Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 33.

33]

Mittwoch, den 16. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleuke.

Roman von Wilhelm Meyer- Förster  . Und wie dankbar war Frau Klara dem kleinen Rinde, das dieses Wunderwerk der neu bei Richard erwachenden Liebe bewirkt hatte! Sie konnte sich nicht aufrichten und das schlummernde Rindchen sehen, aber alle zwei Stunden erschien die wackere Ohnesorge und erfüllte die zahlreichen Bedürfnisse des kleinen Geschöpfes. Der Arzt war noch zweimal gekommen und war mit Klara zufrieden. Nur Ruhe, dann wird sie alles gut überstehen.

Dann kommen auch die rothen Backen wieder, junge

Frau!"

Sie hatte einen kleinen Spiegel neben sich liegen, in den sie schaute. Wie würde sich Richard freuen, wenn sie wieder gesund und ein wenig frisch werden könnte! Vielleicht fah sie gar jetzt schon ein klein wenig beffer aus und vielleicht trug das schon bei zu seiner neu erwachenden Liebe. Sie rieb sich mit der schwachen Hand die Backen, ob diese dadurch nicht etwas Farbe bekommen würden, aber einstweilen thaten die Backen ihr noch nicht diesen Gefallen.

Auf dem Tische in der Ecke, wo ein fleines Nachtlicht brannte, hatte Frau Ohnesorge Brot, Fleisch und Bier für Richard aufgestellt. Er wird sich freuen, wenn alles in Ordnung für ihn bereit ist."

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1898.

schaute nach ihm hin. Sie begann ihm allerlei Lieder vor­zusingen, aber der Kleine wimmerte fort.

Drei

Zuerst die hübschen alten Kinderlieder, die jedesmal uns felbft viele Jahre weit zurückführen in unsere eigene Kinder stube. Dann, unbewußt, im Fieber, traurige Lieber: Lilien, die pflanzt ich auf ein Grab". Das klang so weich und wehmüthig, daß der Kleine ruhig wurde und einschlief. Aber sie blieb aufrecht fizen und fummte das Lied weiter. war das nicht Eva's Grab, das mit den drei Lilien?

Wieder schlug die Uhr eine weitere Stunde. Der Schlaf hatte sich über ihre müden Augen gelegt, aber die harten, schrillen Töne rissen sie wieder auf.

Richard?"

Nein, er war noch nicht da. Die Angst schnürte ihr faft die Kehle zu. Es muß ein Unglück paffirt sein. Er war heute so liebevoll fortgegangen, hatte gesagt, ganz bestimmt und ohne jede Frage werde er bald nach zwölf Uhr zu Hause sein- sie war außer sich. Das Fieber schüttelte ihren schwachen Körper, und jedesmal, wenn einer der vielen im Hause woh­nenden Studenten die Treppe herauffam und höher stieg, weinte sie krampfhaft auf.

Dann endlich kamen wieder Schritte, die Thür des Korri­dors wurde geöffnet, und zwei traten ein. Zwei?! Dann eine fremde Männerftimme, in wahnsinniger Angst warf sie sich auf und lehnte sich weit vorwärts über das Bettchen des Kindes, schützend. Nun wurde die Thür geöffnet.

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Richard?!"

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Mein Gott, was ist?" Richard!"

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Die Stunden der Nacht gingen nur langfam vorüber, ein leifes Fieber begann in Klara aufzusteigen, und die Ein- Er trat rasch zu ihr, und sie umschlang ihn wimmernd, famkeit zauberte alle alten Erinnerungen herauf. Sie wehrte schluchzend, wie jemand, den man verliert und noch einmal fich tapfer dagegen, aber die hielten stand. Um halb zwölf festhalten will. Uhr pünktlich fam Herr Schäfer nach Hause und fuchtelte Er versuchte sie zu beruhigen, und sie sagte gehorsam, ja, einige Minuten an der Thür herum, bis er das Schlüsselloch fie wolle nun ruhig sein. Sie lehnte sich wieder in die Kissen fand. Dann fie schrat zusammen stürzte eine Wasser- und zitterte vor Frost und sagte mit trampshaftem Lächeln, flasche oder dergleichen in des Kandidaten Zimmer zu Boden, das ein noch krampfhafteres Weinen ablöste, ja sie wolle mun und er fing an auf die Dunkelheit zu schimpfen und die ganz ruhig fein.

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Streichhölzer in die Hölle zu verwünschen. Er befann sich Er war tief bewegt. Der Millionentraum versant, und er dann aber doch wohl troy aller Trunkenheit auf seine trante sab schaudernd in das arme Gesicht, das ruhig fein wollte Nachbarin und wurde ruhig. ans so großer Liebe und Gehorsam und es doch im Fieber nicht sein konnte.

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Die Uhr schlug Mitternacht, un gleich wird Richard tommen. Das Fieber und die Erwartung rötheten Klara's Wangen  , und hätte sie jetzt in den Spiegel gesehen, würde sie vielleicht ihre Freude daran gehabt haben.

Sie fummte leise ein altes Lied:

Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün und wunderschöne Bilder stiegen empor. Die alte gefunde Klara, die neben Richard über Wiesen geht und einen Kinder­wagen vor sich her schiebt. Sie füssen einander, die Vögel singen, das Kleine träht vor Freude, und sie pflückt ihm viele Blumen in seinen Wagen.

Der Agent, der nebenan im Dunkeln saß, fand in seinem angeregten Zustande das lange Nichtwiederkommen des andern mindestens rücksichtslos und er räusperte sich immer lauter.

Aber Richard hörte es nicht. Er saß an Klara's Bett, hielt ihre kalten Hände zwischen den seinen und sagte alles Liebe und Freundliche, was er nur finden fonnte. Ganz langfam wurde sie ruhiger und lachte zwischen Thränen. Nun tam auch sein Freudentaumel zurück, und er berichtete ihr die große Neuigkeit: daß vielleicht alle Noth aus sei und sie reich werden würden und Klara wie eine Fürstin leben solle. Sie nickte, Rm war es ein Uhr geworden. Richard hat noch zu aber sie verstand nichts davon und hörte nur halb darauf. thun, der arme Mann! Ach, er ist auch nicht mehr der alte Sie sah nur immer in sein strahlendes Gesicht, das wieder so frische Richard. Er muß sich quälen von früh bis in die Nacht, und frisch und hübsch aussah wie einst, und als dieses Gesicht sich trotzdem hat er Mühe, um alles für Miethe und Haushalt herbeizus zu ihr neigte und ihr Küsse gab- Küsse, ach, die vielleicht schaffen. Hätte er nicht geheirathet, wäre er ohne Sorgen. Wird mehr Glück als Liebe aussprachen da ging ein Rausch von das Kind diese Sorgen nicht noch verdoppelu? Ju vierzehn Seligkeit über sie hin. Tagen ist wieder die Miethe fällig. Der Doktor wird eine Es wäre gut gewesen, wenn der Agent ruhig in seiner Rechnung schicken. Der Bäcker ist auch noch nicht bezahlt. eigenen Wohnung übernachtet hätte, denn er störte diese schöne Richard flagt immer über die schlechten Trinkgelder Stunde durch sein energisches und erbittertes Klopfen in wirklich, es ist feltsam, so von Trinkgeldern zu leben. Von häßlicher Weise. Klara schrat zusammen und ihr Mann theilte Trinkgeldern muß für das kleine Kind nun ein Röckchen und ein ihr kurz mit, wer da sei mud weshalb der Agent da sei. Dem Wagen gekauft werden. Im Thiergarten werden Babies letzteren konnte man freilich seine Ungeduld nicht verdenken, Spazieren gefahren, die ganz in Weiß gekleidet find, in lauter denn in einem wildfremden Hause nachts um drei Uhr in stock­Epitzen. Die haben es gut. Es muß herrlich sein, so sein finsterem Zimmer sitzen, während sich niemand um einen kümmert, Rindchen herausstaffiren zu können, die Decke im Wagen ist kein Spaß.

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ganz von Atlas und mit Seidenbändern durchzogen, von Er bekam eine Reisedecke und ein Kopfkissen und vers rosa Atlas! Klara's Kind wird es so gut nicht haben. wünschte auf dem harten und viel zu kurzen Sofa sein Kommen Die Trinkgelder reichen nicht. Ja diese Trinkgelder, diese hundertural. Nachher war kein Wasser da zum Trinken, und Trinkgelder ach, weg damit! da er doch die schlafenden Leute nicht stören fonnte, verbrachte er eine durstige und schenßliche Nacht.

Aber die sind zähe, fie tanzen vor ihr umher. Lanter Fünfzigpfennigftücke. Ein Russe hatte einmal einen Thaler ge­geben! Wenn doch die reichen Leute alle so gut wären!

Zwei Uhr. Es wird ihm doch kein Unglück passivt sein?! Go spät fam er ja fast nie! Und um gar heute. Das Kind wurde unruhig, sie richtete sich mit unsäglicher Mühe auf und

Richard schlief bald ein, und nur Klara lag wach. Mit fieberglänzenden Augen sah sie wieder wie vorhin die Wiese, über die sie neben Richard wanderte, während für das süße Kleine Blumen zum Kranze gewunden wurden:

" Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün."