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sich kaum je noch sehen, und was Nenuchen betrifft, so blieb| farnevaliitisches Gepräge. Selbst der mächtige Straßenrabau, den fie mit zunehmenden Jahren auch nicht eben der niedliche die allwaltende Polizei in den letzten Jahren freilich gehörig ein­kleine Kerl von einst. Sie trieb sich viel herum und über- dämmte, war ein Ausfluß tarnevalistischer Laune. Das Volt nun raschte Herrn Kreiser mit vielen herzlichen Küssen, die sie dem soll in Büchten am Gängelbande geleitet werden; bei ihm wird jedes Aussprühen von Faschingslaune höchft ungern gesehen. Photographengehilfen in der Küche zu theil werden ließ. Der In den intimen Räumen geldkräftiger Häuser Häuser bewahrt junge Mann erhielt daraufhin seinen Abschied und Aennchen die Berliner Sylvesterfeier ihre farnevalistische Würze. eine kleine Tracht Prügel, die sie mit solch entsetzlichem Weh- Was sich da scheinbar als gemüthliche Familiengesellschaft gefchrei quittirte, daß die Dienstmädchen in den Küchen zitterten, giebt, das gehört zum Prunkendsten, was die Berliner Gastmahl­und Herr Kreiser von dieser Zeit an als ein miserabler Tyrann galt. Gefelligkeit fennt. Mit dem Ruin des Ateliers war seine Kraft so ziemlich gebrochen. Die Noth kam ins Haus, und das Mädchen hatte von dem Vater nichts mehr zu fürchten. Eine zeitlang befaßte er sich noch mit allerhand neuen Projekten, aber das Glück war ihm nicht zum zweiten Mal hold.

Eigentlich war es um Herrn Kreiser schade. Er befaß einen erfinderischen Kopf und wäre in besseren Verhältnissen wahrscheinlich ein ganz tüchtiger Kerl geworden. Sein einziger Bruder, der gleich ihm stets ein außerordentliches Talent hatte, Projekte zu erfinnen und in jedem Schutthaufen Gold zu wittern, war als junger Mensch nach Amerifa gegangen, wo er steinreich geworden war. Er hatte auch vor langer Zeit einmal Geld geschickt, aber es lag nicht in der Art der Kreiser's, sich viel um einander zu kümmern; man wußte nicht einmal, wo er jetzt wohnte.

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In dieser Sylvesternacht werden die Geldleute ein Uebriges ge­than haben. Die Inventuren waren leidlich ausgefallen". Die Sylvestertafel biegt sich unter der Laft erlesener Weine und köstlichen Champagners. Man hat so sein Profitchen eingeheimst, der vielgerühmte Aufschwung" war zu bemerken, und der Phantasie eines Handelsmannes find an der Wende des Jahrhunderts große Fernsichten aufgethan. China wird erschlossen, Hosiannah! China wird erschlossen! Der tapitalistische Nerv erschauert. Vor spekulativen Sinnen flimmert es, wie es seinerzeit vor den Sinnen der spanischen Groberer flimmerte, als man auszog, das Goldland zu suchen. Zwar ist der gelbe Mann selber ein höllisch guter Kaufmann; aber wir werden ihn raft unserer höheren Kulturentwickelung schon blöffen", wie die amerikanischen Pokerspieler sagen, wenn sie ihren Gegner im Karten­spiel gründlich hineinlegen.

Eine Extrafreude wurde der Tante bereitet, als eines Tages der Polizeiwachtmeister bei ihr erschien und allerhand Fragen stellte: Was Herr Kreiser eigentlich jetzt thue, ob er verdächtige Besuche erhalte sich den -wovon er sich ernähre und so weiter." Die Tante wurde treidebleich, und der Wachtmeister hatte Halloh von Berlin spielte. Mühe, sie zu beruhigen.

( Fortsetzung folgt.)

Wochenplauderet.

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So gierig die Spekulation fein mag, so leicht sie sich in phantastische Pläne verirrt und an sich selber berauscht: der Spekulant denkt nicht weit vor sich hin. Nach ihm tomme die Sintfluth, so urtheilt er gewöhnlich. So dachte man in allen Perioden des Aufschwungs der Spekulation". So denkt man jest, wenn man vom Chinamann" spricht. Heute möchte man wie gelben Mann fast vorstellen, den Chinesen, den der Romifer Zielscher bei dem Adolf Ernst unter spielte. Tschin- tschun lacht und nickt, war damals ein viel gitirter Roupletvers. Tschin- tschun, der vergnügliche Chinese, lacht und nicht immer wieder. Gewiß, was man von der Besetzung von Kiaotschau las, das ließ die Dinge wie Borgänge einer Operette erscheinen. Besonders nach dem föst lichen Schreiben eines deutschen Matrosen, das fürzlich veröffentlicht wurde. Der Chinamann, auch der Soldat, zeigte sich von seiner friedlichsten, liebenswürdigsten Seite." Tschin- tschun lacht und nicht." Neugierig und zutraulich musterte der Chinamann die deutsche Mannschaft, er zog mit den Soldaten mit und marschirte nach dem Taft der Musik, wie bei uns die Müssiggänger der Friedrichstraße zu thun pflegen; fast tollegial räumten die gelben Soldaten den Antömmlingen ihren Exerzierplatz ein und ohne jeden Widerstand verließen sie ihre Forts. Wie ein friedfames Idyll sing die Geschichte an. Wenn aber der gelbe Mann sich die

Ein paar Jahrchen noch und es hat ausgelitten das neunzehnte Jahrhundert. Bielbewundert, vielgescholten! Das Wort gilt auch von ihm. Man hat sich in seinem Glanz gespiegelt, als die Welt noch liberal war. Man hat vom Zeitalter der Erfindungen, des Fortschritts, der Zivilisation geschwärmt. Da aber aller Fort schritt und Gewinn den Einzelnen, alle Mühsal, geistige und Teibliche, Den Massen zugefallen war; da diefem Swiespalt ein neues Jdeal emporwuchs: so schuf verwunderten, neugierigen Augen reibt, wenn er, der nicht un­man ein anderes Schlagwort für das scheidende Jahrhundert. Müde und verzagt wurden Jene, die ihre alte Anschauung verloren und zur neuen fich nicht bekennen mochten. Sie glichen Chamisso's Schlemiehl, der um seinen Schatten gekommen war. Sie erfanden bas bange, matte Wort vom fin de siècle ", vom Ausgang des Jahrhunderts", das seither oft in unsinnigster Bedeutung an gewandt wurde. Ihnen erschien das scheidende Jahrhundert nebelgrau, wie ein Novembertag, wenn der schwere Regen in den Lüften hängt.

Die entsagungsvolle Stimmung, die in der vielmißbrauchten Bezeichnung vom fin de siècle " zum Ausdruck tam, war von den obersten Profitjägern unserer Zeit nie getheilt worden. Nicht bei uns und auch nicht anderswo. Die vornab an der Tafel des Lebens figen, haben taum Zeit, trüben Stimmungen nachzuhängen. Energifcher und rücksichtsloser ist das raftlose Streben nach Gewinn, massiger und raffinirter zugleich ihr Genuß geworden.

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gewandt ist und pfiffig von Natur, europäischen Geldkräften abguckt, wie sie in ihrem Sinne Kultur treiben und neue Wunder­quellen erschließen? Eruste, wissenschaftliche Stimmen heben sich jetzt schon gegen die gemüthliche Auffassung vom Tschin- tschun, der da lacht und nickt; und zu Ausgang des Jahr­hunderts wird an eine tief einschneidende Weitfrage gerührt.

Die Leute, die aus alter Uebung noch mit vollem liberalen Brustton vom hellen 19. Jahrhundert zu sprechen pflegen, betonen gerne, wie herrlich weit wir es gebracht haben. Wenn vor Jahren von Petersburg aus eine Zeitung nach Berlin gelangen sollte, so brauchte das gute Weile. Heute sind wir mit dem fernen Weltmeer verbündet und Port Arthur, Heinan und Kiaotschau sind ums geläufige Namen. Wie muß es jedem Zeit genossen schmeicheln, wenn er feine eigene Zeit so herausstreichen hört. Mag man daheim allerhand Kummer haben; mögen Polizeis vorkommnisse betrübender Art beweisen, wie wir vor der eigenen Thür noch zu fegen haben; mag man um ein Denkmal für die noch feilschen müssen, als Merkmal für die Art unferer freiheitlich gesinnten Bürgerbehörden; mag Ministerium des Geistes, wvie es in Herrn unter dem Boffe's Bankettrede so feierlich schön lautete, die Lehrfreiheit deutscher Hochschulen nach ähnlichen Richtungen hingedrängt werden, wie es mit der Preßfreiheit geschah: das Alles vergißt ein würdiger Zeitgenosse geru, wenn man ihm von ferner Romantik, von erhabener Kultur­trägerei spricht. Es giebt nicht nur einen Lofalpatriotismus, einen Ortsstolz besonderer Art, der Zeitgenosse vom Dugendschlag kennt auch feinen besonderen Zeitstolz. Wie wenig Wirklichkeit steckt hinter diesem romantischen Nebel und dieser Stolzthuerei. Namen, ja, die strömen in Fülle auf uns ein, aber wie wenig wirkliche Begriffe stecken hinter diesen Namen. Was wissen wir bei all unserem Stolz auf das 19. Jahrhundert von dem echten inneren Aufbau des Landes, das nun neu erschlossen werden soll?

Ihnen bedeutet die Sylvesternacht nicht die jähe furze Lust, die fie tausenden von Proletariern bedeutet. Eine alte, schöne Berliner Achtundvierziger noch Nebensart, die jetzt vergeffen ist, fagte von einem Schlafenden: Er nimmt ein paar Dogen voll" Traum. Ein paar Augen voll Traum, ein paar flüchtige Augenblicke der Selbstvergessenheit find den Allers meisten unter uns in der Sylvesternacht vergönnt; dann kommt sofort das rauhe Erwachen.

Denen, die im Besize find, hat das abgelaufene Jahr im allgemeinen nicht wehe gethan. Sie haben kaum einen ernsten Grund, ihm zu fluchen; die Kohlen- und Eisenbarone im Westen, wie die Großgrundbesitzer im Dften mögen einander in die Dhren rauuen: Es geht immerhin vorwärts.

Als man das 19. Jahrhundert noch schwärmerisch das Zeit­alter geistiger Befreiung nannte, da kannte man in der sogenannten tonangebenden Gesellschaft von Berlin noch die vielbefpöttelten Thee­abende. Die bürgerliche Welt war damals noch zukunftsfroh; man war geiftig regfam; und so konnten lebhafte Tischgespräche auch bei Thee mit belegten Brötchen geführt werden.

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Wir ahnen nur, daß eine gewaltige Menge im dumpfen Druck vom Autoritätsglauben gebannt, dort dahinlebt. Wir ahnen, daß In Neu- Berlin hat der prunkende Besitz mit solchen Dingen die schroffsten Klaffengegensätze vorhanden, der bedürfnißlosen Last­Wir längst ein Ende gemacht. Die foftbarste Bewirthung wird zur Haupt- trägermenge aber noch nicht bewußt geworden sind. sache; man blendet, man übertäubt einander, und die Geselligkeit in ahnen die bureaukratische Mandarinen­Hierarchen­der Emporkömmlingsstadt Berlin , ich meine die Geselligkeit in der gewalt; wir wir ahnen, wie ein zünftig verzopftes Gelehrten­fogenannten tonangebenden Welt, hat selbst in benachbarten Groß- wesen die Laienmassen von den Quellen des Wissens abwehren städten, wo ähnliche Zustände herrschen, einen übelen Beigeschmack möchte. Wie aber, wenn die Berührung mit Europa dort ungemessene erhalten. Dem Magen fröhnt man bis zum efelen Ueberdruß. Ruliträfte entfesselte? Wir wissen ja hente nur, in wie schwere Besonders markant find die Sylvester Gesellschaften in feinen geistige Bande ein Kuli geschlagen ist. Kuli" ist zwar ein chinesischer Säufern", Die Sylvester Nacht trug von jeher für Berlin ein Begriff, leider ist er uns in Westeuropa nur zu fehr vertraut, vou

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