Nnterhaltungsblatt des WorwärtsNr. 170.Dienstag, den 31. August.1897.(Nachdruck verbalen.)"]Die Schuldige.Von C. Viebig.Es war wenige Stunden später.Eine aufgeregte Menge füllte wieder die Dorfstraße undumwogte das Spritzenhaus. Die Sonne schien vom wölken-losen Himmel nieder, heiß und grell. Der Lippi stand undwischte sich den Schweiß von dem rothen Gesicht, er war inWichs; dort stand das Chaischen mit ein paar starken Acker-gäulen bespannt, das die Mörderin nach Trier bringen sollte.„Vill ze fein for so en Luder! meinten de Leute undballten die Fäuste.Die Herren vom Gericht waren schon wieder fort, nurder Herr Staatsanwalt weilte noch im Dorf, aber sein Wagenward auch angespannt. Bald würden sie alle weg sein, nuroben im Pfalzelhof lag noch der Todte und harrte der Be-stattung.In der Putzstnbe des Ortsvorstehers waren die Fensterverdunkelt, trotzdem herrschte eine drückende Schwüle in demgiftgrün lapezirten Raum. Die Fliegen surrten, es roch nachgetrockneten Kräutern und Käse; auf der Fensterbank pflegtedie Frau Gemeindevorsteher ihre Schmantkäschen zu sonnen.Auf dem Roßhaarsopha mit der weißen gehäkelten Schutzdeckesaß Staatsanwalt Milde. Er hatte den Kopf in die Handgestützt wie in schweren Gedanken; er wartete. Da klopfte esan die Thür.„Herein l"Auf der Schwelle stand die Ramsteiner Anna, in tiefeTrauer gekleidet, um das verweinte Gesicht ein schwarzes Tuchgeknüpft.„Guten Tag, Fräulein Anna! Ich habe Sie rufen lassen,weil ich Sie gern sprechen wollte; ich danke Ihnen, daß Siegekommen sind."Er schüttelte ihr die Hand, sie brachte kein Wort hervor;bei seiner Anrede schössen ihr aufs neue die Thränen in dieAugen, um ihren Mund zuckte es und ihre Hand zitterte.„Armes Kind, setzen Sie sich!"Schluchzend ließ sich das Mädchen auf einen Stuhl fallen.„O, Herr Staatsanwalt, Herr Staatsanwalt, es is allese so gräßlich— ich bin wie verwirrt, da drinn in meinerBrust is alles ausgelöscht und umgedreht, ich lieg' auf denKnien und kann net beten, ich sehn zu mei'm Muttergottes-bild auf und bin wie blind— mein Gott, was is mit mirgescheh'n?*Sie rang die Häude; thcilnahmsvoll ruhte Milde's Blickauf ihr. Sie war wie ausgetauscht. Das hübsche sonnigeGesicht schaute so vergrämt,' um Jahre älter, eine fremdeLeidenschaftlichkeit mischte sich in ihr Gebahren; die sonstigeSchüchternheit war verschwunden, die Worte flössen ihr inhastiger Erregung:„Herr Staatsanwalt, den Lorenz is tot, all mein Glückis hin— und e so schrecklich, e so schrecklich! Wär' er nochgestorben, daheim in sei'm Bett, versehen mit den Sterbe-sakramenten unsrer allein seligmachenden Kirch, ich wollt' michtrösten, aber so, so!" Sie schüttelte den Kopf und ließ dieArme fassungslos in den Schooß sinken, dann sprang sie aufund faßte wie beschwörend die Hand des Herrn:„Gelten Se,Herr Staatsanwalt, ich geh» net irr, den Lorenz hat unrechtan der Barbara Holtzer gethau? Es hat mer zwar kein Menschebbes davon gesagt, der Vadder antwort mer net, und dieMutter weint alleweil; aber gelten Se, die Barbara hat einRecht an den Lorenz gehabt, er is der Vadder von ihremKind gewest, und weil er mich hat heiratheu wollen, drum hatsie ihn umgebracht?— O, die schlechte Person!— O, ich armDingen!— Ich sein schuld an all dem Elend— ich kann netmehr in der Welt leben, � ich gehn in ein Kloster.— Lorenz,mein Lorenz, ich bin Dir e so gut gewesen, nun muß ich Dire so bös sein!"Herzzerbrechendes Schluchzen erstickte ihre letzten Worte.Milde ließ sie ruhig ausweinen, hielt nur ganz still ihre Handin der seinen und streichelte sacht darüber hin.„Anna," sagte er dann,„kleine Anna, ich bin verwundert,woher wissen Sie das alles?"Sie erröthete tief, für einen Augenblick schien es, alswollte die alte Schüchternheit wiederkehren; dann preßte siedie Hände aufs Herz und sagte mit einem tiefen Athemzug:„Herr Staatsanwalt, ich bin ihm so gut gewesen!„Sie sagtedas ganz einfach, mit rührendem Ausdruck; dann fuhr siewehmüthig fort:„Ja, ja, wann mer einen so lieb hat, danngehn ei'm die Augen auf über Sachen, die mer vorher netgeahnt hat, da is mer auf einmal kein Kind mehr! WasHab' ich denn in meiner Klosterschul von der Welt ge-lernt? Aber als mich den Lorenz zum ersten Mal geküßthat, da Hab' ich gewußt, was unsen Herrgott will,wann er zwei Menschen zusammenführt. Mit jedem TagHab' ich mehr gelernt, und als ich gestern den Lorenz todt ge-sehen ,hab'"— sie schauderte unwillkürlich—„und se draufde Barbara ins Dorf gebracht haben mit ihrem Kind— da,Herr, da Hab' ich alles gewußt. Der Vadder flucht dem Lorenzund flucht der Barbera— ich, ich weiß net, was ich thunsoll! Die ganz' Nacht Hab' ich vor der Muttergottes gelegen,ich Hab' sie mit blutigen Thränen angerufen, ich Hab' geglaubt,sie müßt den Finger heben und den Mund aufthun. KeinWunder is geschehen, mein Jammer is heut wie gestern!Es is so dunkel um mich, ich seh' keine Sonn' mehr— oJesus, ich gehn in's Kloster, ich gehn zu die Klarissen, ichwill kein Wort mehr sprechen und in meim Sarg schlafen—o— o—"„Anna," die Hand des Mannes strich über ihren gebeugtenScheitel,„hören Sie mich einmal ruhig an."Sie nickte stumm; und nun begann Milde zu sprechenwie von einer plötzlichen Eingebung beseelt, innig und ein-dringlich klangen seine Worte durch den verdunkelten Raum.Es war die Geschichte Barbara Holtzer's, die er in wenigenZügen entrollte. Er sprach einfach, dem Fassungsvermögenseiner Zuhörerin angepaßt, aber durch die schlichte Erzählungklang ein Herzenston. Ueber die heißen Wangen des Mäd-chens flössen die Thränen wie Regen, eS lausche mit vorgeneigtem Kopf, mit geöffneten Lippen. Ein düsteres Gemälderollte sich auf; ein Buch ward aufgeschlagen, darin stand ausjeder Seite in finsteren Buchstaben etwas von Schuld,Roth und Verzweiflung. Run neigte die Erzählung sich ihremEnde. Milde athmete rascher, seine Stimme bekam einen nochwärmeren Klang, mit festem Druck faßte er beide Hände desMädchens und sah ihm tief in die Augen.„Anna, können Sie verstehen, was ich von Ihnen will?Sic sagen, Sie wissen nicht, wohin mit sich, Sie wollen inein Kloster? Das ist Verbrechen. Sie sind zu jung, es wirdwieder eine Zeit kommen, in der Ihre Jugend von neuemerwacht, soll dann Ihr Kopf an unübersteigliche Mauernrennen, Ihr Herz hinter kalten Eisenstäben verbluten?Glauben Sie damit den Himmel zu erwerben? Hören Siemich, ich weiß ein Werk, das Gott wohlgefälliger ist! Erhat ein Kind zur Erde geschickt, ein Geschöpf, rein und un-schuldig, wie wir alle einst geboren wurden. ES ist jetzt ver-lassen. Wissen Sie, welches Kind ich meine? Das Kind jenerarmen Ansgestoßenen, an Gott und der Welt Verzweifelnden.Nehmen Sie sich seiner an, denken Sie, es sei übrig gebliebenvon dem Todten, eiil Stück von ihm; bewahren Sie das hilf-lose Wesen vor dem Umhergestoßenwerden in einer kalten undlieblosen Welt! Sie werden nicht unbelohnt bleiben, Sie werdeneinen Segen empfinden, der überschwenglicher ist als jeder andereauf Erden— glauben Sie mir, Anna, Kinder sind Führerzum Paradies— Anna, verstehen Sie mich? Sprechen Sie„Ja", und ich will Sie unterstützen nach besten Kräften!Nehmen Sie mir die Last vom Herzen, lassen Sie mich der un-glücklichen Mutter sagen:„Sei ruhig. Dein Kind ist gut auf-gehoben!" Anna, antworten Sie, lassen Sie mich nicht um-sonst bitten!"Er schwieg tief athmend, ein forschender Blick streifte dieschwarze Mädchengestalt— kein Laut! Wie Angst stieg es inseinem Herzen auf; hatte er auch daS rechte Wort gefunden,den rechten Fleck getroffen?!Er lauschte gespannt— da— sie schüttelte den Kopf, ei»dunkles Roth überzog ihr Gesicht.„Herr Staatsanwalt, ich versteh' Sie net! Ich— ich solldas Kind aufnehmen, das Kind von der da?" Sie sprang auf,sie stieß den Stuhl zurück, fassungsloses Staunen maltesich auf ihrem Gesicht:„Es is wohl Ihr Ernst net, HerrStaatsanivalt? Doch?— Sie nicken! Ja, das thut mirleid, daß kann ech net. Ich thät' Ihnen gern was zu lieb�