— 6herzlich gern, aber was denken Sie von mir? Ich fluch' deinLorenz ja net und net der Barbara, ich zürn' net cmal mehr,das haben Sie zuweg gebracht, Sie haben e so schön geredt,daß mir das Mitleid gekommen is, aber da derniit is't anchgenug— wie können Sie von mir verlangen, ich soll mich umdas Kind annehmen?! Herr Staatsanwalt, grad ich! Dasist zuviel verlangt!" Die Stimme des Mädchens nahm einenbeleidigten Klang an und zitterte vor Erregung, das weicheGesicht wurde streng; so glich die Anna ihrem Vater, demRamsteiner Bauern.„Ich bin betrogen und hintergangenworden, ich sein e so gekränkt, und Sie, Sie denken—! AlsSie so erbaulich geredt haben, könnt ich's vor ne Weile ver-gessen, aber alleweil regt sich,s ei'm da innen— was bin ichdenn? Ich bin kein' hergelaufene Person; ich bin de Ram-steiner Anna. Meine Lieb' l�ab' ich an dän Lorenz gehängt,ich Hab' net gefragt: Biste arm oder reich? Und jetzt, wasHab' ich dervon? Daß de Lcut nach mir gucken und hintermir drein schwätzen, und daß ich auf dem Gericht zu Triermeine Aussag machen muß! Ich muß mich schämen. Von derganzen Sach bleibt doch ebbcs an mir haften— und ich, ichsollt' meine Hand noch bieten und e so cn Kind nehmen, aufdem der Fluch liegt— nein! Beten will ich fleißig sor dasarme Wurm und for den Lorenz und die Barbe Messen lesen lassen— aber selbst, selbst—" ihre Stimme wurde wieder fest—„niemals, ich kann net— nein, nein!— Herr Staatsanwalt,Sie sind so en guter Herr"— sie trat an ihn heran undlegte die Hand auf seinen Aermel—„aber, Herr Staatsanwalt,Sie passen net for de Welt! Denken Sie an, was würd'mein Vadder und meine Mutter sagen, was würden de Lentdenken? Sie würden mit Fingern aus mich zeigen! Und ich—ja, ich thät' Angst haben, das Kind von der Mörderin könntauch emal im Zuchthans en End nehmen. Sie sind eben anders,?err Staatsanwalt! Ich Hab' in cm Buch gelesen, es giebteut, die alleweil nur das Gute glauben; wann's regnen thut,sagen sie: gleich wird die Sonne wiederscheinen, und wann derHimmel grau ist, sagen sie: in einer Viertclstund is er wiederblau. Ich meinen, e so einer sind Sie! Nehmen Sie es netübel, Herr Staatsanwalt, daß ich so frei bin und Ihnen dassag'! Und denken Se, wann ich net in's Kloster gehen sollt,dann muß ich später heirathen, es geht doch emal net anders,und was soll ich dann nnt dem Kind? Lieber Herr, es thutmir e so leid, daß ich Ihnen net den Gefallen thun kann,aber bei Heiligen, gewiß und wahrhaftig, es geht net! SindSie mir bös?" Sie sah ihn mit thränenschwimmenden Augenan, er schüttelte nur stumm den Kopf.„No, dann adieu,Herr Staatsanwalt, ich muß jetzt gehen! Im Kapellchenis die Todtenmeß sor den Lorenz— horchen Se, sie bimmelnschon!"Er ließ sich von ihr die Hand drücken.„Adieu!"Sie ging, das schwarze Kleid verschwand hinter derThüre.Milde sank auf den Stuhl wie eiller, dem eine schöneHoffnung zu nichte geworden.Da ging sie hin, da stand das Bäumchen, das er überund über voll rosiger Blüthen geglaubt, kahl und leer! Erschlug sich vor die Stirn, und sein Murmeln hatte einen bitterenKlang:„Ich Narr, ich lächerlicher Schwärmer! Ja, sie hat recht,ich kann ihr nicht zürnen. So jung und so verständig! Undich— so alt und so unverställdig!"**♦Draußen hält noch immer, von Neugierigen umlagert,das Chais'chen ani Spritzenhaus. Die Ackergäule scharren un-geduldig und der Lippi flucht leise:„Zappernient, bat es kein vergnügliche Saach, hei bei dervermaledeiten Hitz zu stiehn; dän Hahr Staatsanwalt wolltdoch gleich kommen, on eiveil dauert dat en halwe Ewigkeit—Gott sei gelobt, eloa is hän endlich!"Milde kommt rasch näher:„Schließt auf, bringt die Gefangene heraus!"Mit dumpfem Gemurmel, mit halblauten Flüchen undVerwünschungen rückt die Masse der Neugierigen näher.„Platz gemaach, hei werden net Manlaffen feilgehaalen!Dao soll doch gleich en heilig Kreizdunnerweder—" Der Lippiflucht kannibalisch.Der Staatsanwalt ruft:„Schämt Euch, Ihr Leute! Haltet Euch ruhig, tretetzurück!"Widerwillig schiebt sich die Menge zur Seite, mit wüthendemUmherblicken und Säbelgerassel verschwindet der Lippi in der78—Spritzenhausthüre; ihn begleitet der Kollege, der heute vonTrier eingetroffen ist. Eine Weile verstreicht. Athemlose Stilledraußen— da— alle Hälse recken sich, die Thüre knarrt inden Angeln, sie geht aufs„Ah!"Der Herr Staatsanwalt hebt die Hand:„Ruhe!"Da tritt sie über die Schivelle, die Hände gefesselt; rechtsund links ein Gendarm! Ihre Blicke sind stier zu Boden ge-senkt, kein Muskel in dem todbleichen Antlitz regt sich; siesieht aus wie eine Abgeschiedene. Mechanisch thut sie diewenigen Schrite vorwärts. Ter Wagenschlag wird geöffnet,die Gendarmen heben sie hinein, zu jeder Seite nimmt einerPlatz; der Kutscher haut die Pferde— sie ziehen an—-Rädergeraflel— eine Staubwolke.Im blendenden Sonnengeflimmer verschwinden die Häuserdes Dorfes; nun ist das letzte erreicht, noch diese Wegbiegung,dann liegt Ehrang versunken hinter Büschen und Bäumen,mit ihm alles, was—„Mein Könd, mein Könd! Mit einem herzzerreißendenSchrei springt die Gefangene auf, wendet sich zurück undhebt die gefesselten Hände.„Mein—" Die Gendarmen ziehensie unsanft nieder ans den Sitz.Die Räder rollen weiter; in Staub und Sonne ver-schwindet alles.Ende.Veknnnke Mnbelmnnte.E in etymologischer Streifzug ins Thierreich.Jeder kennt den einsamen Wühler unter der Erde, dem erst dieneuere Zeit Schutz und Schomrng predigte, den Maulwurf.Ein Thier, das mit dem Mani Erde auswirft, wird mancher denken.Weit gefehlt. Der Name des dunkeln Gesellen hat mit„Maul"nichts zu schaffen; das zeigt»ns die alte Form Moliwers. d. h.„Slanb"-Werser. Dieses Wort Molt gehört mit Mulm zum Stamme„Mahlen"; es tritt noch sehr bezeichnend hervor in Mollmaus,einem Thiere, das ja dieselbe Thäligkeit ausübt, wie der Maulwurf.Ebenso wenig gehören zum Begriffe„Maul" die Wörter MnuUhier(aus dem Lateinischen niulus) und Manlbeere�entstellt aus dem Latei«»ischen vaorulir). Bleiben wir noch einen Augenblick bei de» Nagern!Wer hätte nicht schon das Wort rattenkahl gebraucht! Was dachte mansich wohl dabei? Eigentlich recht wenig, denn eine Liatie ist dochnicht gerade auffallend kahl. Das Wort hat auch wirklich mit derRatte nichts zu thun; es ist nichts weiter, als das durch Volks«Etymologie mundgerecht gemachte„radical". Dasselbe Schicksal hatder bekannte M ä u s e l h u r m bei Bingen gehabt. Die Sage weißnatürlich von gierigen Mausen zu berichten, die den hartherzige»Bischof Hatto bis zu diesem Thurms verfolgten. Und wie prosaischist die Wirklichkeit! Der Bau diente ursprünglich als Zollivarle,er war ein„Maut- Thurui"(aus dem Lateinischen nmtaoder Gothischen motu— Zoll). Auch bei dem Worte. Eich-Horn gehört der zweite Bestandtheil wohl einer volks-etymologi«scheu Bildung an, deren Ursache uns allerdings vollständig unerfiud-lich ist; man sucht vergebens nach einem Zusainmenhaugzwischen dem Affen unserer Wälder und dem Schmucke unseresStieres. Aehnlich ist es dem M u r m e l t h i e r e ergangen. KeinKundiger behauptet, daß das Thier murmelt; man hat ihm das ein-sach angedichtet, um für das lateinische nmrsm montis(mus montis,also„Bergmaus") einen Ausdruck zu gewinnen, der einem lautlichwenigstens nicht mehr fremd war.Wie stark übrigens die Gestaltungskrast der Bolks-Etymologieist, zeigt uns recht deutlich der Name eines nordische» lltaubthieres.Dieses Thier hieß ursprünglich(im altnordischen Fjallfreß, d. H.Fels-oder Bergkatze. Das wurde dann im Volksmunde umgemodelt zudem ähnlich klingenden Vielfraß, und so spukt dieses Thier nunmit seinem ominösen Namen, den es gar nicht verdient, in unserenNaturgeschichten.Ei» anderes Raubthier, der Wolf, spielt in Sage und Glaubeunserer Borfahren eine große Rolle. Jeder kennt aus denMärchen seiner Jugendzeil den Werwols, ein Wesen, dasfrüher Mensch, nun als Wolf umherläuft. Diese Deutung führtuns auf die rechte Spur: Wer ist Man», Mensch(vgl. lat. vir),und noch deutlich zu erkennen in Wergeld, d. h. Sühnegeld für denMord eines Mannes. An Wolf erinnert noch die alte Form fürM a r k o l f(Häher), eigentlich Markwols, d. h. Grenzwolf, in derThiersage häusig als Markwart bezeichnet. Die Beziehung ansWolf paßt für den Häher vortrefflich, denn dem Begriffe Wolf liegtdie Urbedeutung des Raubeus, Reißens zu gründe.Vom Wolf kommen wir auf seine Opfer, das Schaf. Wirbeneiden einen Menschen, von dein wir sagen:„Er hat sei»Schäfchen im Trockenen." Wunderbare Redensart, nicht wahr?Doch nur scheinbar. Schäfchen heißt hier so viel wie Schiffchen,vgl. das niederdeutsche schepkeb. und so wird uns der ganzeAusdruck bald verständlich: wer sein Schiffchen im Trockenen,in» Hasen hat. der ist gerettet und geborgen. Jedermann kennt denVerwandten des Schafes, die lustige Ziege; vielleicht weiß auchmancher, daß man wohl'mal von einer Haberziege sprich:.