Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 78.
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Donnerstag, den 21. April.
( Nachdruck rerboten.)
Der Schiffsjunge.
Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorifirte Uebersetzung von E. Brause wetter. Der Mann folgte ihrem Blick, und seine Worte glitten Langsam und gleichsam weich hervor.
Michel schielte nach den Beiden hin, hielt mit einer Hand das Rad und gab ihm hie und da einen Stoß. Benn war ihm dankbar, jedesmal, wenn dieser Stoß kam.
Wenn sie nur gehen wollte.
Er hörte sie davon reden, daß sie sich darauf frente, in den Passat hineinzukommen. Es wäre so falt und häßlich nun in diesen Tagen.
п
Gute Nacht denn, Steuermann!"
Gute Nacht, Frau Kapitän!"
Er schleuderte zum Steuer zurück.
Na, wie geht's?"
Er blickte auf den Kompaß, sagte aber nichts; die Schute lag auf dem Strich.
" Nun mußt Du auch eine Stunde Auslug haben. Du sollst ja Boll- Seemann werden, soviel ich weiß!"
1898.
höflich war? Das meinten wohl alle an Bord? Die Frau auch; sonst hätte sie nicht dem zweiten Steuermann zugelächelt. Aber sie war wohl nicht an solche Aufmerksamkeit von diesen rohen und gewöhnlichen Menschen gewöhnt. Sie hatte die wenigen Male, da sie sich auf Deck hatte sehen lassen, nicht ein Wort an ihn gerichtet- auch heute Abend nicht. Sie wußte seine Aufmerksamkeit schlecht zu schäßen. Sie konnte nicht sonderlich gebildet sein. Sie mußte doch bedenken, daß. er aus guter Familie stammte, einer ebenso guten, wie die ihrige vielleicht war, daß er selbst gebildet war und mehr Kenntnisse besaß, als sie, darüber konnte wohl kaum ein Zweifel sein...
Er sab an seinen Kleidern herab.
Freilich war er jetzt nicht sonderlich gekleidet. Aber, du lieber Gott, wer fonnte sich fauber halten, wenn man sich schinden und abrackern mußte wie er?
Und er dachte daran, wie flott dieser Arbeitsanzug bei der Abfahrt ausgesehen, da er damals ganz neu war. Er wäre fein genug gewesen, sich in ihm vor den Freundinnen daheim zu zeigen. Er fragte an den großen Rißwunden an den Fingern innen in der Hand. Es that weh, und er wurde ungeduldig: hu, daß er noch nicht in New- York war! Dann fonnte er bald wieder in Europa sein. Und nach Hause tommen. Er würde dann in einem Jahr das Studentenexamen machen, wenn er privatim fleißig studirte!
Benn ging hinaus auf die Back, froh, so gut vom Steuer fortgekommen zu sein. Noch waren ihm die Ohren ganz heiß. Dann beschäftigte er sich wieder mit der Schiffersfrau. Aber die Freude war doch keine ganze; es schien ihm fast Er interessirte sich nicht im geringsten für diese Schiffereine Demüthigung, daß die Schifferfrau ihn gar nicht be- madame, Merry Olsen geborene Schnor. Solch' hübsche und achtet hatte. Er hatte nicht gewünscht, daß sie ihn ansprechen vornehme Damen hatte er früher genug gesehen! War sie hochs follte, während er am Steuer beschäftigt war, aber troßdem... müthig, konnte er es, zum Teufel, auch sein. Er würde nicht trozdem.. einmal nach der Seite hinsehen, wo sie ging, wenn sie auch noch so viele Packete schleppte. Er wollte unhöflich, ja unverschämt sein..
Sie konnte sich natürlich nicht denken, daß er von den Damen, die er tannte, eine andere Behandlung gewöhnt wäre, aber er war wohl auch in ihren Augen wie in denen der Matrosen nur Schiffsjunge...
Benn starrte vorn hinaus, aber er sah nur die großen, ruhig rollenden Wogen, das schwarze Meer. Dann begann er hin nnd her zu trampeln, um sich zu erwärmen.
Die Frau hätte gut, ohne in den Kompaß zu sehen, sagen können:
Finden Sie es amüsant, zu steuern?"
Die Schute legte sich so auf die Seite, daß er sich irgendwo halten mußte, um nicht zu fallen. Er richtete sich wieder auf und blickte hinaus. Keine Laternen. Alles war still. Es blieb auch für den Rest der Wache ganz hübsches Wetter; so brauchte er heute Nacht nicht hinaufzuklettern...
Eine ganze Weile stand er in Gedanken versunken. " Siehst Du etwas, Benn?"
Es war der Steuermann, der nach vorn gekommen war, ohne von ihm gehört zu werden.
Benn starrte hinaus, und ihm wurde Angst: ein rothes Licht in Luvwart.
Er befann sich genau auf das einzige Mal, wo er mit ihr gesprochen hatte. Es war am Morgen des Abfahrtstages. Er stand an der Reeling noch in seinen Staatskleidern. Da sah er einen Fährmann an der Schute anlegen. Eine junge " Ja, eine Laterne; aber sie ist noch sehr weit fort!" Dame saß mit einigen Packeten unten im Boot neben ihm. Er versuchte seiner Stimme einen so ruhigen Klang wie mög Er wußte, daß es die Frau des Kapitäns war und stürmte lich zu geben.
die Strictleiter hinab, lüftete den Hut und ergriff das größte Der Steuermann stieg auf die Mastspiren und reckte den Backet. Sie starrte ihn fast erstaunt an, als wollte sie sagen: Was bist Du für Einer?"
Benn lüftete wieder den Hut und sagte erklärend: Mein Name ist Benjamin Frank. Ich bin als Schiffsjunge geheuert hier an Bord."
Er meinte, es flänge verdammt seemännisch, wenn er das Wort ,, heuern" gebrauchte.
Sie warf einen blißschnellen Blick nach der Reeling hinauf, wie um zu sehen, ob jemand bemerkte, was er, dieser drollige Bursche, that. Und er wurde ein ganz, ganz kleines Lächeln in einem ihrer Mundwinkel gewahr. Er folgte dem Blick und sah dort oben den zweiten Steuermanu; der wandte sich dann aber ab, und es war Benn, als wenn er lachte.
" Darf ich der Frau Kapitän nicht bei den Backeten helfen?" fragte er, verlegen und erstaunt. Er hatte doch wohl keine Dummheit begangen?
Da lächelte fie so hübsch, wie Benn noch niemals jemand hatte lächeln sehen und sagte:
" Ja, besten Dant. Uebrigens komme ich auch schon selbst zurecht. Es ist ja so wenig."
Dann sprang er vor ihr mit den Packeten hinauf. Diese kleine Szene hatte der zweite Steuermann am Hinterdecktisch zum besten gegeben und der Steward sie einem der Matrosen wiedererzählt, der sie eines Abends zum großen Vergnügen der Kameraden in der Roof vortrug. Sie hatten ihn geneckt, einige gutmüthig, andere höhnisch.
Daß er auch dafür leiden sollte, daß er höflich nnd wohl erzogen war! War denu etwas Lächerliches dabei, daß er sol
Hals.
" Ist sie weit fort? Ich glaube, hol mich der Teufel, Du hast da gesessen und geschlafen!" Ach wo, ich stehe ja!"
„ Na, dann stehst Du und schläfft! Warum rufst Du denn Benn schwieg.
nicht!"
"
Wenn das noch einmal vorkommt, bekommst Du Hiebe! Nun weißt Du es!"
Dann ging er zum Achterdeck.
Benn stand beschämt und wüthend. Daß dieser Mann ihn in seiner Art sehr rücksichtsvoll behandelt hatte, war in diesem Augenblick vergessen. Er dachte nur daran, daß er ihm nun mit Prügeln gedroht hatte. Er sollte wie ein kleiner Junge bestraft werden.
Seine Unaufmerksamkeit konnte er nicht verantworten; aber das machte seine Erbitterung nur noch größer. Er schluchzte laut auf und verwünschte die Steuerlente wie die Mannschaft und all' sein Unglüd.
IV.
-
Auf Hundewache*), einige Tage später. Auf!"
Benn erwachte.
Auf! Großsegel soll fest!"
Es war Divind's Stimme mit dem heiseren Stimmwechsel
*) Die Wache zwischen 12 Uhr nachts und 4 Uhr morgens.