Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 191.

21]

Mittwoch, den 29. September.

( Nachdruck verboten.)

Der Bauernführer.

Roman von Franz Kahler.

1897.

freilich, wo fein Kläger, da ist auch kein Richter. Und wer würde es wagen, ihn anzuflagen, ihm nur mit schwachem Widerspruch entgegenzutreten? Der fonnte sein Bündel schnüren und froh sein, wenn damit die Rachsucht dieses Mannes gestillt war. Er hatte es ein paar Mal gewagt, und Der alte Dörfler war ein eigenartiger Mensch. Um die wie unversöhnlich war der Haß, den er dafür geerntet hatte. festzusammengefniffenen Lippen seines großen Mundes spielte, Jahrelang hatte er um seine Existenz gezittert und sobald er mit jemandem sprach, ein Lächeln, aus dem als er es wenigstens so weit gebracht hatte, day man nie flug wurde, ob man einen geriebenen ihn Teßmer nicht mehr aus seinem Heimathsdorfe treiben Erzschelm oder einen gutmüthigen, biederen Kerl vor fonnte, dann hatte er gefühlt, wie jener Haß sich an seinen sich hatte. Er sprach wenig, aber mit dem Nachdrucke Kindern ausließ. Keines derselben durfte auf Teßmer's Gütern eines Propheten, wenn es sich um seinen Rath in Wetter beschäftigt werden. Es ging auch so! Sie waren fleißige und oder Krautheitsangelegenheiten handelte. Die ihm heimlich brave Kinder, die jeder Bauer gern in seine Dienste nahm. zugesteckten Trinkgelder" der Rathfragenden ließ er ftets mit Sein Sohn Wilhelm hatte sogar die erste Tagelöhnerstelle der größten Gelassenheit in seine Tasche gleiten. Und doch schien beim Bauer Steinig, und auch die anderen hatten ihr gutes es, als ob seine liftigen Augen manchmal sagten Ihr dummen Brot. Leute, werdet doch nicht alle!" Dann war der Auftritt in der Wahlversammlung gekommen. Bei alledem war Dörfler aber ein herzensguter Mensch. Teßmer war rasend vor Wuth gewesen und hatte dem Alten Von den armen Leuten nahm er nie einen Pfennig. In den die bittersten Vorwürfe über das Verhalten seines Sohnes Gemeindeversammlungen, wo er als Grundbesizer stimmberechtigt gemacht. Den Kerl wolle er noch dahin bringen, wohin er war, trat er stets warm für ihre Interessen ein und verstand gehörte, hatte ihm Teßmer zugeschrien. Hütet Euch vor dem es, durch seine verschmigte, passive Opposition die Menschen!" hatte er dem Bater ins Gesicht gebrüllt, fonst Bauern und Teßmer manchmal zur Verzweiflung zu geht es Euch noch ebenso. Aus Eurem Hause muß der Kerl, bringen. Er frug so lange, bis ihm seine Gegner feine Ant- sonst werde ich Euch alle noch zum Dorfe hinausbringen! Beun wort mehr geben konnten und sie sich ganz offenkundig ins ich Eure Quackjalberei zur Anzeige bringe, dann wehe Euch! Unrecht gesezt saben. Dabei stellte er sich so harmlos und Also noch einmal, aus dieser Gegend mit Eurem Subjekte bescheiden, daß von einer Herausforderung eigentlich niemand von Sohn!" reden konnte.

Zeller's offene und Teßmer's heimliche Anfeindungen fonnten ihn so wenig aus seiner Ruhe bringen wie Sturm­oder Hagelwetter, das ihn auf freiem Felde inmitten seiner Heerde überraschte.

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Der alte Dörfler hatte sich gewunden wie ein Mal. Was kann ich dafür, gnädiger Herr? Ich habe dem Wilhelm seine losen Reden nicht gelehrt. Und aus dem Hause tann ich ihn nicht jagen, denn er ist schon seit Wochen selbst gegangen und aus dem Dorfe faun ich ihn erst recht nicht treiben, denn der Steinig hält ihn fest. Ich habe keine Macht über ihn, er ist sein eigener Herr und scheert sich den Teufel um meine Befehle."

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Stundenlang stand er bei Sonnenbrand oder Regenwette: auf einem Flecke, die Heerde bewachend und dabei nicht ge­dankenmüssig. Er verfolgte mit Interesse die Umwälzungen, die sich in den letzten Jahrzehn en rings um ihn vollzogen Teßmer mußte, wenn auch rasend vor Aerger, dem Alten hatten. Teßmer's Emporkommen hatte ihn unzählige Male recht geben. Włacht, daß Ihr fortkommt! Wir sprechen uns den Kopf schütteln laffen. Stück um Stück der alteu, guten noch und nehmt Euch in acht!" Zeit war in Trümmer gegangen, seit dieser Mann seinen Einzug Seitdem hatte Dörfler sich täglich auf seine Entlassung in Hogwig gehalten batie. Er sah ihn noch vor sich stehen, gefaßt gemacht. Um Teßmer nicht noch mehr zu reizen, diesen armen Fabrikschreiber, der ehedem über ihm wohnte hatte er seinen Sohn gebeten, nicht allzu oft in sein Haus und ihm manchmal in den Stunden der Entmuthigung sein zu kommen. Denn Teßmer war alles zuzutrauen, Leid geklagt hatte. Was war aus dem ehedem gegen jeder und er, der alte Dörfler, wollte auf seine alten mann so höflichen Menschen geworden? Ein großer Herr, Tage nicht womöglich noch wegen Kurpfuscherei oder Betrug einer, der in der Hauptstadt mit den Vornehmen der Welt zu mit den Gerichten in Berührung kommen. Tische saß und es heut für eine Entehrung angesehen hätte, Gein Sohn hatte ihn ausgelacht. Bor leeren Drohungen wenn er nur durch ein Kopfnicken die unterwürfigen Grüße habe er keine Angst, und der Teßmer solle es ja nicht zu der kleinen Leute beantwortete. weit treiben, sonst würde er noch ein träftiges Wörtchen Vier Monate nach der Wiesenauer Wahlversammlung, mit ihm reden schon wegen der Kathinta, seiner Braut! dreieinhalb Monate nach Teßmer's Wahl zum Reichstags- Da er in einigen Wochen Hochzeit halte, und der Steinig Abgeordneten und einen Tag nach dessen Ernennung zum ihm schon eine Wohnung in seiner Arbeiterfaserne habe zurecht Geheimen Kommerzienrath stand der alte Dörfler in Gedanken machen lassen, würde er vorläufig so wie so nicht all zu oft versunken auf dem riesigen Stoppelfelde, das an der einen zu den Eltern kommen. Vater und Sohn waren mit einem Seite des gestohlenen Weges" sich hinzog. Seine Blicke herzlichen Händedruck auseinander gegangen.... dala slad schweiften von der emsig grasenden Schafheerde bald hinüber zu dem weiten Rübenlande, auf dem eine Schaar von Männern, Frauen und Kindern mit dem Einernten beschäftigt war, bald hinauf zum grauen, einförmigen Septemberhimmel, der die Ebene herbstlich überspannte.

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Seit fast drei Monaten waren Wilhelm und Kathinka ein glückliches Baar. Alles schien glatt und fröhlich zu verlaufen; selbst Teßmer mochte im Strudel seines neuen Lebens die ärgerliche Episode in der Wahlversammlung zu Wiesenau vers gessen haben. Er war auch wenig daheim, und das ewige Einerlei des Erwerbes hatte längst jede Spur der politischen Aufregung ausgelöscht.

Der Besitzer dieser gewaltigen Landstrecken ringsum, der Herr jener Menschenmenge da drüben, auch sein Herr und der Besizer seiner Heerde, der Dieb dieser langen Chausseestrecke, Da hieß es plöglich, daß die Untersuchung gegen den uns er war also Geheimer Kommerzienrath. Daß er ein reicher bekannten Mörder der jungen Magd, die man vor Jahren Mann geworden war, daß er von den abhängigen, armen im Getreidefelde am gestohlenen Wege" gefunden hatte, wieder Leuten in den Reichstag geschickt wurde, war dem aufgenommen worden sei. Es sollten fich plöglich neue alten Schäfer allenfalls verständlich; daß er aber oben Verdachtsmomente gefunden haben. Seit einigen Wochen drein noch mit Titeln und Orden ausgezeichnet wurde, das fanden Vernehmungen auf dem Amte statt, die der Amts. wollte ihm doch nicht in den Sinn. Ja, wenn die in Berlin vorsteher Teßmer ganz gegen seine Gewohnheit selbst abhielt, nur wüßten, was dieser Mann alles auf dem Gewissen habe, Allerhand Gerüchte durchschwirrten die Luft. Die Leute wußten wieviel Flüche und Thränen an seinem Reichthume flebten; eigentlich alle nicht recht, was sie ausgesagt hatten. Teßmer wie er sie von Haus und Hof getrieben die kleinen Bauern; hatte fie gefragt, meist 10, daß er ihnen ein wie gleichgiltig er dulde, daß Zeller seine Arbeiter Ja oder Nein direkt auf die Bunge legte; der schlechter als das Vieh behandele! Ja, wenn die Amtssekretär hatte ihnen feierlich das Protokoll vorgelesen, wüßten, wie er alle betrogen und beschwindelt hatte, und dicht unter die drei Buchstaben V. g. u." hatte jeder, die Bauern, die kleinen Leute und die Gemeinde! so gut er fonnte, seinen Namen oder drei Kreuze gemalt. Wer weiß, ob es dann nicht anders gekommen wäre. Aber Auch der alte Dörfler war vernommen worden, und Teßmer