Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 28.

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Mittwoch, den 9. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleuke.

Noman von Wilhelm Meyer- Förster .

1898.

immer wieder betrat, hätte sie ihn vielleicht gar nie zu sehen bekommen, und insgeheim bewunderte sie seinen Muth, mit dem er, selbst in den schlimmsten Tagen nach der Nizzaer Reise, der Tante begegnete.

" Ja, Jettchen!" seufzte seine Mutter.

" Ja, Jettchen!" echoete Lina.

" Was denn?!" fragte er und dachte, es sei ein Unglück

Er setzte sich jetzt zu der Mutter in die Küche, gab dem Der seinerseits war nach Empfang der fünfundfünfzig Hausmädchen Geld, um Bier zu holen, und ein rohes Mart in rofiger Stimmung, denn wenn ihm auch nur ein Beefsteat, das in gebratenem Zustande für das Mittagbrot fleiner Prozentsah davon gehörte, so war es doch angenehm, der Tante bestimmt gewesen war. Selbst das Hausmädchen wieder einmal Geld bei sich zu haben. Er trug es lose in der Lina, das mehr an Frau Schweder als an der Tante hing, Hosentasche und klimperte damit, das war eine seiner thörichten war besorgt, daß die letztere den Neffen bei diesem impro Angewohnheiten. Die Tante hatte ihm diverse Male Porte- visirten Frühstück überraschen könnte, und drängte gemein­monnaies zu Weihnachten geschenkt, aber er nahm sie nie in schaftlich mit der geängstigten Frau Schweder zur Eile. So Gebrauch. War er einmal in guten Verhältnissen und mußte er denn mit Geschwindigkeit, und die Sache lief gut ab. er etwa auf der Pferdebahn zehn Pfennig bezahlen, so holte Er erkundigte sich nun nach Jettchen. er mit der linken Hand einen Berg Geld hervor, Gold, Silber, Kupfer und Nickel, wenn möglich auch Kassenscheine, alles bunt durcheinander. Das ärgerte die Umfizenden und erregte in dem Kondukteur Neid, und jedermann hielt den Inhaber dieser Schätze für mindestens wohlhabend. Nachher warf er Aber nein, es war alles gut; wenigstens für Jettchen. das Geld mit Eleganz wieder in die Tasche zurück, und er Sie hatte noch zwei Monate bei der Tante gewohnt, dann hatte darin eine solche Uebung, daß nie ein Stück vorbeifiel. war sie in die heilige Ehe getreten und sollte jetzt in Hamburg Auch wenn er einem Bettler zehn Pfennig schenkte oder bei ein eigenes Schiff haben und damit spaziren fahren. Sie dem Zeitungsmann das Abendblatt kaufte, wiederholte er dieses mußte nach den Aussagen der beiden reicher sein, als Krösus , Experiment, aber in solchen Fällen war das keine hohle und und alle sieben Ladenmädchen waren bei der Hochzeit ges niederträchtige Brablerei, sondern reine Angewohnheit, die wesen, hatten jede ein weißes Kleid, eine goldene Rette und freilich viele Leute unangenehm berührte. ein Armband geschenkt erhalten und weinten alle sieben, wenn der Name Jettchen" je genannt wurde. ein Engel! Sie hatte in der Kirche ausgesehen wie ein verklärtes Wesen, ganz in weißen Spizen und in einem Braut­schleier wie Duft. Ja, Jettchen!

passirt.

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Sie war

Er setzte sich am Leipziger Play in den Omnibus und fuhr zum Trauermagazin. Unterwegs las er die Zeitung und zwar die Kurse. Er besaß dreihunderttausend Mark Aktien der Dis­fonto- Kommandit- Gesellschaft, wenigstens in seiner Einbildung, und nun las er täglich genau die Kurse nach. Fielen Dis- Lina, die schon das vierte Jahr bei Schweder's diente, tonto, so war er vergnügt, denn, sagte er sich, befäße ich erinnerte sich, wie Jettchen aus dem Waisenhause als Lehr­die dreihunderttausend in Wirklichkett, so hätte ich drei ling ins Magazin gekommen war. So dünn, so mager und Prozent gleich neuntausend Mark eingebüßt. Da ich sie aber doch schon so man weiß nicht so etwas Feines war in Wahrheit nicht befize, so trifft dieser Verlust mich immer schon an ihr. In den zwei Monaten ihres Braut­nicht. Auch in Gelsenkirchnern, Prince Henri und anderen standes hatte sie das blaue Zimmer nach vorn bewohnt, Scherzen war er in gleicher Weise engagirt, und wenn und die Tante hatte um sie gesorgt, wie um ein höheres diese Aktien einmal stiegen, war er niedergedrückt und miß- Wesen. Alle Mittag Pudding, nachmittags Ruchen, abends muthig. Warmes dazu Klavierlehrer, französische Lehrer, deutsche Im Trauermagazin wurde der Neffe von Tante Schweder Lehrer dann die Abgesandten der großen Magazine mit eifig empfangen. Es klingt ein wenig hart und unschön, aber Aussteuerproben ferner die Schneiderinnen, Schuhmacher, die merkwürdige Krankheit Influenza" hatte das Magazin der Zahnarzt, dann eine Deputation von drei kleinen für der Tante leichtfertige Reise wieder entschädigt, und da Waisenkindern und einem Fräulein aus dem Waisenhause, die Justitute dieser Art leider mit dem Unglück der Menschen Bouquets brachten und mit Chokolade traktirt wurden rechnen müssen, so war bei Epidemien und Sterbefällen die Schluß der goldene Wagen mit Schimmeln und rothen Lakaien, Tante stets in trübem Zwiespalt zwischen Humanität und der Bräutigam aus Hamburg im Frack, die Tante iu Lila, Geschäftssinn. Aber trotz der Influenza und des blühenden Ver- Frau Schweder in Blau , sechs andere Equipagen, in denen faufs schwarzer Kostüme hatte sie jede Versöhnung mit dem die Ladenfräuleins wie Fürstinnen fuhren die ganze Jäger. Neffen streng abgelehnt, und schon bei der Erwähnung seines straße in Aufruhr es war gewesen wie ein Märchen. Namens kam ihr eine förmliche Angst, wie vor einem ver- Der Agent glaubte fich zu erinnern, daß Jettchen in fteckten Angriff auf ihre Kaffe. Natürlich ließ sich der Agent früheren Jahren ziemlich viel im Magazin geknufft worden war. dadurch nicht abhalten, von Zeit zu Zeit zu erscheinen, und da Man konnte das nicht leugnen. Aber nie sind Knüffe mehr man ihn doch nicht geradezu hinauswerfen konnte, waren das bereut und großmüthiger verziehen worden. jedesmal Marterstunden für die ganze Familie. Er kam jetzt in den Laden, grüßte die Tante, die eben beschäftigt war, Tuchproben zu betrachten, und bat dann die Kassirerin, ihm fünfzig Mark Gold in Silber zu wechseln. Unwillkürlich mußte die Tante aufhorchen, aber er that, als achte er nicht darauf, und begab sich in die Wohnräume hinter dem Magazin.

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zum

Ferner wunderte er sich, daß aus diesem Kobold und Racker ein so ausnehmend ätherisches Wesen geworden sei.

Darüber wunderten sich auch Lina und Frau Schweder. Aber es war Thatsache. Sie hatte am Altar geweint, und als im Kaiserhofe die Basteten und die spanische Suppe auf­getragen wurden und sämmtliche Angehörige und Zugehörige des Trauermagazins vor diesen wundervollen Dingen in Ehr furcht erstarben, selbst da hatte Jettchen in abgewandter An­dacht gesessen.

Frau Schweder ging in ihr Stübchen neben der Küche und holte aus dem Heiligenschrein ihrer Erinnerungen ein in Seidenpapier gehülltes Menu, das jeder Theilnehmer dieses Hochzeitsmahles zu ewigem Andenken mitnehmen durfte. Der Agent las es aufmerksam und bedauerte jetzt doppelt, daß er damals ohne Frack und Baarmittel der Hochzeit hatte fern. bleiben müssen.

Seine gute Mutter empfing ihn mit nur getheilter Freude. Sie wollte ihm eine Mark und fünfzig Pfennige schenken und damit seinen baldigen Abzug bewirken, aber der Agent lehnte das mit großer Geste ab. Als sie das Geld in seiner Tasche klimpern hörte, wurde sie über ihren wackeren Jungen ge­rührt, denn das war bei diesem Verhältniß zwischen Mutter und Sohn das Seltsame, daß sie ihren Jungen nur dann gern haben durfte, wenn er über Mittel verfügte. Sie hatte gewiß alle Ursache, ihren Jüngsten, Christian, der nun wohl bestellter Pfarrer an Sankt Marien war, hundertmal mehr zu lieben, als dieses leichtfertige Geschöpf von Albert, und trotz- Zum Schluß hatte Jettchen versprochen, alle zusammen dem hing ihr Herz gerade an dem. In einsamen Stunden nach Hamburg einladen zu wollen, aber dazu war es bisher vor dem Kochherde malte sie sich in schwarzen Bildern Albert's noch nicht gekommen. Und wie Frau Schweder mit philo­Berlaffenheit und Nothlage aus. Wenn er bisweilen tam und sophischer Weisheit hinzufügte, würde es auch wohl nie dazu ihr Guten Tag" sagte, mußte das möglichst heimlich geschehen kommen; denn nun sei Jettchen eine große Dame geworden und recht recht eilig. Ohne des Agenten große Unverfroren- und werde mehr zu thun haben, als immerfort an ein Trauer heit, mit der er das ihm streng verbotene Haus der Tante magazin zu denken.