, den Ort der That gegen den Andrang Unberufener geschützt. Der dicke Lippi grüßte militärisch und machte Front. Hahr Staatsanwalt, ze Befehl, noch zwanzig Schritt hier