93ov ihm lag die regenfeuchte Chaussee mit einem Meer von Stoppel-, Schollen- und Rübenfeldern zu beiden Seiten, überspannt von einem eintönigen, grauen Herbsthimmel, der am Horizont unmerkbar mit der weiten, flachen Ebene zu- sammenfloß. Teßmer war indessen nicht der Mann, der sich langen Gcfühlsschwärmereien hingab. Weder die langsam im Dunst verschwindende Stadt, noch der trostlose Herbsttag vor ihm stimmten ihn schwermüthig. Er wanderte vergnügt in die Welt hinein, denn er besaß einen felsenfesten Glauben an seinen guten Stern und an sich selbst.» Hinter sich ließ er ein Leben fehlgeschlagener Hoffnungen und vor ihm, jenseits jener Ncbelmauern, lag doch vielleicht das Glück, das gelobte Land des Reichthums und Ruhmes, das er mit fiebernder Gluth ersehnte. Teßmer war andererseits auch nüchtern genug, sich vorerst nicht allzu große Illusionen über seine nächste Zukunft zu machen. Einstweilen hatte ihm sein begüterter Bruder eine kleine Stelle angeboten, wo er wenigstens sein Brod fand. Und was konnte ihm sonst wohl diese schweigende, starre Welt des platten Landes, wo ein Schwärm kulturarmer Bauern und Knechte mühsam sein tägliches Brot erwarb, auch bieten, ihm, dem rnhelosen Unternehmer, der nur einen Lebenszweck kannte, rasch und mühelos ein gewaltiges Vermögen zusammen zu raffen. Für ihn war die gegenwärtige Nothlage und die in Aus- sicht stehende Beschäftigung als Gehirntagclöhner nichts weiter als eine unbequeme Pause im fieberhaften Spiel um Erwerb und Genuß, die er möglichst abzukürzen gedachte. (Fortsetzung folgt.) Vie Opev nach Uvagnev« Von Dr. M. Alfieri. Als Wagner seinem Traum von einem Feftspielfrnuse, in dem die Bliithe der Gesangskünstlcr seinen musikdramatischen Gedichten zum Leben verhelfen sollte, Wirklichkeit n»d kulturhistorische Be- deutung verliehen hatte, war es an der Zeit, den absoluten Werth dieser Opernschöpfungen, i» denen sich Musik, Poesie, dramatische Kunst und malerisches Ezenenrasfinemcnt zu einem oft hinreißenden Ganzen vereinigten, klarzulegen und aus ihm die Regeln eines neue» Etiles abzuleiten. Was an diesem als Ausfluß des Genius zu gelten hatte, mußte sich über die feindlichen Gegen- einflösse und jene Theilnahmslosigkeit einer überrelfen Bildung erheben, die in ihren reflektiven, abgeschwächien Empfindungen von einem wirklich produktiven Talente stets aufs erbittertste bekämpft wird. Ans dem ästhetischen Chaos unerhörter musikalischer und dramatischer Vorzüge und Schwäche» und kübner finnlicher Reizmittel mußte sich das wahrhaft Große erheben, dessen innerer Werth eben de» kunstgeschichtlichen Zusammenhang außer- ordentlicher Erscheinungen, wie Wagner, mit ihren Zeitgenossen und Nachfolgern ergiebt. Wenn nun auch die drei der Tonkunst vorzugsweise zugeneigten Nationen, wie von einem gemeinsamen Impulse gehoben, sich den Bedingungen der dramatischen Wahrheit Wagner's unterwarfen, so wurden sie keineswegs absolute Anhänger jener De- klamationsstrenge. welche die jenem großen Genius versagten Eigenschaften melodischen Reichthums und ursprünglicher Er- findung als charakteristische Ausdrucksmittel kaum anerkannte. Wohl fügten sie sich dem Einflüsse jeuer Kunstprinzipien, die in der Energie seines Stiles lebte» und im Kampfe um das bisherige künstlerische Ideal der schimmernden Unwahrheit, der beifallssüchtigen Virtuosität und dem verdorbenen Geschmacke entgegentraten. Von Wagner sollten sie der Alleinherrschaft der mit ganz ungehörigen Melismen überladenen Melodie entsagen und deren Verwendung zn eine»» würdigeren Zwecke lernen und von ihm lernten sie tbal- sächlich jene neue musikalische Verlebendigung dramatischer Pläne. in welcher die Summe seines schöpferischen Geistes und die gewaltige Bedeutung lag, welcher sich über allen individuellen Ge- fchmack und alle Veränderung äußerer Formen hinaus keine musikalische Kullurnatton zu entziehen vermochte. Doch nicht an die Mannigfaltigkeit seines ernste» pathetischen Stiles und seiner mit rein musikalischen Mittel» ausgeführten Charakterzeichnung und Sitnationsschilderung, nicht an die Züge echter Poesie in seinen Texten und deren inneres gehaltvolles und reiches Leben knüpften seine direkten Nachfolger an, sonder» gerade die schlimmsten Mißgriffe des Meisters, die reaktionäre Rückkehr zur alleinherrschende» Monotonie des Rezitativs und der dunkle Pessi- mismus und ekstatische Symbolysmus seines, die reine Melodie apodiktisch negirendenKunstwerks der Zukunft�, schienen den Epigonen das sibillinische Ideal, welches vor allen de» andere» Opernwerken der Gegenwart und Vergangenheit jeden musterbildenden Werth absprach. Aus der besonderen Vorliebe des Meisters für die Mythen und Legenden einer räthselhasten Vorzeit entstanden die nachgeahmten, trocken anmaßenden Literatur- Operntexte deren parodistischer Heroenkult jeder Frische, Würde und gesunden Kraft entbehrte und eine musikalische Bearbeitung erfuhr, i» welcher die gesteigert unfruchtbaren Verirrungen des Meisters wirklich Mit- leid und Schrecken erregten. Die 70«r und 80er Jahre, in welchen in Bayreuth   die kunst- historische Aufgabe Wagners gelöst und das zuvor Unmögliche und Unerwiesene Thatsache und Wahrheit geworden schien, waren in Deutschland   stigmatisirt von jenem nichtigen und hoffnungslosen Opernurgermanenthum, das stets etwas ganz Neues, Wunderherr- liches gebären wollte und mit den leeren Phrasen eines vorgefaßten Systems nur die Heuchelei seines Geistes und seiner Seele dokumentirte. Mit widerwilliger Verwunderung staunten die praktisch und wahrhast Gebildete», welchen der lügnerische literar- historisch-wissenfchaftliche und patriotisch- deutschthümelnde Stand- punkt als die verächtlichste allerOpernfrivolitäten" galt, den Pomp von Orchestrirungen an, deren inhaltliche Leere weder den Antheil der Masse erregte, noch den Anforderungen der Kenner genügie. Für die Wortführer dieser Gernegroß-Pygmäenpartei war die bis- herige Oper und deren Vergangenheit niit all' ihren prangenden. dustenden Blüthe» als langjähriger Jrrthum der Künstlerwelt abgelban, und dem absoluten Werth« früherer Schöpfungen hielten die Bannerträger blinder Wagner'scher Gefolgschaft ihr« mühsam künstlich fabrizirten Zwitterprodukte, wächserne Blumen und dustlose Treibhauspflanzen, entgegen, die nichts bildeten als eine Reihe innerlich zusammenhangloser»nd in ihren Resultaten nichtiger Ver- suche. Was ist von den Thaten jener Kleingeister, welche der Bayreuther   Götzendienst bewog, die rühmliche Vergangenheit auszu- geben und sich von den sogenannten abgelebten Formen der Gegenwart abzuwenden, auf uns gekommen, welches Werk können sie nennen, das, auf der Basis und dem Systeme Wagner's aufgebaut, die Roth  - wendigieit eines gewaltsamen Umsturzes beweist und als Bildungs- mittel unseres Geschmackes dient? Dem unzureichenden Talente der deutschen   Tondichter einerseits und dem aus Uebersättignng entspringende» Mangel an Empfänglich- keil seitens des Publikums ist also das geringe poetische Verdienst der Nach-Wagner'schen Opernperiode zuzuschreiben. Die mit Nolh- wendigkeit hereinbrechende Reaktion fing an. das Pathos zu messen und anzuzweifeln, eine durchaus reflektive Zeit begann, die abgenützten heroische» Ideale mit klügelndem Verstände zu zerlegen, und in dieserHalle  " verloren alle nachempfundenen stilistrte» Em­pfindungen ihre vermeintliche Erhabenheit. Man war mit der Uebergröße mythischer Vergangenheit zu intim geworden und grüßte den Ersten, der die verzehrende Sehnsucht«ach der Brutalität tief menschlicher Leidenschaften befriedigte und der Komödie eines tragischen Urahncuthums die Sensationen der Tagestragödie entgegensetzte, mit jenem Enthusiasmus, welcher die Mode erzeugt. Dieser erste war M a s c a g n i, der Jungitaliener, der Vater des italienischen Verisnio, der aus de» uns angeborenen Leidenschaften und dem, was Max Slirnerfixe Ideen" nennt, die Kraft für seine C uv all« ri» ru Stic ans"(Bauernehre") zog und der Ge­staltung des allgemein Menschlichen mit einer Art unberührter Naivetät, die im Innersten raffinirt war, gegenübertrat. Während die Scheinproduktion des von der Wagner'schen Kunslpersönlichkeit gänzlich abhängigenheroischen" deutschen Kunstzeitalters immer auf Stelzen und Krücken ging und mit den überkomnienen Phrasen und nachgeahmten charakte- ristischen Zügen des Meisters nur die Langeweile eines schwer- lastenden Systems schuf, das im letzten Grunde weder erwärmte, noch erschütterte, stiegen Mascagni   und seine Genossen Leoncavallo  , Giordano. Puccini  , Spinelli ins Leben nieder, ohne in der Auswahl der in ihm treibenden tragischen Kräfte allzu behutsam zu sein. Wer wollte flengnen, daß manches in ihren Werken abscheulich, nüchtern-gesncht, selbst poesielos ist? Aber in dem Ausschnitte des sozialen Lebens, den ficviellcichtmitzu enger Aus- schließlichkeit des Milieu wählten, interessirten fie, griffen sie tief und mächtig selbst auf jene ein, die mißbilligend darüber den Kopf schüttelten. Sie erkannten der Vergangenheit, die sich ihnen in Meyerbeer  , Bizet   und Verdi konzentrirt, zeilwellige Berechtigung zu und entsagten stofflich einem Helden- und Götterlhum, dessen musikalische Jndividualisirung nur einein Tondichter gelingen konnte, der schöpferisch die feinsinnigste und geschickteste Anwendung der musikalischen Ausdrucksmiltel zur Charakterisirung von Seelen- zuständen zu gebrauchen die Macht besaß. Die in ihren Opern geschilderten Leidenschaften gehören so sehr dem Kreise allgemein menschlicher Empfindung an, die handelnden, von allen philosophischen Abstraklionen freien Personen sind in ihre» Grund- zügen so einfach gezeichnet und erscheine», sobald wir sie anrufen, als musikalisch konkrete Charakterbilder in selbständiger Abgeschloffen- heit so ledendig vor uns, daß. wenn auch keines ihrer Werke in Hinsicht auf Adel der Gedanken, Ebenmäßigkeit, ja Schönheit der Formen ihren großen Vorgängern ebenbürtig ist. ihr Talent wie eine reiche Hoffnung und ersehnt« Erlösung begrüßt ward. In der Vereinigung konlrapunktischer Kunst mit einem gewiffen Zauber meto- bischer Anmulh, welche noch immer im gebenedeiten Lande des Gesanges möglich ist, im Besitze des künstlerischen Gefühls und der Fähigkeit, auf das Publikum zu wirke», es zu fesfel» und fortzureißen, mit einem Worte im Besitze der wahren Seele der Musik, fiel ihnen die Fort- entwickelung der Opcrnmusik zu und damit zugleich die Befreiung von der ideenleere» Ueberschwänglichkeit der Nach'Wagner'schen Orchester- oper. Mag auch die Mode die Antheilnahme das Publikums bis zu einem gewissen Grade bestimmt haben, so ward es doch ihnen wieder vergönnt, die unterdrückte Melodie und die Wahrheit des dramatischen Ausdrucks in eins zu verschmelze», Geist und Herz des nn-