Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 70.

291 Am häuslichen Herd.

Roman von Jwan Franko.

Freitag, den 8. April.

" Fürchterlich!" sprach der Hauptmann für sich hin. Ihrem Familien- und Bekanntenkreise, ihrer Heimath ent­riffen, mit Gewalt in den Schmutz der Verderbtheit gedrängt, zu ewiger Sklaverei verurtheilt, der Vergessenheit, dem frühen Tode oder, was noch tausend Mal ärger, dem grauenvollen Elend in der Fremde preisgegeben. Der bloße Gedanke an ein solches Schicksal tönnte ja einen um den Verstand bringen! Und diese Bestie von Weib hat sich dafür zahlen lassen!"

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Die Gesandschaft hat die Sache nach Möglichkeit unter­Sucht", sette Hirsch seine Erzählung fort. Für junge, ganz unschuldige Mädchen pflegten die Türken auch hundert Dukaten zu zahlen, für andere weniger, je nach der Ver­einbarung.

1898.

Wein eingoß, was natürlich seine Gesprächigkeit wieder steigerte.

Man kann doch unmöglich voraussetzen, daß die Herren vom Militär und aus dem höheren Beamtenstande, die ganze Zeit nichts davon gewußt hätten. Sie pflegten doch selbst das Haus zu besuchen. In der Stadt flüstert man sich die Namen von Hochstehenden Persönlichkeiten zu. Und doch blieb solange alles geheini. Erst als einige von den Mädchen im Spital starben, als von verschiedenen Seiten verzweifelte Hilferufe ertönten, regte sich die Polizei. Gestern wurde die Dame sammit ihrer ganzen Anstalt verhaftet. Herr, was gab es da Anfangs für Lärm und Entrüstung, Ohnmachten und Komödienspiel! Eh, eh! Und wieviel Papiere, Quittungen und Briefe wurden da erwischt! Da wird man schöne Geschichten erfahren! Ja, das wird aber alles vor dem großen Publikum verborgen bleiben. Es giebt schon Leute, die dafür sorgen werden, daß nur das in die O Gott, Gott !" stöbute der Hauptmann. Es schien ihm, daß etwas Schreckliches ihm das Herz zusammenschnürte, ihn an der Kehle würgte.

" Und der Agent, der den Transport geführt, hat man Deffentlichkeit gelangt, was ihnen taugt." den?"

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" D, der sitzt fest!" sagte triumphirend der Polizeirevisor. Vor einigen Tagen wurde er in Best verhaftet. Von der Bester Polizei liegt ein Bericht vor, daß eine Menge Papiere, Hirsch betrachtete das als Aufmunterung zu weiteren Rechnungen, Quittungen und ein langes Verzeichniß seiner Mittheilungen, und nachdem er eine halbe Flasche Wein ge­Helfershelfer und Helferinnen bei ihm gefunden wurde. leert hatte, setzte er schon ganz freimüthig, manchmal sogar in Das wird eine Arbeit für uns geben, Herr! Eine Spürjagd dozirendem Tone fort: im ganzen Laude!"

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Der Hauptmann schauderte vor Efel, als er in den Augen des Maunes eine wilde Freude aufblitzen sah, die bestialische Freude des Wolfes, der eine ganze Heerde Schafe in dem Bereiche seiner Macht sieht und fühlt, daß er sie nun alle nach Herzensluft wird würgen und in Stücke reißen können, daß kein einziges ihm entgehen oder auch nur Wider stand entgegenfeßen kann.

" Ich begreife Ihre Freude," sagte der Hauptmann, ob wohl meiner Ansicht nach mehr Grund zur Freude gewesen wäre, hätten Sie sich vorher einer größeren Wachsamkeit be­fleißigt und nicht so viele unschuldige Opfer sich vor der Nase wegführen und dem Verderben ausliefern lassen."

Ist das meine Sache?" fragte Hirsch, dem Braten, der ihm vorgeseht wurde, tapfer zusprechend. Habe ich hier zu befehlen, Herr Hauptmann? Die Polizei- Kommiffare, die Re­visoren, sind wie Spürhunde: man zeigt ihnen die Spur des Wildes, man läßt sie los, ihre Pflicht ist es, das Thier ein­zufangen. Das Uebrige ist nicht unsere Sache, sondern Sache derjenigen, die die Jagd leiten. Wir haben ohnedies genug Arbeit. So viel Mühe, so viel Lauferei, daß uns feine Zeit zum Athemholen bleibt. Gestern Abend zum Beispiel! Werden Sie's mir glauben, Herr Hauptmann, daß hier in Lemberg , vor unseren Augen, im Zentrum der Stadt durch viele Jahre Aehnliches getrieben wurde, wie mit dem Mädchen handel in der Türkei ? Und keiner hatte eine Ahnung

davon."

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Und wissen Sie, warum ich Ihnen das alles erzähle, Herr Hauptmann? Damit Sie die Politit verstehen lernen. Denn sehen Sie, wenn der Baum in Blüthen steht und man den Baum rüttelt, daß die Blüthen herunterfallen, oder das grüne, unreife Obst herunterfällt, so ist das teine Politik. Aber warten, bis die Birnen reif sind und dann den Baum rütteln, daß die schönen, reifen, saftigen Früchte uns in den Schooß fallen, das ist Frende, das ist Verdienst! Und unfer­einer fann auch gar nicht anders vorgehen, denn ein Ber­brecher, der sein Verbrechen noch nicht ausgeführt hat, ist ja noch kein Verbrecher! Was hätte ich zum Beispiel davon, wenn ich den Agenten damals erwischt hätte, als er mit dem Mädchen von Stanislau nach Czernowih fuhr?

,, Sie hätten das Mädchen gerettet!" sagte der Haupts

manu.

„ Ach was, das Mädchen! Dem Mädchen ist's egal!" lachte Hirsch zynisch. Heute rette ich sie aus den Händen des Agenten und morgen kommt sie ohnehin auf den Hund. Und es frägt sich noch, ob ich sie überhaupt vor ihm retten tönnte. Wenn er mir sagt, er habe sie in Dienst genommen, und sie be­stätigt es, wie fann ich ihm beweisen, daß es nicht wahr ist? Er kann noch Klage gegen mich führen, und wenn sich das zwei-, dreimal wiederholt, so ist der arme Revisor um sein Brot gekommen. So aber steht die Sache ganz anders. Jetzt haben wir den Faden in der Hand, wir haben Beweise, Zeugen schaften, Geständnisse, Briefe! Wenn wir jezt auf die Jagd gehen, so wiffen wir, wen wir suchen, wen wir einfangen müssen. Jetzt fann ich zum Beispiel hingehen und bei Ihnen, Herr Hauptmann, eine Hausrevision vornehmen und Sie dürfen nichts dagegen thun!"

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Was war denn das wieder?" fragte der Hauptmann. " Da wohnte in der Dominikanergasse eine gewisse Frau Julie Szablinsta, die sich als Wittwe ausgab, eigentlich aber eine Geschiedene war; eine noch junge, recht anständige und Der Hauptmann sprang auf, als wäre er mit siedendem gebildete Dame, die stets elegant gekleidet in bessere Gesell- Wasser übergossen worden. schaften zu kommen pflegte. Seit einigen Jahren war sie Bei mir? Sind Sie toll? Bei mir?" Vorsteherin einer tonzeffionirten Erziehungsanstalt für junge" Ha, ha, ha!" lachte Hirsch aus vollem Halse, denn der Mädchen, die die achtklassige Bürgerschule beendet hatten. Wein hatte ihn ganz heiter gemacht. Wie Sie erschrocken Sie sollten da Vorbereitungsstudien zur Maturitäts- find! Ha, ha, ha, ha! Nun, beruhigen Sie sich nur, ich prüfung oder zu sonst was Aehnlichem durchmachen. sagte es nur zum Spaß und so zum Beispiel." Und denken Sie, Herr Hauptmann, vor einigen Der Hauptmann nippte langsam, tropfenweise seinen Tagen bringt die Polizei in Erfahrung, daß diese Wein, um ruhig zu erscheinen und die Todtenbläffe, die seine Erziehungsauftalt eigentlich ein ganz gemeines Freudenhaus Züge überzog, zu mastiren. Hirsch heftete seine kleinen ift. Nur die Aristokratie, die reichen Junker, die höheren blinzelnden Augen durchbohrend auf ihn; ein halb trunkenes, Difiziere werden da zugelaffen, was aber in dieser geschlossenen halb liftiges Lächeln umspielte sein Gesicht und verzerrte Gesellschaft vorgeht, das übersteigt alle menschlichen Begriffe." die dicken Lippen, hinter denen große weiße Zähne sichtbar Jedes Wort dieser Erzählung war ein schmerzlicher wurden, die bereit schienen, lebendiges Fleisch zu zerstückeln. Dolchstich in des Hauptmanus Herz. Von kaltem Schweiß" Herr Hauptmann haben also volle fünf Jahre in Bosnien bedeckt, taum athmend, wie unter schrecklichen Folterqualen, hielt er sich kaum noch auf dem Sessel, und fragte doch, bis au die Lippen erblaßt, mit kaum hörbarer Stimme:

Was zum Beispiel?".

" Nun, das sagt man so zur Bezeichnung des Schrecklichen," sagte Hirsch, der mit dem Braten fertig wurde und sich häufig

gedient?

" Ja wohl."

" Ich erinnere mich, den Herrn Hauptmann vor Jahren noch als Lieutenant gekannt zu haben. Ich war damals Kellner im Kaffeehaus auf der Armenier- Gasse. Erinnern Sie sich, Herr Hauptmann?"