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flang. Benn steckte den Kopf aus der Koje heraus und begegnete dem des Freundes. Das Wasser tropfte von ihm herab und der Schweiß perlte auf seinem rothen Gesicht hervor. Benn begriff sogleich, daß Divind ihn hatte weden wollen, er sollte als erster angekleidet sein, damit ihm niemand etwas sagen könnte.
Spute Dich, Benn, Du mußt auch Delkleider anziehen. Die Gee schlägt herein."
Nun wurde ihm die Situation erst klar. Er hörte die Bogen über das Dach der Roof trommelnd, platschend und rollend hinspülen und das Heulen und Kreischen des Sturmes, der wie ein Nothschrei in der Nacht stieg und wieder sank.
Er fühlte, wie die Schute sich einmal ums andere ma! auf die Seite legte, und ehe er sich dessen versah, schlug sein Kopf gegen die Kojenwand, so daß es schmerzte. Er kroch vorsichtig und langsam hinaus. Die Hände klammerten sich am Kojenrand fest, an der Schiffskifte, an den Kleiderrechen, an der bloßen Wand. Er rollte seine Decken in ein Bündel zusammen und ließ sich barfuß auf dem nassen Boden nach Lee hinübergleiten. Hier begann er sich so schnell wie möglich anzukleiden.
Divind fuhr zur Thüre hinaus.
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Sie gingen langsam, mit Ileinen Schritten, unter der brennenden Hize. Sie hatte ihren Arm in den ihres Freur des gelegt und fab wie entgeistert, mit ftarrem Blicke gerade vor sich bin; dann sprach sie:" Sie haben ihn also nie mehr wiedergesehen?" Nein, niemals!"
" Ist es möglich!"
" Aber, liebe Freundin, sangen wir doch diese ewige Diskussion nicht wieder von neuem an. Ich habe eine Frau und Kinder, wie Sie einen Gatten haben; beide haben wir also die öffentliche Meinung zu fürchten.
Sie antwortete nicht, sondern dachte an ihre ferne Jugend und die traurige Vergangenheit. Man hatte sie verheirathet, wie man die jungen Mädchen eben verheirathet. Sie kannte ihren Bräutigam, einen Diplomaten, taum, und lebte später mit ihm das Leben aller Frauen von Welt. Aber nun liebte sie ein junger Mann, Herr v. Apreval, der ebenso wie sie verheirathet war, mit tiefer Leidenschaft; und während einer langen Abwesenheit ihres Gatten, der nach Indien gereift war, erhörte sie ihn
"
Wie lebt er?" fuhr sie fort.
fennen!
" Ich habe ihn nicht wiedergesehen; ich weiß es nicht." Ist es möglich, einen Sohn zu haben und ihn nicht zu vor ihm Furcht zu haben, ihn von sich zu stoßen, wie eine Schmach... oh. das ist entsetzlich!"-
Sie gingen, von den Sonnenflammen wie ausgedörrt, auf der langen Landstraße einher, und stiegen die Küste hinauf, die noch immer kein Ende nehmen wollte.
"
Ach Gott !" murmelte Benu, und in dem Wort lag seine Man möchte es beinahe eine Strafe nennen," fuhr sie fort. Müdigkeit, sein Schmerz und seine Ungeduld. Er bekam eine Ich habe nie ein anderes Kind gehabt. Nein, ich könnte dem fleine Anwandlung von Seekrankheit, und das erinnerte ihn Wunsch, ihn zu sehen, der mich seit vierzig Jahren quält, nicht unwillkürlich an gefahrvolle Stellungen hoch oben, an De- widerstehen. Ihr begreift das nicht, Ihr Männer. Denken Sie müthigungen, an körperliche Leiden, au Schrecken und Grauen. doch, daß ich schon mit einem Fuß im Grabe stehe. Und ich sollte Einer nach dem andern von seiner Wache kam zwischen ihn nicht wiedergesehen haben!... Nicht wiedergesehen? Ist denn den Vorhängen der Kojen zum Vorschein, schlaftrunken und das möglich? Wie habe ich nur so lange warten fönnen? Mein ganzes Leben habe ich an ihn gedacht. Welch' entsetzliche Griftenz hat mir das bereitet! Ich bin nicht ein einziges Mal, hören Sie wohl, nicht ein einziges Mal erwacht, ohne daß mein Gedanke nicht ihm, meinem Kinde galt! Wie sieht er aus? Oh, wie schuldig fühle ich mich ihm gegenüber. Darf man sich in solchem Falle vor der Welt fürchten? Ich hätte alles verlassen müssen, hätte ihm folgen, ihn erziehen, ihn lieben follen! Gewiß wäre ich glüdlicher geworden. Aber ich habe es nicht gewagt. Ich war feige. Wie habe ich gelitten! Oh! Wie müssen diese armen ver
erbittert.
Benn hörte die Zurufe der Mannschaft draußen bald nah, bald fern. Die Rufe erstickten einige Male, als wenn sie im Brausen des Sturmes und der Wogen ertranten, tauchten wieder auf und verschwanden plötzlich, als wenn der Rufende den Mund voll Wasser bekommen hätte. Dann ertönten sie wieder.
,, Ahoi! A- streckt! A- halt!"
Er hörte aus diesen athemlosen und hervorgepreßten Schreien, wie schwer man arbeitete. Es lag etwas Verzweifeltes darin. Es war, als schrie man sich verzweifelte Kraft an.
Ein Schlag gegen die Thüre, als sollte sie zerschmettert werden, und ein feiner Wasserstrahl schoß durch eine Spalte herein. Darauf Plätschern und Rieseln von Wasser, das zurückfiel und in alle Ecken und Winkel auf seinem Wege hinein und hinauslief.
( Fortsetzung folgt.)
( Nachdruck verboten.)
Der Verlassene. Von Guy de Maupassant . Deutsch von Wilhelm Tha 1. Wahrhaftig, ich glaube, Du bist toll, liebe Freundin, bei einem solchen Wetter einen Ausflug aufs Land machen zu wollen. Seit zwei Monaten hast Du merkwürdige Ideen. In den 45 Jahren, die wir verheirathet find, hast Du nie solche Phantasien gehabt. Mit Vorliebe wählst Du Fécamp , eine traurige Stadt, und Du, die Du Dich nie bewegt, haft eine solche Wuth, Dir Bewegung zu machen, daß Du am heißesten Tage des Jahres durch die Felder spazieren willst. Sage doch d'Apreval, er soll Dich begleiten, er erfüllt ja alle Deine Launen. Was mich betrifft, so möchte ich lieber mein Nachmittagsschläfchen halten."
Frau von Cadour wandte sich zu Ihrem alten Freunde: Kommen Sie mit, d'Apreval?"
Er verneigte sich lächelnd und sprach mit einer Galanterie ver gangener Zeit: Ich gehe, wohin Sie gehen."
Nun gut, holt Euch nur einen Sonnenstich," erklärte Herr v. Cadour und kehrte in das Badehotel zurück, um sich ein bis zwei Stunden auf sein Bett zu strecken.
Sobald sie allein waren, brachen die alte Frau und ihr alter Gefährte auf. Sie sagte mit ganz leifer Stimme, ihm die Hand drückend:„ Endlich endlich!"
...
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Sie find toll!" murmelte er.„ Ich versichere Sie, Sie sind toll! Denken Sie doch, was Sie wagen. Wie dieser Mensch. Sie fuhr auf. Oh, Henri, sagen Sie nicht:„ dieser Mensch...", wenn Sie von ihm sprechen."
Mit rauhem Tone fuhr er fort: Nun denn, wenn unser Sohn etwas ahnte, wenn er Verdacht schöpfte, so hält er Sie, hält uns alle feft. Sie haben es doch ertragen, ihn vierzig Jahre nicht zu sehen. Was haben Sie denn heute?"
Sie hatten die lange Straße verfolgt, die von dem Meer zur Stadt führt, und wandten sich rechts, um die Küste von Etretat zu ersteigen; die weiße Ebene streckte sich unter einem glühenden Sonnenregen vor ihnen aus.
laffenen Wesen ihre Mütter haffen!"
Von Schluchzen beinahe erstickt, blieb sie plöglich stehen. Der ganze Thalteffel lag stumm und verlassen da unter der drückenden Hize des Tages. Nur die Heuschrecken ließen in dem gelben, an den beiden Seiten der Straße spärlich wachsenden Grafe ihr ein töniges Gezirp ertönen.
Seßen Sie sich ein wenig!" sprach er. Sie ließ sich zu dem Rand eines Grabens führen, und setzte sich, das Gesicht in den Händen. wundenen Haar lockerten sich, und sie weinte, von tiefem Schmerze Ihre weißen, zu beiden Seiten ihres Gesichts spiralförmig ge=
erschüttert.
Unruhig blieb er ihr gegenüber stehen, und murmelte, da er nicht wußte, was er sagen sollte:" Nun... nun... faffen Sie Muth!"
" Ja, Sie haben recht, ich werde Muth haben," versette fie, er= hob sich, trocknete sich die Augen und setzte sich mit dem schwankens den Schritt einer alten Frau wieder in Bewegung.
Ein wenig weiter verschwand die Landstraße unter Baumgruppen, die einige Häuser verdeckten. Sie unterschieden jezt den regelmäßigen Schlag eines Hammers auf einen Ambos und fahen bald auf der rechten Seite einen Wagen vor einer Art niedrigen Hauses und unter einem Schuppen zwei Männer stehen, die ein Pferd beschlugen.
Herr von Apreval trat näher und fragte:" Wo liegt Pierre Benedict's Gehöfte?"
Einer der Männer antwortete:" Schlagen Sie den Weg links ein und gehen Sie gerade aus; es ist das dritte Haus nach Boret's Meierei. Es steht' ne fleine Fichte am Zaun. Sie können sich gar nicht irren."
Sie wandten sich nach links. Sie ging jetzt ganz langsam, die Füße versagten ihr fast den Dienst, und das Herz schlug ihr so heftig, daß fie fast erstickte.
Bei jedem Schritt murmelte sie wie zum Gebet: Mein Gott ! oh! mein Gott!" Eine furchtbare Aufregung schnürte ihr die Kehle zu, und sie wankte auf ihren Füßen, als hätte man ihr die Kniefehlen durchgeschnitten.
Nervös und etwas blaß sagte Herr von Apreval in rauhem Tone zu ihr:„ Wenn Sie sich nicht besser zu beherrschen verstehen, " so werden Sie sich sofort verrathen. Versuchen Sie doch, sich zu mäßigen." Kann ich es denn?" flammelte sie. Mein Kind! Wenn ich daran denke, daß ich mein Kind sehen werde!"
"
Sie verfolgten einen jener fleinen zwischen den Bauernhöfen sich hinschlängelnden Landwege, die unter einer doppelten Reihe der an den Gräben gepflanzten Buchen gleichsam verschwinden. Und plößlich befanden sie sich vor einem Zaun, hinter dem eine junge Fichte stand.
Hier ist es!" sagte er.
Sie blieb stehen und blickte sich um. Der mit Apfelbäumen