Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 53.
Mittwoch, den 16. März.
( Nachdruck verboten.)
121 Am häuslichen Herd.
Noman von Jwan Franko. dod
Zwar konnte sie so geschrieben haben, blos um ihn zu schonen, um ihm die Unruhe zu ersparen. Aber diese bis zur Manie, bis zu hysterischen Anfällen ausartende Angst um die Kinder konnte doch nicht seit heute oder gestern ihren Ursprung haben, fie mußte schon seit geraumer Zeit entstanden und sich stufenweise gesteigert haben. Und da war es kaum glaublich, daß all das in ihren Briefen so gar keinen Widerhall gefunden hatte. Souderbar und räthselhaft schien ihm auch die Eindringlichkeit, mit der sie ihn zur Quittirung des Militärdienstes zu bewegen trachtete, und ihr Plan, auf dem Lande zu wohnen und die Kinder zu Verwandten nach Wadowice zu geben, schien ihm vollends mit ihrer übertriebenen Sorgfalt um die Kinder in Widerspruch zu stehen.
1898.
sie log, Komödie spielte, und zwar mit unvergleichs licher Meisterschaft spielte. Der bloße Gedanke daran erfüllte ihn mit Entrüstung, und er stieß ihn auch von sich mit der ganzen Gewalt seiner Liebe. Was könnte das auch für eine Geschichte sein, daß die bloße Erwähnung Angela so großen Schrecken einzujagen vermöchte? Sein Geist weigerte sich, hinabzutauchen in den Abgrund monströser Kombinationen, wo auch nicht die geringste Hoffnung vorhanden war, eines konkreten Faktums habhaft zu werden. Nein, nein, nein! Angela mußte krank sein, und dies um so bedenklicher, als ihr Zustand, und die Ursachen desselben vollständig in Dunkel gehüllt waren.
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Man wird so schnell als möglich ärztlichen Stath einholen müssen, vorläufig jedoch muß alles angewendet werden, um ihren Geist in Ruhe zu erhalten, unnöthige Aufregung zu vermeiden, ihr Zerstreuung und angenehme Eindrücke zu verschaffen. Vor allem also mußte er ihren Wunsch erfüllen und das Gesuch um Dienstentlassung an das Generalkommando All das zusammen genommen beunruhigte den Haupt- schreiben. Sie hatte ihn ja beinahe aus dem Zimmer ge mann in hohem Grade. Wie dem auch war die heftigen drängt, daß er das Gesuch schreibe. Natürlich war das Nervenanfälle Angela's waren unbestrittenes Faktum, und stürmische Verlangen, daß er den Dienst quittire, nur eine schon der Plan, aufs Land zu ziehen und die Kinder fremden Wirkung ihrer Krankheit, die Erscheinungsform einer krankhaften Händen anzuvertrauen, zeugte von einer Abirrung ihrer Ge- Manie, und er, der Hauptmann, müsse die Sache nicht so eilig danken und Gefühle von einer Krankheit, die sie aus ihrem erledigen. - seelischen Gleichgewicht brachte. Aber das Gesuch konnte er doch gleich aufschreiben. Als der Hauptmann im Schlafzimmer am Schreibtisch Im Nothfalle kann man ihr sagen, daß es bereits eins Platz genommen hatte, begann er ruhig und angestrengt nach gereicht worden, übrigens, wer kann es wissen, ob nicht zudenken, trachtete, sich von allem, was er gehört und gesehen morgen schon bei ihrem frankhaften Zustande ein anderer, Rechenschaft abzulegen und einen verständigen Plan seines gerade entgegengesetzter Wunsch in ihr rege wird. Nach weiteren Vorgehens zu entwerfen. Angela ist unzweifelhaft diesen Reflexionen nahm der Hauptmann Tinte, Feder und frant, obwohl ihr Organismus gesund zu sein scheint. Was Papier und setzte nach allen vorgeschriebenen Regeln das Ge mag das für eine Krankheit sein? Die Erscheinungen, deren such auf. Mit diesem Dokument begab er sich nun zu ihr, er foeben Beuge gewesen, wiesen darauf hin, daß die Krank - um ihr zu beweisen, daß er ihren Wunsch erfüllt habe. heit seit längerer Zeit bestehe. Eine länger andauernde Krank - Im Salon fand er Julie, die bei seinem Anblick er heit, und wäre es auch nur eine hochgradige Nervosität, hätte schrocken zurückwich und sich wie ein gefangener Hase benahm. auf Angela's Organismus einen mehr oder minder nachtheiligen Der Hauptmann war, ohne sie näher zu betrachten, dem Zu Einfluß üben müssen, hätte Appetit, Schlaf, Verdauungs- fall dafür dankbar, daß Angela Gesellschaft hatte, und beschloß vermögen beeinflußt. Bon all dem war nichts zu sehen. Julie nicht so bald fortzulassen.
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" Ah! Tante Julchen!" rief er freudig, trat näher und füßte die dargereichte Hand. Wie befinden Sie sich? Warum hatten Sie nicht die Güte, uns gestern Abend zu besuchen? Da, Angela, hier das Dokument, von dem wir vorher sprachen. Blicke es durch, ob es Dir gefällt!"
Er händigte Angela das Gesuch ein und wandte sich wieder zu Julie.
Nun, warum figen Sie nicht?"
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" Ich muß gehen, ich bin nur für einen Augenblick hier eingetreten."
,, Ta, ta, ta, ta! Ich muß gehen! Denken Sie gar nicht daran. Bitte gleich Hut und Mantel abzulegen!" " Herr Hauptmann," sprach Julie flehend. Dringen Sie nicht darauf, mein Ehrenwort..."
Es handelte sich hier also entweder um eine rein psychische Krankheit, die ihren Sitz in einem der kleineren Nervenzentren hatte und auf die gewöhnlichen organischen Funk tionen nicht reagirte oder aber... Der Hauptmann dachte an Angela's Briefe, die, besonders in den letzten Jahren mit der größten Ruhe, klar und verständig in kühlem, beinahe kaufmännischem oder Reporterton geschrieben waren. Dieser kühle Ton nahm nur dann Lebhaftigkeit, Farbe und Wärme an, wenn von den Kindern oder von ihm die Rede war. Nein, eine geistig oder psychisch franke Person wäre nicht im stande gewesen, solche Briefe zu schreiben und dazu so oft und so regelmäßig. Sie hätte vielleicht durch einige Zeit ihre Krankheit verbergen können, aber ihr krankhafter Geisteszustand hätte sich doch früher oder später durch ein Wort, oder einen unlogischen Gedankensprung im Laufe einer Erzählung" Ich scheere mich nicht darum!" rief der Hauptmann oder eines Eazes verrathen. Der Hauptmann strengte sein und nahm ihr fast mit Gewalt den Mantel ab. Ich will Gedächtniß an, doch konnte er nichts finden, was in den solche Worte garnicht hören. Junge, schöne Damen haben Briefen seiner Frau etwas derartiges verrathen würde und feine Stimme und müssen- falls sie teinen eigenen er hatte sie mit großem Interesse, mit großer Aufmerksamkeit Mann haben, dem fremden Manne gehorchen. Ich verhafte Ich verhafte und zu wiederholten Malen gelesen. Er liebte Angela mit Sie." ganzer Seele, mit jugendlicher Gluth, besonders jetzt, nach jeiner Rückkehr von Bosnien fühlte er, daß die Gewißheit ihrer Krankheit ein schrecklicher Schlag für ihn wäre, und Sennoch prüfte er alles gewissenhaft und würde sich auch die Was heißt das? Empörung?" schrie der Hauptmann. fleinste Beobachtung, die von ihrer Krankheit zeugen würde, Wagen Sie es ja nicht, die Subordination zu verlegen! Wird nicht verhehlen. Aber er hatte solche Beobachtungen nicht auf der Tagesbefehl verkündet, so muß gehorcht werden. Sie bleiben, zuweisen außer der räthselhaften Anfälle während seiner mit der zugetheilten Pflicht, an der Konversation theil zu nehmen. Erzählung über Baron v. Reuchlingen. Der Baron! Ein ängstlich- Wir speisen zusammen, trinken dann schwarzen Kaffee, ruhen ein schmerzlicher Gedanke flackerte in seinem Kopfe auf. Sollte doch wenig, erzählen einander lustige und unterhaltende Geschichten, zwischen seiner Erzählung und den Nervenanfällen irgend ein und dann erst werde ich auf die breiten Fluthen des Militär Zusammenhang bestehen? Nein, nein, das ist unmöglich! lebens der Residenz hinaussegeln, während Sie in ihren stillen Angela hatte ihm so aufrichtig, so ruhig, so ohne jede Ver- Wittwenhafen einkehren. Halt! Da hilft kein Widerstand, legenheit, mit so kindlicher Unschuld die Versicherung gegeben, kein Protest! So lautet der Befehl, so muß es sein!" daß sie von keiner Geschichte etwas weiß daß eine entgegen- Julie hörte mit ungefünfteltem Schrecken die Rede des gesetzte Annahme geradezu eine Profanation, ein Verbrechen Hauptmanns. Seine Gesellschaft war ihr schrecklich unangenehm. an seiner Liebe, an seinem Familienglück wäre. Nein, In ihrer ganzen gedrückten Gestalt malte sich der sehnlichste nein! Die Geschichte Reuchlingen's hat mit Angela's Krankheit Wunsch, aus diesem Hause so bald als möglich zu entkommen, nichts zu schaffen! Sonst müßte er ja annehmen, daß der energischen, gewaltigen Stimme und den prüfenden Blicken
Nun, wenn es anders nicht sein kann," sagte Julie resignirt den Hut ablegend was soll ich Arme thun? So bleibe ich denn, jedoch nicht länger als zehn Minuten.
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