Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 68. Mittwoch, den 6. April. 1398. (Nachdrui! verbstetr) 27] Am häuslichen Herd. Roman von Iwan Franko . »Vor vier Jahren habe ich niein ganzes Vermögen ver- loren/ fuhr er fort. »Vor vier Jahren?!* rief der Hauptmann, der seine Aus- reguug nicht benieistern konnte und sich unruhig im Sessel be< rvegte. „Ja, mein Söhnchen, vor vier Jahren/ bestätigte Kurter. ohne seine Aufregung zu begreifen.....Das ist eine lange Geschichte. Sie haben mich hintergangen, betrogen, haben mich um den letzten Bissen Brot gebracht... Ich mußte Kirchen- diener werden, das ist ein hartes Loos. aber was blieb mir anders übrig. Da dachte ich an Angela und an Dich. Ich erfuhr, daß Du in Bosnien feiest. Ich schrieb an Angela, erklärte ihr meine Lage und bat um Hilfe. Sie antwortete mir nicht. Ich schrieb noch- malS und erhielt wieder keine Antwort Dann wurde ich krank, verlor nieinen Dienst, wer würde auch einen alten ge- brechlichen Greis halten wollen! Ich mußte betteln. Da dachte ich.. es ist doch meine Nichte, ich habe sie groß gezogen. ausgestattet... sie wird mich doch nicht vor die Thür stoßen... Ich legte den Weg von Krakau zu Fuß. bettelnd, unter Hunger und Kälte zurück. Ach. mein Söhnchen! ich weiß ja. daß Gott mich für meine Sünden straft, aber wie bitter ist diese Strafe/ Ter Hanplmanu war wie auf die Folter gespannt t jedes Wort durchbohrte wie ein Nagel seinen Körper, jedes Ansstähnen des Alten verrenkte wie eine Schraube seine Gelenke, jeder Husten- anfall sengte ihn wie eine brennende Fackel. Er wendete sich von Kurter weg, um ihm seine Qual nicht zu verrathe». Der Alte hustete und fuhr fort. .Sie antwortete nicht, sie vergaß mich, und wollte sich meiner nicht erinnern. Vielleicht geschah mir Recht damit, habe ich doch auch Euch vergessen.., Aber das hätte sie mir nicht thun sollen.. Er wischte die schweren Thränen weg, die sich in de» Falten des Gesichts verloren.„Aber Du, Du wirst niich doch nicht von Dir stoßen! Du wirst mir Zuflucht bei Dir ge- währen für die letzten Tage meines Lebens, nicht wahr?" fragte er mit zitternder Stimme den Hauptmann. „Aber Väterchen/ rief dieser, seine beiden Hände er- greifend,„wie konntet Ihr einen Augenblick daran zweifeln?" Erholt Euch nur soweit, daß Ihr Euch von hier fortbegeben könnt." ,O ja. ich muß mich erholen, sagte Kurter schnell; ich fühle, daß Gott Dich gesandt hat. Deine Anwesenheit schon giebt nur Kraft und Gesundheit." Tann bewegte er den Kopf melancholisch und sprach: .Aber ich habe Angst vor ihr. vor Angela! Hüte sie mein Sohn! Sie war ei» gntes, verständiges, energisches Wlädchen. aber ich Unglückseliger habe ihre Seele vcrgislet. Ich habe ihr den Stolz beigebracht, die Verachtung der Arnien, Niedrigen und Gebeugten, die Angst vor der Armuth habe ich ihr eingeimpft, und u»n fürchte ich, daß dieses Unkraut die edleren Triebe in ihrer Seele erstickt hat. Sie antwortete nicht auf mein Schreiben, in dem ich ihr meine Armuth, meine Roth schilderte, sie tröstete mich nicht, reichte mir keine hilf- reiche Hand. Das ist ein schlimmes, ein sehr schlimmes Zeichen. mein Sohn! M>l derselben Waffe, die ich ihr i» die Hand gedrückt. schlug sie mich. Hüte sie. denn die Waffe ist ge- sährlich!" Blaß und zu EiS erstarrt blickte der Hauptmann wie ein Lebloser mit oerglasten Augen auf Kurter, dann stand er auf und begann, sich eiligst zu verabschieden. Er fühlte es, daß ein längeres Verbleiben an diesem Orte, ein längeres Anhören Kurter's, ihn in Wuth bringen, ihn wahnsinnig machen könnte. Von einer Angst getrieben, wie sie nianche Menschen vor einem Schlaganfall empfinden» trachtete er von hier fort und in die frische Luft zu kommen. .Du willst schon fort, mein Sohn?' fragte traurig der Greis.„Nun, geh', geh', ich weiß, Du bist beschäftigt. Du hast Pflichten. Aber besuch' mich wieder, wenn Tu Zeit hast. Und nachher, wenn ich gesund werde, bitte ich Dich bei allen-, was Dir heilig ist, mein Sohn, nimm mich zu Dir! Gönne mir einen Winkel in Deinem Hause und einen Bisten Brot! Lange werde ich Dich nicht stören! Laß mich nur nicht im Straßengraben zu gründe gehen!" XI. Also auch das Lüge! Alles Lüge! Der Gedanke bohrte sich in des Hauptmanns Hirn. Mit einem ganzen Lügen- netz hat sie mich umgeben. Wie kunstvoll hat sie ihre Rolle gespielt! Wie rein, wie heilig, wie unschuldig erschien sie mir! Meinen Kopf hätte ich dafür verbürgt, daß nie ein schlechter Gedanke in ihrer Seele Wurzel fassen konnte! Und sie... sie legte mir falsche Rechnungen vor. wohl wissend, daß ich im ersten Freudentaumel nicht im stände sein würde, sie genau durchzusehen. Sie legte mir falsche, von Dankbar- keit und Liebe überströmende Briefe des Großvaters vor, und die echten Briefe eines hungrigen elenden Greises ließ sie unbeantwortet. Welche Falschheit, welche Herzenshärte! Ist sie mehr Teufelin, oder mehr Komödiantin! Dann kamen ihm Kurter's Worte ins Gedächtniß, daß er Augela's Seele durch Stolz und Verachtung der Armen ver- giftet hatte, und er begann ruhiger nachzudenken. Wohl wahr! Sie war an Reichthum und Ucberfluß gewöhnt, in engen, mittelalterlichen Ansichten erzogen, fern von den Kämpfen, den Leiden und dem Elend des wirklichen Lebens. Wie konnte sie da Theilnahme für die Armeil empfinden? Zu nützlicher Arbeit nicht angehalten verbrachte sie ihre Jugend damit, sich zur Puppe, zum Ideal, zum Übermensch- lichen Wesen, zum Spielzeug für die Männer heranzubilden. nicht aber um ein Mensch, ein nützliches Mitglied der Gesell- schaft zu werden. Sie hatte eine religiöse Erziehung erhalten, d. h. mau lehrte sie den Katechismus, die Ausübung der religiös-kirchlicheil Pflichten, doch die Erziehungsmethode, die ganze Lebenssührung, die traditionellen Anforderungen in Haus und Schule arbeiteten daraus hin, jede ethische Grund- läge für immer in ihr zu zerstören. Und so geschah dann, was geschehen mußte! Vom Krankenhaus wollte der Hauptmann durch das nächste Gäßchen auf die Bäckerstraße gelangen, um so bald als möglich nach Hause zu komme». Er zitterte bei dem bloßen Gedanken, daß er nun bald seine Frau sehen und mit ihr sprechen mußte, daß sie es mit neuen Ausflüchte», neuen Lügen nnd neuen Beweisen versuchen werde, daß er dieses elende Spinngewebe Schritt für Schritt werde zerreißen müssen. Er empfand einen furchtbaren Ekel vor diesem elenden Weibe, das seines Namen? so unwürdig war. Wie tief war sie in den letzten L4 Stunden in seinen Augen gesunken! Dies also war Angela, die Mutter seiner Kinder! Das war die Frau, die- seinen Namen trug und denselben ohne jede Skrupel in den tiefsten Schmutz tauchte! So war es nun um seine Ehre bestellt, der zu Liebe er das Leben seines einzigen Freundes geopfert hatte! Die Straße war leer. Um den quälenden Gedanken zu entgehen, trachtete der Hauptmann, die gleichgiltigen Dinge um sich her zu betrachten, las alle vergilbten und vom Regen halb ausgelöschten Aufschriften, zählte die Plaukenstäbe, heftete einen langen Blick auf das Madonnengesicht der Gipsfigur vor dem Internat der.Auferstehenden" und suchte in den Gesichtszügen eine Aehnlichkeit mit Augela's Antlitz zu ent- decken. Plötzlich, ohne sichtbare Ursache, beschleunigte er den Schrill und eilte, ja lief beinahe nach seiner Wohnung, als wäre dort ein Feuer ausgebrochen, und er müßte jemand vor Todesgefahr bewahren, oder als hinge überhaupt eine schreckliche Katastrophe in der Luft, die er durch sein früh- zeitiges Dazwischentreten abwenden könnte. Und jetzt erst, in diesem Augenblick der sinnlosesten Angst, der unerklärlichen Unruhe, des heftigen Herzklopfens, das sich noch steigerte in dem Maße, als er dem wohlbekannten grün angestrichenen Hause näher kam, in diesem Augenblicke erst erkannte er, daß er Angela noch immer liebte, trotz aller Leiden, trotz ihrer grenzenlosen Niedertracht, trotz des schrecklichen Unrechts, das sie ihm zugefügt, trotz der unaustilgbaren Schande, mit der sie seinen Namen bedeckt. Er liebte dieses schöne, heitere, energische Weib, ihre wunderbaren seelenvollen Augen, ihren
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15 (6.4.1898) 68
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