Alexander hatte Tag und Nacht die Arbeiten überwacht und sozusagen der ganzen Unternehmung seine Seele ein- gehaucht. Als die Kampagne daher mit einem glänzenden Resultat abschloß, bewilligten die glücklichen Aktionäre nicht nur eine Verdoppelung seines Gehalts, sondern hielten mit ihren Lobeserhebungen über die Tüchtigkeit des neuen Gehilfen nicht zurück. Waldemar betrachtete nicht ohne Mißtrauen die Erfolge seines Bruders, hielt aber äußerlich sein freundschaftliches Benehmen aufrecht. Einstweilen war ihm Alexander auch un- entbehrlich, und sollte er ihm wirklich gefährlich werden, dann fühlte er sich noch stark genug, ihn beiseite zu schieben. Gesellschaftlich verkehrten die Brüder nur sehr wenig mit- einander. Alexander empfand einen viel zu großen Wider- willen gegen seine geizige, hochfahrende und zänkische Schwägerin, um öfter, als es sein mußte, seines Bruders Heim aufzusuchen. Zudem verschlang die angestrengte Thätig- keit in der Fabrik fast seine ganze Zeit. Dies war auch der Grund, weshalb er so gut wie in keinen Verkehr mit den Dorfbewohnern getreten war. Er besuchte selten ein Wirthshaus, keine der ländlichen Vergnügungen, war indessen gegen jedermann, ob reich, ob arm, von aus- gesuchtester Höflichkeit. Dabei ließ er keine Gelegenheit un- benutzt, sich mit dem Charakter der Leute vertraut zu machen, die Verhältnisse zu studiren. Einige verschrieen ihn daher bald als eingebildet und stolz, die meisten aber nahm sein freund- liches Benehmen doch so gefangen, daß sie ihn für einen sehr netten, leider aber armen Menschen hielten, dem ein gutes Fortkommen zu wünschen wäre. Ueberdies herrschte nur eine Stimme, daß er ein Muster von Solidität sei. Die jüngsten Erfolge in seiner neuen Stellung blieben nicht ohne Einfluß auf seine ganzen Verhältnisse. Er stand plötzlich im Mittelpunkte des allgemeinen Interesses. Die wohlhabenden Bauern, voran die reichen Fabrikaktionäre, be- handelten ihn nicht mehr als den armen Schreiber, der in ihren Augen bisher unter die Kategorie der Knechte und Tagelöhner gezählt hatte, sondern als einen fast Eben- bürtigen. Da er es vorzüglich verstand, den Eigenthümlich- leiten dieser Leute Rechnung zu tragen, wuchs seine Beliebt- heit rasch. Der Umstand, daß er noch unverheirathet war und er auch allgemein schon als Nachfolger seines kränkelnden Bruders galt, trug vollends dazu bei, ihm das besondere Interesse aller Eltern mit heirathsfähigen Töchtern zu er- werben. Im Gegensatz zu seiner bisherigen Zurückgezogenheit be- nutzte der junge Emporkömmling jede Gelegenheit, mit Leuten aller Stände in Verkehr zu treten. In der Schänke unterhielt er sich stundenlang mit den Bauern und kleineren Besitzern über das Wetter, die Bestell- und Ernte-Aussichten und all jene kleinen und großen Sorgen ihrer Wirthschaft, welche das ausschließliche Gesprächsthema des Landmannes bilden. (Fortsetzung folgt) SmtnkacZsplaudevei. Man konnte in der jüngsten Zeit kaum eine Zeitschrift zur Hand nehmen, ohne darin tiefsinnige Betrachtungen über den modernen Argonautenzug nach dem Wunderlande von Klondyke zu finden. Wie einstmals die hellenischen Heldenabenteurer auszogen, um im Barbarenland das goldene Vließ zu erbeuten, so strömen jetzt die modernen Goldsucher dem Aukonfluß zu, unbekümmert um die Gefahren der weiten Wanderung im»nwirlhlichen Lande. In diesen Betrachtungen über moderne Abenteurersucht durfte man viel Erbauliches lesen, und fast immer schlössen die Sittenprediger, wenn sie den Frieden still-genugfamer Wirksamkeit in weich- melodischen Klängen priesen, mit dem lateinischen Spruch:.Aun sacra fames", was in grobes Deutsch übertragenVerdammter Goldhunger!" hieße. Es sollen bereits Leute unterwegs sein, die beileibe nicht vom verruchten Goldhunger" angesteckt sind, die vielmehr in der wilden Jagd zu Klondyke die stürmischen Leidenschaften der entfesselten Menschennatur studiren wollen, wie es Menschen giebt, die regel- mäßig nach Monaco reisen, um an der dortigen Spielbank ab- schreckende Beispiele zu erfahren. So hat Herr L. Viereck, der schicksalsreiche Mann, der noch vor ein paar Jahren im alten Reichstagsgebäude den undankbaren Berlinern zeigen wollte, wie man vernunftgemäß lebt, ebenfalls die Gelegenheit ergriffen und den abenteuer- lichen Zug nach Klondyke mitgemacht. Selbstverständlich wird er dann nicht den gemeinen Goldgräbern sich anschließen, die in erbärmlicher Habgier mit Schaufel und Spaten Hantiren. Ihn leitet«in höheres Interesse. Er ist unter die Berichterstatter gegangen; er wird studiren, wie die Avri sacra fames die Menschennatur packt und durchwühlt, und vielleicht kommt er auch zu höchst moralischen Er« wägungen. In den letzten Jahren ist nämlich kaum irgendwo so viel Tartüfferie aufgetaucht, so viel heuchlerisches Augenverdrehen, wie aus Anlaß der Goldfunde von Klondyke. Eine Welt, wie unsere, in der das Gold so völlig heiligt. entrüstet sich über die modernen Abenteurer, die vom Golddurst ge- peitscht werden. Sie schildert diese Abenteurer, die gewiß in den meisten Fälle» daS Wenige, was sie besitzen, dransetzen in der Hoff- nung, es aus Erden auch einmal besser zu haben, etwa so, wie eine vergangene romantische Periode die Räuber in den böhmischen Wäldern zu schildern liebte. Und das Beherzigendste an dem Ganzen ist, daß man zugleich vor den gierigen Goldjägern sich bekreuzt und die Phantasie der armen Teufel dennoch aufs äußerste peitscht. Als das jetzige Klondyke- Fieber losbrach, da war es ein amerikanisches Journal. das in seinem Depeschensaal, in dem es ähnlich wie ein hiesiges Blatt Unter den Linden die neuesten Sensationen vorzuführen pflegt, gewichtige Goldklumpen anS« stellte. Diesen Klumpen war das Ursprungszeugniß Klondyke'aus- gestellt. Sie erhitzten zuerst die Einbildungskrast der Leute, sie regten die Spekulation auf die Menge au; das Verfahren der amerikanische» Zeitung war einem ersten Trommelwirbel vergleichbar, der die Leidenschaften alarmiren sollte. Der Rummel ist gelungen. Heute ist dasMärchenland Klondyke" in aller Welt Munde, heute haben hunderte und hunderte von Menschen ihre kärgliche Existenz auss Spiel gesetzt. Sie wissen, daß ihrer ein Märlyrerdasein harrt; sie wissen, daß sie in grausam unwirthlicher Landschaft den härtesten Strapazen und Arbeiten unterworfen sein werden. Sie wollen es ertragen, bietet ihnen das Leben ja sonst nicht viel; und der Gedanke leitet sie, daß vom Fabelsegen. von dem sie so viel gehört, doch auch ein Theil auf sie fallen könnte. Die vereinte Genoffenschaft der Spekulanten aber, denen das Goldfieber ausnützt, �bleibt hübsch weit von» Schuß. Man hat das Spektakelstück veranstaltet, die Sache nimmt ihren gehörigen Gang. die Transport- und Ausrüstuugsfirmen haben vollauf zu thu», die seltsamsten Städte werden aus dem Boden gestampft; aber man hält sich selber weislich fern; man entsendet allenfalls einen vielseitigen Herrn, wie diesen Viereck, einen Mann', der Alles macht", wie die bekannte Phrase lautet, als Berichterstatter in daS fremdartige Gebiet, damit er die Fabelkunde von Klondyke um neue Mittheiluugen, die Auf- sehen erregen könnten, vermehre. Dann aber, wen» das Geschäft im Fluß ist, horcht man gern auf den Philosophen. der einem in der Zeitschrist mit Wehklagen beweist, wie die Ann sacra fames die Geister der Menge verwirre und vergifte. Ja, ja, wenn tausende von Menschen ausziehen, unsagbare Hindernisse zu überwinden, wenn sie hundertfältig auf schwanken Stegen ihre Haut und ihr Leben zu Markte trage», vom Glücksschimmer geblendet, von kalt spekulirender Gewissenlosigkeit verführt, so deklamirt sich's schön vom wüsten Abenteurerdrang und von unheimlichen Horden. Die Beutejäger indessen, die daheim still auf der Lauer liegen, werden gern in das Geschrei über die Abenteurer, die sich maßlos vermessen, mit einstimmen. Ihre Knochen werden im eisigen Lande nicht bleichen, sie werden von Frost und Mühsal er- schöpft nicht zusammenbrechen. Wenn aber in sonntäglichen Er« bauungsstunden auf den niodernen Abenteurerzng der Goldsucher hingewiesen wird, wenn in frommer Rede die auri sacra fames den Grundlext giebt, dann werden auch sie feierlich gestimmt seufzen: Ach, ach. wozu doch der ruchlose Golddurst, der Menschen bewegliche Herzen treibt! Geräuschlos und ohne Aufsehen nach Reichthum zu jagen, ist etwas ganz anderes. Das fällt nicht auf, wie ein Maffenzug von armen Teufeln; und so mancherGanz-Gescheidte" denkt bei sich: Wer wird in ungewisse Ferne» schweifen? Der richtige Gold- sucher findet den Schatz, der ihm bestimmt ist, auch ans den Straßen von Berlin . Man nmß ihn nur zu heben wissen. In den jüngsten Tagen erst ging eine Notiz von solchem stillen Schatzgräber durch die Presse Berlins . Sie war betitelt: Wie man in wenigen Wochen eine Million verdient. Es war da von einem schlauen Handelsmann die Rede, der im Hansaviertel auf den sogenannten Judenwiesen Grund und Boden erwarb und das Erworbene nach ein paar Monaten um ein Doppeltes losschlagen konnte, weil verschiedene Umstände, so die Nothwendigkeit eines Brückenbaues auf seinem Grund, ihn unterstützten. So kommt man durch eigene Geisteskraft und Arbeit vorwärts. Ueber solche Million wird sich kein Sitteneiferer ereifern. Sie war ja nicht von gierigen Händen gewonnen, wie der Goldsand im Ankonfluß gewonnen wird. Sie war kraft des Genies und hoher Gerstesgaben verdient. Die Moralphilosophcn der Gegenwart wissen sich auch sonst so mannigfach zu helfen. Den Abenteurerdrang von Klondyke findet man absurd und verdammt ihn in warmer Ueberzeugungstreue. Wenn aber kapitalistische Begier sonst abentenerliche Pläne zeiligt. da verstummt das Wortauri sacra fames". Da ertönt nur schmeichlerischer Klang. Nur die Größe, die Schönheit, die edlen Ziele des neuen Unternehmens werden gerühmt, und aus der Spekulation wird im Handumdrehen ein bedeutsam menschenfreundliches Werk. Einer der absonderlichsten und in seiner Art großartigsten technische» Pläne, der Bau einer Schienenbahn auf die Bergspitze derJungfrau" in der