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eine immerhin einflußreiche Stellung; aber genügte dies seinem Ehrgeize? Er blieb weiter ein von Teßmer abhängiger Tage­löhner, der jede Laune seines aufgeblasenen Herrn willig ertragen oder gewärtig sein mußte, fortgeschickt zu werden. Nein, dazu war er nicht geboren!

Was hielt ihn also noch länger zurück? Die Entscheidung des Schicksals war vorläufig gegen ihn ausgefallen. Warum also verbissen gegen das Unvermeidliche ankämpfen? Besser, er fügte sich in das Geschehene und nahm einen neuen Anlauf, der ihm besser glückte.

Aber das Scheiden von hier wurde ihm schwer, schien ihm fast wie eine Dummheit. War's nicht, als ob ihn etwas mit ungestümer Macht zurückhielt?

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Ein Gedanke durchblitzte sein Hirn. Wenn in diesem Augenblicke die leuchtende Frühlingssonne durch die schwere Wolkenschicht des Oktobervormittags gebrochen wäre und die Aecker, Bäume, die Fabriken und ganz Wiesenau mit lachen dem Glanz übergossen hätte, das Panorama vor ihm, sein ganzes Dasein hätte ihm nicht herrlicher erscheinen tönnen als bei jenem Gedanken.

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Von dem mächtigen großen Bindemittel, den großen erhabenen Bielen der größten Kulturbewegung aller Zeiten, will ich nichts sagen, mich nur an die sprachliche Seite der Sache halten, natürlich nicht den kulturgeschichtlichen Inhalt dabei außer acht lassen.

Aeltere Genossen erinnern sich wohl noch des Antrages, der auf gebracht wurde und dahin lautete, man möge das brüderliche Du einem der frühesten Tagfizungen der deutschen   Arbeiterpartei eins einführen von Memel   bis zur Adria  , vcn den Vogesen   bis zu den äußersten deutschen   Borden der Donau  . Man mag darüber lächeln, man fann aber nicht den sittlichen und Gefühlsinhalt dieses An­trages übersehen: in ihm ruht mit ein Theil der Stärke unserer Partei und unserer Bewegung.

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Der Antrag ist abgelehnt worden, aber ohne Beschluß und Sagung ist die Anrede Genosse Brauch geworden im Leben des und sie leistet, was jener Antrag be­Kampfes und der Arbeit, zweckte, vollauf. Sie sagt jedem so Angeredeten, daß ihn der andere als ein Mitglied derselben Genossenschaft, derselben einen großen großen Familie betrachtet; er bringt dem, der die Anrede gebraucht, auch im schärfsten Meinungsaustausch stets zum Bewußtsein, daß er zu einem gleichberechtigten und zu einem Bruder redet. Man kann von einem schlichten Wort wahrs lich nicht mehr verlangen!

Das wäre so ungefähr der kulturgeschichtliche Hintergrund des Wortes in seiner modernen, in unserer Anwendung. Mögen sich die Bureauschreiber und schulgebildeten Zünftler aller Art Herr Stollega tituliren: ein größeres Wohlgefühl können sie dabei nicht haben wie unfereiner, wenn die traute Anrede an sein Ohr schlägt oder er sie braucht.

Nein, sein Spiel war noch nicht verloren; vielleicht glänzender gewonnen als er je geahnt hatte, wenn Rosa Teßmer sein Weib wurde! War diese Lösung nicht einfach, war sie nicht wahrscheinlich, da er in diesem Falle doch die leidenschaftliche Neigung dieses stolzen, starrköpfigen Mädchens auf seiner Seite hatte? D, jetzt erst wurde ihm flar, warum Solche Imponderabilien, folche unwägbare Dinge haben auch ihn im ersten Augenblick, als er von Teßmer die Mittheilung ihren hohen Werth im Gesellschaftsleben der Menschheit. Ich von Hedwig's Flucht erhielt, ein Gefühl erfaßt hatte, dem er brauche nach dem kurz Ausgeführten mich wohl nicht noch weiter zu verbreiten; alle durch lautes, freudiges Aufjubeln hätte Ausdruck geben mögen! werden mich verstehen, denn das, was ich andente, ist, Genossinnen und Genossen Die folgende Verzweiflung über den Zusammenbruch seines deffen bin ich sicher, ihr eigenes erlebtes inneres Besißthum. stolzen Lebensplanes hatte ihn eine furze Zeit zwar ge- Aber wir haben ja natürlich das Wort nicht erfunden, nur vor­hindert, rechte Klarheit über sein erstes Empfinden zu er gefunden und freilich mit einem neuen Inhalt erfüut. langen; aber während der ganzen Dauer seiner nieder­gedrückten Stimmung war es immer schärfer aus seiner Un­gewißheit herausgetreten, und jetzt fühlte er, daß es eigentlich nur ein dumpfer, blöder Traum gewesen war, der ihn seit einer halben Stunde genarrt hatte.

Nessel lachte hell auf und setzte starken Schrittes seinen Weg fort.

Vielleicht interessirt die Leser die Geschichte des Wortes in älterer deutscher Zeit, von der ich nun zu reden gedenke.

Hildebrand, der dem alten Jakob Grimm   kongenialste der Fort setzer des Grimm'schen Wörterbuches der deutschen Sprache, führt das Wort ein als: ein werthvolles und lehrreiches altes Wort,

auch gut erhalten und vortheilhaft wieder auslebend". Dabei denkt er zunächst an die amtlichen Wortprägungen: Genossenschaft( mit beschränkter Haftpflicht), Berufsgenossenschaft u. f. w. Auch an Schulte- Delißich und seine Bestrebungen, wie an ähnliche der Land­wirthe erinnert er. Hinter der Sozialdemokratie sah er zu viel undeutsches, Französisches, ohne jedoch Chauvinist zu sein und der Proletarierbewegung den berühmten guten Kern" abzus Des Gebrauches des Wortes Genosse innerhalb fprechen. Er sagt: urjerer Partei thut er dann auch Erwähnung. ansieht, wird es auch als eine Art Parteititel gebraucht." " Bei einer Partei, die sich vorzugsweise als die Partei der Zukunft

Wie hatte er nur nicht sofort an Rosa denken können; an Rosa, mit der er sich verstand wie mit keiner, die er, wenn dieses Wort bei ihm überhaupt einen Sinn hatte, anbetete, wie er nur ein Weib anbeten konnte! Hatte er je mit Hedwig nur eine Minute sich mit derselben Hingebung, mit dem felben Vergnügen und mit derselben Vertraulichkeit unterhalten können wie mit ihrer Schwester? Und sie, das stolze, lebenslustige, übermüthige, schöne Mädchen, Das Hauptwort Genosse, in mittelhochdeutscher Schreibung hatte sie ihn nicht mit Beschlag belegt, von der ersten Minute, genôz, wobei das o lang, das geschwänzte z als weiches s zu sprechen wenn er ins Zimmer trat; hatte sie nicht mit ihm fofettirt ist, ist abzuleiten von dem Zeitwort genießen und zwar von der bis zur äußersten Grenze des Erlaubten, ihn im Hinblicke auf Vergangenheitsform: ich genoß. Es bedentet Einen, der den Mit­ihre Schwester nicht geradezu mit kleinlichen Eifersüchtelvien genuß an einem Gut mit einer bestimmten Menge anderer Personen verfolgt? Galt er nicht als der Einzige, dessen Einflusse sie bat, die mit ihm zufammen alle eine Rechts- und Interessengemeins sich zugänglich erwies? Nun wurde ihm alles flar. Welch' schaft bilden, gegründet auf gemeinsamem Erwerb und gemeinsamem ein Narr war er gewesen, sich von seiner schwermüthigen Besitz. Wichtig ist das Mitthun bei dem Erwerb, mag dieser Ernte Stimmung meistern zu lassen. von Bodenfrüchten, Jagd und Fang von Nuz- und Nahrungsthieren, gemeinsamer Arbeit des Erwerbens erwächst, gemeinsames Besitz­Gewinn von Kriegsbeute oder welcher Art immer sein: nur aus und Nuznießungsrecht. Gleiche Pflichten, gleiche Rechte verbanden alle Genossen dieser Gesellschaftsgebilde. Wer diesen nicht angehörte, nicht mitgethan hatte bei der Arbeit und folglich auch teinen Rechtsanspruch auf Mitgenuß hatte, den nannte man ungenoz, 3. B. zwei Bürger aus verschiedenen Städten würden so genannt. Aus der Rechts- und Interessengemeinschaft der Genossen ergiebt sich die Bedeutung: ungleich, unebenbürtig, niederen( oder höheren, meist ersteres) Standes für diejenigen, welche ungenôz genannt werden. Auch im Erbgang hat ein solcher keinen Anspruch auf Genuß. In Weis­thümern( Aufzeichnungen alter Dorfrechte) heißt es n. a.: Wenn einer der Gottesmänner( Inhaber von Kloster- oder Kirchengut zu Lohn und Nutz) außer seiner Genössine ein Weib greift", d. h. außerhalb der( hier agrarischen) Genossenschaft heirathet, so haben die diefem Bunde entsprießenden Kinder kein Erbrecht. In der Rechtssprache des Mittelalters heißen die gleichberechtigten Erben: geerb unde genôz.

Was war sie ihm auch gewesen, seine Braut, diese spieß bürgerliche Hedwig, die ihm nur begehrenswerth war, da sie damals das heirathsfähige Alter hatte. Eine lahme, eine bucklige Tochter Teßmer's im gleichen Alter wäre ihm wahr scheinlich ebenso begehrenswerth erschienen.

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( Schluß folgt.)

Genolle".

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So oft ich in Zeitungen, Broschüren und Büchern von Arbeiter feinden das Wort der obigen Ueberschrift in höhnische Gänsefüßchen eingefchloffen sehe und lese, lacht mir vor Vergnügen das Herz im Leibe. Herr Rickert und Herr Richter können sich einen so brüderlich innigen Ausdruck für gegenseitige Anrede nicht leisten, wie die durch ein Geistes- und Herzensband vereinten Kämpfer der Arbeiterpartei. Die Herren Hohenlohe und Miquel wohl auch nicht. Aber wir, ja wir können's und thun's, thun's mit Freude und Zahlreich sind die Zusammensetzungen mit unserem Wort, deren Genugthuung. Wir von der rothen internationalen Rotte haben erster Bestandtheil dasjenige Gut augiebt, an welchem alle gleiches uns durch ein Menschenalter diese kerndeutsche Anrede zu eigen Recht und gleichen Mitgenuß haben: Hansgenossen, Zeltgenossen, gemacht, und sie wird international verstanden und gewürdigt Lagergenossen, Kampfgenossen, Brotgenossen, Wappen- und Turniers Unsere Brüder in Rußland  , Italien  , England, Frankreich   und allergenossen, Schiffsgenossen u. f. w. Geschichtlich insbesondere berühmt wärts fühlen, wie ich aus hundertfacher Erfahrung weiß, sehr wohl und bekannt wurden die Eidgenossen, die schweizerischen ebenso wie heraus, daß ein inniges Verbundensein in diesem schlichten Worte die vom Bundschuh der aufständischen Bauern. Ehhalten und Genosse sich fund giebt, wenn auch nur wenigen die sprachgeschicht- Brotgenossen" ist stehender Ausdruck für die Gesammtheit der Mits liche Bedeutung des deutschen Wortes Gegenstand wissenschaftlicher glieder einer Haus- und Birthschaftseinheit, einen Hausstand. Erkenntniß ist. Es ist der Ton, der die Musik macht! Und etwas Selbst Lehnsherr und Basall, Vogt und Bauer sind einander genôz, von dieser Herzens- und Gefühlsmufit kündigt sich auch unseren da die Verbindlichkeit vom idealen Rechtsstandpunkt auch in solchen Brüdern fremder Zunge an in der üblichen Anredeform. Berhältnissen für gegenseitig verbindlich galt.

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Gelbft