Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 222.
Mod Donnerstag, den 11. November.
390 ( Nachdruck verboten
Der Roman einer Bersihwörung.
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Von A. Rauc.
393101 Jus Deutsche übertragen von Marie Kunert. adu Dieser Mensch hält uns fest, wir sind ihm lästig," sagte Rochereuil sich, er hat jetzt einen Vorwand und wird uns nicht schonen!" Instinktiv hatte Frau Rocherenil denselben Gedanken. Bis in den tiefsten Kern ihres Wesens hatte er sie getroffen. Mitunter träumte sie in der Nacht, daß sie Wittwe wäre, und schluchzend erwachte sie. Ihr Kissen war dann feucht von vergossenen Thränen. Doch am Morgen badete sie die Augen lange in frischem Wasser und suchte ihrem Gesicht einen heiteren Ausdruck zu geben. Länger als jemals früher blieb sie bei der Toilette, wie wenn sie durch ihr Aeußeres gefallen wollte. Endlich ging fie fort und begrüßte ihren Gatten mit fröhlich lächelnden Lippen. Er empfing fie mit derselben Miene. Sie dachte nur an ihn, und er nur an sie.
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Eines Tages, als Frau Rochereuil sich im Gefängniß einstellte, sagte man ihr, daß ihr Gatte nicht mehr dort wäre er wäre am Abend vorher fortgeschafft worden. Was war mit ihm geschehen? Der Gefängnißinspektor wußte es nicht. Sie wandte fich an die Behörden von Poitiers : diese wußten ebenfalls nichts oder wollten nichts sagen. Sie schrieb an den Polizeiminister, und empfing keine Antwort. Sie reiste nach Baris und bat Bonaparte um eine Audienz, die verweigert wurde, Verzweifelt tehrte sie nach Poitiers zurück; sie fand dort einen Brief, den Rochereuil trotz der Ueberwachung geschrieben und der Post übermittelt hatte. Er war im Gefängniß zu Nantes .
Drei Tage später war sie in Nantes und stellte sich dem Präfeften vor. Dieser sagte, er verstehe nicht, wovon fie spreche. Sie beharrte jedoch bei dem, was sie gesagt hatte; da wies der Beamte ihr höflich die Thür. Durch eifrige Nachforschungen erfuhr sie, daß einige Gefangene auf der Fregatte La Chiffonne", die noch nicht in See gestochen war, eingeschifft waren.
Frau Rocherenil eilte zu dem Kapitän der Fregatte. Diesem waren jedoch durch seine Instruktionen die Hände gebunden. Es war rundweg verboten worden, die Deportirten mit irgend jemand, verkehren zu lassen. Der Kapitän handelte sogar seinem Befehl zuwider, als er zugab, daß Rochereuil an Bord der Chiffonne" wäre und sich wohl befände.
Frau Rocherenil fragte, ob sie ihm Wäsche, Kleider oder Geld schicken könnte. Da er ganz unvorbereitet abgereist und mitten in der Nacht fortgeschleppt worden wäre, müsse er von allem entblößt sein. Der Kapitän sagte, dies wäre unmöglich, weil Frau Rochereuil die Anwesenheit ihres Gatten auf der " Chiffonne" nicht wissen dürfte. Aber, da er ein guter Mensch war, nahm er das Geld und versprach, es Rochereuil auszuhändigen, sobald der Deportirte das Schiff verlassen würde. Er that später auch, wie er gesagt hatte.
Schließlich bat die arme Frau den Kapitän, ihr zu sagen, wohin die Chiffonne" ginge, nach welchem Ort der Transport bestimmt wäre. Er gab ihr sein Ehrenwort, daß er es selbst nicht wisse und das versiegelte Packet, das seine Instruktionen enthalte, erst auf offener See öffnen dürfe. Dies war in der That so.
" Ihr Paß?" „ Hier."
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Meinen Mann sehen."
"
"
Wer hat Ihnen gesagt, daß er hier ist?"
" Ich weiß es."
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Sie wollen nicht sagen, von wem Sie es wissen?" Nein."
Ich könnte Sie ins Gefängniß schicken." glad foot up Thun Sie es."
Bei diesen mit fester Stimme gesprochenen Worten sprang der Polizeikommissar von seinem Sessel auf, trat auf Frau Rochereuil zu und stieß allerlei Drohungen aus. Mit ruhigem Auge hielt sie den schielenden Blick dieses Schurken aus. Wie alle solche Leute schließlich nachgeben, wenn man sich ihnen gegenüber nichts vergiebt, so auch dieser Beamte. Er rückte für Frau Rochereuil einen Sessel herbei und sagte: Madame, ich habe Ihnen den Befehl zu übermitteln, Nantes noch heute zu verlassen. Wenn Sie morgen noch hier sind, sehe ich mich gezwungen, Sie verhaften zu lassen. Es ist Ihnen auch verboten, nach Paris zu gehen."
Frau Rochereuil stand auf und ging ohne ein Wort zu erwidern hinaus. Am Abend reiste sie ab und kehrte nach Poitiers zurück, wo sie ihren Kindern mittheilte, daß sie den Vater nicht habe sehen können.
Fast zwei Jahre verfloffen. Niemand in Frankreich wußte, was aus den Deportirten geworden war. Denn die Chiffonne war nach ihrer Ankunft auf den Seychellen von den Engländern gefapert worden und konnte teine Nachrichten geben. Ein Schiff, das von Ile de France tam, brachte zuerst einige Mittheilungen, und die Familien der Deportirten erfuhren so, auf welchen Bunkt des Erdballes die Unglücklichen geworfen worden waren. Einige Zeit später empfing Frau Rochereuil durch die Freundlichkeit eines englischen Marine- Offiziers einen Brief; dann hörte sie wieder zwei Jahre lang nichts.
Schließlich erfuhr sie, daß der Marineminister von dem Gouverneur von Ile de France einen Bericht über die Deportation nach den Seychellen und eine Liste der lebenden und verstorbenen Deportirten erhalten habe. Frau Rocherenil und ihr Sohn reisten nach Paris . Jm Ministerium wollte man sie diesmal wohl nicht abweisen; ein Bureauvorsteher empfing fie.
Sie fragen," sagte er, in einem Aktenstoß blätternd, nach einem gewissen Rochereuil, der nach den Seychellen deportirt wurde. Sehr wohl. Sehen wir zu, fehen wir Rochereuil... 3... H Rocherenil... Ich finde den Namen nicht... ah! hier. hier Rochereuil... Jean Baptiste... Antoine früheres Konventsmitglied. Er wurde sechs Monate nach seiner Landung auf den Seychellen nach den Komoren überführt, und seitdem... seitdem... oh! seitdem... ist er gestorben. Das Fieber tritt dort unten sehr bösartig auf. Wenn Sie es wünschen, werde ich Ihnen die Bescheinigung darüber aushändigen."
"
So erfuhr Frau Rochereuil, daß sie Wittwe war. Pierre Rochereuil war von diesem Vater, von dieser Mutter erzogen worden; er hatte sie niemals verlassen. Das will sagen, aus welcher Schule der Ehrenhaftigkeit, des Patriotismus, der Charakterfestigkeit er seine ersten Unterweisungen empfing. Er erhielt sogar seinen Unterricht durch seinen Bater, der in den Wissenschaften gelehrt war wie viele Männer am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. b
Frau Rochereuil kehrte niedergeschlagen in ihr Hotel zurück; Als Knabe erlebte er das Schauspiel der Revolution. fie hatte keine Thränen mehr. Sie war allein, denn sie hatte Dann brach das Mißgeschick herein. Er hörte seinen Vater. nicht gewollt, daß ihr ältester Sohn Pierre fie begleitete. Sie von dem glorreichen Tode seiner Freunde, der letzten Mitfürchtete das Ungestüm des jungen Mannes, das ihn vielleicht glieder des Berges", der Opfer des Prairial erzählen; er sah zu einer Gewaltthat hinreißen würde. zog sie schließlich, wie dieser von den Schergen des Konsuls verhaftet
Dann
auch in Erwägung, daß eine Frau allein weniger Mißtrauen wurde. Er hatte ihn nicht zum Abschied umarmen können, einflößt und mehr erreicht. Sie täuschte sich nicht. Wenn ihr als er in das Eril ging, aus dem dieser unbekannte, gleich Sohn bei ihr gewesen wäre, hätte man ihn wahrscheinlich ver- vielen anderen vergessene Märtyrer nicht zurückkehren sollte. haftet. Mit ihr verfuhr man nachsichtiger. In ihrem Hotel Wer kennt heute noch die Namen der Deportirten des Nivose! fand sie eine Aufforderung vor, nach der Polizei zu kommen.
Dort wurde sie in einem engen, schmutzigen Schreibzimmer von einem gemein aussehenden Beamten verhört. Ihr Name?"
" Ich bin Frau Rochereuil, die Gattin des ehemaligen Konventsmitgliedes."
XVII.
Solch schwere Schicksalsschläge hatten das heroische Herz von Frau Rochereuil nicht dauernd entmuthigen tönnen. Troh ihres tiefen Schmerzes hatte sie sich nicht gebeugt. Sie wollte die Trauer, die sie trug, in Ehren halten. Weder in