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nd machte sich an die Verfolgung des Poftwagens. Vorher| Gemüth, das sich der verdammten Bedürfnißlosigkeit anbequemt hat, schickte er einen sehr tüchtigen Berittenen ab, der die Umgegend wird die geringere Auszeichnung schon mit dankbarer Genugthuung vorzüglich kennt und schärfte ihm ein, möglichst Richtwege zu begrüßen. Darum hat Minister Bosse diese dankbaren Gemüther so benußen und so, wenn möglich, die Unbekannten vor Chatellerault innig begriffen, als er neulich im Reichsanzeiger das Preisaus­einzuholen. Es sind bis dahin zehn Meilen auf der Chauffee im allgemeinen war eine Nothwendigkeit in unserer Zeit. Die schreiben wegen der sogenannten Ehemedaille erließ. Die Medaille und nur sieben auf dem Richtwege. Der Gendarm ritt sein Medaille ist ein wichtiger Ersat in dem Widerspruch Pferd fast zu Schanden, aber er fam an, und als zwischen dem Geist des Militarismus und der wüften die Unbekannten sich einstellten, benachrichtigte der Post- Unordnung im Zivilleben. Sie löst diesen Widerspruch nicht völlig, meister sie, daß sie vor Ablauf von zwei Stunden feine aber sie hebt ihm zum Theil auf. Mögen die Wizblätter nur ihren Pferde bekommen könnten. Sie schienen dadurch sehr un- wohlfeilen Spott mit der Ehemedaille treiben; bas muthwillige Volk angenehm berührt und erkundigten sich, ob man ihnen nicht begreift nicht, daß sie dem Würdebewußtsein und Würdebedürfniß in der Stadt zu gleich viel welchem Preise die Mittel ver- als rändiges Schaf in die Ecke verkriechen? Sie ist ein Anfporn entgegen fommt. Wer wird gern der Niemand sein wollen und sich schaffen könnte, ihre Reise sofort fortzusetzen. Der Postmeister zur inneren Reglementirung, die Medaille, wenn dies Abzeichen antwortete ihnen, am nächsten Morgen würde dies fehr leicht allgemeinere Geltung gewinnt, wenn sie gleichsam zur weit fennt möglich sein, aber zu dieser Stunde der Nacht könnten sie lichen Bestätigung des geregelten, soliden Lebenswandels wird. nichts Besseres thun, als geduldig warten. Darauf Es giebt äußere Prämien genug, die in der Regel begann der eine ganz schrecklich zu fluchen. Er fragte jeder Gemeindediener erhält, wenn er dreißig Jahre oder länger den Postmeister, ob dieser sich über ihn luftig mache sein Amt geübt hat. Darum wird ein Dorspolizist, der nach langen und bedrohte ihn sogar. Vielleicht hätte er sich selbst zu einer Gewaltthat hinreißen lassen, wenn einer seiner Gefährten ihn nicht zurückgehalten und lebhaft und leise mit ihm gesprochen hätte. Alle diese Einzelheiten finden sich in dem Bericht der Gendarmerie aufgezeichnet.

( Fortsetzung folgt.)

Sonntagsplandevei.

Als der junge Ulrich Hutten   unter Mühsal und Aufregungen durch die deutschen Lande wanderte und noch dazu von einer Krant: heit geplagt wurde, die in der ganzen ehrbaren Welt für schimpflich und geheim erklärt wird, da konnte er auf die Frage, wer er denn eigentlich sei, feine Antwort geben. Er hatte kein Zehrgeld auf zuweisen, noch wußte er recht, wo er Herberge erhalten werde. Er war zu einer Zeit, da Jeder und Jegliches nach Würde, Titel, Amt und Zunft sorgsam verzeichnet wurde, ein ent­wertheter Mann. Der erste Mensch großen Stils, der von sich sagen konnte, er sei der Niemand". Ein fahrender Dichter und Zeitungs­schreiber, in der heißen Seele ein Rebell. Vom Geschlecht der Niemande! Und damals gab es noch nicht einmal, wie in unserem dreifach gepriesenen und hoch entwickelten Zeitungswesen, den seß­haften, beamteten Redakteur, der doch gewissermaßen auch eine ernste Obrigkeit darstellt und dafür sorgen muß, daß keine Windbeutelei und keine Kegerei sich in seinem Theil einschleiche.

Dienstjahren keine Medaille erhält, diesen Verlust gerade als Kränkung, als Strafe ansehen. Das find thörichte Spötter, die da meinen, der Begriff Medaille verliere an Werth, wenn die Medaille, wie Herrn Bosse's" Cheabzeichen", im Ueberfluß auftauche. Sie unterschätzen eben die negative, erziehliche Seite der Medaillen frage. Wenn beispielsweise nur der firchlich Getraute die Medaille erhält, wird der kirchlich Getraute nicht schon dankbar eine höhere Selbstbewerthung verspüren? Nur ein bösartiger Sozial­demokrat oder sonst jemand, der entrechtet außerhalb der Gesellschaft lebt, kann das lengnen. Und selbst wenn die Ehemedaille an Fromme und Unfromme ohne Wahl vertheilt wird, ist sie ebenfalls ein Sonderzeichen und kann jeden mit stolzer Genugthuung erfüllen. niemandem vorzustehen hat, oder über den felbftsüchtigen Tropf, der Er darf als Familienvorstand über den ganz armen Teufel der die Familie als fittlichen Faktor in der Gesellschaft nicht voll an­erkennt, immer noch in selbstbewußter Würde hinwegsehen. Medaille ist wirklich ein geistiger Ausdruck unserer Tage. Das Geschlecht der Niemand soll es empfinden, was es heißt, ohne Medaille, ohne Stempel und Diplom durch die Welt zu kommen. Wenn ein Paria der bürgerlichen Gesellschaft, ein verzagter und verzweifelter Jung­gefelle sich anfchickt, zur Grube zu fahren, dann soll ihn eine Ahnung davon beschleichen, was in den Worten steckt: Verdorben, gestorben.

Die

lich aus Anlaß einer Tragödie in der honneten Welt Italiens  Verdorben, gestorben, das war auch das Grundthema, das kürz angeschlagen würde. Eine Schriftstellerin, Komtesse Lara, war er­mordet worden. Der Fall ist bekannt und lag gewiß einfach genug. Komtesse Lara gehörte zu den deklassirten Frauen. Eine Ge Die mittelalterlichen Regeln waren damals zersprengt. Eine schiedene Schon hier wittert die Bourgeoisempfindung etwas neue geistige Welt meldete sich an und der wiedergeborene Geist Reglementwidriges. Schon hier wird sie unduldsam. Frau Lara duldete Menschen, die vom Geschlecht der Niemande waren; die weder war also von ihrem Mann getrennt, aus ihrer Klaffe geworfen mit dem Geld im Sack flimpern konnten, noch irgend welchen be- worden und gewann ihren Lebensunterhalt selbständig. Sie schrieb glaubigten Stempel herumreichen konnten. Sie müssen sich furcht- Aufsätze, Stizzen und Novellen für die Zeitungen; wer's versteht, bar traurig vorgekommen sein, diese Leute ohne Aufweis und weiß, daß es ringen heißt und für eine Frau zumal, um so durch­Diplom. zukommen. Die Dame war jung und interessant, sie hätte es wirk­lich bequemer haben können, wenn sie sich je hätte verkaufen wollen. In ihrem Lebenstampf war sie im höchsten Sinne tapfer und sittlich; tönnen. Am Ende konnte sie doch den strengen Sittenrichtern lachend über das Recht ihrer Liebe glaubte sie frei verfügen zu erwidern: Ihr habt mich aus Euren Reihen gejagt. Was fümmert's Euch, wem ich meine Liebe schenke? Die alternde Komtesse verliebte sich zum Schluß in einen nichtswürdigen Kumpan, den Maler lein, ein edles überlegenes Weib muß solches Subjekt durchschauen. Pierantoni". Wiederum deklamiren die Neuumalweisen das Sprüch­Die verdammte Leidenschaftslose Abstraktion aller Korrekten und

Heutzutage lacht der aufgeklärte Mensch von liberaler Ge­finnung, selbst wenn sie himmelblau nationalliberal schillert, über die Schrullen jener armseligen, in Zunftbegriffen erstarrten Epoche. Wir kennen heutzutage die liberalen Berufe, wir haben Freizügigfeit und selbst im fernen Spanien   drunten haben die Kellner letthin sich die Bartfreiheit erobert. Schon Leopardi   sagt in einer seiner biffigsten Satiren, daß wir mit Riesenschritten vorwärtsgehen und daß wir demnächst werden Bärte tragen ellenlange". Aber Leopardi  war ein franker, galliger Dichter.

Wenn also auf diese Weise die Bestimmungen frei und unfrei aller Heuchler. Komtesse Lara war eben verliebt, und wie sich verwischen, wie soll man in Zukunft noch unterscheiden, alternde Frauen leicht zu sein vermögen, besonders schwach in wie soll man die Menschen nach Stand, Art und Beschäftigung, ihrer Liebe. Es geht übrigens alternden Männern nicht um ein sondern, wie soll man das tiesinnerliche Bedürfniß der

Menschen nach Uniformirung und Reglementirung befriedigen? Haar besser. Mit Buhälterinstinkten benutzte Pierantoni die Schwäche Schon lange haben die sinnenden Gelehrten, denen undiplomirte des Weibes, um Geld von ihm zu erpressen. Das Weib gab und oder unabgestempelte Menschlichkeit immer ein Greuel war, über gab, fo gut es fonnte. Aber als geistige Arbeiterin konnte sie doch diese Frage nachgedacht. Man bedauert, daß die alten Kleider nicht für die Gier Pierantoni's genug Geld erwerben, und in einem ordnungen schwinden. Man hat in Gebirgsgegenden sogar Vereine Anfall von Erbitterung und Grausamkeit ermordete sie dieser Pierantoni. zur Erhaltung bäuerlicher Sondertrachten gebildet.( Wenn man vornehm sein will, sagt man Nationaltracht.) Und solche funter­bunte Auflösung, solche nichtswürdige Demokratie follten jene Leute billigen, die vor tiefem Respekt erschauern, wenn sie daran denken, wie herrlich weit wir's in der Gegenwart gebracht haben? Wir leben in einer militaristischen Epoche. Ist das nicht im logischen Sinn ein Widerspruch, daß im Militarismus jeder streng geregelt sein Abzeichen, das sichtbare Merkmal feines Wesens und Werths trägt, und daß anderseits ein wildes Wirrsal unter den Menschen besteht ohne Gradbezeichnung, ohne Etikettirung?

Als der oberste Feldmarschall der Heilsarmee  , Herr Booth in London  , in aller Welt zum Sammeln wider das Laster blies, da wußte er, was er that, als er seine Leute nach Soldatengraden ein­theilte. Dieser merkwürdige Mann, der durchaus nicht wie ein Myftifer erschien, als wir ihn hier in Berlin   in der Nähe sahen, erwies sich nicht gerade als ein tiefer Geist, aber als schlauer

Menschenkenner.

Ein Cäsar, ein oberster Befehlshaber kann nicht jeder sein; das

Wie tief bürgerliche Klassenvorurtheile wurzeln können, bewies der Gerichtsprozeß. Man sollte meinen, über einen Menschen, wie dieser Pierantoni ist, sollte nur eine Meinung herrschen. Wenn ihn fein Advokat Barzilai zum Märtyrer verhängnißvoller Eifersucht, die von einem dämonischen, vampyrartigen Weib" ge= nährt wurde, machen wollte, so kann man das zur Noth noch be­greifen. Das ist leider Rechtsbrauch geworden: für den öffentlichen Antläger ist der Angeklagte der Teufel, für den Vertheidiger ein weißer Engel. Aber auch das bürgerliche Interesse wandte sich dem An­geklagten zu, namentlich das der Frauen aus der bürgerlichen Gesellschaft; und Geschworene und Richter maßen dem Mörder mildernde Umstände bei. Es sei hier gewiß nicht bedauert, daß Pierantoni nicht nach der vollen Schwere des rächenden Gesetzes gestraft wird, sondern es sei nur betont, wie leicht die Gesellschaft" sich über das Ende einer gefallenen Frau" mit der heuchlerischen Phrase hinwegsetzt: verdorben, gestorben".

Alpha.