Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 8.
8]
Mittwoch, den 12. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleuke.
1898.
nicht recht mit dem stellenweis rührenden Inhalte. Als aber alles fertig war und der Briefbogen in das Kouvert sollte nud Klaus ihn vorher noch einmal durchlas, da stieß diesen Roman von Wilhelm Meyer- Förster . jungen Mann der Bock derart, daß ganze Thränenströme Einigemal tam Klara auch mit Evas Freundinnen zu hervorbrachen und die Geheimräthin von diesem aufrichtigen fammen, aber die verstanden sie nicht. Erstens war sie höchst Schmerz angesteckt wurde. So weinten Mutter und Sohn mäßig gekleidet und dem famosen Bruder nicht im geringsten lange Zeit, und erst langsam versiegten ihre Thränen. Die ähnlich, und zweitens war sie langweilig. Sie wußte ja nichts, Geheimräthin nahm Hut und Mantel, trug dem Burschen tannte ja nichts- weder die Oper, noch Herrn Kainz als Romeo, auf, Klaus ins Bett zu bringen und ihm Kamillenthee zu noch den neuesten Roman von Bourget, noch sonst was. Selbst kochen, klebte auf den Brief eine Marke und nahm Abschied. Lilli, die ein gutes Herz hatte, fand den" Stock" schrecklich. Als sie an den Briefkasten kam und der letzte entscheidende Eva war durch diese Beurtheilung sachverständiger Damen Schritt geschah, wurde ihr zum erstenmal die feste Hand ein einigermaßen in ihrer Eitelkeit gekränkt, und nicht immer wenig unsicher. konnte sie diese Stimmung der armen Klara gegenüber ganz
meistern.
Raftens, dann ließen Zeigefinger und Daumen der GeheimLangsam schob sich der Brief in das breite Maul des Die Geheimräthin war in dieser Zeit sehr thätig. Die räthin los, und er polterte hinunter. Bald tamen noch andre v. Böcks, deren in Berlin drei lebten( der Rentier, der hinzu, und als nach einer Stunde der Abholer tam, lag Wie viele Hoffnungen, General a. D. und der Chemiker), hielten Familienrath und Klaus' Brief in fürchterlicher Enge.
thaten die Geheimräthin jezt endgiltig in den großen Bann. tröstende, mitleidige Worte, wie viele Lügen und schlimme Dieselbe hatte die Verlobung quasi sanktionirt und war durch Bosheit birgt solch ein vollgepfropfter Brieftasten! Den ihr stets prätentiöses und ganz unangenehmes Wes en ohnehin Extrakt aus klugen und einfältigen, guten und schlechten Geden v. Böcks ein Dorn im Auge. Natürlich brachte dieser Bann müthern, faft ist er selbst einem menschlichen Herzen vergleichdie arme Frau zuerst gauz aus der Fassung, ihre Thatkraft aber bar. Solche Rästen giebt es in der Stadt viele hundert, in wuchs damit ins Große. Klaus hatte keine ruhige Stunde der Welt viele tausend, sie werden immer gefüllt. mehr. Verleugnen konnte er sich nicht lassen, da er ja das Klaus saß nu allein, trank den Kamillenthee und Zimmer hüten mußte. Ging draußen die Klingel, und legte sich schlafen. Aber der fromme Beruhigungstrant war Drüben auf dem Schreibtisch wäre es um Mitternacht gewesen, so fuhr er zusammen heute ohne alle Wirkung.
und erblaßte, durchaus mit Grund. Oft schlug die stand in prächtigem Rahmen das wohlgetroffene Bild Eva's, Stimmung der Mama um, und sie fand weinend die Welt das die Geheimräthin mitzunehmen oder ins Feuer zu grau und alle Mütter kläglich bedauernswerth. Einige Mal werfen vergessen hatte. Der Lieutenant stand auf und holte versuchte fie, nach schrecklichen Ausfällen gegen Abraham und es zu sich. Heute sah er nicht mehr den schneeweißen Nacken den Justizrath, auch gegen Eva eine Attacke zu reiten, aber und das prächtige Ballkleid, das die schöne Gestalt umschloß, das Gefühl der Ritterlichkeit brachte in solchen Fällen er sah nur Eva's Gesicht. Und in diesem Gesicht nicht den süßen Klaus gewaltig in Harnisch. Er redete sich dann in Mund, der ihn so verzehrend heiß gefüßt hatte, sondern nur - erst weich solchen Zorn hinein und vertheidigte seine Brant so mannhaft, die großen Augen, die ihn traurig auſchauten daß er eine wundervolle Hochachtung vor sich selbst befam. traurig, dann immer starrer, wie Pfeile. Er zerriß das Bild. Seine glühende Liebesleidenschaft Daß ein Kavalier in seiner Lage, der ein Mädchen ohne Fa milie" und Geld heirathen und sich damit geradeaus ins Ber - war in dem Zimmerarrest und den angstvollen Zukunftssorgen derben jagen will, daß ein solcher Mann jedes beleidigende dieser Wochen verflogen, und nur die Scham war geblieben. Wort von diesem Mädchen ohne Familie und Geld mit Emphase Er überlegte noch lange hin und her, namentlich was die Welt abwehrt, faktisch, das ist außerordentlich und groß gedacht. dazu sagen würde. Eigentlich war die Sache ja nicht so Er kam dann in eine gehobene Stimmung, und seine Mutter, die viel flüger war als sie aussah und diese hohlen Vertheidigungsreden recht wohl durchschaute, gab sich ebenfalls gerührt uns bedauerte diese arme Eva, die es wohl verdient hätte, in einer besseren Familie geboren zu sein".
Die Verlobung war immer noch nicht offiziell, und von Klaus' Bekannten wußten nur wenige davon. Aber der Justiz rath, der gestern dagewesen war, hatte Klaus gebeten, die Anzeigen nunmehr in den nächsten Tagen versenden zu dürfen, denn allmälig fing die Sache doch an, etwas lächerlich zu werden.
schlimm. Jedes Herz kann sich einmal irren, und sieht jemand seine Dummheit rechtzeitig ein, so ist die Ehre gerettet. Schließlich stellte er sich Eva vor, wie die weinen würde, so viel, um ihn. Da kamen auch ihm noch einmal die Thränen, und wie ein armes Kind, das halb zu Tode gequält ist von den Folgen eines thörichten Streichs, schlief der gute Lieutenant ein.
VII.
Der Justizrath war feit einigen Tagen in feinen Schützling komplett verliebt. Er ließ mit der Sachkenntniß des Anwalts alle Gründe ins Treffen marschiren, die als Medizin Der entscheidende Entschluß mußte also nun endlich ge- gegen diese Leidenschaft hätten wirken müssen: seine siebens faßt werden, und die Geheimräthiu saß an Klaus' Schreibtisch, undvierzig Jahre, die Würde des Beschüzers, der das Mädchen um den großen Brief, der seit drei Wochen hätte geschrieben gerettet hat, seine beiden Kinder, die über diese Liebesleidens sein sollen, zu entwerfen. Aber es dauerte lange, ehe die Ver- schaft nicht sehr erfreut sein würden, dann den Lieutenant, bündeten dieses ungemein schwierige Schriftstück halbwegs zustande der seinem künftigen Schwiegervater gleichsam ein Memento brachten. Denn was mußte dasselbe nicht alles enthalten! gegen unfeine Beziehungen bedeutete, und mehr dergleichen Den höchsten Zartsinn gepaart mit ernster Entschlossenheit; Warnerſtimmen. Aber die Thür that sich auf, und das die Lebensweisheit eines seines hohen Standes traurig be- niedliche, runde Ding machte hereinhüpfend alle Gegenmedizin wußten Mannes und daneben die trostlose Verzweiflung, sofort unwirksam. Sie war neuerdings fleißig und wünschte die ihr eigenes Todesurtheil schreibt.„ Schreiben muß!" eine gebildete Dame zu werden, verfertigte kleine deutsche Entschlich war dabei die Geschmacklosigkeit der Geheim- Auffäße über das Wetter, über den letzten Weihnachts räthin, die beständig Zitate einflechten wollte: Behüt markt u. f. w. und ließ diese von dem Justizrath torrigiren. Dich Gott , es hat nicht sollen sein,"" wenn sich zwei Herzen Sie trug ein ganz reizendes blauweißes Kleid, das ihr etwas scheiden," es ist bestimmt in Gottes Rath" u. 1. w. Sie zu eng war, und sie lehnte nun neben ihrem Beschützer wurde dabei förmlich weich, und nur Klaus' größter Energie am Schreibtische und verfolgte mit artiger Aufmerksamkeit gelang es, diese Art von Trennungspoesie aus dem Konzept deffen Korrekturen. Unter solchen Umständen ist es ein zu streichen. schlecht Ding, die Feinheiten in der Schilderung eines Der Bursche wurde hinunter geschickt, um extrafcines Weihnachtsmarktes zu empfinden; der Anwalt korrigirte nur Briefpapier zu kaufen, und über dem Zimmer lag eine merkwürdige Stimmung vielleicht doch ein wenig Scham und das Gefühl, daß hier eigentlich etwas recht Trauriges und Häßliches geschehe.
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Klaus schrieb das Konzept sauber ab, zu sauber. Das Ganze hatte teinen Stil und die korrekte Form harmonirte
ganz mechanisch Interpunktion und Orthographie, und wenn er auf die Fehler hinwies und das Mädchen sich dicht zu ihm neigte, begann der Weihnachtsmarkt vor ihm zu tanzen. Einige Zeit lang kämpfte er noch mit sich, dann nahm er eine väterliche Miene an und legte seinen Arm sanft um des Mädchens Taille. Fräulein Neunchen hatte gegen diese Artig