Schweiz ist in diesem Sommer begonnen worden. An Felsrändern vorbei und durch gewaltig dichte Glelschermaffen soll die Bahn aus »inen der erhabensten Alpengipfel geführt werden. Man staunt über die lühne Phantasie erfinderischen Menschengeistes; und zugleich sagt man sich beklommen: warum der Aufwand von so vielem Genie, so reicher Mühsal und so ungeheuerlicher Arbeit? Sollte das Werk gelingen, dann ist gewiß eine große Menschenarbeit geschaffen. Der wuchlig imponirenden That an sich will ich mich gerne fügen. Aber wem am Ende dient die That, wenn sie wirklich zu glücklichem Ende gedeiht? Und welche Menschenopfer wird sie muthmaßlich kosten? Der willfährige Mann wird von dem Spruchauri sacra fames" mäuschenstille sein. Von dem kühnen Profitunternehmen sei nichts erwähnt. Reine Menschlichkeit hat das Werk reifen lassen. Warum sollten gerade nur die muskelstärksten Bergsteiger die hoch- alpine Herrlichkeit bewundern? Auch der schwächere Mann soll ihrer theilhaft werden, vorausgesetzt natürlich, daß er 1l>0 Franken für die Fahrt bereit hält. Und sollte der Bahnbau gelingen, so werden sie sich zu Dutzenden finden, die Hundertfrankenleute. Eine ekle Gesell­schaft wird die erhabene Einsamkeit stören. Leute ohne Spur von Naturgefühl, und die entsetzlichen Modeweiber, der Schrecken und der tiefe Haß jedes schlichten Naturfreundes werden sich empor- drängen. Diese Welt wird herrschen, die Gesellschaft, die der Een- satio» zu Liebemitgemacht" haben muß. Das ist der Effekt der aufgewandten Kraft, und dafür werden wahrscheinlich Opfer an Gesundheit und Leben der Arbeiter ge- fordert werden, die das stolze Werk ausführen. Es sind wohl italienische Arbeiter beschäftigt, die an das härteste Dasein gewöhnt sind, aber die hochalpinen Tücken und Schrecken in Eis» und Gletscherwelt sind so mannigfaltig. Es müßten Wunder geschehe», wenn keine schweren Unfälle einträten; und das alles nicht um ein völkerverbindendes Kulturwerk, wie etwa der Gotthard- tunnel war; sondern hauptsächlich um den Nervenkitzel und Spaß begüterter Naturbnmmler. die der Mode, nicht dem Seelenbedürfniß folge», zu befriedigen! Alpha. Kleines Fenillekon Die Anurhmlichkeiteu einer Bergbahufahrt werden in einer Zuschrift. die ein Wiener Blatt veröffentlicht, folgendermaßen geschildert: Die höchste Bergbahn ist bisher wohl die auf den etwas über 14 000 englische Fuß hohen Pike's Peak in Colorado (Nord- amerika ). Man erreicht den Gipfel in etwa l1/« Stunden. In folgendem erzähle ich Selbsterlebtes: Schon auf der Plattform des Wagens, während der Fahrt, erträgt nian den raschen Temperatur- Wechsel nur schwer, und muß zur Erholung immer wieder daS Innere des Wagens aufsuchen. Nach dem Aussteigen fühlt man sich wie betäubt. Die, welche die Plattform des Wagens strecken- weise benutzten, haben sich bereits einigermaßen vorbereitet. Jen», welche das nicht thaten, mußten sehr schleunig die Schutzhütte auf- suchen. Wir hatten nach der Ankunft auf dem Gipsel des Pike's Peak Ohnmächtige und Frauen, welchen Blut au? Nase und Mund drang. Die anderen gingen mit Schwindel im Kops herum und waren froh, als die Glocke zur Abfahrt rief. Zum Naturgenuß kau» keiner von uns, weil der rasche Temperaturwechsel lähmend aus die Organe wirkte. Von der Statue eines Gottbegnadeten. Nach 212 Jahren ist endlich, so schreibt man derNational- Zeitung", die Statue Jakobs II. enthüllt worden, die man ihm in Gibbons errichten wollte und seit der Revolution, dem endgilligen Sturz der Stuarts , verbarg. Die Broncestatue wurde 1686 in die Gärten von Whitehall gebracht und auf einen provisorischen Sockel gesetzt mit der Auf- schrift:Jakob II. , von Gottes Gnaden König von England, Schottland . Frankreich und Spanien , Vertheidiger des Glaubens. Anno MDCLXXXVI," Ei» monumentaler Sockel sollte ausgeführt werden, während der König sich vorbehielt, den Platz zu bezeichnen, auf dem seine Völker sein Bild bewundern könnten. Zwei Jahre später ent- ging er dem Geschick Karls I. nur durch schleunige Flucht. Die Statue wurde ein unnützes Möbel. Man sprach einige Zeit davon, sie ein- zuschmelzen. dann vergaß man sie aber in den, Garten, wo niemand hinkam. Später nahm man sie von ihrem Sockel und brachte sie in einen Stall, wo sie ein halbes Jahrhundert lag. Der Stall wurde abgerissen, Jakob der Zweite ins Freie gebracht und einer Mauer unterhalb eines Wärterhäuschens eingefügt. Dann als die verwahr- losten Gärten dem Publikum zugänglich und hergerichtet worden waren, kam sie dort weg und befand sich ö0 Jahre in einem ver- borgenen Gärtchen, das die Bureaus der Krankenhaus-Kommission umgab. Hier entdeckte White Ridley die Slawe, betrachtete sie mit «inigen Akademiemitgliedern, die sie schön fanden und sie für das Publikum sichtbar aufstellen wollten. Bald darauf meißelte man «inen Granilblock für sie zurecht und gab ihr einen Platz bei dem Westminster-Palais.-- Literarisches. L e o p a r d i'S Manuskripte. AuS Mailand wird dem BernerBund" berichtet: Die italienische Regierung sah sich ver- anlaßt, die Zwangsenteignung bezüglich der Manuskripte des Dichters Giacomo Leopardi (gestorben in Neapel im Jahre 1837) zu verordnen. Die lang« Zeit von einem Freund« deS Dichters, Antonio Ranieri , verborgen gehaltenen Handschriften waren durch Testament in den Besitz von zwei alten neapolitanischen Mädchen, ehemalige» Di cncrinnen Ranieri's gekommen, die sich wie es scheint, auS religiösen Bedenken und infolge Anrathen Dritter beständig weigerten, sie den direkten Erben des Dichters herauszugeben. Dies« Erben hatten die Manuskripte der Nationalbibliothek in Neapel zu« gedacht. Damit nun letzter« sie endlich erhalte, mußte die eingangs erwähnte Maßregel ergriffen werden. Einer besonderen Kommission fällt dann die Aufgabe zu. die Manuskripte durchzusehen und von dem noch Ungedrucklen das Geeignete zum Drucke auszulesen. Theater. Im Lessingtheater wurde am Freitag Snderniann'S . H e i m a t h" aufgeführt. Wie es scheint, geschah dies, um dem Publikum zu zeigen, daß das neue Ensemble auch in Stücken zu Hause ist, die im allgemeine» ein wenig höher bewerthet werden, als die liebenswürdige» Plaudereien des Herrn Blumenthal. Der Beweis wollte nicht völlig glücken. Es lag etwas Gedrücktes über der ganzen Borstellung, als ob die Handlung sich nicht in der Sphäre der Oberstlieulenants und Regierungsräthe, sondern nnter Subaltern- beamten abspielte;«in Streben nach möglichst natürlicher Redeweise hatte dahin geführt, daß derHeimath" ein gutes Theil ihrer dramatischen Lebendigkeit verloren ging. Dieser aschgrauen Nüchtern« heit hatte sich auch Fräulein Illing angepaßt, welche die Magda gab. Es schien, als ob die Künstlerin um einige Jahre zu früh nach Hause gekommen war, zu einer Zeit, wo der Ruh», ihrer Stimme noch nicht viel höher als z» den Honoratioren einiger Provinzialstädte gedrungen sein konnte. Nur als die beleidigte Mutter sprach, ging Fräulein Illing aus sich heraus und zeigte, daß sie eine Künstlerin ist.-» Musik, l -er-. Aus der Woche. Die musikalische Kritik unserer Zeit ist in ihrem leichtfertigen Größenwahn unablässig bemüht, die Partituren Meyerbcer's den flammendsten Scheiterhaufen zu über- liesern. Man sei über die triviale Nebensächlichkeit melodischer Er- findung hinaus, das nationale Opernideal habe nichts mehr mit den verwesenden Werken gemein, die aus den raffinirten Sensationen der Szene, des Orchesters und eines verlogenen historischen Dramas herausdestillirt sind. So schreit sie ihre moralisch-ästhetische Ent- rüstung dem Publikum zu, das taub und schwerfällig genug ist, sich noch immer von denHugenotten " begeistern zu lassen. Und dieser ausharrende Enthusiasmus einer verständigen Gemeinde, welche ihre musikalischen Empfindungsbedürfinsse weder der theoretisch- philosphischen Langweile noch d«r exzentrischen Hypergenialität unserer Epoche zu opfern bereit ist, jubelte den, genannten Werke wieder zu, trotzdem es mit Aus- nahm« der Frau B e l l i n c i o n i von dem Ensemble der Hofbühne neulich in Grund und Boden gesungen wurde. Die leichte Frivolität der großen Sängerin, sich von ihren aufwühlenden tragische» Leistungen in kleine» Partien auszuruhen, welche der Mangel an Eleganz und Sicherheit der Technik und des Humors so ärmlich machte, hat das Publikum wieder verziehen und vergessen ob der erstaunlichen tragischen Gewalt ihrerValentine". In rein gesang- sicher Beziehung entwickelte sie in de» beiden Duetten eine Kraft und Größe des Organs, in welchen die stürmische Leiden- schaft dieser Musik athmete. Den Melodien ließ sie ihre weiche Plastik, ohne je zur gleichgiltigen Schönsängerin herabzusinken, und selbst in ihrem feurigsten Affekte bewies sie, daß sich Rhythmus und deklamatorischer Ausdruck ganz gut mit einander vertragen, und man den eine» nicht aufzugeben braucht, um zum ander» zu gelangen. Das Duett mit Raoul, in welchem die Energie verzweifelter Entschlossenheil und der Zauber erotischen Selbst- vergessens sich zu eine», in der gesammte» Opernliteratur einzig da- stehenden Seelengeniälde vereinigen, war ganz von der Sonne ihres prachtvollen Temperaments, deren kalte Strahlen uns i» der Carmen, Leouore und Regimentstochter anfröstelten, durchwärmt. Von ihrer solistischen Umgebung wird die Bellincioni die schlimmste Erinnerung mit sich nehmen. Herr Mödlinger(Marcel) brachte von denFerie» eine beklemmende Heiserkeit mit; de» düstere» Fanatismus des Saint- Bris löste Herr Betz in eine sich schonende Behäbigkeit auf, und Herr Sommer(Raoul) schädigte seine fleißige Leistung durch seltsame Gedächtnißfehler und eine Athemökonomie, welche allen hochgelegenen Phrasen daS Gepräge asthmatischer Effekte verlieh. Die Königin des Frl. Reinisch war ein berückend schönes Bild ohne stimmliche Gnade! Kapellmeister Dr. Muck leitete die Vor- stellung mit ehrlichen, Feuer, ohne studirte Posen und abenteuerliches Taktstock-Geistreichthum. Kunst. Di« Ankäufe auf der Dresdener internationalen Kunstausstellung haben die Höhe von 300 000 M. erreicht. Früher kam Dresden als Kunstmarkt kaum in betracht. Kulturhistorisches. Die Tortur i», 19. Jahrhundert. An, 28. April des Jahres 1801 berichteten zwei Deputirte des Magistrats der Stadt Celle an den Bürgermeister über eine Tortur, der sie im Austrage beiwohnen mußten, folgendes:Wohlgcbohrner. Jnsonders Hochzuehrender Herr Bürgermeister! Dem von Ew. Wohlgeb. uns gewordenen Auftrage gemäs, haben wir uns in der vergangenen Nacht ein Uhr nach hiesiger königl. Chursürstl. Justiz-Canzley ver- füget, und daselbst i» der grüne» Commisstons- Stube die Herren Hos- und Cauzley-Räthe von Bobers, von Hohnhorst se»., Bach-