Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 23.
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Mittwoch, den 2. Februar.
( Nachdruck verboten.)
Ruhe!" rief der Agent.
Der Bräutigam darf doch keinen Toast ausbringen," meinte Herr Baum und lachte.
" Ich bitte um's Wort," sagte Nichard. Er suchte nach Worten und fand sie nur mühsam, bis allmälig feine Zunge freier wurde und erregt die Sähe herausstieß.
ch möchte den anwesenden Herrschaften nur einiges heute fagen, weil es mich dazu drängt. Namentlich um meiner
Brant willen
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Frau!" fagte der Agent.
" Meiner Frau willen. Meine Frau ist von befferem Stande als ich, aber Menschen sind Menschen, und die Hauptfache ist, daß man sich lieb hat-".
Bravo!" Herr Baum war begeistert.
Meine Frau gehört jetzt zu mir, vor ihr brauche ich meinen Mund nicht zuzuhalten, denn sie gehört nicht mehr zu ihrer Familie, sondern zu mir. Meiner Frau Familie glaubt, ich sei zu gering für fie, aber ich werde ihr das zeigen, jawohl!"
Er schrie förmlich, Klara Klammerte sich an ihn, und Hedwig war bleich geworden vor Schreck.
Wer es hören will," fuhr er fort, kann das erfahren. Bon klein habe ich mich emporgearbeitet und habe gelernt, was es nur zu lernen giebt: Franzöfifch, Englisch und noch vieles mehr. Bin ich deshalb zu schlecht? Etwa zu schlecht? Wer will das behaupten?!"
Klara stand auf und suchte ihn nieder zuziehen: Richard, ich bitte Dich, schweig."
Laß mich reden!" herrschte er sie an, und fügte dann ruhiger hinzu:" Ich sage das nur um Deinetwillen, liebe Klara."
Sie setzte sich nieder und flammerte ihre Hände in das Tischtuch.
Jch habe das alles erst jetzt erfahren," fuhr er fort, vor allem das von meinem Schwager, Herrn Klaus Hänisch, diesem Herrn, dem hier meine Hochzeitsgesellschaft nicht gut genug ist, dem seiner eigenen Schwester Hochzeitsgesellschaft nicht gut genug ist, der hingeht und ein Mädchen figen läßt, weil sie nicht Geld hat oder nicht genug hat, und die sich dann todtschießt. Dem bin ich nicht gut genug?!"
Er hieb auf den Tisch, daß die Gläser flirrten und umstürzten, aber da tam sein berufsmäßiges Ordnungsgefühl merkwürdig dazwischen und er griff haftig nach den Gläsern und stellte sie wieder zurecht.
Es entstand eine unheimliche Stille, bis Herr Baum als fiberlegener Mann und Patron des Bräutigams in die Sache eingriff.
Weißt, Schani, sagte er, ich meine, nun ist davon genug geredet. So was soll nicht sein, und ich will das nicht. Rede jetzt so dergleichen nicht mehr."
Richard schnappte mit den Lippen nach einer Antwort, aber er bezwang sich. Herr Baum sah auf einmal so feierlich und düfter und herrenmäßig aus, daß sein Untergebener trotz aller Trunkenheit den Respekt fand.
Klara's Blicke irrten hin und her, von ihrem Manne zu dem Sprecher und zurück, dann sah sie Richard fich niedersehen, und in diesem Moment wurde ihr zum ersten Mal recht klar, daß der fleine fette Herr da drüben ihr und ihres Mannes Brotgeber und Prinzipal sei, und daß ihr Mann nicht den Muth fand und finden durfte, ihm zu widersprechen.
Jetzt stand Herr Baum auf, sah nach seiner goldenen Uhr und erklärte, es sei für ihn hohe Zeit heim zu gehen. Er nahm etwas förmlich Abschied, denn er war 310ar ein guter Kerl, glaubte aber nach seiner wirkungsvollen Strafrede eine ernste Haltung beibehalten zu müssen.
Also morgen Mittag, Schani, bist im ,, Genna". Bon. Nun wünsche ich der jungen Frau und allerfeits eine gute Nacht."
Die Kellner sprangen herbei und legten dem Genua - Baum mit großer Ehrfurcht seinen Mantel um. Als er fort war, versuchte der Agent noch einige Zeit die Gesellschaft im Gange
1898.
zu halten, indem er viele Thierstimmen nachahmte und in höchst mangelhafter Weise einen Bauchredner imitirte. Hedwig faß still und niedergeschlagen, und nur Nennchen war für den Agenten und feine Späße ein dankbares Publikum.
Schließlich brach man auf. Die beiden Schwestern lagen fich lange in den Armen und schluchzten beide leife, was niemand von den andern recht begriff. Dann nahmen sie Abschied. Der Agent zog Mennchen rechts und Hedwig links an den Arm, entlich von Richard drei Mark für die Nachtdroschke und beförderte seine beiden Damen in lustiger Manier nach deren Wohnungen. Er fand diese nächtliche Fahrt mit zwei reizenden jungen Damen entzückend und hatte allerlei Späße, die Mennchen ebenso sehr begeisterten wie sie Hedwig noch Scheuer machten.
Daß junge Paar hatte eine kleine Wohnung in der Borsigs ftraße geniethet. Die Zimmer waren in wenigen Tagen mit Möbeln ausgestattet und heute in der Frühe von Hedwig mit Blumen ausgeschmückt worden. Die Tische und Stühle, der Spiegel und die Schränke waren alle hübsch gearbeitet, Fabrikwaare, die nicht allzuviel taugt, die aber äußerlich einen gefälligen Eindruck macht. Die Aufwartefrau, die man gemiethet hatte, war natürlich nicht mehr anwesend, aber die Lampe brannte, der Ofen war hübsch warm, Hedwigs Hyacinthen dufteten, und auf dem Tische stand die prachtvolle Theemaschine, die Anna, das heißt der Justizrath, dem jungen Paare als Glanzstück in dem Haushalt geschenkt hatte.
Das alles war fast schöner und reicher als Klara's bis. heriges Heim, und Richard seinerseits fand die Wohnung groß artig. So war denn Klara Hänisch in den Hafen der Ehe eingelaufen. Ein Meer von Häusern lag zwischen ihr und der Mutter, ein Meer auch zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. XVII.
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Es ist ein merkwürdiges Ding, wenn jemand von der Gutmüthigkeit anderer zu leben hat. Schani Richard führte wahrhaftig fein leichtes Amt, aber sein Lohn wurde ihm nur in Gestalt von Trinkgeldern ausbezahlt, und daß gerade jeht der Verein gegen die Trinkgelder" immer weitere Dimensionen annahm, traf ihn und seine Kollegen nicht ganz unempfindlich. Sein Hauptthema daheim war dieser Verein, und erst aus diesen erbitterten Reden erfuhr Klara, daß ihr Mann fein feftes Gehalt bezog, sondern auf die Geschenke der Reisenden angewiesen war. Früher hätte diese Entdeckung ihr sehr weh gethan, jetzt setzte sie sich darüber bald hinweg. Es kam wiederholt vor, daß es ihr an barem Geld fehlte, und Richard hatte mit der Abzahlung der Möbel, der Miethe, der Hochzeitsuntoften, feines Schneiders und anderer Leute so viele Ausgaben, daß er mit dem besten Willen für den Haushalt nicht viel erübrigen konnte. Er selbst empfand das auch nicht sonderlich hart, denn von früh bis spät hatte er sein freies und gutes Effen im Hotel, und Klara flagte nicht, wenn sie Tage hindurch sich in fümmerlichfter Weise nährte.
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Schlimmer als das war diese tödtliche Einsamkeit. Nichard tam Tag für Tag erst spät nachts heim, todtmüde, oft in schlechter Laune. Früh um fünf Uhr ging er bereits wieder von Hause fort, und dieses anstrengende Leben spannte ihn ab und schadete seiner Gesundheit ersichtlich. Bisweilen, wenn es allzuviel zu thun gab, tam er gar nicht heim, sondern schlief im Hotel. Dann fand sie sich in der Frühe bei ihm ein und durfte zusehen, wie er um sich vor seiner Frau zu zeigen die kleinen Kellner in Trab brachte und ihre verschlafenen Augen hell machte. Das erste Mal, als fie ihn im Speisesaal traf im schwarzen Frad, die Serviette über dem Arm, war es ihr gewesen, als wenn alles Männliche, Tüchtige, was sie um ihn zurechtgewoben hatte, wie Spinnweb zerflattere. Aber auch daran hatte sie sich bald gewöhnt, und fie mußte fich eingestehen, daß Richard ein fleißiger, tüchtiger Meusch sei, der einen ehrenwerthen Beruf mit aller Anstrengung ausfüllte.
Wenn nur diese Einsamkeit nicht gewesen wäre! Ju dem kleinen Haushalt war wenig zu thun, und die Aufwartefrau hatte sie abgeschafft. Die Wäsche besorgte sie selbst, und da ihr Mann stets in tadellosem Leinenzeug sich zu präsentiren hatte, gab es damit Arbeit in Fülle. Aber doch blieben zahl lose Mußestunden, namentlich abends und nachts, wenn sie auf ihren Manu wartete. Sie holte sich aus der Leihbibliothek