Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 34.

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Donnerstag, den 17. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleuke.

1898.

Ueber seine arme Mama ging ein Frösteln. Sie hatte die Empfindung, daß im nächsten Moment etwas Schauder­haftes eintreten müsse, und ein namenloses Staunen überfiel sie, als die Tante ruhig blieb und leidlich gelassen sagte: " Habe die Freundlichkeit und besorge ihm Teller und Besteck."

Roman von Wilhelm Meyer- Förster  . Der Schluß- und Knalleffekt dieser wundervollen Stunde Die Tante war ein Fuchs und feiner Schachspieler. Daß wurde dargestellt durch Herrn Seegert's Taschentintenfaß und diese riesige und quasi selbstvernichtende Frechheit ihres Neffen Federhalter, sowie durch zwei längliche. Streifen Papier  , auf in irgend einem Glücksfall ihren Grund haben müsse, war ihr die Herr Kreiser nur die Ziffer 10 000 und seinen Namen sofort klar; dafür sprachen ja auch der vornehme Anzug und zweimal zu schreiben nöthig hatte. Je einen dieser beiden des Agenten unerträglich vergnügte Miene. unscheinbaren Streifen überreichte er Richard und dem Zunächst war von allerlei Gleichgiltigem die Rede, und Agenten, dem letzteren als Verlobungsgeschent des künftigen Schwiegerpapas. Man sah noch Herrn Seegert heimlich in die Tasche greifen und einen kleinen Beutel Herrn Kreiser zu­stecken, dann wurde Abschied genommen, und mit Herrn Seegert fuhren die beiden zur Stadt zurück.

Es war ein prächtiger Sommermorgen, die Pferdchen trabten wirklich übermüthig, der Agent klimperte mit seinen legten paar Silberstücken und hatte Lust, wie ein dummer Junge sie aus dem Wagen zu werfen, irgendwohin.

Der Tag, der an diese Morgenstunde sich schloß, ist schwer zu beschreiben, denn er brachte fast zu viel Ueberraschung, Staunen, Neid und Glück.

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Zuerst einmal hielt der Wagen vor dem großen Hause in der Mauerstraße, und der Portier lief die Treppe herab und öffnete die Wagenthür. Herr Seegert trat mit seinen beiden Begleitern ein, erbat sich von ihnen die Checks und ließ die felben an der Hauptkasse mit so gleichgiltiger Miene in Tausendmarkscheine, Hundertmarkscheine und Gold umwandeln, als ob es sich um lauter Butterbrote handele. Mit leise zitternder Hand nahm Richard seinen Theil, der Agent hingegen nein, nennen wir ihr nicht mehr Agent", sondern mit seinem guten Namen Albert Schweder hatte sich in die neue Rolle schon so gefunden, daß er ruhig Zeigefinger und Daumen etwas naß machte und die Banknotenpackete sorgfältig durch­zählte. Er Lab sich dabei dem Wahne hin, den Deutsche Bant- Leuten zu imponiren, aber die schienen sich um ihn und Richard keinen Deut zu kümmern, und einer derselben - es war elf Uhr vormittags nahm sogar in größter Gleichgiltigkeit ein Stück Wurst hervor und begann dasselbe zu verzehren.

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Vor der Thür trennten sich die beiden fünftigen Schwäger, und Albert nahm jezt zunächst einmal Gelegenheit, seinen äußeren Menschen zu mustern. Er trug immer noch den Bastorenanzug, weiße Halsbinde und Zylinderhut, und mußte darin bei hellem Tageslicht lächerlich aussehen. Namentlich da er in diesem Anzuge geschlafen und den würdigen Rock sehr zerdrückt hatte.

Mit zehntausend Mark in der Tasche ändert man indessen feine Erscheinung schnell und vortheilhaft, und gegen zwölf Uhr mittags hatte Albert ungefähr das Aussehen eines Lords. Er trug einen ganz klein farrirten Londoner   Anzug, ein graues, feines Hütchen, Stiefel mit Leinengamaschen und über dem Arm einen seidengefütterten Baletot à la Jockey. Um halb eins war er rasirt, frifirt und parfümirt, sandte Menuchen cine Depesche, daß er nachmittags zu ihr komme und in Seligkeit schwimme, und begab sich dann zum Trauers magazin. Nicht für hundert Mark hätte er einen Besuch der Taute an diesem Tage unterlassen.

Es war Mittagszeit, und die alte Dame war eben be­schäftigt, mit ihrer Schwägerin über die Zähigkeit des Roast­beefs zu streiten, als Albert eintrat.­

Wünsche wohl zu speisen," sagte er, und legte Hut und Baletot zur Seite, bon appetit, wie der Franzose sagt."

Die Tante maß ihn von oben bis unten wie ein Subjekt, dessen Treistigkeit anfängt, Menschen aus der Ruhe zu bringen. Dabei wurde ihr Blick immer erstaunter, und der englische  Anzug irritirte sie dermaßen, daß sie Messer und Gabel aus der Hand legte. Endlich fragte sie und verschluckte sich fast bei den drei Worten: Wünschest Du etwas?"

Wer, liebe Tante," sagte der gute Neffe und zog sich die hellgelben Handschuhe von den Fingern, wer in aller Welt darf von sich sagen, daß er wunschlos sei? Wenn ich einen Löffel Suppe miteffen darf, wären meine Wünsche allerdings erfüllt. Ich habe großen Sunger."

Er zog einen Stuhl heran und nahm Play.

nur farge Worte wurden gewechselt. Schließlich begann der Neffe scharf vorzugehen: Welches Glück manche Leute haben, ist erstaunlich. Du wirst Dich, liebe Tante, an den Photo­graphen Kreiser erinnern, der oben das Atelier hatte",- diese Frage allein war bereits ein scharfer und treffsicherer Stich was wirst Du dazu sagen, daß dieser Mann eine Erbschaft gemacht hat?"

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Die Tante schluckte einigemal und sagte dann, das sei ihr gleichgiltig. Die größten Hallunken kämen am besten durch die Welt, das sei die Thatsache. Im übrigen brächte ein Mensch wie Kreiser jede Erbschaft in vier Wochen durch, das sei ihr Trost.

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Das kommt darauf an," versezte der Neffe, wie groß die Erbschaft ist; zum Beispiel giebt es Summen, die man, wenigstens mit gewöhnlichen Mitteln, nicht schnell klein kriegen tann. Du wirst das zugeben."

" Ich gebe garnichts zu," fagte die Tante, und wenn ich bitten darf, so erinnere mich nicht an einen Menschen, der mich Jahre meines Lebens gekostet hat. Zwei Dinge giebt es, über die ich nie mehr zu sprechen wünsche, das ist erstens dieser Gauner von Kreiser und zweitens die Nizzaer Reise."

Albert jetzt sein Roastbeef, nahm sich mit dem Haupt­angriff Zeit und lentte als kleinen Abstecher das Gespräch auf Jettchen.

Just das war nun der Tante wunder Punkt neuesten Datums. Es hatte eine Zeit gegeben, wo sie Jettchen geknufft hatte, dann aber auch eine Zeit, wo sie die Liebe und Güte selbst gegen dieses Mädchen gewesen war. Zwei Monate hatte sie ihr das blaue Zimmer eingeräumt und war gleichsam als Braut mutter bei der Hochzeit des Waisenmädchens anwesend ge­wesen. Welche Untosten ihr aus alledem erwachsen waren, läßt sich taum recht berechnen. Nun war heute ein Brief im Trauermagazin eingetroffen, goldgerändert und von nie ge­sehenem Papier, in welchem Jettchen die sieben Ladenfräulein einlud, Mittwoch abends im Kaiserhof ihre Gäste zu sein. Sie sei auf der Durchreise nach Wien   und wolle mit ihrem guten Manne und den sieben einen recht lustigen Abend vers leben. Von der Tante war in dem Schriftstück mit keinem Worte die Rede!

Daß Undank der Welt Lohn ist," sagte sie zu ihrem Neffen, braucht Madam Jettchen mir freilich nicht erst zu beweisen, jedenfalls bitte ich Dich aber, auch über diese Person in meiner Gegenwart kein Wort mehr zu verlieren."

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" Es ist schwer," erwiderte er, liebe Tante, ein Thema zu finden, das Dir gefällt. Christian hat, wie ich zu meinent Leidwesen höre, gleichfalls Deiu Mißfallen erregt, und ich kann es unter solchen Umständen kaum wagen, Dir von meiner Verlobung Mittheilung zu machen."

Verlobung?" Die Tante fuhr erstaunt herum. " Verlobung?" Albert's Mama faßte seine beiden Hände und war tief erregt.

" Leider mit einem jungen Mädchen, das der Tante nicht zusagt, nämlich mit Herrn Kreiser's Tochter Anna."

Beide Frauen waren außer sich, selbst der Tante kunsts volle Ruhe war im Nu in das Gegentheil verwandelt. Zu­nächst setzte er jetzt auseinander, daß seiner Braut Verlobung mit dem Justizrath aufgehoben sei, das steigerte natürlich die Traurigkeit der Mama und den Abschen der Tante. Zweitens betonte er, daß er Anna von Herzen liebe, was die Tante für unmöglich erklärte, wenn aber möglich, so jedenfalls für schimpflich. Sie richtete sich groß und feierlich auf: Ich er­fläre Dir hiermit," sagte sie, daß dieser Schritt, falls Du ihn durchführst, ein für allemal und in diesem Falle wirklich und endgiltig Dich und mich trennt."