Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 26.
26]
Sonntag, den 6. Februar.
( Nachdruck verboten.)
XIX.
1898.
Gewitter nieder, und als um dreiviertel zwölf Herr Schäfer nach Hause tam, hatten Gewitter und Regengüsse ihn zwar leidlich nüchtern gemacht, keineswegs aber für die Nachlässigkeiten seiner Hauswirthin versöhnlich gestimmt. Die Streichhölzer waren nicht zu finden, die Fenster standen angelweit auf, und der Schäfer'sche Sommerpaletot, der in der Klara fühlte ihre schwere Stunde näher kommen und sie Nähe des Fensters gelegen hatte, war naß wie ein Schwamm. dachte jetzt so viel an Sterben und irdische Dinge, daß ihr Richard war erst spät zu erwarten, da der Bund der Wesen, wenn das überhaupt möglich war, noch sanfter wurde Landwirthe im„ Genua " ein Liebesmahl feierte, und und ein leichter Heiligenschein sich in den Augen der Frau un, da Klara glaubte sterben zu müssen, fühlte sie Ohnesorge um ihr Haupt wand. Geschäftsrücksichten verboten sich grenzenlos vereinsamt. Die gute Ohnesorge wurde bei der letzteren, gegen ihre Miether, die Studenten, strafend auf dem Gewitter so verwirrt als möglich, und wer um zutreten, andernfalls hätte sie diesem elenden Prahlhaus Gotteswillen sollte zum Doktor laufen?! Es war vom Schreier und nächtlichen Ruheftörer Schäfer wahrscheinlich Standpunkte der Vermietherin ein Wagniß ohnegleichen, sich fürchterlich die Wahrheit gesagt. Er kam nachts mit größter nachts um ein halb eins mit Herrn Schäfer in Verbindung Regelmäßigkeit betrunken heim, stolperte die Treppe herauf, u jezen, aber Noth bricht Eisen, und so riskirte sie es, an warf um, was nicht ganz fest stand, und vollführte seine Thür zu klopfen und ihn zu bitten, er möge aufstehen. Der Kandidat, der sich bereits im ersten Schlummer einen Höllenstandal, wenn die Ohnesorge irgend etwas in
seinem Bimmer nicht an die rechte, leicht zu findende Stelle befand, traute seinen Ohren nicht, glaubte an Eins gelegt hatte. Das ganze Hans war auf diesen Kannibalen brecher, ulkende Freunde oder sonst dergleichen und schleuderte wüthend, namentlich deshalb, weil er nicht wie andere Studenten in der Dunkelheit einen seiner Stiefel mit solcher Wucht an um eins, zwei, drei Uhr oder später eintras, sondern stets die Thür, daß, hätte sich nicht zwischen dem Stiefel und Frau schon am halb zwölf, wenn alle Leute im ersten und besten Ohnesorge's Kopf ein starkes Brett befunden, der letztere unSchlafe liegen. Aber in dem lateinischen Viertel am Oranien- fehlbar zerschmettert worden wäre. burger Thore nähren sich Schneider, Schuster, Kaufmann, Kreischend, halb betäubt vor Schreck, stürzte die wackere Frau Barbier, Wirth, Zimmervermiether und überhaupt fast alle in Klara's Zimmer, und nur der große Ernst der Situation Welt von dem Gelde der Studenten, und es geht deshalb nicht gab ihr nach einiger Zeit noch einmal den Wagemuth, den wohl an, mit einem dieser Krakehler Streit anzufangen. Frau Kandidaten zum Aufstehen zu bewegen. Herr Schäfer, der an dem Ohnesorge hatte in ihrer Praxis übrigens schon schlimmere Subjette als Herrn Schäfer kennen gelernt, nur hatte sie früher auf deren Unarten aus Gewohnheit gar nicht mehr geachtet, während sie jetzt Klara's wegen den großen Muth hatte, mit ihrem Miether Rücksprache zu nehmen.
Bei Tage war nun Herr Schäfer ein ganz leidliches Judividuum, so daß er die bescheidene Strafpredigt der Frau Ohnesorge gnädig aufnahm. Wenn eine frauke Frau neben ibm wohne, so werde er selbstverständlich ausziehen, natürlich erst am nächsten Ersten.
Auf diese Antwort war die arme Ohnesorge nicht gefaßt gewesen. Kein Gedanke, in solchem Falle das Zimmer vorm ersten Oktober wieder zu vermiethen! Ein Ausfall von viermal dreißig gleich hundertzwanzig Mark- das wäre Wahnsir! Ihr Ruin! So mußte sie schweren Herzens Herrn Schäfer beruhigen und die Krankheit der Frau Klara Kreiser als nicht gar so gefährlich hinstellen. Aber der Schalt Schäfer durchschaute diese Hinterlist und erklärte, aus Ritterlichkeit unbedingt die Wohnung wechseln zu müssen. Nun wurde die arme Klara in Frau Ohnesorge's Darstellung ein Fiich an Gesundheit, und erst dann bekehrte sie ihren Miether zum Bleiben, als sie ihm die Art der Krautheit zart angedeutet hatte. Berthold Schäfer war cand. med. und als solcher natürlich gegen Krankheiten dieser Art von größter Theilnahmlosigkeit. Er hielt der Dyne sorge von seinem Sofa aus einen Vortrag über das, was der Mensch als Krankheit zu bezeichnen das Recht habe, ging namentlich auf die sogenannten Leiden der Frauen ein und redete über diese Kränkeleien schr absprechend. Seine Zu hörerin gab ihm in allem recht und erhielt dann den Auftrag, für Schäfer eine Bratwurst zu rösten; denn durch den Vortrag war feine seit Monaten schlummernde Arbeitslust angeregt und er beschloß, den Tag über daheim zu bleiben und zu studiren. So ergeben sich im Leben bisweilen seltsame Konsequenzen, und wer sich die Mühe macht, in seinem Alltagsleben darauf acht zu geben, wird verwundert beobachten, aus welchen merkwürdigen Ursachen oft die guten oder bösen Handlungen der Menschen entspringen.
Die viele Einsamkeit war gerade in dieser Zeit für Klara nicht gut. Sie träumte mit offenen Augen und baute ganze Geschichten zusammen, wie sie sterben und ihr kleines Ding von Mädchen oder Junge dann ganz allein sein würde.
Dieser kam in einer schrecklichen Nacht. Wie gewöhnlich hatte man seine Ankunft noch nicht erwartet, und die Ohnesorge war aufs höchste erstaunt, als an ihre Thür geklopft und fie aus ihrer Nachtrühe gestört wurde. Sie war dann aber fofort mitten in der Situation und mühte sich um die arme Klara mit mütterlicher Sorgfalt. Draußen ging ein schieres
Gekreisch sofort die Person seiner Wirthin erkannt, hatte sich mittlerweile rasch angezogen, da er dachte, der Bliz habe eingeschlagen oder sonst etwas Fruchtbares sei passirt. Er öffnete also gleich, war aber höchst unangenehm berührt, als ihm die flehende Bitte vorgelegt wurde, schleunigst zum Arzte zu laufen. Da das Gewitter nachgelassen hatte, trat die Wirkung ſeiner sechzehn abendlichen Schoppen wieder stärker in die Erscheinung, und der Kampf zwischen seiner menschlichen hilfsbereitheit und seiner Faulheit wäre für einen unbefangenen Beobachter vielleicht leidlich komisch gewesen. Er hatte viele alberne Entschuldigungsgründe, eine Erkältung, den nassen Paletot und so weiter, schließlich erbot er sich in einem glücklichen Einfall sogar, seine medizinischen Kennt nisse hier selbst nutzbringend verwerthen zu wollen. geängstigte Frau hatte alle Mühe, ihm diesen unzeitgemäßen Blau auszureden, und so trollte er denn endlich die Treppe hinab auf die Doktorsuche.
Die
Das Gewitter war mittlerweile neu zurückgekehrt und entlud sich in gräßlichen Schlägen über die große Stadt. Was Wunder, daß Herr Schäfer und der Arzt erst nach längerer Beit eintrafen, namentlich da der Doktor, des Kandidaten arge Betrunkenheit erkennend, zunächst geglaubt hatte, dieser Mensch erlaube sich einen schlechten Wit!
So tam es, daß der kleine Richard unter Blitz und Donner ohne fremde Hilfe in die Welt marschirte. Seine Mutter lag bleich in den Kissen, die gute Ohnesorge wußte nicht, wo ihr der Kopf stand, und als Herr Kreiser nachts halb drei Uhr nach Hause tam, fand er auf dem Sofa im" Salon" den dicken Kandidaten sißen, der ein kleines Wesen im Arme hielt und in dieser Position seit einer Stunde die tiefsinnigsten Betrachtungen angestellt hatte über Leben und Sterben, Ge borenwerden und Bergehen, über die Medizin und sich im bes sonderen, über seine Faulheit, sein vieles Trinken und die sichere Prognose baldigen moralischen Niederganges. Er war ganz und gar nüchtern geworden und faßte in dieser Stunde Vorsätze, die, wären sie nur zum kleinsten Theile durchgeführt worden, aus ihm eines der nüglichsten Glieder der menschlichen Gesellschaft gemacht hätten. Als er aber nachher im Bette lag, fand er, es sei von dieser Ohnesorge eigentlich doch ein starkes Stück, ihn für fremder Leute Interessen zu wecken und gröblich zu behelligen. Wenn die Sache bei seinen Kom militonen ruchbar wurde, war er unsterblich lächerlich gemacht, und mit diesem unangenehmen Gedanken schlummerte er lang sam ein.
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und
XX.