Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 219.
21
Bon A. Ranc.
Sonntag, den 7. November.
( Nachdruck verboten
XIV.
1897.
habt hatte als ich, und vielleicht die Kastanien für mich aus dem Feuer geholt hatte. Schon am zweiten Tage nach unserer Der Roman einer Verschwörung. Ankunft erfuhr ich, nach welcher Seite er vorging, und zwar erfuhr ich dies zufällig. Der alte Gänsebälgehändler, von dem ich Ihnen erzählt habe, der mit uns in den„ Trois Piliers" wohnt und speist, ist wohl der unerträglichste Schwätzer auf der Welt, aber mitunter ist sein Geplapper doch von Nußen. So fing er bei Tische an, Degrange wegen seines Benehmens aufzuziehen. Er warf ihm vor, diß er jungen Damen am lichten Tage nachlaufe und sie bis zu ihrer Thür begleite. Und als Degrange that, als wüßte er nicht, wovon jener redete, sagte der brave Mann: D, ich habe Sie ganz genau gesehen. Sie verfolgten ein Mädchen, das wirklich sehr hübsche Waden hatte, von der Place d'Armes bis zum Boulevard du Grand- Cerf. Ich ging gerade auch dort ente lang. Best! Sie find aber ein Schwerenöther!"
Kriegsministerium. Kabinet des Ministers.
An Herrn H..
Werther Herr!
Ich size so sehr in der Tinte, wie es nur möglich ist; doch habe ich die Spur entdeckt und meinem Vertreter einen Triumph vorbereitet. Denn, werther Herr, es muß jemand Degrange lachte, innerlich jedoch wüthete er. Ich das nach Boitiers geschickt werden und zwar so schnell wie möglich. gegen segnete den ehrlichen Alten, der sich die Mühe gab, Dieser Brief wird Ihnen heute Abend beim Empfang mich gratis zu informiren. Sr. Exzellenz durch einen sicheren Mann ausgehändigt werden. Das Mädchen vour Boulevard du Grand- Cerf ist eine Ich werde nicht zu Ihnen kommen können, da ich die Ehre gewisse Juliette Lefrançois, die für die Geliebte des älteren einer besonderen Ueberwachung seitens Rovigo's genieße. Ich Rocherenil gilt. Sie geht nicht in das Gefängniß, aber da bin sogar sehr überrascht gewesen, als ich nach Paris fam und der junge Rocherenil sie mitunter besucht, hat Degrange mit bemerkte, daß ich erwartet wurde. Ich hatte indeß die Vor- Recht vermuthet, daß sie bis zu einem gewissen Grade in die ficht gebraucht, außerhalb von Poitiers in die Post zu steigen; Sache verwickelt ist, und er glaubte infolge dessen, daß er in Orléans war ich ausgestiegen und hatte mir den Luxus etwas er hren würde, wenn er sie überwachte. So spürte eines Postwagens gegönnt, der schneller fuhr als der Omnibus also Degrange Juliette nach, und ich spürte wieder Degrange und dreiviertel Stunden vor diesem eintraf. Das war gewiß nach. nicht schlecht berechnet, und doch summte es schon au der Nun, geehrter Herr, dieses Mädchen ist sehr entschlossen, Barrière von dem lästigen Fliegengesindel Rovigo's . Ganz denn Degrange hat nichts bei ihr erreicht, absolut nichts. Ich entschieden, die Gebrüder Chappe *) sind boshafte Menschen, lachte über feine Enttäuschung. Wenn ich mich aber an seine und es giebt nichts Niederträchtigeres als den Telegraphen. Stelle denke, so begreife ich seine schlechte Laune, denn es iſt Bedenken Sie, geehrter Herr, Eeitdem werde ich auf ganz außergewöhnliche Weise auf Schritt und doch wirklich zu ärgerlich! Tritt begleitet. Die Agenten Rovigo's haben entschieden ein Talent, Frau Rocherenil, die Mutter, geht in das Gefängniß. Das gut zu spioniren: es ist ihr einziges und wir wollen es ihnen ist der einzige Besuch, den ihr Sohn empfängt. Nach Hause gekommen, übermittelt sie dem Jüngeren die Instruktionen nicht bestreiten. des Aelteren. Der Junge geht aus. Wohin geht er? Entweder geht er ruhig spazieren und spricht mit niemand Soweit hält Degrange geht zu Juliette. oder Faden in der Hand, und ich folge ihm. voll da ab weiß weder Degrange noch ich Aber weiter. Juliette empfängt niemand. Wenn sie ausgeht, so Sie redet teine geht sie wie Louis Rocherenil spazieren. lebende Seele an. Ja, es lebende Seele an. So reißt der Faden bei ihr also ab. Man kann ihn wohl von Pierre Rochereuil zur Mutter, von der Mutter zum Sohn und zu der Geliebten verfolgen, aber es ist unmöglich, darüber hinaus zu kommen.
Ich sagte Ihnen doch, werther Herr, daß ich in der Tinte fitze. Der Gedanke, daß Degrange nicht glücklicher gewesen ist als ich, würde mich nicht trösten können, wenn ich nicht einige genaue Fingerzeige und Einblicke in die Sache erhalten hätte, die ich für richtig zu halten schwach genug bin. Wie ich in meinem zweiten aus Poitiers datirten Briefe begründet habe, kommen die von dieser Stadt ans au Se. Exzellenz gerichteten vertraulichen Berichte der Wahrheit ziemlich nahe. Ja, es geht hier etwas vor, und meine bescheidene Meinung ist, daß cine gauz kleine Zahl von Personen im Geheimniß ist. Alles muß zwischen den beiden Gefangenen und einer Berson von außen, die ich nicht entdecken konnte, eingefädelt fein. Bis jetzt birgt die Sache aber noch einen völlig dunkeln Bunft.
In den ersten Tager, als ich in Poitiers war, habe ich bie beiden pensionirten Offiziere, auf die ich aufmerksam ge macht worden war, ausforschen wollen. Sie blieben ebenso zugeknöpft wie ihre untadeligen Röcke. Gewiß find es schlecht gefiunte Männer, die auf Dinge, die sie lächerlicherweise Grundsätze nennen, etwas halten, aber ihr beschränkter Stopf hat niemals eine Idee erfaßt, wieviel weniger gar zwei. Wenn fie an der Verschwörung betheiligt wären, so dürfte Rochereuil auf diese beiden Lieutenants nicht sehr stolz sein.
Ich habe dann an einen hervorragenden Advokaten gedacht, der des Liberalismus verdächtig ist. Er heißt Boncenne. Ganz Poitiers meint, daß er noch einmal der Ruhm der Stadt werden wird. Ich habe einige Erkundigungen über seinen Charakter, seine Sitten und sein Leben eingezogen. Er ist ein schwacher, ängstlicher Mensch, ein tüchtiger Redner, aber unfähig, einen Blan zu fassen und vor allem irgend etwas dabei anfs Spiel zu setzen. Ich wäre auch sehr erstaunt gewesen, ivenn ich einen Advokaten bei bei einer mit äußerster Vorsicht geführten Sache betheiligt gefunden, in der noch kein Wort zu viel gesagt worden ist.
Nachdem die Offiziere und der Advokat wegfielen, muß ich Ihnen unumwunden gestehen, daß ich niemand mehr wußte, auf den ich mein besonderes Augenmerk richten konnte. Ich wollte wissen, wie weit Degrange war, ob er mehr Glück ge
er
Bei dieser Lage der Dinge begriff ich, daß Degrange seine Beit damit vergeudete, Juliette und Louis Rochereuil zu überwachen und daß ich die meine verschwendete, wenn ich Degrange überwachte. Ich mußte an die Quelle hinuntersteigen und mich an den älteren Rochereuil und den Abbé( Georget wenden, um zu sehen, was für Pläne fie im Leibe haben. Aber bequem war es nicht, wenn ich auf natürlich scheinende Weise zu ihnen ge langen wollte und Degrange's Argwohn nicht zu sehr geweckt Dann bedenken Sie, wie schwierig meine werden sollte. Stellung war. Ich sage das nicht, um das relative Mißlingen meines Planes zu erklären. Das werden Sie gleich sehen. Ich habe, glaube ich, noch das Menschenmögliche erreicht. Ich stede mitten zwischen den Verschwörern und einer Polizei, die beide die gleichen Gründe haben, mir zu mißtrauen. Ich handle ohne offiziellen Auftrag; d. h. wenn Herrn Degrange die Laune angewandelt hätte, mich in einen unterirdischen Kerker sperren zu lassen, so hätte ich nichts dagegen sagen tönnen, da ich mich auf die, die mich gebrauchen, nicht berufen konnte. Kurz, ich war wie ein Opferlamm. Se. Exzellenz haben auf meine Erfahrung und Geschicklichkeit gerechnet, mit der ich den General- Polizeiminister überholen und Se. Majestät beweisen sollte, daß Savary Rovigo ihres Vertrauens nicht würdig ist. Die Sache liegt schließlich ähnlich der, die Fouché zu den Zeiten Georges' und Moreau's geführt hat. Aber Fouché hatte die achten Sie auf den Unterschied. Er hatte die Listen seiner Polizei selbst geleitet. Agenten und zurückbehalten mit unter ihnen Beziehungen aufrecht erhalten. Er kannte die den geschicktesten Verschwörer, und endlich wußte er aus England eine Menge.