Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 27.

27]

Dienstag, den 8. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleute.

1898.

dürfe. Jm Ueberlegen war sie jedoch nicht schnell genug, um sich bereits jetzt zu sagen, daß sie mit diesem Tausche höchst zu­frieden sein tönne, und erst nachher, als sie allein war, wurde ihr die Sachlage tlar: daß sie nun wieder frei sei, keinen Ring mehr am Finger trage, und ach, das Leben ist doch wunderschön!

Noman von Wilhelm Meyer Förste   r. Nun auf einmal beginnen sie nachzudenken und alles das zu bereuen, was den Berfall der Jugend beschleunigte. Wie Nachher saß der Justizrath noch lange mit ihr und aber alles im Leben seine zwei Seiten hat, so liegt auch in Abraham bei der Lampe zusammen. Abraham   mußte sich auf dieser fast tragischen Verzweiflung ein komisches Element. Bor die dringende Bitte des greisen" Vaters mit der entlobten allem schon in dieser angstvollen Sorge um das" ch". Wer Anna aussöhnen, und wenn nicht den ganzen Abend hindurch sein Leben recht ausgefüllt hat, der dachte immer mehr an von des Anwalts Krankheit und nahem Tode die Rede ge­seine Kinder und Angehörigen und an alle die, welche seiner wesen wäre, so hätte die Stimmung eine ganz hüsche sein Sorge unterstellt waren, als an sich selbst. Der wird den können. Jedenfalls gab es selten eine friedlichere und würdigere großen Uebergang zum Alter mit Ruhe ertragen und wird Entlobung als diese, und der Anwalt war nachher, als er ihn kaum schmerzlich empfinden. Wer aber wie der allein war, auf die guten Thaten dieses Tages und seine un­Anwalt seine kostbare Person stets in den Vorder- ermeßliche Hochherzigkeit so stolz, daß er die Bitternisse des grund gestellt hat, merkt und bereut das erst jetzt, Alters und der Krankheit nicht mehr schwer empfand. und leise, trübe wird man lächeln dürfen, wenn man Am andern Morgen wachte er nach einer traumlosen die ängstliche Art sieht, wie der betreffende nun rasch alles Nacht merkwürdig wohl und gesund auf, trat an den Spiegel, gut machen möchte.. zog die Vorhänge vom Fenster, trat wieder vor den Spiegel, Der Justizrath fuhr mit Abraham zum Kirchhof und be- rieb sich die Augen und traute taum seinem Blick. Er sah suchte Eva's Grab. Das hatte er in den vielen Monaten nur im Spiegel zwar keinen Jüngling, natürlich nicht, jedenfalls sehr selten gethau, jezt wollte er täglich hinaus kommen. Am aber einen Mann, der sich von dem Justizrath, wie er vor Abend hatte er mit Abraham eine lange Unterredung, in der Wochen und Monaten ausgesehen, eigentlich wenig unterschied. er ihn gleichsam um Verzeihung bat für die nicht immer Gesunde Gesichtsfarbe, helle Augen- hm. Vielleicht war väterliche Art, mit der er ihn behandelt habe. Der Junge das gestern nur ein rasch vorübergehender Anfall gewesen, war tief bewegt, und der Justizrath infolge dessen der die Menschen momentan schrecklich entstellt. Hm! Er doppelt, es gab eine Rührszene, die stark nach Senti- kleidete sich in den hübschen, neuen Anzug, band eine helle mentalität schmeckte. Dann kam Aennchen an die Reihe. Krawatte um und trat wieder vor den Spiegel: ein Gentleman. Schon die feierliche Art, in welcher sie gerufen und von ihrem Er drehte sich rechts, lints, immer ein frisches, erfreuliches Bild. Beschützer empfangen wurde, hatte etwas Bizarres, und als der kranke Anwalt sie nun mit leiser Stimme bat, in dem Sessel da drüben Platz zu nehmen und ihm aufmerksam Gehör zu schenken, da machte das gute Aennchen ein so dummes, ängstliches Gesicht, und der Anwalt eine so über allen irdischen Frrthum erhabene Greisenmiene, daß niemand in diesem felt­samen Paare Brautleute vermuthet hätte.

" Ich reise Ende der Woche nach dem Süden, mein liebes Aennchen", begann der Justizrath, mein Arzt hat mir dort längeren Aufenthalt verordnet und- erschrick nicht es scheint mir mehr als fraglich, ob ich von dieser traurigen Reise zurückkehre."

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Mennchen erschrat allerdings, aber den Sinn dieser Worte verstand sie falsch und dachte dabei allen möglichen Unsinn; der Anwalt wollte sich da ansiedeln, sie sißen lassen, nicht wiederkommen und so weiter.

Abraham wird mich begleiten. Es wird ihm gut thun, einmal einige Monate sich auszuspannen und für seine Ge­sundheit zu leben."

Er kniff mit den Zähnen in die Lippe, öffnete das Fenster, durch das die frische Frühlingsluft einströmte, setzte sich in jugendlicher Bose auf das Fensterbrett und begann die Dumm heiten des gestrigeu Tages au feinem Geiste vorüberziehen zu lassen. Schließlich überwog aber neben einem Merger das an­genehme Bewußtsein der neu erwachten Lebenskraft, und über die Entlobung tröstete er sich sophistisch mit der Ueberzeugung, eine edle That vollbracht zu haben. Ueber kurz oder lang mußte der Sommer des Lebens ja jedenfalls dem Herbst und dem Winter weichen, und da wäre es doch nicht gut und recht gehandelt, die Kleine mit seinem Schicksale zu verknüpfen.

Freilich war es nicht angenehm, Aennchen beim Kaffee­tisch in der reizendsten Laune anzutreffen, und es kostete dem wackern Justizrath eine harte Ueberwindung, den gewohnten Morgengruß heute in einen Händedruck umzuwandeln. Sie sah in dem hellen Morgenkleide so niedlich aus und hatte sich bei dem Gauge zur Markthalle in der Frühlingssonne so rothe Backen geholt, daß der entlobte Justizrath bisweilen über die Zeitung fort nach ihr hinschielte und seine gestrige Ueber­eilung verwünschte.

Er erhob sich und trat zu ihr. Seine Stimme flang umflort, aber doch würdig und fest, als er nun das ent- Aber auch Abraham sah ein wenig frischer aus als sonst, scheidende Wort sagte:" Ich habe unrecht gethan, Anna, Dein und als er nun hereinkam, dem Vater die Hand gab- was junges Leben mit dem meinigen verknüpfen zu wollen. Fast sonst nie vorkam und sich aufrichtig frente, ihn so gesund dreimal bist Du jünger, und ich- Anna, ich bin ein alter zu sehen, da verflog des Anwalts üble Laune und es machte Mann. Ja." ihm Freude, sich mit Abraham das war nun wirklich seit

Sie war ganz wie betäubt. Jm nächsten Moment, Jahren nicht passirt- stundenlang zu unterhalten und nach­dachte sie, wird er die Thür öffnen und sagen: Und her mit ihm spazieren zu fahren. nun adieu, leb wohl und laß Dir's gut gehen." Da faßte Acht Tage später reisten Vater und Sohn nach dem fie eine schreckliche Angst, und sie umklammerte bittend seine Süden. Abraham, der in seiner Klasse einer der besten war, Hände. hatte auch zwei Monate Urlaub erhalten, und er war schon vorher durch die sorgfältig studirten Reisepläne in eine Stimmung gekommen, wie man sie an ihm gar nicht tannte.

Das legte natürlich wiederum der Anwalt falsch aus, und es fehlte garnicht viel, daß er sich noch rasch eines anderen be­sonnen hätte. Aber er hielt sich fest und würdig.

" Du bleibst hier im Hause, Anna, und sorgft für alles während unseres Fernſeins. In meinem Testament wirst Du Dich so reichlich bedacht finden, daß Du keine Sorgen mehr zu fürchten hast. Dann eines Tages wird auch der Rechte tommen, meine liebe, gute Anna, der Dich glücklicher machen wird, als ich alter Mann es gekonnt hätte. Nicht wahr?"

Nenuchen begleitete die beiden zum Bahnhofe, und als der Justizrath, der sich heute wieder schlechter befand, ihr zum Abschied die Hand reichte und aus dem Fenster des langsam hinausrollenden Zuges sie in ihrem eleganten weißen Kattun kleide in der Ferne noch stehen und winken sah, da war ihm wirklich, als ob die Jugend von ihm Abschied genommen habe und er nun hinausfahre in den traurigen Rest seines Lebens. Er richtete sauft ihren Kopf empor, aber mit den in Weniger tragisch dachte Aennchen über den Abschied. Thränen schwimmenden Augen sah sie gar nichts. Der rechte? Es war reizend, daß sie jetzt monatelang allein Herrin im Etwa der Photographengehilfe von damals? Ach, wie traurig Hause sein und jeden Mittag ihre Lieblingsspeisen bestellen durfte. Am Ausgange des Bahnhofs traf sie den Agenten, der sie ein Stück Wegs begleitete und sich erkundigte, ob die vor zehn Monaten erfolgte Hochzeit ihres Bruders ihr gut be kommen sei. Er sah ein wenig schäbig aus, denn die Tante

war das alles!

Erst ganz allmälig begriff sie, was der Justizrath beab­fichtige, daß er es jedenfalls gut mit ihr meine und daß sie nach wie vor eine elegante und wohl beköstigte junge Dame bleiben