Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 10.
10]
Freitag, den 14. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleuke.
Roman von Wilhelm Meyer- Förster . Der Klaus hätte dann Evchen auf den Händen getragen. Es wäre ein vorsichtiger Heirathskontrakt gemacht worden: so viel jährlich, der Reft in sicherem Depot. Eine Wohnung in W., ein netter Wagen mit zwei Ponies, süße Enkelfinder und hochvornehme Verwandtschaft. Ein so glückliches Evchen, wer mag es ausdenken.
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Nun rollen die schweren Erdschollen polternd auf den Sarg ein häßliches Geräusch. Du nimmst eine Hand Erde und wirfft sie hinab. Immer höher thürmt sich der Berg, der Sarg verschwindet, bald ist die Grube gefüllt.
Nun möchtest Du niederstürzen, die Schollen emporwühlen, den Sarg aufreißen, nur einmal noch sie sehen. Aber rings ftehen schwarze feine Herren, gerührt und gelangweilt; da nimmst Du Dich zusammen und haft eine vortreffliche Haltung. ungefähr wie jemand, dem das alles recht weh thut, der aber immer weiß, wie weit die Grenzen der Rührung ab gesteckt sind.
Abraham steht neben Dir und findet keine Thräne wie Du. Nimmt nicht da drüben ein weinendes Mädchen, das Menuchen zu sein scheint, viele Kränze und legt sie auf Eva's Grab? Der muß die Sache nahe gehen, denn sie hat erst vor einiger Zeit selbst dem Tode ins Auge gesehen. Du brachtest fie in Dein Haus und hast sie gerettet, Dein eigenes Kind aber liegt jetzt da drunten, tief.
Nun hat die Sache aber wirklich lange genug gedauert. Der Paftor nimmt feierlichen Abschied und fährt, was die Gäule laufen können, zur Trauung. Es ist auch die höchste Zeit, denn die Baronin Trauenstein harrt schon in sehnender Ungeduld des feierlichen Augenblicks, der sie mit ihrem iheuren Mayel auf ewig vereinen soll; und nicht minder ungeduldig ist der freiherrliche Bräutigam. Auch die übrigen Leidtragen den" zerstreuen sich, um nach erledigter Pflicht zu Wagen oder zu Fuß wieder nach Hause, zu ihren Geschäften oder Vergnügungen zurückzukehren.
Der Anwalt fährt mit Abraham nach Hause, Aennchen in einem zweiten Wagen hinterher.
Wenige Minuten später liegt das Grab einsam. Nur die Spatzen fliegen herzu und sehen die Kränze an, ob es da für fie etwas zu naschen giebt. Allmälig geht die Sonne nieder und es wird Nacht.
IX.
E3 thut mir weh, Eva Simon, von deinem Grabe zu scheiden auf Nimmerwiedersehen. Aber das Leben rollt fort über die Verschwundenen, und viele, die dir näher standen als ich, haben dich vergessen. Sie wollen auf Trauer Sonnenschein, und sie würden es nicht gerne sehen, wenn die trüben Kapitel sich hier endlos aneinanderfügten.
1898.
entlassenen Manne eine Dame aber auch besser gedient als in diesem Fall die Geheimräthin.
Um wen hatte es sich gehandelt? Um eine Jüdin, und noch dazu um eine bettelarme Jüdin! Um wen noch? Um Verwandte, deren bloßer Anblick die Geheimräthin angewidert hatte. Um was weiter? Um einen verliebten jungen Menschen, der sich vor dem sicheren Ruin sah, wenn diese Heirath zustande kam, um einen Tollkopf, der sein Herz auf der Zunge getragen hatte. Und dem allem gegenüber hätte sie, die Geheimräthin, die Hände in den Schoß legen, jüdische Enkel_in der Armenschule groß ziehen, toscheres Fleisch und Maßen essen sollen?!
Auf alle diese Fragen hatte der General die Dreistigkeit zu antworten: Ja." Danu nahm er Hut und Stock, und die Familie Hänisch war fortau für die v. Böck's todt.
Auf die v. Böck's folgten viele andere; die Sache sprach sich herum, und die Geheimräthin war vervehmt. Sie trug das zunächst mit stoischer Würde, aber die Konsequenzen waren unheimlich. Was sollte aus Hedwig und Klara werden, die zusammen jetzt genau fünfzig Jahre zählten? Kein Ball mehr, teine Gesellschaft, keinerlei Chance auf Freier! Dann traf das fürchterlichste ein: Klaus nahm seinen Abschied. hatte gekämpft wie ein Ertrinkender, besser geturnt als je, schneidiger sich gezeigt als irgendwann vorher- aber er entrann dem Berhängniß nicht.
Erst viele Tage später ließ sich Herr Klaus bei seiner Mutter sehen. Aber er hatte fich einen fannibalischen Muth angetrunken und kam nicht als Hilfeflehender, sondern als Herr. Die Geheimräthin versuchte einen verzweifelten Widerstand, aber Klans siegte. Die Nachbarn links und rechts, oben und unten führten bei dem Hauswirth wegen des heillosen Standals Beschwerde, und nur um der sanften Klara willen konnte der Haustyrann diese Szene verzeihen.
Es war recht erbärmlich zu sehen, wie der schöne Klaus herunterfam. Er blieb bis spät nachts fort, fand nirgends Stellung und zeigte durch seinen raschen Niedergang dents lich, daß die arme Eva mit ihm gewiß nicht glücklich ge. worden wäre.
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Der Agent hatte eine eigenthümliche Liebhaberei, er telegraphirte gern. Ueber eine fein zu stilisivende Depesche konnte er stundenlang nachdenken, und nur sein Mangel an Baar vermögen hatte diese Leidenschaft bisher bei ihm nicht ausarten lassen. Umgekehrt haßte die Tante nichts so sehr als Teles gramme, bei denen sie stets sofort Schlimmes vermuthete, und in zarter Rücksicht auf diese Nervosität sandte der Agent seine Botschaften jetzt nur an Bruder Christian. Da nun aber Christian bei der Tante wohnte, sah diese den Depeschens boten trotzdem eintreffen, und der Zweck der Vorsichtsmaßregel wurde somit vereitelt. Es war einfach lächerlich, wie das Trauermagazin in diesen Tagen von Telegraphenleuten überlaufen wurde. Drei, vier Depeschen über das Tag waren gewöhnliche Maß, und von jeder größeren Station aus fam die Nachricht, daß es dem Agenten gut gehe. aber herrliche Reise, gesund"-Soeben Schweizer Grenze überfahren, lese Tell, Befinden vorzüglich"- Unaufhaltsam weiter, morgen am Ziel, melde Ankunft telegraphisch , Gesundheitszustand tadellos," Dieser Art waren des Neffen wirklich überflüssige und nichtssagende Telegramme. Von Basel aus sandte er eine minKein Mensch wird die Geheimräthin in Schuh nehmen destens drei Mark kostende Depesche, daß er im Skat sieben wollen, aber ihre Strafe für den unglückseligen Brief war Mark fünfzig Pfennig gewonnen und dieselben zur gemeinwirklich etwas hart. Nicht etwa der Thränenströme wegen, die samen Kaffe geschlagen habe, eine Ehrlichkeit, die selbst seine Klara wie ein Gießbach niederfließen ließ, denn jeder wußte, herzensgute Mutter verblüffte. Die Ankunft in Nizza verdaß Klara ftets lächerlich sentimental war und fein Huhn schlang ein kleines Vermögen, denn von hier aus erhielten fterben sehen konnte. Auch nicht Klaus' wegen, deffen Stöhnen nicht nur Christian und Paula, sondern des Agenten und Toben als die gerechtefte Strafe für seine unüberlegte sämmtliche Freunde und Feinde telegraphische Mittheilung. Den Handlungsweise gelten fonnten. Wohl aber auf grund der einen wurde die Sache als Vergnügungstour, den anderen unerhörten Handlungsweise derer von Böck. Als Princeps als Geschäftsreise dargestellt, beide Theile mußten aber zu dieser Familie galt der bereits furz erwähnte General , und der Ueberzeugung kommen, daß der Agent im Golde schwimme, dieser sehr beschränkte Mann, der als Generalmajor wegen und sein Berliner Kredit wurde durch diese Telegramme völliger Unfähigkeit den Abschied erhalten hatte", erlaubte sich einigermaßen gefestigt.
Ich habe alles kurz gefaßt, nicht davon erzählt, wie du den Brief füßtest und öffnetest und todesstarr ihn laseft, nichts von deiner Verzweiflung und von dem Ende. Es ist ja nun auch alles gleich. Wenige Jahre, Jahrzehnte, dann folgen wir alle dir nach, und mancher von uns wird sich nach der Ruhe da drunten schon früher sehnen.
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die beispiellose Unverfrorenheit, sie, die Geheimräthin, wegen Am nächsten Tage kamen die Depeschen in das Trauerder Affäre zur Rede zu stellen. Notabene, ein Mensch, der magazin stoßweise. Dreihundert Franks soeben gewonnen. feit Jahren die Familie Hänisch glattweg geschnitten hatte. Höre für heute auf. Wetter herrlich, mein Befinden groß Nie hat diesem pensionirten und wegen Unfähigkeit artig. Triuke Euer Wohl." Glück noch einmal versucht.